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LÄNDERBERICHT/072: Westsahara - 30 Jahre Kampf um Unabhängigkeit


die zeitung - terre des hommes, 3. Quartal 2009

Der vergessene Konflikt
Westsahara: 30 Jahre Kampf um Unabhängigkeit

Von Urte Tegtmeyer


Nheboa lebt mit ihren Schwestern und Eltern in einer kleinen Siedlung im saharauischen Flüchtlingslager Smara in der algerischen Wüste. Die 24-Jährige ist Computerlehrerin bei der UJSARIO, der Jugendorganisation der Frente Polisario, die für die Unabhängigkeit der Saharauis kämpft.

Den Job macht Nheboa seit zwei Jahren. Geld dafür bekommt sie nicht. Aber die Arbeit ist ihr wichtig. Denn die UJSARIO organisiert die Jugendbetreuung im Lager. Insgesamt gibt es im Lager Smara sieben Jugendzentren. Die Jugendlichen kommen hierher, um sich die Zeit sinnvoll zu vertreiben. Hier können die jungen Menschen aus den Lagern malen und basteln, Fußball und Volleyball spielen. Genauso wichtig sind aber die Ausbildungsmöglichkeiten, die in den Zentren angeboten werden. Junge Frauen können an Kursen für Schneiderei, Schreibmaschine schreiben und Sekretariatsarbeiten teilnehmen. Außerdem gibt es Computer- und Sprachkurse für Mädchen und Jungen. Nheboa ist überzeugt, dass ohne die UJSARIO alles anders wäre: "Die jungen Frauen und Männer wären auf der Straße und hätten nichts zu tun. Die Möglichkeit für unmoralisches Handeln wäre größer, die Jugendlichen hätten weniger Perspektiven." Durch die UJSARIO fühlten sich die Jugendlichen ernst genommen. Sie sind sogar im Parlament vertreten, denn die von der Polisario ausgerufene Demokratische Republik Westsahara (DARS) hat eine Exilregierung und ein eigenes Parlament.


Kolonialzeit und kein Ende

Es ist der letzte ungelöste Kolonialstreit in Afrika, und ein Ende scheint nicht abzusehen. Einstmals galt die Westsahara als Prestigekolonie der Spanier. Nach deren Rückzug 1975 traten sofort die Nachbarländer Mauretanien und Marokko auf den Plan. Kaum waren die ehemaligen Kolonialherren verschwunden, besetzten marokkanische und mauretanische Truppen das Land. Denn die Westsahara ist reich. Vor allem die Phosphatvorkommen, aber auch Erdgas- und Erdölreserven machen das Land attraktiv. Während sich Mauretanien bald wieder aus der Westsahara zurückzog, besetzte Marokko das Land mit dem Argument, die nomadischen Stämme der Westsahara hätten sich seit jeher dem marokkanischen König untergeordnet.


Auf der Flucht

Aufgrund von erbitterten Guerillakämpfen zwischen der Polisario und der marokkanischen Armee flohen viele Saharauis nach Algerien. Rund 180.000 von ihnen leben dort mitten in der Wüste, in großen Flüchtlingslagern bei Tindouf, nahe der Grenze zur Westsahara. Ursprünglich waren die Lager als vorübergehende Lösung gedacht. Inzwischen lebt schon die zweite Generation dort. Arbeit gibt es kaum, eine lokale Wirtschaft kann sich nicht auftauen. Trotzdem träumen besonders die jungen Menschen davon, in den unabhängigen Teil der Westsahara zurückzukehren. Denn der Alltag im Lager ist trostlos: Es gibt kaum Ausbildungsmöglichkeiten, wenig Beschäftigung. Deshalb gehen manche zur Ausbildung ins Ausland. Der einzige Vorteil des Lagers: Hier sind die Saharauis sicher, sie bekommen Nahrung und Hilfsmittel von der EU, den Vereinten Nationen und internationalen Nichtregierungsorganisationen. Güter, die sie im unabhängigen Teil der Westsahara nicht bekommen würden. Die sie aber auch abhängig machen.


Geteiltes Land

Seit der Besetzung der Westsahara vor knapp 35 Jahren kämpft die saharauische Unabhängigkeitsbewegung gegen die Marokkaner. Die Polisario wurde immer weiter in den Osten des Landes zurückgedrängt. Über Jahre hinweg bauten die Marokkaner eine Mauer, um das Eindringen der Polisario zu verhindern. Inzwischen durchteilt ein 2.500 Kilometer langer, schwer gesicherter Grenzwall das Land. Der größere, rohstoffreiche Küstenstreifen im Westen wird von den Marokkanern kontrolliert, der östliche Teil von der Polisario.

Der Internationale Gerichtshof hatte 1975 entschieden, dass die Bevölkerung der Westsahara in einer Volksabstimmung über ihre Zukunft entscheiden soll. Doch diese Abstimmung hat nie stattgefunden. Mit dem Waffenstillstand zwischen der marokkanischen Armee und der Frente Polisario 1991 hatte dann auch die UNO durchgesetzt, ein Referendum durchzuführen. Hierbei sollte über die Frage entschieden werden, ob die Westsahara unabhängig werden oder ein autonomes Gebiet unter der Souveränität Marokkos sein soll. Unstimmigkeiten darüber, wer als Einheimischer gilt und demzufolge an dem Referendum teilnehmen darf, führten immer wieder zu weiteren Verzögerungen.

Inzwischen haben 200.000 Neusiedler und 200.000 Soldaten aus Marokko den besetzen Teil der Westsahara besiedelt. Demgegenüber nimmt die Zahl Saharauis in diesem Teil immer weiter ab. Von den geschätzten ehemals 700.000 sind nur noch rund 50.000 übrig geblieben. Die Durchführung des Referendums, für die sogar eine UN-Unterkommission eingerichtet wurde (MINURSO), lässt weiter auf sich warten.


Rückkehr ausgeschlossen?

Nheboa will die Hoffnung nicht aufgeben, doch noch in ihr Heimatland zurückzukehren. Sie kennt nur das Leben im Flüchtlingslager, ist hier geboren. Besonders am Herzen liegt ihr die Arbeit mit Jugendlichen, die Weitergabe von Wissen, Tradition und Kultur. "Die Zukunft liegt in den Händen der Jugendlichen. Wenn sie sich weiterentwickeln, entwickelt sich auch die Gesellschaft." Deshalb unterstützen terre des hommes Deutschland und Schweiz die Jugendorganisationen der Saharauis. Ohne Perspektiven wird eine ganze Generation frustriert und mutlos. Denn unabhängig davon, wie die Entwicklung weitergeht, müssen diese jungen Menschen neue Perspektiven entwickeln, um den Alltag im Lager überhaupt zu bewältigen.


Wirtschaftliche Interessen

Die Westsahara verfügt über große Phosphatvorkommen, die ab Ende der 1990er Jahre bei Bou Craa abgebaut wurden. Die Reserven werden auf 1,1 Milliarden Tonnen geschätzt; eines der größten vorkommen weltweit. Damit hätte die Westsahara die Chance gehabt, hinter den USA, Russland und Marokko zum viertgrößten Phosphatexporteur der Welt aufzusteigen. Phosphat wird in großem Umfang als Düngemittel in der Landwirtschaft eingesetzt, spielt aber auch eine Rolle in der chemischen Industrie und bei der Verarbeitung von Erdöl.

Zwischen 1976 und 1991 lag dar Abbau der Phosphatvorkommen auf Eis, weil die saharauische Armee das Förderband, das dafür von Bou Craa bis zur Küstenstadt El Ayoun errichtet worden war, unterbrochen hatte. Erst nach dem Waffenstillstand ging die Produktion weiter. Weil Marokko das saharauische Phosphat als seines deklariert, ist das Land inzwischen zum weltgrößten Exporteur aufgestiegen. Die Erlöse aus den Exporten sind im vergangenen Jahr wegen explodierender Phosphatpreise rasant angestiegen, aufgrund der aktuellen Wirtschaftskrise aber derzeit im Keller.

Ein weiterer wichtiger Wirtschaftszweig ist die Fischerei. Angesichts leer gefischter Weltmeere sind die Gewässer vor der Küste der Westsahara begehrter Fischereigrund. Inzwischen tummeln sich hier nicht nur marokkanische und spanische Fischer. Auch russische, japanische, südkoreanische und holländische Fangflotten sind in den Gewässern unterwegs. Marokko kontrolliert die saharauischen Küstengebiete. Auch die EU schickt über ein Fischereiabkommen mit Marokko europäische Fischer in die Gewässer vor der Westsahara.


Menschenrechtsverletzungen

Seit der Besetzung der Westsahara kommt es von marokkanischer Seite immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen. Demonstranten, Studenten und Menschenrechtler geraten ins Visier der Besatzer. Im vergangen Jahr wurden Hunderte Saharauis festgenommen, die an Demonstrationen gegen die Besetzung durch die Marokkaner teilgenommen oder die Material der Frente Polisario verbreitet hatten. Einige von ihnen wurden nach Verhören freigelassen, viele andere wurde wegen gewalttätigen Verhaltens angeklagt. Dabei wurden Aussagen herangezogen, die den Gefangenen unter Folter erpresst wurden. Auch Yahya Mohamed El Hafed Iazza, Mitglied des saharauischen Anwaltskolletivs wurde während einer Demonstration verhaftet. Die Anklage lautete auf gewalttätiges Verhalten. Iazza wurde für schuldig befunden und verbüßt nun eine 15-jährige Haftstrafe. Seine Aussage, er sei während der Verhöre gefoltert worden, wurde von Regierungsseite nicht weiter überprüft.


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Quelle:
die zeitung, 3. Quartal 2009, S. 3
Herausgeber: terre des hommes Deutschland e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Oktober 2009