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INTERVIEW/111: Deutsch-arabisches Kultur- und Integrationszentrum - Eine Grundhaltung ...    Fathi Abu Toboul im Gespräch (SB)


Flüchtlingshilfe ist nicht immer selbstverständlich

Interview bei der Vereinsgründung am 17. März 2016 in Hamburg-Altona


Fathi Abu Toboul ist Vorsitzender der Arab Union of Photographers e.V. (AUOP) und Mitglied im Hamburger Integrationsbeirat, wo er die Funktion eines Sprechers ausübt. Seit 2005 leistet der AUOP auch einen Beitrag zur humanitären Flüchtlingshilfe. In Anbetracht des wachsenden Beratungs- und Hilfsbedarfs nahmen die Anforderungen ein Ausmaß an, daß die Gründung eines eigenständigen Vereins für diesen Zweck erforderlich wurde. Nach der Gründungssitzung des Deutsch-arabischen Kultur- und Integrationszentrums beantwortete Fathi Abu Toboul dem Schattenblick einige Fragen zur Geschichte des AUOP und den Motiven für sein humanitäres Engagement.


Im Gespräch - Foto: © 2016 by Schattenblick

Fathi Abu Toboul
Foto: © 2016 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Herr Abu Toboul, was war die Initialzündung dafür, daß Sie ehrenamtlicher Flüchtlingshelfer wurden?

Fathi Abu Toboul (FAT): Ich komme aus Jordanien und wurde in der Hauptstadt Amman geboren. Seit 19 Jahren lebe ich in Deutschland und habe an der Wirtschaftsakademie Marketing und Kommunikation studiert. Ich habe mich seinerzeit nicht für Politik interessiert und war nur wegen des Studiums nach Deutschland gekommen. Nach dem Abschluß wollte ich wieder in meine Heimat zurückkehren und in Jordanien arbeiten. Es gab also nie den Plan, für immer in Deutschland zu bleiben.

Im Frühjahr 2003 wollte ich einen jordanischen Freund in Nordrhein-Westfalen besuchen. Als der Zug in Hamburg-Dammtor einfuhr, erblickte ich vielleicht 30.000 bis 40.000 Menschen, die Richtung amerikanisches Generalkonsulat zogen. Ich war so überrascht von der demonstrierenden Menschenmenge, daß ich den Schaffner fragte, ob ich wirklich in einem Zug in Deutschland sitze. Ich bin eine Station später ausgestiegen und zur Demo zurückgegangen. Damals stand alles im Zeichen des Krieges gegen den Irak. Doch Deutschland beteiligte sich nicht an der US-geführten Militärintervention. Während in Hamburg viele Demonstrationen gegen die amerikanische Kriegspolitik stattfanden, blieb es in Flensburg, wo ich damals lebte, ruhig wie in einer Rentnerstadt.

Ich hatte plötzlich das Gefühl, in einer lebendigen Stadt zu sein, weil hier Menschen bereit waren, sich für Menschen in anderen Regionen der Welt einzusetzen. Ich bin zwar kein Iraker, aber immer schon gegen den Krieg gewesen, der unschuldige Menschen tötet. In dem Moment hatte ich mich entschieden, von Flensburg nach Hamburg umzusiedeln, weil mir klar wurde, daß ich hier in Hamburg auf das eigentliche Deutschland gestoßen war mit all diesen engagierten Menschen, die gegen den Krieg im Irak protestierten. Deutschland bewegt sich, sagte ich mir, und deshalb entschied ich mich für Hamburg als den Wendepunkt für mein zukünftiges Leben.

Ich muß in einer Stadt leben, in der sich etwas bewegt, denn auch in Amman war immer viel los gewesen. Jordanien mischt sich zwar nicht in die Politik anderer Staaten ein, aber wenn unschuldige Menschen von Krieg bedroht sind, wird dagegen demonstriert. So ist Jordanien als einziges Land in der gesamten arabischen Welt nicht unter den Umwälzungen zusammengebrochen, die über Syrien, Palästina, Ägypten, Irak und Saudi-Arabien hinwegfegten und deren Gesellschaften spalteten. In Jordanien stehen die Menschen zu ihrer Regierung, dort kommt es nicht zu Aggressionen oder Konflikten unter den Ethnien.

SB: Ließe sich das im Fall Jordaniens nicht auch auf eine andere Art der Bündnispolitik zurückführen als zum Beispiel die des Iraks, der lange Zeit die Unterstützung der USA erfuhr, als sich die politische Großwetterlage aber änderte, von einem Tag auf den anderen zum Schurkenstaat erklärt wurde?

FAT: Die arabische Welt hat das Problem, daß fast alle ihre Präsidenten zuvor Generäle oder Militärs waren. In Marokko, Jordanien und Saudi-Arabien gibt es hingegen ein Königtum. Mit einem König an der Spitze der Staatsmacht existieren in dem Land feste politische Strukturen. In Republiken mit einem Präsidenten als Staatsoberhaupt wie Ägypten, Syrien oder Jemen liegt die politische Macht in den Händen einer einzelnen Partei, die zur Absicherung ihrer Herrschaft soziale Unruhen und Oppositionsbewegungen unterdrücken muß. Deswegen war der Jemen auch in einen Süden und Norden geteilt. Jede Seite beanspruchte für sich die absolute Macht als Einparteiensystem. Das war in Algerien oder Tunesien nicht anders.

Jordanien ist eine junge Gesellschaft. Im Durchschnitt sind zwei Drittel der Bevölkerung nicht älter als 25 Jahre. Bildung und medizinische Versorgung sind in der jordanischen Erbmonarchie kostenlos. Jeder Dritte in Jordanien ist ein Beamter, und wenn ein Minister sein Amt übernimmt, holt er die Hälfte seiner Familie in sein Ministerium. Sicherlich gibt es Korruption in Jordanien, aber diese Korruption hat auch eine gerechte Seite. Wenn der König alle zwei Jahre neue Minister ernennt, achtet er darauf, daß alle Stämme an die Reihe kommen und so ihre eigene Leute unterbringen können. Diese Struktur hat sich bewährt und hält die Wirtschaft am Leben. In der Außenpolitik vermeidet der König einen Krieg mit Israel, der nur Opfer fordern würde, was bei einer kleinen Bevölkerung von 3,5 Millionen Menschen einfach keinen Sinn macht. Deswegen sorgt er im Hintergrund dafür, daß der Frieden mit Israel Bestand hat. Auch aus diesem Grund läßt er keinen religiösen Fanatismus im eigenen Land aufkommen.

SB: Könnten Sie erklären, wie Sie auf die Idee mit dem Verein Arab Union of Photographers (AUOP) gekommen sind?

FAT: Nach dem Sturz Saddam Husseins fiel mir auf, daß es zwischen der deutschen und arabischen Gesellschaft keine wirkliche Kommunikation gibt. Durch die Medien liefen selbst Ende 2014 immer nur die Bilder von den einstürzenden Zwillingstürmen in New York. Deshalb kam ich auf den Gedanken, daß eine Fotoausstellung das beste Mittel sei, um der deutschen Bevölkerung die arabische Kultur näherzubringen und gegenseitige Vorurteile abzuschaffen. In Deutschland leben mehrere tausend Nordafrikaner, die meisten schon seit über 30 Jahren. Das Ziel des Vereins Arab Union of Photographers war ein Kunst- und Kulturaustausch. Über Fotoausstellungen, Workshops und Seminare sollten die Kommunikationswege zwischen den Kulturen ausgebaut und freundschaftliche Beziehungen entwickelt und vertieft werden.

Unsere Vorstandssitzungen stehen für alle offen, unabhängig davon, ob sie Mitglied im Verein oder überhaupt Araber waren. Diese Herangehensweise erwies sich als sehr erfolgreich, auch weil uns von Anfang an klar war, daß eine Fokussierung auf Politikfelder und Fragen der Religion zu Konflikten und Ausgrenzungen führen würde. Ein Moslem ist ein Moslem, ein Christ ein Christ, ein Jude ein Jude - immer auf seine Religionszugehörigkeit bezogen, selbst ein Atheist definiert sich über einen Glauben im umgekehrten Sinne. Es ist nicht unsere Aufgabe, darüber zu befinden. Wenn jemand dennoch über Religion diskutieren möchte, sollte er in die Synagoge oder in andere Gebetshäuser gehen. Wir im Verein vermeiden Konflikte dieser Art. Für uns spricht, daß wir europaweit 873 Mitglieder haben.

An der Premiere des europäisch-arabischen Fotofestivals 2004 beteiligten sich 1500 Hobbyfotografen, bei der zweiten Auflage waren es fast doppelt so viele. Für die Fachjury konnten wir den Gruner + Jahr-Verlag, das Lufthansa-Magazin und Freelens aus Hamburg gewinnen, was bei den Teilnehmern Vertrauen weckte, denn in den Köpfen vieler Menschen spukt das Bild von Korruption in Arabien herum. Ich persönlich bin gegen jede Art von Korruption, wo auch immer auf der Welt. Da wir im deutschen Vereinsregister gemeldet sind, kam für uns eine Diskussion über eine arabische Satzung nicht in Frage. Schließlich unterliegen wir dem deutschen und nicht dem arabischen Gesetz, zumal ein Wort im Arabischen drei oder vier Bedeutungen haben kann, was mitunter zu Verwirrungen führt.


Fathi Abu Toboul - Foto: © 2016 by Schattenblick

Bei der Gründung des Deutsch-arabischen Kultur- und Integrationszentrums
Foto: © 2016 by Schattenblick

SB: Mit der Gründung der Arab Union of Photographers war sicherlich auch das Anliegen verbunden, ein bestimmtes Bild von arabischen Ländern zu vermitteln. Bekamen Sie auch damit zu tun, daß in Deutschland seit längerer Zeit antimuslimische Ressentiments und überhaupt Vorurteile über arabische Staaten aufkeimen?

FAT: In keinster Weise, vielmehr haben uns die deutschen Behörden viele Türen geöffnet. Es geht doch darum, sich zu integrieren und für die Gesellschaft zu engagieren. Als wir wegen unserer Fotoausstellungen beim Bezirksamt Altona angefragt haben, hat man uns wegen unserer arabischen Herkunft nicht abgewiesen. Im Rathaus konnten wir sogar zweimal ausstellen. Die Unterstützung durch die Behörden war uns sehr wichtig. Mit unseren Fotos über Frauenrechte, Kinder und Sportaktivitäten kamen wir sehr gut an. Wir konnten sogar kritische Bilder über die israelische Besatzungspolitik in Gaza zeigen. Es geht nicht um Parteien oder political correctness. Es darf jedoch nicht sein, daß alle Welt zuschaut, wenn in Gaza drei Tage vor Weihnachten zahlreiche Menschen sterben. Deswegen haben wir auch Fotos über Verletzte und Kriegsopfer in Gaza auf dem Programm gehabt. Damit hat es nie Probleme gegeben.

Gleichzeitig haben wir an der Universität von Amman eine Ausstellung darüber gemacht, wie eigens nach Deutschland gereiste arabische Fotografen die deutsche Kultur sehen. Sie wurde darüber hinaus in Tunesien, Marokko und in der Bibliothek von Alexandria gezeigt. Ein Teil dieser Bilder war auch in Hamburg zu sehen. All das haben wir ehrenamtlich gemacht als Zeichen unserer Dankbarkeit für die deutsche Gesellschaft, die uns aufgenommen hat. Es geht um Toleranz und ein friedliches Zusammenleben der Kulturen. Durch die Ausstellungen konnten wir eine Brücke schlagen zwischen der deutschen Gesellschaft und den arabischen Staaten, was um so wichtiger ist, als die Themen Integration und Flüchtlinge eine große Rolle im öffentlichen Diskurs spielen, aber auch deshalb, weil es hier in Deutschland keinen Ansprechpartner für die arabische Community gab. Jeder Verein machte seine eigenen Initiativen. Nach einem Aufruf von uns hat sich inzwischen ein Dachverband arabischer Vereine gegründet, der sechzehn Vereine umfaßt.

SB: Sie bieten in Ihrem Verein auch eine Rechtsberatung an. Arbeiten Sie auch mit der Ausländerbehörde zusammen?

FAT: Nein, es ist eher so, daß wir gegen die Entscheidungen der Ausländerbehörde oft Einspruch einlegen, wenn sie Anträge ablehnt oder Termine für Abschiebungen festsetzt. Seit fünf Jahren kümmern wir uns um arabische Flüchtlinge hier in Altona. Wir haben nie einen Antrag auf finanzielle Förderung gestellt, obwohl es mich ärgert, daß sich so viele auf Kosten der Flüchtlinge bereichern. Für uns ist es eine moralische Verpflichtung und Verantwortung. Wenn wir auf Schleuser treffen, melden wir sie sofort bei der Polizei. Ich kann nicht schweigen, wenn Menschen im Mittelmeer sterben. Ein Schleuser, der Geld aus der Not von Menschen macht, sollte in Hamburg keinen Aufenthaltsstatus bekommen. Aber insgesamt hat sich viel in den Ausländerbehörden der Hamburger Bezirke verändert, auch weil der Anteil an Mitarbeitern mit Migrationshintergrund in den letzten Jahren deutlich gestiegen ist. Früher hat man sie Ausländerpolizei genannt, und jeder hatte Angst, zur Ausländerbehörde zu gehen, weil er fürchtete, dort nicht mehr herauszukommen.

SB: Die arabische Community ist schon aufgrund der vielen Herkunftsländer ziemlich vielschichtig. Nach Ihren eigenen Worten leistet Ihr Verein keine politische, sondern humanitäre Arbeit. Wie gehen Sie damit um, wenn Flüchtlinge mit unterschiedlichen politischen Ansichten ihre Konflikte dennoch in den Verein hineintragen?

FAT: Es gibt diese Art von Konflikten, weil viele Arabischstämmige, die seit 40 oder 50 Jahren hier in Deutschland leben, im Grunde nicht wissen, was in Arabien in den letzten Jahren alles passiert ist. Sie fahren in den Urlaub nach Syrien, Irak, Palästina, Jordanien, Tunesien oder Marokko und werden dort wie Deutsche empfangen. Natürlich haben sie keine Ahnung davon, daß ihre Landsleute unter diktatorischen Regimen zu leiden haben. Deswegen gab es auch nach den vielen arabischen Revolutionen eine große Spaltung unter den Syrern. Die ehemaligen Anhänger oder Mitglieder der Baath-Partei sind für Assad, weil sie von der Unterdrückung nicht betroffen sind und auf die eine oder andere Weise vom System profitieren. Es verwundert daher nicht, daß sie Demonstrationen für Assad und das Regime organisieren. Von den Gegnern Assads bzw. der Opposition im Lande sind viele gestorben. Das hat die Fronten verhärtet. Aber wir als Verein können und wollen uns nicht einmischen oder über die Rechtmäßigkeit der einen oder anderen Seite entscheiden. Wer weiß, vielleicht stellt sich irgendwann heraus, daß Assad im Recht war.

Saddam galt als Diktator, aber hat sich die Lage im Irak jetzt verbessert? Viele haben Mubarak als einen Tyrannen beschrieben, aber verglichen mit Ägypten unter Mursi und Sisi mutet die Zeit unter Mubarak fast schon paradiesisch an. In Tunesien beispielsweise gibt es eine proislamische Partei und eine säkulare, die dagegen ist. Das Problem können wir als Verein nicht lösen. Natürlich müssen wir bedenken, daß viele der Flüchtlinge nach wie vor mit ihrer Heimat verbunden sind. Wenn sich in Ägypten etwas ereignet, reagieren die Ägypter hier in Hamburg darauf. Das ist eine normale Reaktion, man kann einen Menschen nicht von seiner Heimat trennen. Die Gesellschaften in der arabischen Welt sind gespalten, aber das sind politische Querelen, für uns sind nur die Menschen wichtig, die humanitäre Hilfe und Beistand brauchen, damit sie sich in die deutsche Gesellschaft eingliedern können. Es lohnt sich, in diese Menschen zu investieren. Es ist unglaublich, aber wenn ich mit einem Jordanier rede, der seit vielen Jahren hier lebt, und ihn frage, was Integration sei, dann erklärt er mir, daß er die Bedeutung dieses Wortes nicht kennt.

Was ein Despot in einem arabischen Land macht, kann ich nicht ändern. Wenn jemand wirklich dagegen ist, muß er nach Ägypten zurück und dort für die Demokratie kämpfen. Aber warum sind so viele Syrer hier und kämpfen nicht im eigenen Land? Weil dort ein internationaler Krieg tobt, nur daß dieser Zusammenhang in den Medien ausgeblendet wird. Das hat Methode auch in Hinsicht auf die nordafrikanischen Jugendlichen und das, was in der Silvesternacht passiert ist. Die Medien haben den Sachverhalt übertrieben, denn es gibt nicht erst seit gestern Taschendiebe aus diesen Ländern hier in Deutschland. Warum wird gerade jetzt Stimmung dagegen gemacht und das Bild über Flüchtlinge so negativ dargestellt, als seien es alles Kriminelle? In diesem Punkt spielen die Medien keine gute Rolle. Ich bin für freie Medien und dafür, daß jeder Mensch seine Meinung sagen kann. Das ist das höchste Gut in einer freien Gesellschaft. Aber manchmal macht es mich wirklich traurig, was über die Araber in den Medien berichtet wird.

Aber auch unsere Leute tragen eine Mitschuld, weil sie diese Jugendlichen im Stich gelassen haben. Warum haben wir die Straßenkinder und Taschendiebe unter den Marokkanern nicht in unsere Gemeinden aufgenommen? Warum haben wir den minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen nicht gut zugeredet, daß sie es auch schaffen können? Man hätte Arbeit für sie suchen oder ihnen beim Erlernen der deutschen Sprachen helfen können. Vielleicht benötigten sie aufgrund ihrer Obdachlosigkeit medizinische Versorgung. Man darf nicht warten, bis einer von ihnen zu uns kommt. Vielmehr müssen wir zu ihnen gehen. In diesem Sinne tragen wir in erster Linie die Verantwortung. Immerhin gibt es jetzt einige Initiativen, die sich in diese Richtung bewegen, es ist nicht zu spät. Vor allem aber brauchen wir ein Zentrum, damit diese Menschen wissen, wo sie Hilfe bekommen können.


Fathi Abu Toboul verliest Ergebnis der Vorstandswahl - Foto: © 2016 by Schattenblick

Viel Arbeit mit unerläßlichen Formalien und Prozeduren
Foto: © 2016 by Schattenblick

SB: Was ist aus Ihrer Sicht das Spezifische an der Kultur der arabischen Flüchtlinge im Unterschied zu Flüchtlingen aus anderen Ländern, zumal Sie hervorgehoben hatten, wie wichtig es sei, die Menschen jeweils in ihrer eigenen Sprache und Problematik anzusprechen?

FAT: Ich will das am Beispiel von Mohammed veranschaulichen. Eines Tages kamen seine Schwester und sein Schwager zu mir. Nach ihrer Ankunft in Deutschland wurde die Familie getrennt. Obwohl Mohammed erst 17 Jahre alt ist, brachten ihn die Behörden nach Berlin, seine Schwester und der Schwager kamen dagegen nach Hamburg. Mohammed hielt es allein in Berlin nicht aus und machte sich auf den Weg nach Hamburg. Obwohl er minderjährig ist, wurde ein Zusammenlegen der Familie nicht akzeptiert. Deshalb hat die Familie bei mir Hilfe gesucht. Ich bin mit Mohammed zur Ausländerbehörde gegangen, habe seinen syrischen Paß vorgelegt und den Sachbearbeiter gefragt, warum sie ihn auf 21 Jahre hochgestuft hätten. Ich bat darum, seinen Paß bei der syrischen Botschaft überprüfen zu lassen und ihn als Kriegsflüchtling anzuerkennen. Bis zur Klärung haben wir ihn erst einmal zu uns genommen. Der Junge gefiel mir, und so entschloß ich mich, die Vormundschaft für ihn zu übernehmen, auch wenn bis dahin ein anderer Verein sein gesetzlicher Vertreter war. Dieser hatte aber, wie ich erfuhr, erst nach acht Monaten Kontakt mit ihm aufgenommen. Wie kann ein Vormund sein Mündel so gleichgültig behandeln? Dann verliert man doch den Jungen. Da frage ich mich doch allen Ernstes, was hier falsch läuft. Ich kann so etwas nicht akzeptieren.

Also habe ich beim Familiengericht die Vormundschaft für ihn beantragt und, nachdem dies geklärt war, sofort einen Antrag auf Asyl gestellt. Vier Wochen später hatte er seinen Ausweis, worauf ich ihn an einer Schule angemeldet habe. Jetzt spricht er sehr gut deutsch. Daran kann man sehen, wie wichtig es ist, jemanden zu unterstützen. Inzwischen hat er eine eigene Wohnung und sehr gute Noten in der Schule. Nun hat er sich ein Medizinstudium zum Ziel gesetzt. Meine Aufgabe ist damit erledigt, er kann seinen Weg alleine gehen. Es gibt viele andere Beispiele dafür, daß Flüchtlinge, wenn man sie anfangs betreut und begleitet, ihr Leben in die eigenen Hände nehmen und zu wertvollen Mitgliedern der Gesellschaft werden. An Menschen wie Mohammed kann ich erkennen, daß sich zwölf Jahre ehrenamtlichen Engagements wirklich gelohnt haben.

SB: Ist die Bereitschaft, anderen Menschen zu helfen, wenn sie sich in Not befinden, im Islam begründet oder handelt es sich dabei um ein humanistisches Prinzip innerhalb arabischer Gesellschaften?

FAT: Mit dem Islam hat das nichts zu tun. Wenn jemand meine Hilfe braucht, muß ich ihm sofort helfen, selbst wenn er ein Atheist ist. In erster Linie ist er ein Mensch. Als ich noch stellvertretender Sprecher der Integrationsbehörde der Stadt Hamburg war, habe ich lange darum gekämpft, daß eine Anlaufstelle für Antidiskriminierung eingerichtet wird. Es gibt viele Fälle von Diskriminierung in Hamburg, zum Beispiel wenn jemand wegen seiner Hautfarbe nicht in eine Diskothek darf oder keine Wohnung bekommt. Dabei sind viele Afrikaner Christen, aber das ist für mich nicht das Thema. Ein Mensch ist ein Mensch, egal, wo er herkommt. Mir haben auch Christen geholfen, und viele jüdische und christliche Steuerzahler kommen für die Sozialleistungen von Muslimen oder Angehörigen anderer Religionen auf. Dies sind die Grundsätze einer demokratischen Gesellschaft. Wenn Kirchen sich für Flüchtlinge engagieren oder notleidenden Menschen vor Ort helfen, Kirchenasyl selbst für muslimische Frauen mit Kopftuch anbieten, tun sie es nicht aus einem Missionsauftrag heraus, sondern weil sie keinen Unterschied in der Solidarität zu Menschen machen. Auch ich handle nach diesem Prinzip. Ich kann doch nicht sagen, einem Moslem helfe ich, aber einem Christen nicht. Woher stammt Jesus Christus? Er war kein Römer, sondern ein Mensch aus unserem Land.

SB: Herr Abu Toboul, vielen Dank für das Gespräch.


Gründung des Deutsch-arabischen Kultur- und Integrationszentrums in Hamburg-Altona im Schattenblick
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BERICHT/073: Deutsch-arabisches Kultur- und Integrationszentrum - Aufbruch ... (SB)
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INTERVIEW/107: Deutsch-arabisches Kultur- und Integrationszentrum - aus der Not die Tugend ...    Jutta Noetzel im Gespräch (SB)
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5. April 2016


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