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INTERVIEW/126: Klimacamp im Rheinland - der Blick auf das Ganze ...    Aktivistin Carlotta im Gespräch (SB)


Gespräch am 25. August 2017 im Klimacamp im Rheinland

Vom 18. bis 24. August fand in Bonn vor dem Poppelsdorfer Schloss ein kleines Klimacamp verschiedener linker Parteien und Organisationen statt. Carlotta, eine 21jährige Studierende, fungierte dort als Pressesprecherin. Sie ist in der Bonner Jugendbewegung aktiv und reiste nach dem Ende des Klimacamps in Bonn ins Rheinische Braunkohlerevier, um im dortigen Klimacamp an den Aktionstagen teilzunehmen. Dem Schattenblick erklärte sie, was hinter der Idee steckte, ein separates Klimacamp in der sogenannten Bundesstadt zu organisieren, in der im November der nächste Weltklimagipfel stattfindet.



Im Gespräch - Foto: © 2017 by Schattenblick

Aktivistin Carlotta
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Carlotta, wie ist es dazu gekommen, daß in Bonn ein Klimacamp parallel zum hiesigen Klimacamp im Rheinischen Braunkohlerevier stattfand?

Carlotta: Es ging um zwei Fragen. Zum einen findet in Bonn im November der Weltklimagipfel statt, und da ist es ungeheuer wichtig, daß gerade auch in dieser Stadt eine breite Basis dagegen protestiert. Am 11.11. planen wir eine große Demonstration, zu der wir internationale Gäste erwarten. Bisher waren auf den Klimagipfeln ja bis zu 100.000 Menschen auf der Straße, und wir nehmen an, daß das in Bonn auch so sein wird. Dafür brauchen wir dort eine breite Basis, die sich mit dem Thema beschäftigt. Es geht darum, sich auf alle Themen zu fokussieren, die für den Klimawandel wichtig sind, wie Braunkohle, Atomkraft, Verschmutzung der Meere als auch die kapitalistische Produktionsweise, zum Beispiel das extreme Ausmaß dessen, was alles weggeworfen wird.

Zum andern gab es in Bonn wenig Leute, die ins Rheinische Braunkohlerevier fahren wollten. Daher haben wir das Bonner Klimacamp auch zur Mobilisierung für dieses Klimacamp genutzt, so daß die Leute hier wieder zusammenkommen, um an den Aktionen teilnehmen.

SB: Der Unterstützerkreis des Klimacamps Bonn bestand neben der Bonner Jugendbewegung auch aus politischen Parteien wie der Linken, DKP, MLPD. Hier im Klimacamp sind keine Parteien vertreten, und die Aktivistinnen und Aktivisten sind häufig eher im anarchistisch-libertären als im sozialistischen und marxistischen Spektrum verankert. Was habt ihr damit bezweckt?

Carlotta: Für uns war es ganz wichtig zu betonen, daß die Umweltproblematik im Kapitalismus als System nicht gelöst werden kann. Da die kapitalistische Produktionsweise einzelne Personen und Gruppen bevorzugt, ist es nicht möglich, das Problem im Gesamtsystem zu lösen. Letztlich brauchen wir eine radikale Umwälzung dieses Systems, mit der auch die Art und Weise, wie produziert wird, in die Hand der Menschen gegeben wird. Wir müssen entscheiden, was wir benötigen, was wir dafür tun müssen, wo die dafür erforderlichen Anlagen stehen und wie es im einzelnen gemacht wird. Diese These wird im Grunde genommen von allen Gruppen vertreten. Im Camp gab es dann für jede Gruppe im Rahmen von Vorträgen und Workshops die Möglichkeit, einen eigenen Beitrag zu leisten und auf die jeweiligen Vorstellungen einzugehen, wie diese Veränderung erfolgen und wie ein System nach dem Kapitalismus aussehen sollte.

SB: Gibt es deiner Ansicht nach einen Wandel im Denken von Kommunistinnen und Sozialisten, was die von ihnen häufig vertretene Haltung betrifft, erst einmal die Produktivkräfte industriell zu entwickeln und Arbeitsplätze zu sichern, bevor ökologische Fragen relevant werden?

Carlotta: Es ist natürlich klar, daß die früher vor allem vertretene Ansicht, laut der die wachsenden Bedürfnisse der Menschheit mit immer mehr Wachstum gestillt werden müssen, so nicht mehr haltbar ist. Wir sehen an der Umweltkrise, daß die Erde gar nicht darauf ausgelegt ist, dieses Wachstum der Bedürfnisbefriedigung zu ermöglichen. Unsere Bedürfnisse werden sich verändern, sie werden sich auch nach einer Revolution weiter verändern, und darauf wird auch eingegangen, aber unter einem ökologischen Vorzeichen. Es ist natürlich unser aller Verantwortung, die Produktion so umzugestalten, daß sie umweltfreundlich ist. Das ist auch möglich, denn der Kapitalismus liefert uns alle Voraussetzungen dafür, umweltfreundlich zu produzieren, das gilt auch für Strom. Es gab schon Tage in der Bundesrepublik, da kamen 70 Prozent der Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen.

Die Produktionsmittel sind da, wir müssen sie uns nur nehmen, und die Umstellung natürlich auf gut geplante Weise organisieren. Das muß Hand in Hand gehen. Natürlich müssen die Menschen auch in der Braunkohle arbeiten, ihnen darf nicht das Gefühl gegeben werden, daß es gegen sie geht. Eigentlich wünschen wir uns, daß die Menschen, die in den Braunkohleminen arbeiten, aufstehen und sich gegen ihren Arbeitgeber stellen, weil das, was er macht, unsere Umwelt schädigt und unsere Zukunft wie die unserer Kinder ruiniert.

Wir wollen Möglichkeiten auch für die Arbeiter in der Braunkohleindustrie aufzeigen, wie sie ihren Arbeitsplatz behalten und mit uns kämpfen können. Da gibt es weltweit ganz viele Ansätze. So ist es in einer kolumbianischen Kohlemine Tradition, daß die ausgebeuteten Arbeiter aus der Mine zusammen mit den indigenen Menschen, die vertrieben werden wegen des Kohleabbaus, zusammen auf der Straße stehen und kämpfen. Das ist in Deutschland auch möglich, aber sie müssen auf jeden Fall Teil der Bewegung werden.

SB: Am letzten Abend des Bonner Klimacamps gab es ein Plenum zur Zukunft der Klimabewegung. Könntest du sagen, was dabei herausgekommen ist?

Carlotta: Wir möchten betonen, daß die Klimabewegung möglichst breit sein soll, daß sie auch einen niedrigschwelligen Einstieg bietet, daß es wichtig ist, daß alle Menschen verschiedenster Weltanschauung Teil dieser Klimabewegung sein wollen, sein können und auch sein müssen, daß es wichtig ist, sich nicht nur auf einen Aspekt der globalen Umweltzerstörung zu fokussieren, sondern alle verschiedenen Bereiche mit zu berücksichtigen. Eine breite Bewegung auf die Beine zu stellen ist durchaus möglich. Wir hatten im Camp Zuspruch von ganz verschiedenen Leuten, denn das Thema der Umwelt- und Klimazerstörung bewegt viele Menschen bis hinein ins Kleinbürgertum, es berührt so viele Herzen, daß es bestens für eine so große Bewegung geeignet ist. Vor allem kann man die Systemfrage nicht ausklammern und sollte nicht vergessen, daß uns im Kapitalismus der letzte Schritt, die Natur zu retten, verweigert wird. Es geht wohl nicht anders, als daß man das System und die, die es aufrechterhalten, in die Schranken weisen muß.

SB: Deine Gruppe hat auch an den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg teilgenommen. Was habt ihr dort erlebt?

Carlotta: Wir waren zusammen mit einer Gruppe der ver.di-Jugend frühmorgens am Rondenbarg und wollten an einer Blockade teilnehmen. Wir kamen jedoch gar nicht dazu, irgend etwas zu machen. 20 Minuten nach unserem Eintreffen wurde die Demonstration von zwei Seiten aus von der Polizei angegriffen. Es gab massive Verletzungen unter den Demonstrierenden, im Grunde genommen wurden wir einfach alle zusammengeschlagen. Man sah offene Brüche und Menschen, die von Mauern heruntergeschubst wurden. 70 Menschen wurden festgenommen und zur Gesa (Gefangenensammelstelle) transportiert.

Dort wurden wir über 30 Stunden in containerartige Zellen gesteckt. Wir durften während dieser Zeit nur einmal mit dem Anwalt sprechen. Wir wußten nicht, was mit uns passierte, und haben auch nichts richtiges zu essen bekommen, nur Knäckebrot und Schmierkäse. Die Gefangenen beschrieben die Bedingungen in der Gesa auch als folterähnlich, was man in unserem Betroffenenbericht nachlesen kann. So wurde man nachts völlig willkürlich zur erkennungsdienstlichen Behandlung aus den Zellen geholt, und das Licht wurde nach Belieben an- und ausgeschaltet.

Später haben wir herausgefunden, daß der rechtliche Hintergrund unserer Verhaftung in der Neuerung der Paragraphen 113 und 114 StGB besteht. Sie laufen im Grunde genommen auf ein Demonstrationsverbot hinaus. Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Landfriedensbruch sind jetzt strafbar mit mindestens drei beziehungsweise sechs Monaten. Wenn man irgendwie aus Panik einem Polizisten den Arm wegzieht, dann ist das Widerstand und man kommt für drei Monate in den Knast. Das gilt nicht nur für eine Person, sondern möglicherweise für die ganze Gruppe, in der sich die Person befindet und die dann kollektiv betroffen ist. Das ist zum einen als Kollektivstrafe verfassungswidrig, zum andern sind es die härtesten Verschärfungen des Versammlungsrechtes seit dem Zweiten Weltkrieg. Damit einher geht auch die Erweiterung der Vollmachten der Repressionsorgane zur Bespitzelung.

Diese Verschärfungen finden seit zwei, drei Jahren statt. Zuerst traf es die Geflüchteten, dann wurde gegen migrantische Organisationen der Kurdinnen und Kurden vorgegangen, es kam zu willkürlichen Verhaftungen, wenn sie auch nur einen Würstchenstand auf einem Straßenfest gemacht haben. Dann das Tarifeinheitsgesetz, das quasi ein Streikverbot für kleine Gewerkschaften beinhaltet, und jetzt eben die neuen Polizeigesetze. Wir versuchen nun, eine breite Kampagne gegen die Einschränkung unserer demokratischen Rechte in Gang zu setzen.

SB: Carlotta, vielen Dank für das Gespräch.


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4. September 2017


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