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RUSSLAND/001: Jahrestag der Ermordung von Natalija Estemirowa - intensivere Ermittlungen gefordert (ROG)


Reporter ohne Grenzen e.V.
Deutsche Sektion von Reporters sans frontières

Pressemitteilung vom 13. Juli 2010

ROG fordert zum Jahrestag der Ermordung von Natalija Estemirowa intensivere Ermittlungen


Zum Jahrestag des Mordes an der russischen Menschenrechtsaktivistin und Journalistin Natalija Estemirowa am 15. Juli 2010 mahnt Reporter ohne Grenzen (ROG) intensivere Ermittlungen zur Aufklärung des Verbrechens an. Da der Jahrestag mit den deutsch-russischen Regierungskonsultationen in Jekaterinenburg zusammenfällt, fordert ROG den russischen Präsidenten Dmitrij Medwedjew und Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, sich dafür einzusetzen.

"Wir sehen kein Ende des Klimas der Straflosigkeit in der Russischen Förderation", sagte der ROG-Geschäftsführer Christian Rickerts. "Gewalttaten wie der Mord an Estemirowa bleiben für die Täter ohne Folgen, obwohl Präsident Dmitrij Medwedjew bei den Regierungskonsultationen in München im vergangenen Jahr eine schnelle und lückenlose Aufklärung zugesagt hat."

Natalija Estemirowa wurde am Morgen des 15. Juli 2009 in der Nähe ihres Hauses in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny entführt und noch am gleichen Tag in der benachbarten Republik Inguschetien erschossen aufgefunden. Die 51-Jährige leitete das Büro der russischen Menschenrechtsorganisation MEMORIAL in Grosny und hatte früher als Journalistin für die unabhängige russische Zeitung "Nowaja Gaseta" gearbeitet.

Nach dem Mord hat ROG in mehreren Appellen an die russische Regierung vor einem Klima der Straflosigkeit und der Angst in Russland gewarnt. "Das Versprechen, diesen Mord aufzuklären, ist bislang ein Lippenbekenntnis geblieben", kritisiert ROG. Bisher haben die Behörden bei ihren Ermittlungen noch keinen einzigen Verdächtigen identifiziert, Schlüsselfragen wurden nicht beantwortet.

ROG fordert die Behörden auf, bei ihren Untersuchungen mögliche Zusammenhänge zwischen dem Mord und der Menschenrechtsarbeit von Estemirowa nicht außer Acht zu lassen. Dazu gehört auch die Möglichkeit, dass Vertreter der Bezirksabteilung für innere Angelegenheiten (Raionny Otdel Vnutrennikh Del) des tschetschenischen Bezirks Kurtschaloj in die Tat involviert sein könnten.

Estemirowa hatte kurz vor ihrem Tod die Behörde für eine außergerichtliche Exekution mitverantwortlich gemacht. ROG befürchtet, dass die Ermittlungen bald eingestellt werden könnten. Russischen Medienberichten zufolge könnte die Polizei Alchasur Baschajew, einem Werbeoffizier der tschetschenischen Rebellen, die Verantwortung für den Mord zuschreiben. Baschajew wurde im November 2009 erschossen.

Der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow erschwert zudem die ernsthafte Aufklärung. Statt sich für bedrohte Journalisten und Menschenrechtler einzusetzen, hat Kadyrow Estemirowa und andere Bürgerrechtler wiederholt verunglimpft und verbal attackiert. Erst kürzlich hat Kadyrow Mitarbeiter von MEMORIAL im lokalen Fernsehen als "Feinde" beschimpft.

"Seit den letzten deutsch-russischen Regierungskonsultationen hat sich die schwierige Situation der russischen Medienschaffenden nicht verändert", so Rickerts. ROG ist derzeit mit dem Vorstandsmitglied Gemma Pörzgen am "Petersburger Dialog" in Jekaterinenburg beteiligt, einem Diskussionsforum, das die Verständigung zwischen den Zivilgesellschaften beider Länder fördern soll und den deutsch-russischen Regierungskonsultationen vorangeht.

In der Russischen Föderation sind seit dem Jahr 2000 mindestens 24 Journalisten ermordet worden, allein 2009 dokumentierte ROG fünf Todesfälle.


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Quelle:
Pressemitteilung, 13.07.2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juli 2010