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INTERVIEW/185: Klimarevolution - gesellschaftskritisch aufbereiten ...    Karlson und Matilda im Gespräch (SB)


Gespräch am 15. März 2019 in Hamburg


Sollte die Antifa Altona Ost zuvor in Hamburg und darüber hinaus vielen noch kein Begriff gewesen sein, so hat nun eine Kollaboration von AfD, SPD, CDU und FDP, der Schulbehörde und einigen großen Medien dafür gesorgt, daß sich das ändert. [1] Wenngleich natürlich eine andere Form der Werbung wünschenswert gewesen wäre, lassen sich die AktivistInnen von diesem Angriff doch nicht ins Bockshorn jagen, sondern gehen mit einer Klarstellung in die Offensive. Wer sich über den Sachverhalt, die Hintergründe und eine Einschätzung informieren möchte, ist gut beraten, auch diese Quelle zu nutzen. Wie darin unter anderem ausgeführt wird, schränke das denunziatorische "Lehrer-Portal" der AfD einen offenen Meinungsaustausch der Kinder und Jugendlichen an den Schulen ein. Die AfD habe ein "linksextremistisches Netzwerk" an der Ida-Ehre-Stadtteilschule herbeifantasiert, und dieses Hirngespinst sei von mehreren großen Zeitungen unreflektiert übernommen worden. Antifaschismus, der gerade in Deutschland eine Selbstverständlichkeit sein sollte, werde in einen negativen Kontext gestellt und kriminalisiert. Die Antifa Altona Ost solidarisiere sich mit allen SchülerInnen, die auch in der Schule für ihre Meinung einstehen. [2]

In der Hamburger Bürgerschaft gehen die Positionen in dieser Frage weit auseinander. Erwähnenswert ist folgende Stellungnahme der Links-Fraktionsvorsitzenden Sabine Boeddinghaus: "Wir begrüßen es ausdrücklich, dass sich Jugendliche antifaschistisch engagieren. Antifaschismus ist kein Verbrechen, sondern gerade heute wieder bittere Notwendigkeit." Dies zeige sich auch darin, daß schon Aufkleber mit antifaschistischen Inhalten mit Gewalttätigkeit gleichgesetzt würden. "Demokratiebildung und politische Auseinandersetzung sind Auftrag der Schulen, dafür müssen sie auch den Raum schaffen. Da erwarte ich von der zuständigen Behörde die entsprechende Unterstützung und nicht eine öffentliche Maßregelung auf Zuruf eines widerlichen AfD-Hetzportals", so Boeddinghaus. [3]

Karlson und Matilda gehören zu den AktivistInnen der Antifa Altona Ost, die am 15. März einen der vier Demonstrationszüge organisiert haben, die sich in der Hamburger Innenstadt zur Großkundgebung Klimarevolution mit rund 10.000 Menschen vereinigten. Die Fridays for Future-Bewegung der Schülerinnen und Schüler hatte für diesen Tag erstmals zu einem weltweiten Streik aufgerufen, der in 123 Ländern durchgeführt wurde. Der Protestzug in der Hansestadt war Teil dieser Aktion, in deren Rahmen in Deutschland an 222 Orten insgesamt mehr als 300.000 SchülerInnen und Studierende auf die Straße gingen.

Am Rande der Zwischenkundgebung auf dem Gänsemarkt beantworteten Karlson und Matilda dem Schattenblick einige Fragen.


Transparent 'Act Now' - Foto: © 2019 by Schattenblick

Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Könntet ihr einmal sagen, welcher Organisation ihr angehört, welches eure Ziele sind und warum ihr heute hier seid?

Karlson (K): Ja, gerne. Wir sind von der Antifa Altona Ost. Wir sind ungefähr ein Jahr alt und haben uns damals gegründet, um den Stadtteil praktisch zu organisieren, um politische Arbeit im Stadtteil zu machen. Themen, die wir bearbeiten, sind klassische Antifa-Arbeit, Arbeit im sozialen Bereich wie Mieten, wir waren beim Mieten Move dabei, Feminismus ist uns sehr wichtig, natürlich auch Umweltschutz und verschieden weitere Themen.

SB: Könnte man sagen, daß ihr eine neue, jüngere Generation der Linken seid?

K: Wir sind vom Alter her alle in dem Spektrum zwischen 16 und 22 Jahren. Man kann daher schon sagen, daß wir tatsächlich eine junge Generation der Linken verkörpern.

SB: Die Positionen zur Klimafrage und die Klimakämpfe sind sehr breit aufgestellt, und es sind doch recht unterschiedliche Leute und Organisationen beteiligt. Was wäre für euch aus linker Sicht an der Klimafrage besonders wichtig?

K: Ich würde sagen, der Kampf für Klimagerechtigkeit. Der Kampf gegen den Klimawandel kann nicht abgetrennt vom Kampf gegen den Kapitalismus gesehen werden. Der Kapitalismus ist das Wirtschaftssystem, das darauf aufbaut, Mensch und Natur, den ganzen Planeten immer weiter auszubeuten, um Wachstum zu garantieren. Deswegen denke ich, daß man diese beiden Kämpfe nicht voneinander getrennt betrachten kann, sondern im Zusammenhang sehen muß.

SB: Die streikenden Schülerinnen und Schüler sind sehr jung und führen größtenteils erstmals eine solche Auseinandersetzung. Wie schätzt ihr die Gefahr ein, daß sie von der bürgerlichen Politik und den Medien vereinnahmt und dadurch in ihrem Kampf neutralisiert werden, so daß ihnen die Radikalität genommen wird?

K: Ich finde es sehr begrüßenswert, daß es eine jüngere Generation gibt, die frischen Wind in die Bewegung bringt. Das hat meines Erachtens in den letzten Jahren gefehlt. Daher halte ich es für großartig, daß jetzt weltweit so viele junge Leute auf die Straße gehen. Ich hoffe, daß es kein Kampf ist, der nur ein Buschfeuer bleibt, das bald wieder verlöscht und dessen Wirkung verpufft, sondern daß er sich langfristig halten und etablieren kann und noch stärker wird.

Matilda: Kann man den Jugendlichen die Radikalität nehmen? Ich glaube, daß es erst einmal eine ganz wesentliche Strategie ist, den Jugendlichen Probleme aufzuzeigen, die sie selbst betreffen. Das gilt für den Klimawandel, weil wir die jungen Leute sind, die später darunter leiden werden, hier in Deutschland noch nicht einmal so sehr wie die Menschen in anderen Ländern. Ich bin jedenfalls der Überzeugung, daß man das sehr gut für sich nutzen kann. Man kann aufzeigen, daß es dieses Problem gibt, aber daß es nicht einfach aus sich selbst heraus entsteht oder aus natürlichen Ursachen herrührt, sondern deswegen das Leben auf diesem Planeten bedroht, weil wir ein Wirtschaftssystem haben, das solche Umweltzerstörungen und Klimafolgen verursacht. Deswegen gehe ich davon aus, daß dieser Zusammenhang ein guter Ansatzpunkt ist, um Leute zu radikalisieren. Niemand kann ihnen die Radikalität nehmen, wenn man ihnen aufzeigt, was wirklich hinter dieser Problematik steckt.

SB: Vielen Dank für dieses Gespräch.


Demozug Antifa Altona Ost mit Transparenten und Fahnen - Foto: © 2019 by Schattenblick

Auf dem Weg vom Arrivati Park zum Gänsemarkt
Foto: © 2019 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] www.schattenblick.de/infopool/politik/meinung/pola1341.html

[2] www.facebook.com/permalink.php?story_fbid=440175680054848&id=215810105824741&__tn__=K-R

[3] https://www.mopo.de/hamburg/unterricht-in-der--antifa-area--streit-um-linksradikale-gruppe-an-hamburger-schule-32243518


Berichte und Interview zur Hamburger Demonstration Klimarevolution im Schattenblick unter:
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22. März 2019


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