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FLUCHT/035: Getretene Würde - unversöhnlich (SB)


Proteste geflohener Menschen in München - 27. Juni 2013

Refugees setzen ihren Hunger- und Durststreik fort - über 20 von ihnen im Krankenhaus



Wie ein Sprecher der rund 50 geflohenen Menschen, die auf dem Münchner Rindermarkt campieren und am vergangenen Samstag einen Hungerstreik begonnen haben, den sie seit Dienstag noch verschärft haben, indem sie auch nichts mehr trinken, am heutigen Donnerstag erklärte, werden diese Proteste ungeachtet der lebensgefährlichen Situation fortgesetzt. Ein sogenannter "runder Tisch", zu dem Vertreter der zuständigen Behörden mit einem Sprecher der protestierenden Geflohenen zusammenkam, verlief am Mittwoch ergebnislos, zu weit lagen die jeweiligen Positionen auseinander.

Die aus Nigeria, Äthiopien, Pakistan und weiteren Staaten stammenden Asylbewerber fordern die sofortige Anerkennung ihrer Asylanträge, was von allen beteiligten Behörden schon aus rechtlichen Gründen abgelehnt wird. Angeboten wird ihnen eine Prüfung ihrer Anträge durch das zuständige Bundesamt für Migration innerhalb von 14 Tagen.

Bereits am Dienstag war ein Krisenstab gebildet worden, bestehend aus dem Regierungspräsidenten Christoph Hillenbrand, der Stadt München und der Polizei. Dieser Krisenstab errichtete auf dem Rindermarkt zwei Zelte für die protestierenden Flüchtlinge - ein Schlaf- und ein Arbeitszelt - und forderte sie auf, den Hungerstreik zu beenden, zumindestens aber wieder zu trinken.

Die gesundheitliche Situation der Protestierenden hat sich in den zurückliegenden Tagen und Stunden zugespitzt. In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag sind weitere zehn von ihnen zusammengebrochen, weil sie nichts getrunken hatten. Gegen 16.00 am heutigen Donnerstag war die Zahl der Hunger- und Durststreikenden, die nach Kreislaufzusammenbrüchen in Krankenhäusern behandelt wurden, auf 16 angestiegen. Nach Angaben eines Regierungssprechers von Oberbayern seien vier von ihnen wieder entlassen worden und zu dem Protestcamp auf dem Rindermarkt zurückgekehrt. Inzwischen ist jedoch sogar von 21 Protestierenden die Rede, die bereits im Krankenhaus medizinisch versorgt wurden.

Die Reaktionen in Politik und Gesellschaft auf diesen lebensgefährlichen Protest sind sehr unterschiedlich, was sich an Diskussionen mit Passanten, Interessierten und Besuchern schon unmittelbar in dem Bereich der Hungerstreikenden auf dem Rindermarkt zeigt. Die Süddeutsche Zeitung schrieb in einer ihrer Meldungen, daß die CSU-Sozialministerin Christine Haderthauer durch diese Menschen, die inmitten Münchens Essen und Trinken verweigerten, überfordert sei - dabei würden die Flüchtlinge nur eines wollen, nämlich als Menschen behandelt zu werden. [1] Hans-Ulrich Pfaffmann, Sozialexperte der SPD, die wie die Grünen die Asylpolitik der bayrischen Staatsregierung scharf kritisiert, hielt der Sozialministerin entgegen, daß sie überhaupt nicht verstünde, worum es den Asylbewerbern gehe.

Haderthauer hatte erklärt, daß hierzulande Politik nicht erpreßbar sei und wir in einem Rechtsstaat lebten, in dem man sich nicht durch Hungerstreiks eine Vorzugsbehandlung erzwingen könne. Den Vorwurf der Erpressung erhob unterdessen auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU): "Erpressung als Mittel, um Asylrecht zu erhalten, ist völlig indiskutabel." [2] Pfaffmann widersprach dem und erklärte, worum es bei den Protesten seiner Meinung nach gehe: "Diese wollen nicht die Politik erpressen, wie ihnen die CSU-Ministerin vorhält - sie wollen mit ihrer Aktion der Verzweiflung allein auf ihre Situation hinweisen, die von Haderthauer mit zu verantworten ist." [3]

Am Donnerstagvormittag haben die Maltheser ein Sanitätszelt errichtet, um die hunger- und durststreikenden Geflohenen versorgen zu können. Am Abend hatte es noch eine bedrohliche Situation gegeben, als ein stadtbekannter Rechter mit seinen Anhängern auf die Zone der Hungerstreikenden zumarschierte. Alsbald standen sich Rechte und Linke, die die Prostierenden beschützen wollten, gegenüber. Zwischen ihnen positionierte sich die Polizei, um eine direkte Konfrontation zwischen beiden Seiten zu verhindern, und so blieb es bei einem verbalen Schlagabtausch.

Regierungspräsident Hillenbrand unterstrich seine Gesprächsbereitschaft mit den protestierenden Refugees: "Für uns ist das Gespräch nie zu Ende, wenn es um Menschenleben geht." [4] Um die Gründe verstehen zu können, die die Geflohenen dazu gebracht haben, nicht nur ihre Gesundheit, sondern durch den Durststreik sogar ihr Leben einzusetzen im Kampf um ein menschenwürdiges Dasein, kann die persönliche Erklärung, die einer von ihnen abgegeben hat, für all diejenigen von Interesse sein, die genauer wissen wollen, wie Geflohene ihr Leben inmitten Deutschlands empfinden [5]:

Dann kam ich in ein Flüchtlingslager und merkte, dass ich in eine Umgebung gebracht worden war, in der mir sehr vieles auferlegt wurde, ich merkte, dass sie mich zermürben wollen, damit ich nicht mehr der bin, der ich bin sondern so, wie sie mich wollen. Ich wurde von meinem Umfeld getröstet in dieser Zeit, aber es war sehr schwer in der Stadt, in der ich war. Wenn ich auf den Gehwegen lief, gab es Momente, in denen ich mich selbst hasste und mir wünschte gestorben zu sein, um diese Dinge nicht erleben zu müssen. Situationen, in denen jemand, der mich überhaupt nicht kannte und nicht wusste, wer ich bin und woher ich komme, nur allein wegen meiner Haut- oder Haarfarbe die Straßenseite wechselte, sich dabei fast von einem Auto anfahren ließ, nur um nicht mit mir auf dem selben Gehweg zu sein. Und irgendwann... Sie versetzen dich in eine Lage und sie wissen genau, was sie tun, sie machen das alles, damit der Flüchtling irgendwann aufgibt und sogar Dinge tut, die sein Leben in Gefahr bringen. Unter den katastrophalen Zuständen in den Lagern geht es irgendwann einfach nicht mehr... sie bringen uns tagtäglich Stück für Stück um, vielleicht nicht physisch, aber psychisch, sie zerstören dich.


Fußnoten:

[1] http://www.sueddeutsche.de/muenchen/fluechtlinge-im-hungerstreik-heimatlos-an-der-isar-1.1706661

[2] http://www.sueddeutsche.de/muenchen/hungerstreik-in-muenchen-fluechtlinge-im-krankenhaus-1.1707044

[3] http://news.de.msn.com/lokal/muenchen/hungerstreik-am-rindermarkt-15-asylbewerber-im-krankenhaus

[4] http://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.altstadt-fluechtlinge-demonstrieren-hungerstreik-drama-am-rindermarkt.085f7d07-6aad-4f33-be8f-6bd4043a125d.html

[5] http://www.regensburg-digital.de/hungerstreik-das-leben-von-menschen-oder-ein-paar-stucke-papier/26062013/

27. Juni 2013