Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → TERRE DES HOMMES

HINTERGRUND/130: Kinder der Gewalt - Frieden ist ein Kinderrecht


die zeitung - terre des hommes, 4. Quartal 2007

Kinder der Gewalt
Frieden ist ein Kinderrecht

Von Ralf Willinger


"Alles begann, als ich merkte, dass meine Familie mich nicht verstand. Meine Eltern waren mit ihren eigenen Problemen so beschäftigt, ich war für sie unsichtbar." Alfredo, ein Junge aus El Alto in Bolivien, verbringt daraufhin immer mehr Zeit auf der Straße. Er wird Mitglied einer Jugendbande.


Gemeinsam mit seinen "Brüdern" lernt er, wie man überlebt, wie man sich gegenüber anderen Banden und der Polizei behauptet, wie man stiehlt. "Das machen wir aus der Not, wir sind eben arm und müssen uns Essen besorgen. Aber auch aus Wut: weil wir an den Rand gedrängt werden, weil unsere Mitmenschen uns verachten."

Auf der Straße suchen Jugendliche in vielen Ländern das, was Familie und Gesellschaft ihnen nicht geben: Respekt. "Die Straße ist der Platz, wo wir akzeptiert werden. Auf der Straße fühle ich Solidarität und Freiheit", sagt Alfredo.

Doch das Leben auf der Straße hat auch eine andere, brutale Seite: Viele Kinder und Jugendliche geraten in einen Kreislauf aus Kriminalität und Gewalt, der oft fatale Folgen hat. In Bürgerkriegsländern wie Kolumbien, Burma oder dem Kongo leben auch viele Kinder auf der Straße, die aus ihren Heimatdörfern vertrieben wurden. Sie sind in Gefahr, von bewaffneten Gruppen als Soldaten rekrutiert zu werden, zwangsweise oder "freiwillig", gegen einen geringen Sold. Solche Kindersoldaten sind oft durch die Kriegs- und Gewalterfahrungen schwer traumatisiert, ihre Behandlung und Genesung ist langwierig. Und auch vertriebene Kinder oder Opfer häuslicher Gewalt tragen tiefe seelische Verletzungen davon.

Es ist deshalb wichtig, diesen Kreislauf der Gewalt möglichst früh zu unterbrechen und den Kindern Alternativen zu bieten. terre des hommes und seine Partner gehen hier verschiedene Wege - einer davon ist Aufklärung: Kinder, Eltern, Lehrer und die Öffentlichkeit müssen wissen, was Kinder als Soldaten erleiden, weswegen sie auf der Straße leben oder was vertriebene Kinder durchlebt haben. Denn Menschen, die das Schicksal solcher Kinder verstehen, können in vielen Fällen helfen oder weiteres Leid verhindern. Und oft reichen schon kleine Gesten: Eine Studie in einer Kleinstadt bei Cali in Kolumbien ergab, dass das Gewaltpotential von Mitgliedern einer Jugendbande schon dadurch verringert werden kann, dass Mitmenschen sie auf der Straße grüßen statt sie zu ignorieren.

Ein anderer wichtiger Weg ist die Ermutigung und Stärkung der Kinder: terre des hommes-Projekte in Kolumbien, auf den Philippinen oder in Südafrika sind ein Ort wo sie sicher sind, wo sie Respekt und Liebe erfahren und ihr Selbstbewusstsein entwickeln können. Hier wird gemalt, Musik gemacht, Theater gespielt und gemeinsam gefeiert - dabei können die Kinder ihre Gewalterfahrungen verarbeiten. Ein zentrales Element solcher Projekte sind Schul- und Berufsausbildung, damit Kinder und Jugendliche eine Perspektive für die Zukunft haben.

Für viele von ihnen sind solche Projekte ein Wendepunkt. "Ich kam hier völlig runtergekommen an, Menschen und das Leben stellten für mich keinen Wert mehr dar", erzählt ein junger Rapper aus Kolumbien, der durch den Krieg in ein Randviertel von Bogotá vertrieben wurde. "Durch das Projekt Taller de Vida (Werkstatt des Lebens) und meine Musik habe ich gelernt, Menschen und das Leben wieder zu achten."

Auch das Leben von Alfredo aus El Alto änderte sich, als er das terre des hommes-Projekt CEADL kennenlernte. Heute leitet er selber eine Theatergruppe für ausgegrenzte Kinder und Jugendliche. "Aus meiner Wut ist die Überzeugung geworden, dass wir Straßenkinder und Jugendliche Rechte haben und die Welt verändern können."


*


Quelle:
die zeitung, 4. Quartal 2007, S. 1
Herausgeber: terre des hommes Deutschland e.V.
Hilfe für Kinder in Not
Ruppenkampstraße 11a, 49084 Osnabrück,
Tel.: 0541/71 01-0, Fax: 05 41/70 72 33
E-Mail: info@tdh.de
Internet: www.tdh.de

die zeitung - terre des hommes erscheint
4 Mal jährlich. Der Verkaufspreis wird durch Spenden
abgegolten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. November 2007