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PROJEKT/227: Nicaragua - Hilfe für die Opfer sexueller Gewalt


die zeitung - terre des hommes, 4. Quartal 2011

Den Schrecken aufarbeiten
Nicaragua: Hilfe für die Opfer sexueller Gewalt

von Athanasios Melissis


»Es fing an, als ich sechs Jahre alt war«, erzählt Susana*. »Damals zog mein Stiefvater zu meiner Mutter.« Zuerst erschlich er sich das Vertrauen des Mädchens, seine Strategie war einfach und zielgerichtet: Er suchte die Freundschaft des Mädchens, unterwanderte die von der Mutter aufgestellten Regeln und war so Vertrauter und Komplize. Dann fing er an, sie zu missbrauchen. »Mein Stiefvater log meine Mutter, meine Schwester und mich gezielt an, säte Misstrauen und brachte uns alle drei gegeneinander auf«, erzählt sie. Das funktionierte viele Jahre lang: Erst als Susana 15 Jahre alt wurde, vertraute sie sich ihrer Mutter an.

Mutter und Tochter wandten sich an die Organisation »Dos Generaciones«. Der terre des hommes-Projektpartner ist eine renommierte Kinderschutzorganisation in der Hauptstadt Managua, die sich um die Opfer sexueller Gewalt kümmert. Die Psychologen und Therapeuten nahmen sich Susanas an. Seither kommt sie regelmäßig ins Zentrum und macht eine Therapie. Neben der individuellen Betreuung kümmert sich Dos Generaciones auch um die Mutter und die ein Jahr jüngere Schwester, mit denen gemeinsam Susana zusätzlich eine Familientherapie macht.


Prävention und Fortbildung

Dos Generaciones setzt auf direkte Betreuung neben Prävention, Lobby- und Fortbildungsarbeit: Die Organisation arbeitet direkt mit Polizeistationen und Justizbehörden, Seminaren für Staatsanwälte, Gerichtsmedizinern und Rechtsanwälten zusammen. Dank der Hilfsangebote und durch intensive Aufklärungsarbeit hat es Dos Generaciones geschafft, in der männerdominierten nicaraguanischen Gesellschaft Aufmerksamkeit für ein Problem zu schaffen, das von vielen Opfern noch als Tabuthema betrachtet wird.

Susana, ihre Schwester und ihre Mutter arbeiten die schrecklichen Erlebnisse auf. In der Familientherapie kam sehr schnell heraus, dass auch Susanas Schwester vom Stiefvater missbraucht worden war. Die Gewalt des Stiefvaters, den Missbrauch seiner Macht, unter dem die beiden Töchter litten... nur langsam überwinden sie die traumatische Situation des Missbrauchs und beginnen, ihr Leben neu zu organisieren. Doch die Konflikte zwischen ihnen brechen immer noch regelmäßig auf, zu sehr belastet sie die Vergangenheit.


Juristische Beratung

Susana ging es sehr schlecht, sie war lange Zeit psychisch instabil. Besonders belastete sie, dass sich der Prozess gegen ihren inzwischen verhafteten Stiefvater sehr in die Länge zog, er wurde erst zwei Jahre später aufgenommen. Begleitet von den Mitarbeitern von Dos Generaciones, die neben der psychologischen Betreuung den Opfern und ihren Familien juristische Beratung und Hilfe anbieten, ging die Familie vor Gericht. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. Susana macht inzwischen ihren Schulabschluss. Das heute 17-jährige Mädchen ist sehr gut in der Schule. Trotz all ihrer schrecklichen Erlebnisse hat sie neuen Mut gefasst und schmiedet Pläne für die Zukunft: »Auch wenn das Geld in der Familie knapp ist, ich möchte gerne studieren. Ich suche mir nebenher eine Arbeit und studiere Psychologie.«


Athanasios Melissis
(a.melissis@tdh.de)


Anmerkung:
* Name geändert


*


Quelle:
die zeitung, 4. Quartal 2011, S. 7
Herausgeber: terre des hommes Deutschland e.V.
Hilfe für Kinder in Not
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Februar 2012