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FLUCHT/020: Wiener Asyl - Streikabbruch der Hoffnung (SB)


Flüchtlingsproteste in Wien - 18. Februar 2013

Hungerstreik beendet - drei Flüchtlinge verlassen die Kirche


Auf der Straße aufgestellte Kerzen, Transparente mit Aufschriften 'Refugees are human beings' und 'Ich möchte hierbleiben' - Foto: © 2013 by Daniel Weber

Wien bei Nacht - Solidarität mit den protestierenden Flüchtlingen am internationalen Aktionstag
Foto: © 2013 by Daniel Weber

Die Bemühungen offizieller Stellen und Hilfsorganisationen, aber auch vieler Freunde und Unterstützer, die in der Wiener Votivkirche seit inzwischen 62 Tagen protestierenden Geflohenen zum Abbruch ihres Hungerstreiks zu bewegen, haben offenbar Früchte getragen. Die Refugees, wie die Flüchtlinge in Wien genannt werden, haben bekanntgegeben, daß sie am heutigen Montag den Hungerstreik beenden. Sie wollen diesen Schritt, nachdem sie bereits vor einigen Wochen den Streik als Zeichen des guten Willens für zehn Tage unterbrochen und am 1. Februar wieder aufgenommen hatten, nachdem die Regierung auf ihr Gesprächsangebot nicht eingegangen war, als ein weiteres konstruktives Signal verstanden wissen. Die Entscheidung sei nach intensiven Diskussionen nach der großen Solidaritätsdemonstration am Samstag in Wien, an der rund 2000 Menschen teilgenommen haben, getroffen worden.

Die Hungerstreikenden haben sich aber auch durch ein Schreiben des Bundespräsidenten Österreichs, Heinz Fischer, das einem von ihnen in der vergangenen Woche von der Caritas übergeben worden war, zu diesem Schritt veranlaßt gesehen. Wie der Wiener Tagespresse, die über den heutigen Abbruch des Hungerstreiks umfangreicher berichtet als über die sonstigen Flüchtlingsproteste, zu entnehmen ist, hat einer der Refugees, Khan Shajahan, die hoffnungsfrohe Stimmung unter den Streikenden folgendermaßen beschrieben: "Wir freuen uns, dass uns der Präsident von Österreich sich in einem Brief mit uns ins Gespräch gesetzt hat und sehen darin ein Zeichen, dass unser Anliegen gehört und hoffentlich ernst genommen wird." Dieser Brief allein hat sicherlich nicht den Streikabbruch bewirken können, erklärte Khan Shajahan doch auch: "Die Solidarität der Zivilgesellschaft und vor allem das Gespräch mit unseren Freunden und Unterstützern hat uns in dieser Entscheidung bestärkt." [1]

Mit Erleichterung wurde der Streikabbruch von vielen Menschen und Organisationen aufgenommen, die sich angesichts des langen Hungerstreiks und der zugespitzten gesundheitlichen Lage der Streikenden große Sorgen um sie gemacht hatten. Nach Angaben der Caritas, die die Flüchtlinge schon während ihres gesamten Aufenthalts in der Votivkirche betreut, habe sich der Gesundheitszustand der Hungerstreikenden zum Teil "drastisch verschlechtert". Wegen medizinischer Notfälle sei es den Angaben zufolge schon zu Dutzenden Rettungseinsätzen gekommen. [2]

All dies scheint nun ein Ende gefunden zu haben. Ob sich allerdings die Hoffnungen und Erwartungen der Protestierenden tatsächlich als substantiell erweisen, wird sich erst in den kommenden Tagen und Wochen herausstellen. Angesichts des Streikabbruchs machte Alexander Pollak, Sprecher der Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch, noch einmal die prekäre Situation dieser Menschen deutlich:

Alle Flüchtlinge, die in der Votivkirche Zuflucht gesucht haben, befinden sich in einer für NormalbürgerInnen unvorstellbaren Ausnahmesituation. Viele von ihnen irren schon seit Monaten, manche sogar schon seit Jahren rechtlos in Europa umher. Sie dürfen nicht bleiben, wo sie sind, sie können aber auch nicht zurück, woher sie gekommen sind. [3]

Nimmt man die Erklärungen der Wiener Regierung oder die jüngste Stellungnahme Fischers zum Ausgangspunkt für eine realistische Einschätzung der Lage, besteht für Optimismus eigentlich kein Anlaß. Dem in vollem Wortlaut auch auf der Webseite des Bundespräsidenten veröffentlichten Schreiben ist zu entnehmen, daß Fischer den Flüchtlingen helfen möchte:

Schon in den vergangenen Wochen habe ich immer wieder darüber nachgedacht, ob und wie man Ihnen und den anderen in der Votivkirche aufhältigen Flüchtlingen helfen kann.
Denn Menschen, die all das auf sich nehmen, was Sie und die von Ihnen erwähnten Personen auf sich nehmen, verdienen es, ernst genommen zu werden.
Das war auch der Inhalt von Gesprächen, die ich mit Frau Innenministerin Mag. Mikl-Leitner und mit Vertretern der Caritas geführt habe, die sich ebenfalls Sorgen um Ihre Gesundheit und Ihr Schicksal machen. [4]

Der Bundespräsident erklärte in dem Brief des weiteren, daß er sich auch in einer "tragischen und heiklen Situation nicht über die Gesetzeslage, über Gerichtsentscheidungen oder über die Abgrenzung verschiedener Verantwortungsbereiche in Österreich hinwegsetzen" könne. Dies war allerdings auch nicht unbedingt Inhalt der Forderungen, um derentwillen die protestierenden Flüchtlinge den langen Marsch nach Wien auf sich genommen, dort zunächst ein Protestcamp errichtet und nach dessen Räumung Zuflucht in der Votivkirche gefunden hatten, wo rund 40 von ihnen, um ihrem Anliegen weiteren Nachdruck zu verleihen, in einen Hungerstreik getreten waren. Ihr Protest richtet sich gegen das Asylsystem in Österreich insgesamt, also die gesetzlichen Bestimmungen, die ein Bundespräsident selbstverständlich nicht ändern kann, die aber, sobald es zu einem gesellschaftlichen und politischen Umdenken käme, auf demselben Wege, auf dem sie entstanden sind, auch geändert werden könnten.

Allem Anschein nach ist die Entwicklung der Flüchtlingsproteste in Österreich noch nicht so weit gediehen, daß die dominierenden politischen Parteien sie inhaltlich aufgreifen und die bestehenden Regelungen auf den Prüfstand heben würden mit der Option gesetzgeberischer Aktivitäten, die auf eine Beendigung der Ausgrenzungspolitik gegenüber Menschen aus anderen Ländern hinausliefe. Bundespräsident Fischer, der sich in diesem Punkt sicherlich einig weiß mit Innenministerin Mikl-Leitner, brachte in seinem Schreiben das Interesse zum Ausdruck, die Refugees dazu zu veranlassen, die Kirche zu verlassen:

Wenn Sie sich entscheiden könnten, das Angebot des Herrn Kardinals anzunehmen und unter dem Schutz der Kirche in das angebotene Quartier zu übersiedeln, wäre das ein wichtiger und positiver Schritt in die richtige Richtung. Damit wäre auch eine Grundlage geschaffen, damit in Gesprächen mit jedem einzelnen Betroffenen eine individuelle Perspektivenabklärung erfolgen kann. (...)
Ich bitte Sie, Vertrauen zu haben in die Zusage der Frau Innenministerin, dass für jeden einzelnen von Ihnen eine rasche Abklärung der individuellen rechtlichen Situation und der individuellen Perspektiven durchgeführt wird. Dazu ist es aber notwendig, dass Sie die Kirche verlassen. [4]

Da nicht nachvollziehbar ist, warum die in Aussicht gestellte Abklärung der individuellen Perspektiven an den Aufenthaltsort der Betroffenen gebunden sein sollte, steht zu befürchten, daß das hier verträufelte "Gift der süßen Hoffnung" in erster Linie nur eines bewirken soll, nämlich die Hungerstreikenden zum Abbruch des Streiks sowie zum Verlassen der Votivkirche zu bewegen. In drei Fällen ist dies unterdessen bereits gelungen. Wie Klaus Schwertner, Sprecher der Caritas, gegenüber der Presse erklärte, haben zwei Pakistani und ein Afrikaner bereits am vergangenen Donnerstag die Kirche verlassen, um in eines der angebotenen Quartiere überzuwechseln. Wie der Caritas-Sprecher betonte, hoffe die Organisation nun, daß sich "weitere Männer dazu entschließen und unsere Angebote annehmen". [5]

Demonstrationszug in Wien mit Transparent 'Rassismus bekämpfen - Kapitalismus angreifen' - Foto: © 2013 by Daniel Weber

Die Refugees sind nicht allein - Demonstrationszug durch die Wiener Innenstadt
Foto: © 2013 by Daniel Weber

Ermutigt zur Beendigung des Hungerstreiks sahen sich die Refugees jedoch auch durch die zunehmende Solidarisierung, die sie nicht nur in Wien, sondern auch in anderen Städten Österreichs und sogar außerhalb des Landes erfahren haben. Wie Mir Jihangir vom Refugee camp vienna erklärte, wollen die Flüchtlinge "durch das Aussetzen des Hungerstreiks mit neuen Kräften den Dialog über eine Verbesserung der Lage von Asylsuchenden in Österreich weiterführen können" [2]. Weitere Entscheidungen stünden in den kommenden Tagen bevor. Am 12. Februar hatten die Refugees anläßlich ihres Auftritts beim Protestsongcontest im Wiener Rabenhof Theater zu der Demonstration am vergangenen Samstag aufgerufen und dabei keinen Hehl aus ihrer Verzweiflung gemacht:

Seit November 2012 kämpfen wir diesen Kampf und um euch die Wahrheit zu sagen, jetzt sind wir an einem schwierigen und komplizierten Punkt angelangt. Wir sind verzweifelt. Aber: wir brauchen jetzt euch. Wir brauchen nicht nur eure Meinung und eure Argumente, aber wir brauchen auch eure Anwesenheit. Eure Anwesenheit auf einer Demonstration am Samstag um 14 Uhr vom Westbahnhof aus. Wir wollen ein starkes Zeichen an die Regierung Österreichs geben, dass die Leute aus Österreich, die Österreicherinnen und Österreicher, hinter uns stehen. [6]

Rund zweitausend Menschen nahmen denn auch am Samstag an dieser Demonstration teil. Es war der Tag, der international zum Aktionstag der Flüchtlingsproteste ausgerufen worden war. In Klagenfurt und weiteren Städten Österreichs, aber auch in Amsterdam und sogar in Washington D.C. hat es Kundgebungen, Protest- und Solidarisierungsaktionen gegeben. In der US-amerikanischen Hauptstadt war vor der Botschaft Österreichs eine Protestkundgebung abgehalten worden. In dem Aufruf zu der größten Demonstration in Wien war der internationale Bezug der Flüchtlingsproteste Österreichs klar herausgestellt worden:

AsylwerberInnen sind nicht schuld an sozialen Problemen - Sie werden aber von der Politik zu Sündenböcken, echte Lösungen werden durch rassistische Blendungen blockiert.
Wir wollen auf internationaler Ebene auf diesen Missstand aufmerksam machen. Jedes Jahr sterben Tausende beim Versuch nach Europa zu gelangen. Die EU hat das Budget der Anti-Flüchtlings Grenzschutzorganisation Frontex in den letzten Jahren verzehnfacht. - Während die brutale Sparpolitik der Mitgliedsstaaten Menschen zu tausenden in den Selbstmord treibt. Am 16.02. demonstrieren wir. In Solidarität mit den kämpfenden Flüchtlingen in Österreich und dem Rest der Welt. Wir stellen dem Rassismus und der rechten Hetze internationale Solidarität entgegen. [7]
Der Demonstrationszug bei anbrechender Dunkelheit - Foto: © 2013 by Daniel Weber

Dem Zeitgeist entgegengestellt - internationale Solidarität
Foto: © 2013 by Daniel Weber


Fußnoten:

[1] http://www.wienerzeitung.at/themen_channel/wz_integration/politik_und_recht/525330_Fluechtlinge-in-der-Votivkirche-setzen-Hungerstreik-aus.html

[2] http://wien.orf.at/news/stories/2571960/

[3] http://derstandard.at/1360681796826/Votivkirche-Fluechtlinge-beenden-Hungerstreik

[4] http://www.bundespraesident.at/newsdetail/artikel/schreiben-des-bundespraesidenten-an-fluechtling-in-der-wiener-votivkriche

[5] http://www.heute.at/news/oesterreich/wien/art23652,852286

[6] http://refugeecampvienna.noblogs.org/post/2013/02/13/speach-on-occasion-of-the-protestsongcontest-at-the-theatre-rabenhof/

[7] http://refugeecampvienna.noblogs.org/post/2013/02/08/demo-february-16th-we-demand-our-rights-16-februar-gleiche-rechte-fur-alle/

18. Februar 2013