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LÄNDERBERICHT/067: Südafrika - Hintergründe der Gewalt gegen schwarze Ausländer


die zeitung - terre des hommes, 3. Quartal 2008

Arme gegen Arme
Südafrika: Hintergründe der Gewalt gegen schwarze Ausländer

Von Claudia Berker


Mindestens 62 Tote und Zehntausende, die aus ihren Wohnungen vertrieben wurden - dies ist die Bilanz einer Welle von Gewalt, die im Mai in Johannesburger Townships begann und innerhalb kurzer Zeit auch andere Städte Südafrikas erfasste. Mit Knüppeln, Messern, Hämmern und Macheten bewaffnet zogen zum Teil alkoholisierte Gruppen von schwarzen Südafrikanern durch die Straßen ihres Viertels und machten Jagd auf andere - schwarze - Afrikaner.


Egal, ob es sich bei den Opfern um mosambikanische Familien handelte, die seit vielen Jahren in der gleichen Nachbarschaft gelebt hatten, oder um Simbabwer, die die Hoffnungslosigkeit ihres Heimatlandes erst vor kurzem nach Südafrika vertrieben hatte. Malawier und Somalier, die sich wirtschaftlich etabliert hatten, waren ebenso im Visier der hasserfüllten Menge wie Flüchtlinge aus Burundi, für die sogar armselige Wellblechbehausungen ein Stück Stabilität bedeuteten.

Ein grausamer Höhepunkt der Plünderungen und Hetzjagden wurde von Pressefotografen in Bildern festgehalten und um die Welt geschickt: Der Todeskampf des "brennenden Mannes", wie der Mosambikaner fortan genannt wurde, der vom Mob mit Benzin übergossen und angesteckt wurde. Es dauerte einige Zeit, bis seine Identität ermittelt werden konnte: Ernesto Alfabeto Nhamuave hat nun zumindest die Würde eines Namens erhalten.

Die massiven Attacken, die das Land und die übrige Welt schockierten, sind vorbei. Aber eine angezündete Hütte hier, ein geplündertes Geschäft dort erinnern daran, dass die zugrunde liegenden Probleme bei weitem nicht gelöst sind.

"Xenophobie", eine Abneigung oder Furcht gegenüber allem Fremden ist der Begriff, um den alle Versuche einer Erklärung seitdem kreisen. Ein Fremdwort, das viele südafrikanische Zeitungen für ihre Leser erst einmal definieren mussten, ist nun in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen.


Frustrierte Südafrikaner

Aussagen derjenigen, die entweder Teil des marodierenden Mobs oder der innerlich zustimmenden Zuschauer waren, scheinen dies zu bestätigen - und deuten doch gleichzeitig auf viel tiefer liegende Konflikte hin: "Die Ausländer stehlen unsere Arbeitsplätze. Sie ziehen in Häuser, die uns zustehen. Sie sind verantwortlich für die hohe Kriminalität. Und sie nehmen uns unsere Frauen weg." So irrational einige dieser Aussagen klingen mögen - sie spiegeln einen Grad von Frustration und Enttäuschung wider, der wortwörtlich brandgefährlich für die Stabilität Südafrikas zu werden droht. Es kämpfen Arme gegen Arme, und zwar nicht nur unterschiedlicher Nationalität: 21 der mehr als 60 Toten vom Mai sind Südafrikaner.

"Warum", so fragen sich nicht wenige Township-Bewohner in den Vororten Johannesburgs, "sollen wir hier Leute aus dem Norden des Landes aufnehmen?"

Vorbei ist die Euphorie, als die Nation 1994 nach einem weitgehend friedlichen Übergang vom Apartheid-Regime zu einer demokratisch gewählten Regierung vor einer hoffnungsvollen Zukunft zu stehen schien: Arbeit, Bildung, menschenwürdige Wohnungen, die Teilhabe aller Bevölkerungsgruppen an einer neuen Gesellschaft, der rainbow nation - für eine große Zahl schwarzer Südafrikaner hat sich von diesen Verheißungen kaum etwas erfüllt. Stattdessen die ernüchternde Erkenntnis: Das Erbe der Vergangenheit, die Folgen der radikalen Rassentrennung, lassen sich nicht innerhalb eines Jahrzehnts ausgleichen. Und: Die neue Gesellschaft mit ihrer neuen Regierung bringt eigene Probleme hervor, die die Entwicklung bremsen.

Es ist keine spezifisch südafrikanische Eigenschaft, im Unglück nach Schuldigen und Sündenböcken zu suchen - in diesem Fall befinden sich diese mitten unter den Verlierern im Wettbewerb um unzureichende Ressourcen wie Wasser, Strom und Unterkünfte. Globale Faktoren wie steigende Benzin- und Lebensmittelpreise verschärfen die Situation der Armen zusätzlich.

Die ANC-Regierung rief die südafrikanische Bevölkerung zur Solidarität mit den "afrikanischen Brüdern und Schwestern" aus den Nachbarländern auf. Schließlich hatten deren Heimatländer einst den Anti-Apartheid-Aktivisten im Befreiungskampf Zuflucht geboten. Doch diese Appelle verhallen bei denen, die nicht gebildet genug und oftmals noch zu jung sind, um diesen Teil der Geschichte zu kennen. Zumal die Verdienste der Vergangenheit nicht für leere Teller heute entschädigen können.


Regierung reagiert nicht

Bereits in den vergangenen Monaten war es zu Attacken gegen andere Afrikaner, aber auch Inder oder Pakistanis gekommen. Das brachte der südafrikanischen Regierung die Kritik ein, von den Spannungen lange vorher gewusst, aber nicht darauf reagiert zu haben. Entschlossene und schnelle Reaktionen fehlten auch im Falle der Ausschreitungen im Mai: Es waren vor allem Kirchen, Hilfsorganisationen und engagierte Südafrikaner unterschiedlicher Gesellschaftsschichten, die den Zehntausenden Hilfe leisteten, die sich in Gotteshäuser oder Polizeistationen geflüchtet hatten.

Viele haben alles verloren, und von einer Rückkehr in ihre Wohngebiete, wie sie der Regierung vorschwebt, wollen sie nichts wissen. Noch immer harren tausende Opfer, die nicht in ihre Heimatländer abgereist sind, in Notunterkünften aus, die die provisorischen Camps in Kirchen, Gemeindesälen und Polizeistationen abgelöst haben. "Die Ungewissheit zermürbt die Menschen. Sie fühlen sich ohnmächtig und haben jegliches Vertrauen verloren", erklärt eine Psychologin, die anonym bleiben will. Manche zeigen Anzeichen schwerer Traumatisierungen und entwickeln Depressionen.


Unklare Entscheidungspolitik

Die jüngsten Ereignisse werfen nicht nur ein Schlaglicht auf die sich verschärfenden sozialen Spannungen, sie konfrontieren die Regierung auch mit der drängenden Frage: Wie geht das Land mit den zahlreichen Migranten um, die seit den 1990er Jahren aus anderen afrikanischen Staaten ins wirtschaftliche Zentrum des Kontinents kommen? Niemand weiß genau, wie viele es eigentlich sind. Schätzungen gehen von einer Spanne von drei bis sechs Millionen aus. Eine geordnete Einwanderungspolitik gibt es nicht.

Trotz mehr Stacheldraht und Patrouillen bleiben die Außengrenzen des Landes durchlässig. Seit der sich zuspitzenden Situation im Nachbarland Simbabwe hat außerdem der Zustrom von Einwanderern von der anderen Seite des Grenzflusses Limpopo dramatisch zugenommen: Mindestens zwei Millionen Simbabwer sollen schätzungsweise in Südafrika leben, die meisten unterstützen von hier aus ihre Familien daheim.

Trotz der oftmals beschworenen panafrikanischen Brüderlichkeit wurden die Einwanderer auch schon vor den Unruhen im Mai nicht mit offenen Armen empfangen: Der Zugang zu Jobs, sozialen Leistungen und längerfristigen legalen Aufenthaltsmöglichkeiten wurde eingeschränkt. Einer aktuellen Studie der Internationalen Föderation für Menschenrechte zufolge ist das der Versuch der Regierung, die Einwanderung zu kontrollieren und Südafrika als Zielland für Wirtschaftsmigranten "unattraktiver" zu machen. Hilfsorganisationen beklagen außerdem immer wieder die diskriminierende Behandlung von Ausländern durch Behörden und Polizei. Auch von widerrechtlichen Deportationen wird berichtet.

Flüchtlinge, die ihren Status legalisieren möchten, sehen sich mit hohen Hürden konfrontiert: Asylanträge von oppositionellen Simbabwern - die in ihrem Heimatland um ihr Leben fürchten müssen - haben wenig Aussicht auf Erfolg. Das System ist hoffnungslos überlastet; Angaben von Human Rights Watch (HRW) zufolge warten mehr als 100.000 Fälle auf ihre Bearbeitung. HRW und andere Menschenrechtsorganisationen plädieren daher für neue Ansätze in der südafrikanischen Einwanderungspolitik, verbunden mit einer Informationskampagne über den positiven Beitrag der Einwanderer zur südafrikanischen Gesellschaft. "Wir brauchen unsere Nachbarn, denn viele bringen Qualifikationen mit, die in unserem Land noch fehlen", betont Professor Loren Landau von der Witwatersrand-Universität in Johannesburg.


Illegale legalisieren

Würden mehr der jetzt illegalen Einwanderer eine Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis erhalten, seien sie nicht mehr gezwungen, sich auf ausbeuterische Arbeitsverhältnisse einzulassen, die weder Mindestlöhne noch andere rechtliche Errungenschaften respektierten, so die Auffassung von Nichtregierungsorganisationen. Damit würde auch der Vorwurf hinfällig, die Immigranten nähmen den Einheimischen Jobmöglichkeiten weg, da sie aufgrund ihrer verzweifelten wirtschaftlichen Lage geringere Löhne akzeptierten. Integriert und in der Lage, für ihr Auskommen zu sorgen, könnten die Einwanderer stattdessen ihren Beitrag leisten für die südafrikanische Gesellschaft.

Südafrika wird ein Magnet für Menschen aus der Region bleiben. Eine Balance herzustellen zwischen einer pragmatischen Einwanderungspolitik, die auch die Menschenrechte respektiert, und der ausreichenden Versorgung der eigenen Bevölkerung bleibt eine der großen Herausforderungen.


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Quelle:
die zeitung, 3. Quartal 2008, S. 3
Herausgeber: terre des hommes Deutschland e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Oktober 2008