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BERICHT/094: Meilensteine im Kampf gegen Zwangsheirat (frauensolidarität)


Terre des Femmes in der frauensolidarität - Nr. 116, 2/11

Meilensteine im Kampf gegen Zwangsheirat:

"Die Ehe darf nur auf Grund der freien und vollen Willenserklärung der zukünftigen Ehegatten geschlossen werden."
(Aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, 1948)

Von Sibylle Schreiber


Im März 2011 wurde im Deutschen Bundestag ein Gesetzespaket verabschiedet, das neben Änderungen im Ausländerrecht auch einen eigenen Straftatbestand zu Zwangsheirat und ein verbessertes Rückkehrrecht bei Heiratsverschleppung beinhaltet. Damit ist ein Etappenziel für TERRE DES FEMMES erreicht.


Zwangsheirat - ein eigener Straftatbestand

Zu Beginn der Arbeit zu diesem Schwerpunkt im Jahr 2002 war die Problematik von Zwangsverheiratungen in der deutschen Öffentlichkeit noch völlig unbekannt. Bei TERRE DES FEMMES waren immer wieder Anrufe von Betroffenen und Lehrkräften eingegangen, in denen von Zwangsverheiratungen von Schülerinnen in den Sommerferien berichtet wurde. Die Mädchen tauchten im neuen Schuljahr einfach nicht mehr auf. Alarmiert durch diese Berichte, startete TERRE DES FEMMES die einjährige Kampagne "STOPPT Zwangsheirat".

PolitikerInnen, MitarbeiterInnen von Behörden und Beratungsstellen wussten damals noch wenig über das Phänomen der Zwangsverheiratung, und es existierten nur zwei spezifische Schutzeinrichtungen zur Unterbringung von Betroffenen. Hier bestand offensichtlich großer Handlungsbedarf. Die Kampagne löste ein großes Medienecho aus. Das Plakatmotiv "Wer entscheidet, wen du heiratest?" sowie die Unterrichtsmappe, beides speziell für Schulen entwickelt, fanden großen Absatz. Auch die verschiedenen Veranstaltungen im Rahmen der Kampagne stießen auf reges Interesse.

Die damalige Justizministerin Baden-Württembergs war durch ihre Tätigkeit als Familienanwältin schon mit der Problematik der Zwangsverheiratungen konfrontiert worden und bot TERRE DES FEMMES eine Zusammenarbeit an. Aus diesem Engagement entstand die erste baden-württembergische Gesetzesinitiative zu dem Thema, die in den Bundesrat einging. In diesem Entwurf fanden sich bereits die schließlich im März 2011 geregelten Aspekte: ein eigener Straftatbestand für Zwangsheirat, ein verändertes Rückkehrrecht nach Deutschland für die im Ausland betroffenen Frauen sowie die Möglichkeit, eine so entstandene Ehe zu annullieren und nicht auf eine Scheidung warten zu müssen.

Viele Stolpersteine in der Gesetzgebung hielten den Entwurf jedoch lange in einer Warteschleife. Zunächst wurde das veränderte Rückkehrrecht in den Vorverhandlungen der Länder aus dem Entwurf gestrichen, doch auch nach der Annahme der veränderten Version im Bundesrat Anfang 2005 konnte sich die Regierungskoalition im Bundestag nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen. 2009 schließlich, unter der neu gewählten schwarz-gelben Regierung, wurden die Schaffung des eigenen Straftatbestands sowie die Zusage umfassender Präventions- und Schutzmaßnahmen tatsächlich im Koalitionsvertrag formuliert.

Allerdings beinhaltet das jetzt verabschiedete Gesetz auch eine Erhöhung der Ehebestandszeit zur Erreichung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts von zwei auf drei Jahre. Konnten bisher Frauen, die aus dem Ausland zu einem Ehegatten nach Deutschland gezogen waren, nach zwei Jahren Aufenthalt in Deutschland ein eigenständiges Aufenthaltsrecht bekommen, müssen sie jetzt ein weiteres Jahr warten. TERRE DES FEMMES warnte vor den Folgen dieser Gesetzesänderung. Frauen, die sich in einer Gewaltbeziehung befinden, warten aus Angst vor einer Abschiebung häufig diese Frist ab, bevor sie sich von ihrem Peiniger trennen. Zwar existiert eine Härtefallregelung bei häuslicher Gewalt, allerdings muss es für die verübte Gewalt ZeugInnen geben, und häufig muss sie durch ärztliche Atteste nachgewiesen werden. Diese Anforderungen stellen für manche eine unüberwindliche Hürde dar, die nur durch Abwarten der Frist umgangen werden kann. TERRE DES FEMMES setzt sich dafür ein, dass die Frist wieder verkürzt wird.


Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung

Neben Bemühungen um eine veränderte Gesetzgebung hat TERRE DES FEMMES in den vergangenen Jahren auch auf anderen Ebenen wichtige Arbeit geleistet. Nach der Kampagne "STOPPT Zwangsheirat" wurde das Thema Zwangsheirat auch in der zweijährigen Kampagne "NEIN zu Verbrechen im Namen der Ehre" von 2004 bis 2006 wieder aufgegriffen und in den Gesamtkontext von Frauenrechtsverletzungen im Namen der Familienehre gestellt.

Nicht nur in Deutschland kommt Zwangsheirat erschreckend häufig vor, auch andere EU-Länder müssen sich mit dem Thema auseinandersetzen. Von 2003 bis 2004 arbeitete TERRE DES FEMMES im europäischen Projekt "Shehrazad: Combating Violence in the Name of Honour" mit verschiedenen Organisationen aus Großbritannien, Griechenland, Schweden und Spanien zusammen. Aus diesem Projekt gingen gemeinsame und auch nationale Handlungsempfehlungen hervor, die Handlungsgrundlage für viele Aktionspläne und Arbeitsgruppen in Kommunen sowie auf Bundes- und Länderebene wurden.


Neben der allgemeinen Sensibilisierung der Öffentlichkeit ist die kompetente Beratung betroffener Mädchen und Frauen ein wichtiger Schwerpunkt in der Arbeit von TERRE DES FEMMES. Dazu gehörte auch die Förderung von speziellen Beratungsangeboten und Schutzeinrichtungen. Der 2007 von TERRE DES FEMMES entwickelte Hilfsleitfaden für Beratungsstellen wurde für viele Institutionen zu einer wichtigen Stütze bei der Arbeit mit betroffenen Mädchen und Frauen (Download auf der Seite www. zwangsheirat.de).

Um betroffene Mädchen über Handlungsmöglichkeiten bei einer Zwangsverheiratung und eventueller Verschleppung ins Ausland zu informieren, wurde im selben Jahr der Nothilfe-Flyer von TERRE DES FEMMES erstellt. 200.000 Stück wurden bereits an Jugendliche verteilt. Als wichtige Informationsquelle hat TERRE DES FEMMES das Onlineportal www.zwangsheirat.de im Zuge eines europäischen Projektes aufgebaut. Das Portal bietet Grundlageninformationen, verweist auf Beratungsstellen vor Ort und enthält eine ExpertInnendatenbank. Zusätzlich bietet es ExpertInnen ein digitales Austauschforum.

Ein weiteres wichtiges Ziel im Kampf gegen Zwangsheirat ist die gezielte Sensibilisierung und Vernetzung von BehördenmitarbeiterInnen vor Ort, denn deren systematisches Handeln kann im Ernstfall Leben retten. Deswegen hat TERRE DES FEMMES in einem europäischen Pilotprojekt zehn Vernetzungsworkshops in Baden-Württemberg durchgeführt.

Ein wichtiges Fundament für die politische Arbeit sind verlässliche Daten. In den vergangenen Jahren gab es in Deutschland zwar einzelne Untersuchungen in Hamburg, Bremen und Berlin, die deutlich machten, dass es sich bei Zwangsverheiratungen in Deutschland keineswegs um Einzelphänomene handelt. Eine bundesweite Erhebung existierte bislang aber nicht. Seit 2009 arbeitet TERRE DES FEMMES im Auftrag des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend zusammen mit der Hamburger Lawaetz Stiftung und dem Büro für sozialpolitische Beratung Torsten Schaak an einer solchen Studie. Die Ergebnisse werden für den Frühsommer 2011 erwartet.


Nach fast zehn Jahren engagierter Arbeit hat sich viel verändert: Die Menschenrechtsverletzung Zwangsverheiratung ist kein Tabuthema mehr: Doch trotz der Zunahme spezialisierter Beratungsstellen, trotz vermehrter Publikationen wie auch mehreren Arbeitskreisen in einigen Bundesländern und zahlreichen Fachveranstaltungen zu dem Thema bleiben noch viele Forderungen umzusetzen.


Zur Autorin:
Sibylle Schreiber war von 2005 bis 2008 im TDF-Referat Gewalt im Namen der Ehre beschäftigt und ist heute Fachbereichsleiterin bei TERRE DES FEMMES.

Terre des Femmes
Menschenrechte für die Frau e. V.
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E-Mail: info@frauenrechte.de
Internet: www.frauenrechte.de


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Quelle:
Terre des Femmes in der Frauensolidarität Nr. 116, 2/2011, S. 24-25
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Senseng 3, 1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org

Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro;
Jahresabo: Österreich und Deutschland 20,- Euro;
andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Oktober 2011