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INTERVIEW/147: Klimagegengipfel - umgelastet ...     Titi Soentoro im Gespräch (SB)


Entwaldung und Waldbrände für Ölpalmenplantagen am Rand des Bukit Tigapuluh Nationalpark in der Provinz Riau, Sumatra, Indonesien. - Foto: By Aid Environment, 1998 als CC BY-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/20], via Wikimedia Commons

Brände, Dürren, Überschwemmungen - Indonesien gehört zu den Ländern, die am meisten an den Folgen des Klimawandels leiden, und ihn gleichzeitig mit verursachen.
Foto: By Aid Environment, 1998 als CC BY-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/20], via Wikimedia Commons

Im Unterschied zu den meisten Politikern der industrialisierten Welt, die den Begriff "drohenden Klimawandel" noch in der grammatikalischen Zunkunft verwenden (wenn sie ihn nicht ganz verleugnen) und dann im zweiten Ansatz seine "möglichen Folgen" erörtern, sprechen Menschen aus den ärmeren Ländern des Südens von der "Klimakrise". Denn sie stecken mit ihren Familien, Nachbarn und Lebensgemeinschaften (Communities) bereits mitten drin. Die nicht zu übersehene Ungerechtigkeit, daß die wenigen reichen Nationen und Einzelpersonen, denen zwar die historische Schuld an dieser Krise zukommt, kaum Konsequenzen am eigenen Leibe spüren, empfinden viele Frauen der weniger entwickelten Welt als zusätzliche Diskriminierung. Sie müssen bei zunehmenden Hitzewellen, Dürren oder katastrophalen Überschwemmungen die oftmals nicht zu bewältigenden Probleme der Wasser- und Nahrungsbeschaffung für ihre Familien und Dörfer lösen.

Das wurde in den teilweise sehr persönlichen Erfahrungsberichten der Referentinnen und Referenten aus Organisationen wie WoMin (African women unite against destructive resource extraction), JASS (Just Assosiates), AKSI! (Action!) und der GAIA Foundation deutlich, die für einen der ersten Workshops des diesjährigen Gegengipfels zum offiziellen COP 23 das Thema "Die Brutalität von Klimawandel, Extraktivismus, Kapitalismus und patriarchischen Strukturen" zum Einstieg in die Diskussion gewählt hatten.

Die Geschichte von Mariamah "Mayi" Achmad aus West Kalimantan, Indonesien, ein Beispiel aus den fünf Beiträgen des Panels, ist kein Einzelfall. Sie ist Koordinatorin der Palung-Stiftung für Umweltbewußtsein und leitet die Organisation Sekolah Lahan Gambut (oder Peatlands School). Indonesien ist für sein hohes Vorkommen an fossilen Brennstoffen (Erdgas, Erdöl und Kohle) bekannt. Kalimantan ist darüber hinaus reich an Bodenschätzen, u.a. Schwefel, Phosphor und Diamanten. Als die Regierung vor einigen Jahren das Fällen von Bäumen für illegal erklärte, wurde ihr Bruder, der als Holzfäller arbeitete, seiner Existenzgrundlage beraubt. Bald schon wurde ihr klar, daß keine ökologischen Schutzmaßnahmen, sondern multinationale Konzerne hinter dem Akt der Staatsgewalt standen, die von der indonesischen Regierung Nutzungsrechte auf das Land erhalten hatten. Die Interessen solcher Unternehmen werden wie zu Kolonialzeiten den Bedürfnissen der Einwohner vorangestellt.


Mariamah Achmad aus West Kalimantan auf dem WoMin-Workshop in Bonn - Foto: © 2017 by Schattenblick

Sie kämpft gegen die Interessen von Unternehmen, die der indonesischen Bevölkerung zunächst das Land und dann die Gesundheit rauben.
Foto: © 2017 by Schattenblick

Inzwischen wurden die Mangrovenwälder von externen Arbeitern systematisch gerodet und zu Holzkohle verarbeitet, womit im nebenherein auch die Mangrovensümpfe und damit die Garnelenzucht, eine weitere Existenzgrundlage der Ortsansässigen, vergiftet und zerstört wurde. In Indonesien gibt es jährlich Hunderttausende von schwer löschbaren Waldbränden, die oft bewußt gelegt werden, um Land für Palmölplantagen zu gewinnen. Durch den Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden sowie giftigen Chemikalien (wie Quecksilber und Cyaniden), die zum illegalen Schürfen von Bodenschätzen verwendet werden, sind die Flüsse des Landes verseucht. Noch 2013 galt die Region Kalimantan als eine der am stärksten verschmutzen Orte der Welt. Die Menschen vor allem in der Nähe von Palmölplantagen leiden unter Asthma, Bronchitis und Lungenkrebs. Viele Frauen haben Fehlgeburten. Doch die medizinische Versorgung ist gerade in diesen Orten extrem unterentwickelt. Auch Schulen wurden nie gebaut.

Laut Titi Soentoro von AKSI! ist die herrschende Ungerechtigkeit eine konsequente Folge der Gesamtentwicklung seit Beginn der Kolonialisierung. Sie kommt ebenfalls aus Indonesien und ist in mehreren feministischen Organisationen engagiert. Die Frauenorganisation AKSI! befaßt sich insbesondere mit der Gewalt, die mit der vermeintlichen Entwicklungs- und Klimafinanzierung einhergeht und der sich alle rohstoffreichen Gebiete des Landes gegenübersehen. Anfangs hätten der Kapitalismus bzw. die Kolonialmächte die Schätze des ärmeren Südens ausgeplündert und dort nach eigenem Muster und Bedarf Infrastruktur, Industrie, Wirtschaft und Bürokratie eingerichtet, um die 'armen, rückständigen und ungebildeten' Menschen mit der noch fehlenden 'Entwicklung' zu 'beglücken'. Doch mit Ende des Kolonialismus seien diese Länder nicht auch gleichzeitig vom Kapitalismus und der damit einhergehenden Ausbeutung befreit worden. Denn die modernen Entwicklungsmodelle, die ihnen angetragen werden, beruhten auf den gleichen aufoktroyierten Werten: Wirtschaftswachstum und politischer Stabilität, was nach westlichem Vorbild übersetzt "Extraktivismus ohne Widerstand" bedeute.

Was aber die damit verbundenen Versprechen auf mehr Wohlstand und eine gerechtere Einkommensverteilung angeht, so hätten auch hier in Indonesien - wie in der industrialisierten Welt - immer nur wenige Reiche und Mächtige an Verfügungsgewalt und Kapital dazugewonnen. Das gleiche gelte insbesondere für die "falschen Lösungen", die in Form von Emissionshandel, REDD oder Geoengineering zur Bewältigung der Klimakrise angeboten werden. Wenn Indonesien heute schon unter Überschwemmungen und Erdrutschen als Folgen der globalen Erwärmung leide, müssen vor allem arme Frauen den Preis für eine aufgezwungene Entwicklung zahlen, von der sie noch nie profitiert haben.


Die AKSI!-Aktivistin im dem von WoMen geleiteten Workshop 'Die Brutalität von Klimawandel, Extraktivismus, Kapitalismus und patriarchischen Strukturen' im Wissenschaftszentrum Bonn. - Foto: © 2017 by Schattenblick

Titi Soentoro
Für sie ist die Ungerechtigkeit des Klimawandels die konsequente Folge und Qualifizierung der Gewalt aus dem früheren Kolonialismus.
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Frau Soentoro, AKSI!, ist eine Organisation, die sich für geschlechtsspezifische, soziale und ökologische Gerechtigkeit in Indonesien, einsetzt. Mit welchen Aufgaben haben Sie es dabei zu tun?

Titi Soentoro (TS): Zunächst einmal heißt "Aksi" in meiner Sprache "Aktion". Ich finde, das steht für sich. Meine Organisation überwacht die Entwicklungs- und Klimafinanzierung. Die Entwicklungsfinanzierung betrifft jene Finanzmittel oder Gelder, die unter dem Vorwand der Entwicklungsförderung von der Weltbank oder der Asiatischen Entwicklungsbank (ADP - Asian Development Bank) in unser Land kommen, aber immer nur in Verbindung mit bestimmten Projekten. Wir beobachten das unter der Frage, inwieweit diese Projekte für die Menschen in unserem Land mit Nachteilen oder Einschränkungen verbunden sind. Wenn sich so etwas abzeichnet, eröffnen wir stellvertretend einen politischen Diskurs, um für die Betroffenen Grundlagen für die Verteidigung ihrer Rechte zu schaffen. Wir arbeiten auch auf der politischen Ebene und greifen bei politischen Entwürfen beispielsweise von Sicherheitsrichtlinien ein. Darüber hinaus beteiligen wir uns an der Überprüfung der internationalen Finanzinstitutionen (IFI) oder der Green Climate Fonds (GCF), wenn es um Fragen der Transparenz, also der Offenlegung von Informationen, oder um die Rechenschaftspflicht geht. Seit einiger Zeit kommt dazu allerdings in zunehmenden Maße die Klimafinanzierung. Das sind die Gelder, die zur Inangriffnahme von Klimafragen nach Indonesien kommen. Auch diese Vorgänge begleiten wir kritisch und versuchen, Einfluß zu nehmen, Position zu beziehen und unsere Meinung deutlich zu machen, wenn es um die Genehmigung von spezifischen Projekten geht.

SB: Verstehe ich das richtig, daß es bei den Green Climate Fonds vor allem um Projekte der grünen Ökonomie geht?

TS: Wir sprechen jetzt von verschiedenen Dingen. Denn die Klimafinanzierung geht auf die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen zurück, sie ist somit ein finanzieller Mechanismus des UNCCC, der die Industriestaaten völkerrechtlich zur finanziellen Unterstützung verpflichtet. Klimafinanzierung betrifft sowohl die Gelder, die den Entwicklungsländern zur Finanzierung von Maßnahmen zur Vermeidung bzw. Reduzierung von Treibhausgas-Emissionen zur Verfügung gestellt werden, als auch die Mittel, die für Anpassungsmaßnahmen an die Folgen der globalen Erwärmung genutzt werden sollen.

Daß die finanzielle Unterstützung und das Einrichten von Fonds unter der Schirmherrschaft der UNCCC festgelegt wurden, geschah bereits auf Betreiben der CSOs, also der Organisationen der Zivilgesellschaft [civil society organisations], denn alle anderen Finanzierungseinrichtungen mit dem Schwerpunkt Klima und Klimawandel wie die Klima-Investmentfonds oder andere multilaterale Finanzprodukte unterstehen der Weltbank. Wir wollten aber einen Klimafonds, der nur den Ländern gegenüber in der Pflicht ist. Deshalb haben wir uns für diese grünen Klimafonds (GCFs) eingesetzt. Aber die grünen Klimafonds entwickelten inzwischen ebenfalls Konzepte, die von großen Finanzinstitutionen wie der Weltbank, der asiatischen Entwicklungsbank, der deutschen KFW, der Deutschen Bank und anderen mehr mit Interesse aufgegriffen werden.

Es sind also wieder die Big Player, die großen Finanzinstitutionen, die bereits häufiger in Verbindung mit Umweltproblemen und Menschenrechtsverletzungen gebracht worden sind, die nun unter dem Vorwand der Klimafinanzierung zum Beispiel den Kohlebergbau unterstützen und finanzieren. Soviel also zu den inzwischen doch sehr umstrittenen GCFs, den Green Climate Funds. Wir von AKSI! wollen statt dessen in größerem Ausmaß Anpassungsprojekte an den Klimawandel auf Gemeindebasis nach vorne bringen.

SB: Sie hatten vorhin auch eine Mitschuld oder Beteiligung der Entwicklungsländer beziehungsweise der Regierungen erwähnt. Wie kommt die aus Ihrer Sicht zustande?

TS: Diese Mitschuld trägt zum einen unsere Regierung, wenn sie sich durch die technische Unterstützung und Beratung, wie sie den Problemen in unserem Land begegnen sollte, manipulieren läßt. Die andere Schuld besteht in der direkten Finanzierung von Projekten wie den Bau von Straßen oder Staudämmen, um zum Beispiel Wasserkraft anstelle von fossilen Energieträgern für die Stromproduktion zu nutzen. Es können aber auch Bewässerungsprojekte oder andere Konzepte zur Durchführung von Klimaschutz- und Anpassungsstrategien sein, die einfach ohne ein Mandat dafür gemacht werden, weil man von ihrer Notwendigkeit überzeugt ist. Solche Projekte schaffen Konflikte, weil sie häufig mit Umweltschäden oder anderen negativen Folgen für die Einwohner verbunden sind. Die betroffenen Menschen werden in der Regel nicht ausreichend informiert. Um eine Erlaubnis für die Projekte wurde in den Gemeinden nie gebeten.

Wir haben es also auch hier wieder mit eindeutigen Menschenrechtsverletzungen zu tun. Das Recht auf Einwilligung und davor das Recht auf Aufklärung und Information werden durch diese Vorgehensweise immer wieder verletzt. Wir kennen diese Problematik auch nur, weil wir Einblick in die internen Rechenschaftspflichtmechanismen der ADB oder der Weltbank nehmen können. Ihre internen Berichte sind zum Bersten voll mit verletzten Rechten und Ansprüchen oder vernachlässigten Pflichten bezüglich der Partizipation, Konsultation und Information der Einwohnern, die an den fraglichen Orten leben.

Die Folgen für die Umwelt und die Menschen sind jedoch enorm, auch wenn es nur um den Bau von Straßen, Dämmen oder um die Stromerzeugung geht. Darüber hinaus fördern die Weltbank und die ADB neben Kohle auch die ebenfalls sehr umweltrelevante Stahlgewinnung. Beide Banken versuchen auch ihren Einfluß auf die Politik auszuweiten. Die regierungsgeförderte Privatisierung der Wasser- und Stromversorgung in unserem Land geschieht nur auf Betreiben der Weltbank und der ADB. Und um damit die dringend nötigen finanziellen Mittel in die Hand zu bekommen, folgt unsere Regierung deren Vorschlägen.

SB: Sie sprachen vorhin von "falschen Lösungen" für die Bekämpfung des Klimawandels, die auf der Fortführung des früheren, kapitalistischen Modells basieren. Zielten Sie damit bereits auf diese Manipulationsversuche der Geldgeber ab?

TS: Eine der falschen Lösungen, die unsere Regierung zu verantworten hat, heißt Biokraftstoff. Tatsächlich gilt Biokraftstoff oder Agrotreibstoff ganz offiziell als eine Lösung, um dem Klimawandel zu begegnen, weil damit der Ausstoß des Treibhausgases CO2 in der Gesamtbilanz reduziert werden soll. Denn man geht davon aus, daß nur so viel CO2 freigesetzt wird, wie Pflanzen während ihres Wachstums zuvor aus der Luft aufgenommen haben. Diese Lösung wird außerdem von der Europäischen Union begrüßt. Aber für uns in Indonesien bedeuten Biokraftstoff und Agrotreibstoff zunächst einmal Land, das für riesige Plantagen und Fabrikanlagen gebraucht wird. Die Frage, wem denn das Land gehört, wird nicht gestellt. In der in unserem Land gängigen und nützlichen Praxis folgt nach der Idee für das Projekt die Inbesitznahme des Landes, ohne nach einer Erlaubnis zu fragen. Diese Rechtsverletzungen machen die "falschen Lösungen" aus, weil Entscheidungen getroffen werden, ohne das Grundrecht auf Informationsfreiheit zu berücksichtigen.

Bei falschen Lösungen geht es aber auch um Umweltprojekte. Wenn wir beispielsweise die REDD+ Lösung in Betracht ziehen, die "Minderung von Emissionen aus Entwaldung und Schädigung von Wäldern", dann muß man sich ebenfalls die Frage gefallen lassen, wem der Wald eigentlich gehört. In beiden Fällen sind es die Ureinwohner, die traditionelle Rechte auf Wald und Land haben. Ohne ihre Zustimmung, daß das jeweilige Gebiet als REDD-Projekt blockiert werden darf - denn im Rahmen von REDD wird einfach nur ein Stück Wald als Naturschutzgebiet stillgelegt, das die Menschen nicht roden dürfen -, ist das Projekt illegal. Für die einheimische Bevölkerung, deren Rechte damit beschnitten werden, ist der Wald aber nicht nur eine Ansammlung von Baumstämmen, die man nicht mehr fällen darf, sondern er ist auch Teil ihrer Kultur und Identität und anderes mehr. Sie müssen sich plötzlich durch REDD mit Einschränkungen auseinandersetzen, wenn sie den Wald auf traditionelle Weise nutzen wollen.

Das gleiche gilt im Grunde auch für die CDM-Projekte (CDM = Clean Development Mechanism). Natürlich auch für die Geoengineering-Lösungen, über die immer mehr gesprochen wird, die natürlich absolut verrückt sind.

SB: Entschuldigen Sie, aber verstehe ich das richtig, daß tatsächlich auch schon Geoengineering-Maßnahmen in Indonesien durchgeführt werden?

TS: Nein, das noch nicht. Aber auch die sogenannten "CDM-Projekte" sind ebenfalls paradox, wenn man sie einmal nachvollzieht. Viele Unternehmen können jetzt Subventionen beantragen, um CDM-Projekte zu finanzieren. Solche "CDM-Projekte" generieren Emissionszertifikate, die einerseits den Käufern in Industrieländern dabei helfen, ihre Reduktionsvorgaben zu erfüllen. Andererseits sollen die Investionen mit Klimaschutzprojekten die Entwicklung in den weniger entwickelten Ländern fördern. So kommt es dazu, daß genau die Firmen und Unternehmen, die den indigenen Völkern ihren Wald geraubt haben, jetzt auch noch Gelder erhalten, um CDM-Projekte zu unterstützen, die wiederum über die Aufforstung in Indonesien hypothetische Mengen an Treibhausgasemissionen einsparen. Es geht also auch hier einzig und allein um Wirtschaftsinteressen. Denn die sauberen Technologien, oder auch REDD oder Agrofuel, die Kohlenstoffemissionen kompensieren helfen sollen, entsprechen nicht den vorherrschenden Markt-Trends.

SB: Gibt es Ansätze um die Folgen des Klimawandels in Ihrem Land zu begegnen oder Klimaschutzprojekte, die Sie und Ihre Organisation unterstützen würden?

TS: Was wir von der Welt und von den Politikern wollen, ist nichts anderes als ein gerechtes System, in dem Geschlechtergerechtigkeit aber auch Klimagerechtigkeit selbstverständlich sind. Auch wenn ich vorhin hauptsächlich von der historischen Schuld gesprochen habe, welche den Industriestaaten als Verursacher der Erderwärmung zukommt, so können wir nicht leugnen, daß auch wir in den ärmeren Ländern eine Verantwortung dafür haben, daß den Menschen in unserem Land die Menschenrechte garantiert werden. Menschen wollen nach ihrem Einverständnis gefragt werden, ob sie überhaupt bereit dazu sind, bestimmte Projekte auf ihrem Land zuzulassen, mit denen Emissionen eingespart werden sollen. Sie müssen über die für sie daraus erwachsenden Vor- und Nachteile aufgeklärt werden. Wir müssen sie auch fragen, welche Möglichkeiten und Maßnahmen sie sich im Falle einer Klimakatastrophe selbst wünschen. Und wir sollten auch lokale Initiativen zur Bewältigung des Klimawandels stärker unterstützen.

SB: Das heißt, Sie glauben nicht mehr an eine Umkehr oder Minderung des Klimageschehens und plädieren für pragmatische Strategien und Pläne für künftige Ernstfälle?

TS: Nein, wir denken ebenso an Anpassungsstrategien wie an Minderung. Beides ist wichtig und oft ist beides eng miteinander verbunden, so daß man bei einzelnen Klimaschutzmaßnahmen oft gar nicht klar zwischen Minderung und Anpassung unterscheiden kann. So sind beispielsweise Überschwemmungen in der Regenzeit ein typisches Problem in Indonesien, also quasi ein Überangebot von Wasser, das nicht genutzt werden kann. Dagegen haben wir während der Trockenzeit oft lange Perioden der Dürre, in denen es an Wasser fehlt. Nun wäre es doch naheliegend, dieses Wasser in Zeiten des Überangebots für die Zeiten des Mangels zu speichern. Dafür wurden an verschiedenen Orten bereits Entwürfe eingereicht, um das Wasser beispielsweise in aquaponische Anlagen umzuleiten, so daß man es für die kombinierte Fisch- und Kulturpflanzenzucht in speziellen Treibhäusern nutzen kann. Gleichzeitig wird aber auch versucht, mehr Mangroven und andere Bäume in der Nähe von Wasserressourcen zu pflanzen. Bäume können helfen, die Flußufer zu befestigen. Sie gelten aber auch als Klimaschutzmaßnahme, um CO2 aus der Atmosphäre zu ziehen.

Das heißt solche Aktivitäten sind nicht nur eine Chance, um das akute Problem zu lösen, sondern verringern auch die Ursachen für das Problem. Aber die Klimakonzepte sollten sich immer an den Bedürfnissen der Bevölkerung vor Ort orientieren. Eine Bottom-up-Planung ist in der Regel erfolgreicher als Top-down, denn wenn die Initiative von den Menschen selbst kommt, werden sie die Durchführung auch vorantreiben, weil es ihnen am Ende zugute kommen wird.


An vorderster Front der Feministinnen, hinter dem violetten Banner 'FEMINISTS DEMAND CLIMATE JUSTICE' - Foto: © 2017 by Schattenblick

Für Klima- und Geschlechtergerechtigkeit kämpfen und mit strategischem Geschick die Interessen der Frauen nach vorne bringen.
Titi Soentoro inmitten der Demonstration "Kohle stoppen - Klima schützen!" am 4. November in Bonn.
Foto: © 2017 by Schattenblick

SB: Sie gehören einer Organisation an, die von fünf Feministinnen gegründet wurde, erklärten aber vorhin auch, daß sich Ihre Gruppe bewußt nicht von Männern abgrenzt, sondern sogar bewußt den Kontakt aus strategischen Gründen sucht, statt sich spezielle Freiräume zu schaffen. Ist das kein Widerspruch?

TS: Nein, das ist ganz einfach erklärt: In Indonesien und vor allem auf dem Land, wo wir mit den Frauen arbeiten, herrschen noch die ganz traditionellen Familienkernstrukturen (Mann-Frau-Kinder) vor, nur daß Männer und Frauen in sehr großen Familienverbänden und dörflichen Gemeinschaften zusammen leben. In einem solchen typischen Patriarchat können wir die Männer nicht übergehen und schon gar nicht sagen: Hey, wir machen jetzt etwas zusammen mit euren Frauen, damit sie sich von euch befreien und gegen euch durchsetzen können. Wir müssen zunächst traditionell die Ehemänner, Väter oder Dorfvorsteher um Erlaubnis fragen. Sonst würden nämlich auch die Frauen nicht zu unseren Treffen kommen. Aber sobald sie das Einverständnis haben, sich mit uns über Frauenangelegenheiten zu unterhalten, stehen diese Gruppen sogar unter dem Schutz des Dorfes und der Männer. Und wenn wir uns diesen Raum schaffen, dann werden sich die Frauen im Gespräch untereinander ihres Wertes und ihrer Bedeutung als Ernährerinnen der Gemeinschaft bewußt und auch argumentativ so stark, so daß sie schließlich tatsächlich in der Lage sind, ihre Interessen in den Versammlungen ihrer Communities zu vertreten und durchzusetzen. Und das wäre das eigentliche Ziel unserer Strategie, um die Belange der Frauen nach vorne zu bringen.

SB: Vielen Dank, Titi Soentoro.

Bisher im Schattenblick unter BÜRGER/GESELLSCHAFT → REPORT zum People's Climate Summit (PCS) in Bonn, mit dem kategorischen Titel Klimagegengipfel versehen, erschienen:

BERICHT/097: Klimagegengipfel - Demo der Gemäßigten ... (SB)
BERICHT/101: Klimagegengipfel - Kernenergie schon gar nicht ... (SB)

INTERVIEW/135: Klimagegengipfel - Kafkaeske Weisheiten ...     Uwe Hiksch im Gespräch (SB)
INTERVIEW/136: Klimagegengipfel - Störfall Wirtschaft und Energie ...     Dipti Bathnagar im Gespräch (SB)
INTERVIEW/139: Klimagegengipfel - nur noch wenig Zeit ...     Franziska Buch im Gespräch (SB)
INTERVIEW/140: Klimagegengipfel - agrarindustrielle Fleischproduktion abschaffen ...     Matthias Ebner im Gespräch (SB)
INTERVIEW/142: Klimagegengipfel - Eskalation und Gegenwehr ...     Jonas Baliani (Ende Gelände) im Gespräch (SB)
INTERVIEW/143: Klimagegengipfel - wider besseren Wissens ...     Makereta Waqavonovono im Gespräch (SB)
INTERVIEW/144: Klimagegengipfel - die auf der Strecke bleiben ...     Barbara Unmüßig im Gespräch (SB)
INTERVIEW/145: Klimagegengipfel - integrative Linksdiskussion ...     Dagmar Enkelmann im Gespräch (SB)
INTERVIEW/146: Klimagegengipfel - Antikernkraft und der lange Marsch ...     Don't-Nuke-the-Climate!-Aktive im Gespräch (SB)


24. November 2017


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