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KAMPAGNE/083: Kein Schnitt ins Leben! - Kampagne gegen Genitalverstümmelung (frauensolidarität)


TERRE DES FEMMES in der frauensolidarität - Nr. 112, 2/10

Kein Schnitt ins Leben!
Kampagne gegen Genitalverstümmelung

Von Franziska Gruber und Elena Zondler


Im November 2008 startete TERRE DES FEMMES in Deutschland die bundesweite zweijährige Kampagne "KEIN SCHNITT INS LEBEN!" Ziel ist es, die Öffentlichkeit auf diese schwere Menschenrechtsverletzung aufmerksam zu machen, betroffene Frauen und Familien zu unterstützen und gefährdete Mädchen wirksam zu schützen. Heute leben in Deutschland über 20.000 bereits betroffene Frauen. Über 5.000 Mädchen sind gefährdet, hierzulande oder in den Ferien im Heimatland der Eltern an ihren Genitalien verstümmelt zu werden.


TERRE DES FEMMES engagiert sich seit über 25 Jahren für ein Ende weiblicher Genitalverstümmelung (engl. Female Genital Mutilation, kurz FGM). Weltweit sind 150 Millionen Mädchen und Frauen von dieser schweren Menschenrechtsverletzung betroffen. Bei der Auftaktveranstaltung der aktuellen Kampagne im Berliner Abgeordnetenhaus wurde die Wanderausstellung "Sie versprachen mir ein herrliches Fest..." feierlich eröffnet. Seitdem tourt die Ausstellung durch zahlreiche deutsche Städte und ist im Juni in Stuttgart zu sehen. Auf über 20 bedruckten Fahnen informiert TERRE DES FEMMES über die Fakten und Hintergründe zu FGM und stellt Initiativen in afrikanischen Ländern vor, die sich für ein Ende dieser Praxis einsetzen. Neben Filmen, die zur Ausstellung gezeigt werden können, kann über Dorothea Walter (www.do-wa.de) die Performance "Liebe die Rose" gebucht werden. Mit Unterstützung der Agentur Heymann Brandt de Gelmini erstellte TERRE DES FEMMES den Kampagnenclip "Alle 11 Sekunden...", der im Internet, im Fernsehen und seit Kurzem auch in Kinos auf die Ausmaße weiblicher Genitalverstümmelung aufmerksam macht. Mit diesen verschiedenen Medien gestalteten Städtegruppen und Engagierte von TERRE DES FEMMES im Rahmen der Kampagne zahlreiche Veranstaltungen.


Aktionen und Erfolge

Im Juli 2009 fasste der Bundestag den Entschluss, dass die Verjährungsfrist bei Kindesmisshandlung bis zum Erreichen des 18. Lebensjahrs der Betroffenen ruht. Das heißt, dass die Opfer von Kindesmisshandlungen und weiblicher Genitalverstümmelung bis zu ihrem 28. Lebensjahr strafrechtlich gegen die Täter vorgehen können. Anlass war ein Antrag im Parlament zu FGM, der allerdings von der Großen Koalition abgelehnt wurde. TERRE DES FEMMES wertet das Ruhen der Verjährung als Teilerfolg und begrüßt es sehr, dass das Thema weibliche Genitalverstümmelung zu einer Verbesserung im Kinderschutz geführt hat, die allen Kindern in Deutschland zugute kommt. Im Februar dieses Jahres nahm der Bundesrat einen gemeinsamen Entwurf der Justizministerien Baden-Württemberg und Hessen für eine Strafgesetzänderung bei FGM an. Der Gesetzesentwurf sieht vor, Genitalverstümmelung als eigenen Straftatbestand in das Strafgesetzbuch und in den Katalog der Auslandsstraftaten aufzunehmen. Dadurch kann strafrechtlich gegen Genitalverstümmelung an Mädchen und Frauen mit Wohnsitz in Deutschland vorgegangen werden, auch wenn diese im Ausland stattfindet. TERRE DES FEMMES begrüßt den Gesetzesentwurf, der nun im Bundestag diskutiert werden soll.

Im September 2009 kam die Verfilmung der Autobiografie "Wüstenblume" von Waris Dirie in deutsche Kinos. TERRE DES FEMMES-Städtegruppen und Mitfrauen in Berlin, Bremen, Burg-hausen, Dresden, Frankfurt/Main, Hamburg, Köln, Konstanz, Leipzig, Marburg, München, Norden, Rottenburg, Solingen, Stuttgart, Trier, Tübingen und Würzburg organisierten Infotische und Filmgespräche in den Kinos.

Am 25.11.2009, dem internationalen Tag "NEIN zu Gewalt an Frauen!", luden die Integrationsbeauftragte von Tempelhof-Schöneberg, Balance e.V. und TERRE DES FEMMES zu einem Fachgespräch zum Thema weibliche Genitalverstümmelung ins Rathaus Schöneberg ein. Diskutiert wurden Möglichkeiten, betroffene Frauen zu erreichen, ihre medizinische Versorgung zu verbessern und gefährdete Mädchen in Deutschland zu schützen.

Zum 6. Februar, dem internationalen Tag "Null Toleranz gegen FGM", beteiligten sich in den vergangenen beiden Jahren zahlreiche TERRE DES FEMMES-Städtegruppen, zum Beispiel in Konstanz, Hamburg, Münster und Tübingen, an unserer Bücheraktion zum 6. Februar. Sie organisierten in Buchhandlungen und Bibliotheken Büchertische und Schaufensterauslagen zum Thema FGM. Die Aktion wurde 2010 das erste Mal von Buchverlagen mit Hinweisen auf ihren Homepages und von TERRE DES FEMMES Schweiz unterstützt.


Aktuelle Unterschriftenaktion

Zum selben Datum startete Waris Dirie die internationale Kampagne "STOP FGM NOW!". TERRE DES FEMMES unterstützt die Kampagne, die das Engagement mehrerer Organisationen für ein Ende von FGM bündeln und konkrete Möglichkeiten zur Unterstützung von Projekten geben will. Irmingard Schewe-Gerigk, TERRE DES FEMMES-Vorstandsvorsitzende, nutzte die Pressekonferenz zum Start der Kampagne in Berlin, um zur Unterstützung unserer aktuellen Unterschriftenaktion aufzurufen: TERRE DES FEMMES setzt sich für eine Verbesserung der medizinischen Versorgung der über 20.000 von FGM betroffenen Frauen in Deutschland ein.

Eine von ihnen ist die 25-jährige Halima. Halima floh mit 18 Jahren aus Somalia nach Deutschland. Sie wurde - wie alle Mädchen in Somalia - als kleines Mädchen beschnitten und ihre Vagina bis auf eine kleine Öffnung zugenäht. Als Halima das erste Mal in Deutschland eine Gynäkologin aufsuchte, erklärte ihr diese, dass eine öffnende Operation ihre Probleme beim Wasserlassen und ihre starken Menstruationsschmerzen beenden könnte. Halimas Ärztin stellte fest, dass Genitalverstümmelung nicht im medizinischen Diagnoseschlüssel enthalten ist. Außerdem weigerte sich Halimas Krankenkasse, die Kosten der notwendigen Operation zu übernehmen, da die Behandlung der Folgen weiblicher Genitalverstümmelung nicht im Abrechnungsverzeichnis der Krankenkassen auftaucht. Selbst kann Halima die Kosten der Operation nicht übernehmen.

Mit der Unterschriftenaktion fordert TERRE DES FEMMES, die Folgen weiblicher Genitalverstümmelung in den medizinischen Diagnoseschlüssel aufzunehmen, sowie medizinische Behandlungen nach FGM in den EBM (Einheitlicher Bewertungsmaßstab) bzw. in die GOÄ (Gebührenordnung für Ärzte) aufzunehmen, so dass Krankenkassen die Kosten für Behandlungen und Beratungsgespräche übernehmen. Unter www.frauenrechte.de kann die Aktion auch online unterstützt werden. Die Kampagne "KEIN SCHNITT INS LEBEN" und die Unterschriftenaktion laufen noch bis 25.11 d.J. Anschließend sollen die Unterschriften an das Bundesgesundheitsministerium in Berlin übergeben werden.


Ausblick

TERRE DES FEMMES wird sich über die Kampagne hinaus gegen weibliche Genitalverstümmelung stark machen. Daher setzen wir uns dafür ein, dass es mehr Beratungsangebote für betroffene Frauen und ihre Familien gibt. ÄrztInnen, LehrerInnen, Hebammen, ErzieherInnen sowie SozialarbeiterInnen müssen geschult werden, um aufklärend wirken zu können sowie mögliche Fälle von FGM zu erkennen und so die Mädchen schützen zu können.
Außerdem sollten alle Kinder in Deutschland, unabhängig von Herkunft oder Geschlecht, verbindlich an den ärztlichen Vorsorgeuntersuchungen teilnehmen. ÄrztInnen sollten es melden müssen, wenn sie entdecken, dass ein Mädchen bereits verstümmelt ist. Dann sind Schwestern und Cousinen extrem gefährdet und müssen wirksam geschützt werden.
Wir werden nicht aufhören, uns für ein Ende weiblicher Genitalverstümmelung einzusetzen, damit unsere Vision von einer Welt, in der Mädchen und Frauen gleichberechtigt, selbstbestimmt und frei leben können, Wirklichkeit wird. Unterstützen Sie uns dabei!


Wenn Sie unsere Arbeit unterstützen wollen, spenden Sie bitte unter dem Stichwort "Genitalverstümmelung" auf das Konto Nr. 881999 bei der Kreissparkasse Tübingen (BLZ 641 500 20).


Zu den Autorinnen:

Franziska Gruber ist TERRE DES FEMMES-Referentin gegen Genitalverstümmelung.
Elena Zondler ist Praktikantin im Referat Genitalverstümmelung und beginnt in Kürze mit ihrem Ethnologiestudium.


TERRE DES FEMMES
Menschenrechte für die Frau e. V.
Postfach 2565, 72015 Tübingen
Telefon: 07071/79 73-0, Telefax: 07071/79 73-22
E-Mail: info@frauenrechte.de
Internet: www.frauenrechte.de


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 112, 2/2010, S. 20-21
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Sensengasse 3, 1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org

Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro;
Jahresabo: Österreich und Deutschland 20,- Euro;
andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Juli 2010