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HINTERGRUND/133: Die Kartoffel und ihre Bedeutung als Kulturpflanze


die zeitung - terre des hommes, 4. Quartal 2007

Die Kraft der Knolle
Die Kartoffel und ihre Bedeutung als Kulturpflanze

Von Athanasios Melissis


Sie heißt Gloria, Lady Christel oder Erntestolz. Sie schmeckt erdig oder buttrig, ist festkochend oder mehlig, und sie ist des Deutschen liebstes Gemüse: die Kartoffel. Durchschnittlich werden hierzulande pro Jahr und pro Kopf etwa 70 Kilogramm verzehrt. Um ihre Rolle als Kulturpflanze und ihren Beitrag zur Sicherung der Welternährung zu würdigen, hat die UNO das Jahr 2008 zum Internationalen Jahr der Kartoffel erklärt.


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Ein Aufschrei ging vor gut zwei Jahren durch die Republik, als die Medien berichteten, dass die Kartoffel "Linda", eine der in Deutschland beliebtesten Sorten, aus den Supermarktregalen verschwinden sollte. Auslöser der Empörung war, dass die Europlant Pflanzenzucht GmbH, die die Rechte an Linda besitzt, die Zulassung der Sorte zurückzog, um diese komplett vom Markt zu nehmen. Linda sollte durch eine neue, lukrativere Züchtung ersetzt werden. Verbraucherverbände gingen auf die Barrikaden, Bauern reichten Klagen ein und warben mit dem Slogan "Solidarität mit Linda" um die Rettung der Kartoffelsorte. Der Erfolg der Kampagne war enorm. Und er zeugte davon, welche Beliebtheit die Kartoffel auf deutschen Tellern genießt.

Dabei war der Weg der Kartoffel, um in Deutschland zu solcher Popularität zu gelangen, lang und dornig. Ihren Ursprung hat sie in Südamerika. Papa nannten die Inkas das Nachtschattengewächs, das die Spanier als Patata nach Europa brachten. Auf Italienisch wurde die Pflanze Tartufolo getauft, da man eine Verwandtschaft mit dem Trüffel vermutete. Im Preußen Friedrich des Großen wurde die Tartuffel zunächst an das Vieh verfüttert. Es dauerte mehr als 100 Jahre, bis sich die Kartoffel auf dem Speiseplan durchsetzte. Während der Industrialisierung trat die anspruchslose und nahrhafte Kartoffel auch in anderen europäischen Ländern ihren Siegeszug an. Vielerorts entwickelte sie sich zum Hauptnahrungsmittel der armen Bevölkerung. So auch in Irland, das sich Mitte des 19. Jahrhunderts in einer regelrechten Abhängigkeit von der Kartoffel befand. Als aus Südamerika die so genannte "Kartoffelcholera" eingeschleppt wurde, hatten die in Irland angebauten Kartoffelsorten, die nur von einigen wenigen Vorfahren abstammten, keinerlei Resistenz. In mehreren aufeinanderfolgenden Jahren vernichtete der Schädling ganze Ernten, das Land wurde von verheerenden Hungernöten heimgesucht. Schätzungsweise eine Million Menschen starben.

Trotz zahlreicher historischer Beispiele, dass "biologische Einfalt" katastrophale Konsequenzen haben kann, ist biologische Vielfalt heute keine Selbstverständlichkeit. Schätzungen zufolge werden 95 Prozent aller Nahrungsmittel auf der Welt aus 30 Pflanzen hergestellt. Diese Entwicklung liegt im Interesse der Agroindustrie begründet, durch Hybridsaatgut und Monokulturen die Gewinnspanne möglichst hoch zu halten. Doch inzwischen gibt es zahlreiche Initiativen, die den risikoreichen Anbau von Monokulturen ablehnen und sich gegen den Einfluss der Konzerne wehren. In Lateinamerika und Südostasien arbeitet terre des hommes gemeinsam mit lokalen Organisationen daran, die Vielfalt der Sorten zu erhalten und die Bauern unabhängiger vom teueren Saatgut der Pflanzenzucht-Unternehmen zu machen.

Weltweit gibt es mehrere tausend Kartoffelsorten. Allein in Peru werden etwa 3.500 Sorten gezählt. In Deutschland gibt es etwa 150 Sorten, dazu kommen rund 50, die importiert werden. Neben alten Sorten wie Bamberger Hörnchen und Naglerner Kipfler gibt es neuere Züchtungen namens Nicola oder Gloria. Gezüchtet wird, seit es die Kartoffel gibt. In den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts kamen in Nordamerika und Europa neue, sehr ertragreiche Sorten auf. Theoretiker der Entwicklungszusammenarbeit glaubten nun, ein einfaches Rezept gegen den Welthunger gefunden zu haben: Mit einer so genannten "Grünen Revolution" sollten in Afrika, Asien und Lateinamerika traditionelle durch moderne Anbaumethoden und uralte durch neue Sorten Reis und Kartoffeln ersetzt werden. Dadurch - und in Kombination mit dem Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln - sollten die Ernteerträge erhöht werden.

Anfang der 70er Jahre erreichte die "Grüne Revolution" die Andenländer, die "Hochleistungssorten" wurden eingeführt. Anfangs konnten die Bauern die Erträge steigern, doch schon bald kam es immer häufiger zu Missernten. Die neuen Sorten erwiesen sich für das extreme, von Trockenheit und Frost geprägte Andenklima als ungeeignet. Der Boden wurde durch den Einsatz von mineralischem Dünger ausgelaugt, und es bildeten sich gegen die Pestizide resistente Schädlinge heraus. Die wenigen Bauern, die in den ebenen Tälern wirtschafteten, hatten mit den neuen Sorten einen gewissen Erfolg. Doch den Bauern, die an steilen, trockenen Hängen anbauten, ging es nach der Grünen Revolution schlechter. Für Saatgut und Düngemittel brauchten sie immer mehr Geld. Sie begannen, sich zu verschulden, und gerieten in einen Teufelskreis. Die Ernährungssituation der Bevölkerung verschlechterte sich zusehends. Erst durch eine Rückbesinnung auf traditionelle Anbaumethoden und Sorten vermochten viele Bauern, ihre Ernährungs- und Einkommenssituation zu stabilisieren. Beispielsweise unterstützt terre des hommes in Peru ländliche Gemeinden dabei, das überlieferte landwirtschaftliche Wissen soweit es geht praktisch zu nutzen und es für zukünftige Generationen zu bewahren. Die andine Kartoffel gilt unter Experten als wertvolle Züchtungsgrundlage. Die Vielzahl an Sorten, die sich in den Anden über viele Generationen herausgebildet haben, ist das Ergebnis von Züchtungsprozessen und kann die Basis für künftige Sorten bilden. Doch sieht ein Bauer in Bolivien oder Burkina Faso keinen Cent für die geleistete Züchtungsarbeit. In aller Regel verdienen die Pflanzenzucht-Unternehmen, die auf bestimmte Sorten Patente anmelden und ihre Vertriebsmöglichkeiten nutzen. Ansätze, an dieser Situation etwas zu ändern, gibt es erst seit kurzem. Die Welternährungsorganisation FAO setzt inzwischen mit dem "Internationalen Vertrag über pflanzengenetische Ressourcen" einen Rahmen für den Erhalt von Sorten. Dieser regelt unter anderem die Rechte von Bauern sowie einen so genannten Vorteilsausgleich, wenn ein Staat von den pflanzengenetischen Ressourcen eines anderen Staates profitiert. Deutschland hat diesen Vertrag im Jahr 2003 ratifiziert. Hierzulande regelt zudem der Sortenschutz das Verhältnis zwischen dem Allgemeingut "biologische Vielfalt" und ökonomischen Interessen. Bedient sich ein Züchter aus dem Allgemeingut und schafft daraus etwas Neues, muss er es nach einem begrenzten Zeitraum wieder der Allgemeinheit zur Verfügung stellen. Bei Kartoffeln hat ein Züchter 30 Jahre Zeit, um an der neuen Sorte so viel zu verdienen, dass sich ihre Entwicklung gelohnt hat. Danach kann jeder nach Lust und Laune die Züchtung nutzen. Der Streit um Linda ist demnach auch ein Konflikt um die prinzipielle Frage, wem biologische Vielfalt eigentlich gehört.

In der juristischen Auseinandersetzung erreichten die streitbaren Landwirte, dass Europlant zusagte, Linda bis 2007 zu vermarkten. Gleichzeitig beantragten sie eine Neuzulassung als Sorte. Eine endgültige Entscheidung soll Anfang 2008 fallen. Die Chancen, dass Linda Deutschlands Esstischen erhalten bleibt, stehen gut. Doch wie der Streit auch ausgehen mag: Er hat die Verbraucher gestärkt und gezeigt, dass man den Entscheidungen der Konzerne nicht machtlos gegenüberstehen muss. Und er hat dem Konsumenten die Frage der Ernährungssouveränität vergegenwärtigt: Sollen Konzerne darüber bestimmen, was man essen kann und was nicht?


Rezept

Artenvielfalt und Ernährung

In der peruanischen Gastronomie genießen traditionelle andine Gerichte derzeit Hochkonjunktur. In Haraz, nördlich der Hauptstadt Lima, hat die von terre des hommes unterstützte Organisation "Urpichallay" ein "Haus des Wissens" gegründet. Dies ist eine Art Volkshochschule für die Landjugend, die hier beispielsweise Kurse über traditionelle lokale Küche besuchen kann. Die Jugendlichen lernen, wie man die enorme Vielfalt an Nahrungsmitteln dieser Region nutzt. Beatriz Rojas, Direktorin von Urpichallay, empfiehlt ein typisches Gericht aus der Region:

Picante de Quinoa

- 2 Tassen Quinoa
- ½ Kilo Kartoffeln
- ½ Tasse Erbsen
- 2 mittelgroße Karotten
- 150 g Frischkäse (Kuh oder Ziege)
- 1 mittelgroße Tomate
- 2 Knoblauchzehen
- Salz und Pfeffer
- 2 EL Öl
- 2 EL frischer gehackter Koriander
- Gemüsebrühe

Die Kartoffeln und Karotten schälen, würfeln und mit der Quinoa und den Erbsen in Brühe garkochen und abgießen, dabei die Brühe auffangen. Den Käse in kleine Würfel schneiden. Die Zwiebel und den Knoblauch schälen und hacken, die Tomate in kleine Stücke schneiden. In einem Topf das Öl erhitzen, Zwiebel und Knoblauch andünsten. Tomatenstücke hinzufügen, mit Pfeffer abschmecken und andünsten. Die restlichen Zutaten hinzufügen, gut vermischen, mit Salz abschmecken und wenn nötig mit Brühe verdünnen. Frischkäse und Koriander unterrühren und servieren.


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Quelle:
die zeitung, 4. Quartal 2007, S. 3
Herausgeber: terre des hommes Deutschland e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Januar 2008