Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → TICKER

FLUCHT/014: Kessel Nahost - Herzlos (SB)


Flüchtlingsproteste in Tunesien - 1. Februar 2013

Noch immer harren Protestierende aus dem Lager Choucha vor der UNHCR-Vertretung aus



Ein Paradoxon par excellence - ein Flüchtlingshilfswerk, das sich weigert, Flüchtlingen zu helfen. In Tunis setzen die vor dem Libyenkrieg vor zwei Jahren in das benachbarte Tunesien geflohenen Menschen, die aus dem in der Wüste nahe der tunesisch-libyschen Grenze gelegenen Camp Choucha am vergangenen Sonntag in die Hauptstadt des nordafrikanischen Staates gekommen waren, ihren Protest fort. Sie sind Flüchtlinge ohne Flüchtlingsstatus, hat doch das Anerkennungs- oder, wie in ihrem Falle zu sagen wäre, Nichtanerkennungsverfahren des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) zu der Einschätzung geführt, sie seien nicht "schutzbedürftig" und insofern auch keine Flüchtlinge.

Ihre Situation, die in den zurückliegenden zwei Jahren schon sehr angespannt und belastend war, da sie in dem Wüstencamp ausharren mußten, ohne sich in Tunesien frei bewegen zu können, hat sich in den zurückliegenden Monaten noch erheblich verschärft. Das UNHCR fühlt sich, da sie keine Flüchtlinge seien, für sie nicht zuständig, ergo wurde in dem Lager Choucha, das im Juni endgültig geschlossen werden wird, die Grundversorgung der verbliebenen rund 230 Menschen massiv reduziert. Seit rund einhundert der hungernden Flüchtlinge, unter denen sich auch Familien und Kinder befinden, am Sonntag mit Bussen in die 400 Kilometer entfernte Hauptstadt gekommen waren, campieren sie vor dem Sitz des UNHCR, um die Verantwortlichen für ihre Misere unmittelbar mit ihrer Lage und ihren Forderungen zu konfrontieren.

Seit über vier Tagen leben die Protestierenden unter freiem Himmel. Sie haben sich in zwei Gruppen aufgeteilt, die den Haupt- und den Nebeneingang des UNHCR-Gebäudes belagern, um auf diese Weise sicherzustellen, mit den Vertretern des Flüchtlingshilfswerks in Kontakt zu kommen. Ein erstes Gespräch hat am Dienstag bereits stattgefunden. Es verlief jedoch aus Sicht der verzweifelten Flüchtlinge, die in Tunesien nicht bleiben können, weil sie keinen Aufenthaltsstatus haben und es in dem Land auch kein Asylsystem gibt, enttäuschend. Das UNHCR beharrte auf seinem Standpunkt. Das einzige, was den vergessenen Menschen aus dem Wüstencamp gesagt wurde, war der "Ratschlag", in Tunesien zu bleiben oder in ihr Herkunftsland zurückzukehren.

Laut taz hat das UNHCR auch am Mittwoch diese Position bekräftigt. "Sie haben ein reguläres Verfahren durchlaufen, wurden aber von uns nicht als Flüchtlinge anerkannt", so Stefan Telöken, deutscher UNHCR-Sprecher [1]. Die tunesische Regierung lehnt einen weiteren Aufenthalt dieser Menschen ab, eine Rückkehr nach Libyen ist für sie ebenso ausgeschlossen. Da das Lager Choucha, in dem sie ohnehin seit Monaten nicht mehr ausreichend versorgt werden, in wenigen Monaten schließen wird, stehen diese Flüchtlinge buchstäblich vor dem Nichts. Etliche Lagerinsassen haben sich in den zurückliegenden Jahren schon mit seeuntauglichen Booten auf den Weg nach Europa gemacht und sind dabei ertrunken.

Ist dies das Schicksal, das das Flüchtlingshilfswerk, das diesem Namen kaum gerecht wird, auch diesen Menschen insgeheim zugedacht hat? Während ihr verzweifelter Protest vor der Haustür der UNHCR-Vertretung in Tunis weder zu einem Einlenken dieses UN-Gremiums noch zu einer humanitären Hilfe aus der EU geführt hat, wächst in Tunesien selbst das öffentliche Interesse an ihrem Schicksal. In den Medien des Landes wird ausführlich über ihren Protest berichtet. Ihnen wird die Gelegenheit gegeben, vor Kameras und Mikrophonen ihre Geschichte zu erzählen und zu erläutern, warum sie verlangen, wie alle anderen Flüchtlinge auch in das Resettlementprogramm des UNHCR aufgenommen zu werden.

Am 4. Tag ihrer Proteste hieß es sogar, die tunesischen Behörden würden beginnen, sich für ihre Anliegen zu interessieren. Allem Anschein nach hat man in Tunis eher noch ein Herz für diese Menschen als in den Büroräumen einer weltweit im Namen der Vereinten Nationen agierenden Organisation.


Anmerkungen:

[1] http://taz.de/Protestaktion-in-Tunesien/!110101/

[2] http://chouchaprotest.noblogs.org/

1. Februar 2013