Schattenblick → INFOPOOL → BÜRGER/GESELLSCHAFT → REPORT


INTERVIEW/191: Rothenburgsort - Initiativen und politischer Einfluß ...    Ingo Böttcher im Gespräch (SB)


Ingo Böttcher ist bei Hamburgs wilder Osten (HWO) - Stadtteilinitiative für mehr Lebensqualität in Rothenburgsort [1] - organisiert. Die Gruppe leistet Unterstützung in Prozessen gegen Mieterhöhungen und engagiert sich für eine selbstbestimmte Entwicklung des Hamburger Stadtteils. Am 3. Juli fand im Rahmen des Jour Fixe der Gewerkschaftslinken Hamburg eine Führung durch Rothenburgsort statt [2], bei der Ingo Böttcher, ohne an ironischen Seitenhieben zu sparen, über den schönen Schein und die banale Wirklichkeit der Hamburger Stadtentwicklung in diesem Stadtteil aufklärte. Im Anschluß daran beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen.


Im Gespräch - Foto: © 2019 by Schattenblick

Ingo Böttcher
Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick (SB): 2013 war Wilhelmsburg Austragungsort der Internationalen Bauausstellung (IBA) und der Internationalen Gartenschau (igs). Diese Events sollten den städteplanerischen Impuls zur baulichen Erschließung des Hafenbeckens verstärken. War Rothenburgsort irgendwie in diese Strategie einbezogen und wart ihr an den Aktivitäten gegen IBA und igs beteiligt?

Ingo Böttcher (IB): Jenseits der Elbbrücken fand nichts statt, der Stadtteil ist den Behörden lange Zeit nicht aufgefallen. Rothenburgsort lag abseits und wurde nicht einbezogen. Wir haben im Vorwege mit den Wilhelmsburgern einmal etwas gemacht, wo es um die Einrichtung eines Radweges und Fußweges über die Norderelbe ging. Ich war ab und zu bei alternativen Führungen dabei und kenne ein paar Leute, die sich damit beschäftigen. Ich habe das wohlwollend begleitet und war wie auch andere Leute hier auf der einen oder anderen Veranstaltung, aber aktiv haben wir uns eigentlich nicht beteiligt. Es ging eher ums Zuschauen und Lernen.

SB: Der übergeordnete Plan zur Erschließung des Hafenbeckens wurde ja als "Sprung über die Elbe" bezeichnet. Wie habt ihr euch dazu verhalten?

IB: Wir haben gesagt: Wir machen das Sprungbrett, springt mal. Wir sehen ja, daß die Landung ganz schön hart ist für den Stadtteil, dann ist es ja schön, wenn ihr da rüberspringt. 50.000 Leute können sich besser wehren als die 8.000 hier. Wir haben keine Schadenfreude empfunden, waren aber ein bißchen erleichtert, daß die Stadt einen anderen Teil Hamburgs mit den Segnungen ihrer Stadtentwicklungspolitik überzieht. Deswegen war es auch komisch, als es dann hieß, jetzt aber stromaufwärts, es geht los. Wir jetzt? Offenbar ja.

SB: Die Hafencity wurde stetig in Richtung Elbbrücken ausgebaut und soll dort angeblich an ihrem Ende angekommen sein. Gehst du dennoch davon aus, daß es hinter den Elbbrücken in dem Stil weitergeht?

IB: Es geht in der Methode weiter, nicht in dem Stil. Die Methode ist, daß die Stadt arrondiert, entwickelt, bestimmte Infrastrukturen schafft, vermarktet und die Gebäude verkauft. Das kannst du mit Wohnhäusern oder den Hafencity-Häusern machen. Hier geht es erst einmal um den Billebogen. Da wissen sie, da ist mit Wohnen nicht viel zu holen, aber sie brauchen auch mal wieder ein schickes Gewerbe, also wird da Gewerbe angesiedelt. Das ist die gleiche Methode, bloß die Klötzchen, die da draufkommen, haben eine andere Farbe. Ja, das wird so weitergehen, das geht auch jetzt schon so weiter, das macht die Hafencity aktuell als Billebogen Entwicklungsgesellschaft, insofern ja.

Das ist im Wohnstadtteil selbst, also östlich der Billhorner Brückenstraße und östlich des Mühlenwegs, noch nicht so richtig präzise angekommen, aber es hat natürlich schon Auswirkungen auf den Wert des Bodens. Die Bodenpreise ziehen an, auch hier. Wenn du hier investierst und etwas bauen willst, mußt du halt tiefer in die Tasche greifen, das gilt in der Folge dann auch für deine Mieter. Dieser Prozeß findet ja auch statt, wenn hier nicht Wohnungen gebaut werden, sondern schicke Büros.

SB: Gibt es in Rothenburgsort Anzeichen für einen klassischen Gentrifizierungsprozeß, wie er immer beschrieben wird, wenn zuerst die kreative Klasse einzieht und nach und nach reichere Leute kommen?

IB: Ich glaube, daß die Abläufe, die man als Gentrifizierung kennt, hier anders funktionieren. Wir haben einfach nicht die attraktiven Altbauten, in die Studenten in WGs einziehen und darin bleiben, wenn sie später Professoren werden und dann auf 120 Quadratmetern, aber allein oder zu zweit leben. Das passiert hier nicht, weil wir nicht die Wohnungen haben, die das hergeben. Rothenburgsort ist kein Altbauviertel, das ist eine ganz andere Voraussetzung. Es liegt auch nicht so zentral wie die Leute gerne möchten, wenn sie in die angesagten Viertel ziehen. Das heißt, die Technik ist hier eine andere.

Ich glaube aber trotzdem, daß die kreative Klasse hier eine bestimmte Rolle spielt. Es gibt hier unheimlich viele Leute, die Nischen entdecken, um zum Beispiel Kunst zu machen, Büros zu haben, die als Zwischennutzer die Flächen, Hallen und Bürogebäude mieten, die jemand aufgekauft hat und jetzt wartet, um darin irgendwann ein tolles Projekt zu machen. Die werden zwischengenutzt, und zwar oft von Kreativen. Die bereichern eher den Diskurs und sind nicht in dieser klassischen Abfolge der Gentrifizierung zu verorten. Sie bringen hier auch ein Stück Power rein, ein Stück Kreativität und ein Stück Erfahrung, auch politische Erfahrung oder auch kulturelle Artikulation, die ein bißchen fehlt. Da kann man sich nur wünschen und hoffen und vielleicht auch daran mitwirken, daß diese Artikulation sich auch auf die Leute bezieht, die schon da sind und nicht nur auf billige Ateliers.

Bei Künstlern, die herkommen und sagen, toll, hier kann ich billig meine Werkstatt machen und mich richtig ausleben, finde ich schlimm, wenn sie nicht merken, in welchem Umfeld sie wohnen und wie es den Nachbarn um sie herum geht. Davon gibt es welche, von jeder Sorte gibt es welche, so auch diejenigen, mit denen es richtig Spaß macht und die richtig gut für den Stadtteil sind. Die Kreativen können helfen, hier bestimmte Dinge zu verteidigen, bestimmte Entwicklungen in andere, bessere Richtungen zu lenken, wenn sie ein bißchen aufpassen und auch einen politischen Anspruch haben und nicht nur sich selbst auf billigen Atelierflächen verwirklichen wollen und morgen schon zwei Kilometer weiter sind, wohin die Stadtentwicklung noch nicht vorgedrungen ist.


Kampagnenflyer zu 'Stromaufwärts an Elbe und Bille' - Foto: 2019 by Schattenblick

Klartext von Hamburgs Wildem Osten zu den Plänen des Senats 2015
Foto: 2019 by Schattenblick

SB: Die SPD hatte bei den letzten Bürgerschaftswahlen hier die absolute Mehrheit, dazu bekam Die Linke um 12 Prozent. Kann man sagen, daß der Stadtteil dementsprechend in eine sozial emanzipatorische Richtung ausgerichtet ist?

IB: Das ist eine Fehlanalyse, glaube ich, weil nicht berücksichtigt wird, wer alles nicht zu Wahl geht. Viele SPD-Wähler gehen nicht mehr zur Wahl, aber von denen gehen mehr noch zur Wahl als von den anderen Parteien. Das heißt, die absolute Mehrheit haben die Nichtwähler. Demgegenüber stellt sich bei den anderen Parteien die Frage, wer die meisten Hardcore-Wähler hat, die dann plötzlich die absolute Mehrheit haben. Das ist ein ganz komischer Effekt, der nichts damit zu tun, daß die stark wären. Sie sehen stark aus, sind aber Scheinriesen.

Dennoch ist die SPD nun mal die einzige Partei, die alte Strukturen in diesen Stadtteilen hat und sich, mit welchen Mitteln auch immer, über die Runden rettet, die ein bißchen was tut und hier ein Büro hat. Die Namen von zwei, drei SPD-Politikern, die mitarbeiten und liebe, nette Leute sind, vielleicht sogar hier wohnen, kennt man auch. Das ist bei keiner anderen Partei der Fall, außer vielleicht mal zufällig. Das muß man den SPD-Politikern auch anrechnen, ein bißchen Ortskenntnis haben sie. Daß die alle nur eine sehr schwache Position in der Partei oder im parlamentarischen Zusammenhang haben und dann schnell übergebügelt werden, wenn der Senator etwas anderes sagt, und auch schnell die Klappe halten, jedenfalls öffentlich, und nichts bewirken können, das steht auf einem anderen Blatt. Aber wenn du Leute fragst, wen sie kennen, dann kennen sie mit großer Wahrscheinlichkeit, wenn sie überhaupt jemand in der Politik kennen, jemanden von der SPD.

SB: Im Hafenbecken befinden sich die Flächen im wesentlichen im Besitz der Stadt, was ein wichtiger Faktor für die Haushaltspolitik und den Aufwertungsprozeß ist, der dort vonstatten geht. Gilt das auch für diesen Stadtteil?

IB: Wir haben sehr viel SAGA-GWG hier, auch einen ordentlichen Anteil Genossenschaften. Ich wohne bei einer Genossenschaft und bin fein raus. Ich zahle eine lächerliche Miete, trotzdem überlebt meine Genossenschaft gut.

Der Großgrundbesitzer hier heißt jedenfalls SAGA-GWG. Es kommen jetzt auch andere dazu, die Ecke wurde entdeckt, es gibt jetzt auch private Investoren und große Projekte mit vielen Wohnungen, die in der Pipeline sind, die direkt wieder verkauft werden an den nächsten, der sie dann vielleicht auch wieder verkauft. So hat die Spekulation angefangen, trotzdem ist hier die SAGA-GWG maßgeblich. Die könnte wirklich politischen Einfluß nehmen, was ich aber nicht erkennen kann. Das wäre ein Instrument, das die Stadt benutzen könnte, um hier einzugreifen. Dann müßte sie sich aber eine Linie überlegen, und die ist nicht erkennbar. Wir wollen hier bitte mindestens den Durchschnittswert des Mietenspiegels als Miete durchsetzen. Ich kann der SAGA jetzt nicht vorwerfen zu spekulieren, aber die wissen, wo sie hier sind, die können auch auf den Stadtplan gucken, und die gehen auch zu den Immobilienkongressen. Der Chef der SAGA bewirbt sich ja laufend für einen schönen Job in der richtigen Immobilienwirtschaft. Was die hier machen, ist jedenfalls keine soziale Politik. Das können sie lange behaupten, aber dem ist hier nicht so.

SB: Demnächst veranstaltet ihr den 17. Elbebadetag. Wie ist es um die Sauberkeit des Wassers bestellt?

IB: Perfekt, na klar. Wir lassen das auch immer prüfen. Wir haben das Hygieneinstitut hier, da wird die Anzahl der Darmbakterien, die Indikatoren organischer Verschmutzung, festgestellt. Es gibt einen Grenzwert, der liegt bei 1800 Einheiten pro Liter. Wir haben 15 bis 30, und wenn es ganz warm ist, 50. Der schöne Grundwassersee im Stadtpark ist meistens sauberer, mit 12 oder 10 oder nicht meßbar. Du hast immer eine minimale bakterielle Belastung. Das ist ein Fließgewässer, ein Tiedegewässer, das atmet, das kommt immer frisch nach. Schlecht ist es nur für die Freunde der Kiemenatmung, weil der Sauerstoff schon im Hafen verstoffwechselt wird. Fische, die zu doof sind wegzuschwimmen, sterben halt. Aber wir haben hier kein Fischsterben, die Fische merken auch, wenn sie stromaufwärts oder stromabwärts wandern sollten.

SB: Wann genau findet das Elbbaden statt?

IB: Am 11. August von 13.00 bis 16.30 Uhr dieses Jahr. Das hängt immer von der Tide ab, wir wollen ja auch Wasser haben und nicht im Schlick steckenbleiben.

SB: Wie hoch ist die Tide hier?

IB: 3,65 Meter hoch, wie sich das gehört, das wird stromaufwärts immer mehr.

SB: Ingo, vielen Dank für das Gespräch.


Vorgesehene Stelle für Elbbaden - Foto: © 2019 by Schattenblick

Auf zum Elbbadetag an der Elbinsel Entenwerder am 12. August
Foto: © 2019 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] http://www.hwo-digital.de/

[2] BERICHT/129: Rothenburgsort - Gentrifizierung ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0129.html


17. Juli 2019


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang