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HINTERGRUND/129: "Our Rivers, Our Life" - Umweltschutz ist Armutsbekämpfung


die zeitung - terre des hommes, 1. Quartal 2007

Natürlicher Reichtum für alle
"Our Rivers, Our Life": Umweltschutz ist Armutsbekämpfung

Von Iris Stolz


Das Dorf Dalu "entwickelt" sich: Seit einigen Jahren verfügt es über elektrischen Strom und eine Durchgangsstraße. Es gibt einen Laden, in dem die Kinder Gummibärchen und Softdrinks kaufen können, und im Lokal nebenan steht ein Computer mit den neuesten Spielen. Immer häufiger hört man seitdem in Dalu: "Mama, hast du etwas Geld für mich? "

Die Vergnügungen von früher sind dagegen nicht mehr möglich: Im Fluss Belumai, der durch das Dorf mäandert und Jahrhunderte lang Fischmarkt, Spielplatz und Badeanstalt an heißen Sommertagen war, schwimmen giftige Abfälle aus den Fabriken, die flussaufwärts Textilien, Papier oder Snacks herstellen.

Statt "Entwicklung" könnte man diese Veränderungen auch wertneutraler benennen: Es ist die Verdrängung einer Kultur, die mit und von der Natur lebt, durch eine andere, deren Lebenspuls Markt, Geld und Konkurrenz sind. Sie hat Sonnenseiten - sonst wäre sie nicht so verführerisch. Meistens sind diese jedoch für jene reserviert, die die entsprechende Kaufkraft haben - den anderen bleibt nur der Traum, eines Tages auch dazuzugehören. Und sie hat Schattenseiten. Diese treffen alle, aber in besonderem Maße jene, die Computerspiele, Badeanstalten und Fast Food nicht bezahlen können und auf das zurückgreifen müssen - und manchmal auch wollen - was die Natur den Menschen kostenlos zur Verfügung stellt: Wälder, Flüsse, Seen und Meere mit ihrem vielfältigen Reichtum.

Das Problem: Die Geschenke der Natur sind zwar reichlich, aber nicht unerschöpflich; und im Zuge der Globalisierung werden sie immer härter umkämpft: Staudämme, Bergbau, Fabriken und große Plantagen für den Export haben überall auf der Welt unter dem Slogan "Fortschritt und Entwicklung" ihren Zugriff auf die Natur und ihre Potentiale beschleunigt.

"Land wird von Großeignern gebunkert, Fischgründe werden von Industrieflotten abgeerntet ... und Elendsquartiere in der Stadt bevölkern sich mit von Staudamm- und Plantagenprojekten Vertriebenen", stellt Wolfgang Sachs vom Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt und Energie fest. Sein Resümee: Armut enthülle sich allzu oft als eine Nebenwirkung von Reichtumserzeugung, Armutsbekämpfung und Umweltschutz seien heute nicht mehr voneinander trennbar. In vielen Regionen beobachten terre des hommes-Partner, wovon Wolfgang Sachs spricht, und sie versuchen, die Betroffenen zu unterstützen:


Beispiel Peru: Der Rio Torata und die Kupfermine

"Früher gab es im Rio Torata viele Fische", erzählt Bauer Alberto aus der peruanischen Provinz Moquegua. "Heute ist es ein toter Fluss. Auch der Mais sieht schlecht aus, die Erde ist voller Schwermetalle." Seit die Southern Peru Copper Corporation am Oberlauf des Torata eine große Kupfermine betreibt, ist das Leben der Bauern im Flusstal von Jahr zu Jahr schwerer geworden: Sie befürchten, dass sie ihre Produkte wegen der hohen Schadstoffbelastung bald nicht mehr verkaufen können. Und obwohl sie wissen, dass das Wasser des Rio Torata sich nicht mehr zum Trinken eignet, bleibt ihnen oft keine andere Möglichkeit; denn viele Dörfer haben bis heute kein Leitungswasser. "Die Southern stiehlt das beste Wasser und den Menschen bleibt nichts", resümiert Bauer Alberto. "Wenn die Mine geht, wird dieses Land nichts mehr wert sein. Was wird dann aus unseren Kindern?"

In Peru gibt es etwa 250 Minen, in denen Gold, Kupfer, Zinn und andere wertvolle Metalle abgebaut werden. Die Technologie ist häufig veraltet und kaum an Umweltstandards orientiert - das würde mehr Geld kosten als die Bestechung korrupter Politiker. In der Provinz Moquegua fangen die Bauernfamilien an sich zu wehren, wenn die Wasserquellen, die aus den hohen Andenlagen in die Täler fließen und dabei seit Jahrhunderten den Durst von Menschen, Tieren und Pflanzen stillen, zunehmend vergiftet werden oder auf Grund extensiver Nutzung austrocknen. Unterstützt werden sie dabei vom terre des hommes-Partner LABOR.


Beispiel Kolumbien: Palmöl für den Klimaschutz?

Am Unterlauf des Rio Atrato, einem Fluss in der kolumbianischen Provinz Chocó, haben die Kleinbauern ein anders Problem: den Agrokraftstoffboom. Immer stärker wird ihr fruchtbares Land von Großbetrieben begehrt, die hier Bananen und neuerdings vor allem Ölpalmen pflanzen wollen. Klima, Wasserreichtum und Böden sind dafür wie geschaffen, der Markt für Agrokraftstoffe aus Zuckerrohr, Mais, Soja und Palmöl boomt - vor allem seit der Klimaschutz auf der weltpolitischen Tagesordnung steht.

Die Vertreibung der Bauernfamilien durch Paramilitärs, die terre des hommes seit Jahren anprangert, hat nun weitere Nutznießer: Investoren, die das Land für die lukrative Exportproduktion haben wollen.

Während die Ölpalmen-Plantagen am Rio Atrato wachsen, wird die Ackerfläche der Kleinbauern immer kleiner und der Wald mit seiner immensen Artenvielfalt verschwindet. Dass aber der so genannte "Biokraftstoff" dem Klimawandel wirklich Einhalt gebieten kann, wird inzwischen auch von Experten bestritten: Denn für die Palmölproduktion werden in vielen Gegenden der Welt Regenwälder abgeholzt oder niedergebrannt - ein weitaus größerer Schaden auch für das Klima.


Beispiel Indien: Der Noyal-River und die Textilidustrie

Die Farbe des Noyal-River wechselt - je nachdem welche Modefarbe in Europa gerade en vogue ist. Denn wo er durch die indische Stadt Tirupur fließt, haben sich an einem fast 30 Kilometer langen Uferstreifen etwa 200 Färbereien und Bleichereien angesiedelt, die der Textilindustrie zuarbeiten. Tag für Tag leiten sie tausende Kubikmeter Abwasser in den Noyal, darin sind auch krebserregende Stoffe und Natrium, das die Gegend unfruchtbar macht.

"Überall stieß ich auf verlassene Häuser und versteppte, unfruchtbare Felder", beschreibt der Wissenschaftsjournalist Fred Pearce in seinem Buch "Wenn die Flüsse versiegen" die Gegend im Umkreis eines Wasserreservoirs des Noyal, das einst gebaut wurde, um den Bauern gute Ernten zu ermöglichen. Nun sickere hier das giftige Wasser Jahr für Jahr in den Boden und weiter in die unterirdischen Wasserspeicher. Im Umkreis des Beckens habe sich das Gift auf zwei Kilometer und flussabwärts auf eine Länge von etwa zehn Kilometern ausgebreitet.

Den Bauern bleibt nur eine Möglichkeit: Sie suchen sich Arbeit in den Städten - zum Beispiel in den Textilfabriken von Tirupur, die für die Zerstörung ihrer Lebensgrundlage verantwortlich sind.


Beispiel Südostasien: Der Mekong und der "Fortschritt"

"Der Mekong trocknet allmählich aus", lautete im April 2007 eine Meldung in der Frankfurter Rundschau. Dafür seien auch zwei Dämme verantwortlich, die China im oberen Teil des Flusses, der dort Lancang heißt, zwecks Energiegewinnung gebaut hat. Die Einbußen in der Fracht- und Tourismusindustrie seien beträchtlich, da die Schiffe sich kaum mehr fortbewegen könnten.

Die eigentliche Tragödie findet dagegen kaum Erwähnung: Zusammen mit der Sprengung von Stromschnellen, die 2001 begann und den Mekong zwischen Simao in China und Luang Prabang in Laos für große Frachtschiffe befahrbar machen soll, haben die Staudammbauten bewirkt, dass die Schwankungen des Wasserstandes und die Fließgeschwindigkeit unberechenbar geworden sind. Die Landwirtschaft am Flussufer ist beeinträchtigt. Auch die Fischbestände - im Mekong leben über 1000 verschiedene Arten - sind drastisch zurückgegangen. "Wer nicht mehr genug Fisch fängt, geht in die Stadt", so ein Fischer aus Thailand. "Sogar Kinder versuchen jetzt, dort Geld zu verdienen."


"Our Rivers, Our Life": Kinder beschützen ihre Flüsse

Die terre des hommes-Partner beobachten seit Jahren, dass Armut von Kindern oft nicht durch die "Rückständigkeit" ihrer Familien verursacht wird, sondern durch die ungehemmte Ausbeutung und Zerstörung der Natur. Weil Flüsse und Seen die Lebensgrundlage für Millionen Menschen sind und zugleich - wie der WWF (World Wide Fund for Nature) in seinem Living Planet Report 2006 feststellte - die derzeit am stärksten gefährdeten Ökosysteme, haben sie in Südoastasien die Kampagne "Our Rivers, Our Life" beschlossen: Zehn Flüsse in sieben Ländern haben sie in den Blick genommen. Mit Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit, Umwelterziehung und der Mobilisierung von Kinder- und Jugendgruppen wollen sie bewirken, dass die Flüsse Mekong, Salween, Mae Kok, Mae Korn, Tonle Sap, Dong Nai, Pulangi, Agusan, Cisadane und Khon Sedon auch in der Zukunft den Menschen als Geschenk der Natur erhalten bleiben.

Diese Kampagne und ähnliche Aktivitäten in anderen Weltregionen sollen unterstützt und so die Lobby derer gestärkt werden, die sich statt für kurzfristige Wirtschaftsinteressen für langfristige Menschheitsinteressen einsetzen. Denn "Zukunft für Kinder sichern" heißt auch, sich um den Erhalt ihrer natürlichen Lebensgrundlage zu kümmern: "Our Rivers, Our Life" ist ein Anfang.


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Quelle:
die zeitung, 1. Quartal 2007, S. 5
Herausgeber: terre des hommes Deutschland e.V.
Hilfe für Kinder in Not
Ruppenkampstraße 11a, 49084 Osnabrück,
Tel.: 0541/71 01-0, Fax: 05 41/70 72 33
E-Mail: info@tdh.de
Internet: www.tdh.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. September 2007