Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → TERRE DES HOMMES

PROJEKT/178: Guatemala - Friedensarbeit mit Kindern und Jugendlichen


die zeitung - terre des hommes, 4. Quartal 2007

Der große Graben
Guatemala: Friedensarbeit mit Kindern und Jugendlichen

Von Athanasios Melissis


Der Klassenraum der Grundschule von Argueta platzt aus allen Nähten. Alle Schüler sind anwesend. Die Kinder begehen den ersten Tag des neuen Schuljahres mit einem Fest. Sie singen und führen kleine Theaterszenen vor. Der zwölfjährige Byron geht durch die Stuhlreihen, sieht auf seine Liste und versammelt die Kinder um sich, die als nächste auf die Bühne sollen - ein kurzes Theaterstück, in dem es um die Schlichtung eines Streits in einem Klassenzimmer geht. Die anderen Kinder folgen respektvoll Byrons Anweisungen. Der Junge ist einer von sechs Freiwilligen der Organisation APIMA, die das Fest in diesem Jahr organisiert. Schüler, Lehrer, Eltern und der ebenfalls anwesende Bürger meister sind von der Veranstaltung begeistert. Denn ein Schulfest ist in Argueta nicht selbstverständlich.

Das fröhliche Schulfest täuscht darüber hinweg, dass es unter der Oberfläche brodelt. Zwischen den nur einen Steinwurf voneinander entfernten Dörfern Argueta, Barranche und La Esperanza schwelt eine seit Jahrzehnten andauernde Fehde. Streitobjekt ist ein bewaldeter Hügel, der zwischen den Dörfern liegt. Dieser gehörte traditionell allen drei Dörfern, deren Bewohner gleichberechtigt darauf Holz schlagen durften.


Eine Provinzposse eskaliert

Eines Tages erhob eines der Dörfer alleinigen Anspruch auf den Hügel, und die Menschen gerieten in Streit. Was sich zunächst wie eine Provinzposse anhört, schaukelte sich langsam hoch und fand 1997 einen tragischen Höhepunkt: Die Menschen gingen mit Gewehren und Macheten aufeinander los, es gab neun Tote und 45 Verletzte.

"Der Streit um die Nutzung des Hügels ließe sich vermutlich mit einer schriftlichen Vereinbarung beilegen. Doch das Problem liegt tiefer", erklärt Felipe García, Leiter der Organisation APIMA. "Der Bürgerkrieg und die Spaltung der Gesellschaft spielen dabei eine zentrale Rolle. Die, die als erste zu den Waffen griffen, gehörten früher den Paramilitärs an, die während des Krieges Massaker an der Zivilbevölkerung begingen. Dieses Verhaltensmustern also Streit mit Gewalt zu lösen, ist noch tief in der Gesellschaft verankert. Um dies zu überwinden, muss man langfristig arbeiten."


In der Konfliktspirale

Lange Zeit sprachen die Erwachsenen nicht mehr miteinander, Kinder durften sich keine Spielkameraden aus den jeweils anderen Orten suchen. "In den letzten Jahren ist es etwas besser geworden. Doch noch immer herrscht Misstrauen, die Kinder wachsen mit einem Gefühl der Bedrohung auf", erklärt Felipe García. "Als Erwachsene führen sie die Konfliktspirale fort." APIMA versucht, diesen Kreislauf zu durchbrechen und setzt bei den Kindern und Jugendlichen an. "Die Saat des Friedens sähen" nennt APIMA das Projekt, in dem mit den Kindern aus den verfeindeten Dörfern beispielsweise Fußballturniere und Ausflüge organisiert werden. Ein weiterer Ansatzpunkt ist die Schule: Die Dörfer teilen sich zwar notgedrungen die gleichen Schulen, doch die Lehrkräfte, die in der Regel nicht aus dem Ort stammen, sind mit der Situation überfordert. APIMA führt mit ihnen Workshops durch und berät sie, wie sie Friedenserziehung in den Lehrplan integrieren können. Besonders stolz ist Felipe García auf die sechs freiwilligen Vermittler: "Byron und die anderen fünf Mädchen und Jungen sind ein wichtiger Bestandteil des Projektes. Sie stammen aus allen drei Dörfern und sind unser wichtigster Draht zu den Kindern, da sie unter ihren Altersgenossen eine hohe Glaubwürdigkeit genießen."

Auf dem Platz vor der Schule spielt der 18-jährige Javier mit ein paar Freunden Basketball. Der Jugendliche ist freundlich und aufgeschlossen. Ohne eine Miene zu verziehen erzählt er, dass sein Vater wegen Mordes im Gefängnis sitzt - einer der Männer, die 1997 zur Waffe griffen. "Ich gebe nicht den Menschen in Barranche oder Esperanza die Schuld für das Unrecht, das mein Vater begangen hat", meint Javier. "Wir Jüngeren haben miteinander weniger Probleme als unsere Eltern. Ich habe viele Freunde in beiden Dörfern." Inzwischen ist der Bürgermeister dazugekommen. "Vielleicht werde ich es nicht mehr erleben", ergänzter nachdenklich. "Doch wir alle hoffen, dass spätestens in der nächsten Generation die Saat des Friedens aufgeht."


*


Quelle:
die zeitung, 4. Quartal 2007, S.
Herausgeber: terre des hommes Deutschland e.V.
Hilfe für Kinder in Not
Ruppenkampstraße 11a, 49084 Osnabrück,
Tel.: 0541/71 01-0, Fax: 05 41/70 72 33
E-Mail: info@tdh.de
Internet: www.tdh.de

die zeitung - terre des hommes erscheint
4 Mal jährlich. Der Verkaufspreis wird durch Spenden
abgegolten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Januar 2008