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AUTOREN/026: Bücher sind wie Dächer - Gabriele Wohmann (welt der frau)


welt der frau 5/2007 - Die österreichische Frauenzeitschrift

Bücher sind wie Dächer

Von Ilka Scheidgen


Kaum eine zeitgenössische Schriftstellerin ist so produktiv wie Gabriele Wohmann. Im Mai 2007 wurde sie 75 - und noch immer spürt sie der Seele und dem Alltag ihrer Figuren und ihrer Heimat Deutschland mit den Mitteln des Schreibens nach.


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"Niemand hätte eine Ahnung vom Glück, wenn er nicht im Umgang mit dem Unglück geübt wäre", schreibt Gabriele Wohmann einmal, Auskunft gebend über sich und ihre Schreibarbeit, und an anderer Stelle: "Die Wirklichkeit muss ihre Belanglosigkeit verlieren, ihre Verwechselbarkeit, Austauschbarkeit." Um das zu erreichen, hat sie sich nach einem Studium der Germanistik, Romanistik, Musikwissenschaft und Philosophie und einem Intermezzo als Lehrerin mit Haut und Haaren der Literatur verschrieben. Als "Grafomanin" hat sie sich selbst bezeichnet und befunden: "Schreiben ist eine Krankheit. Nichtschreiben auch!" Aber anders leben könnte sie nicht.

Geboren wurde Gabriele Wohmann 1932 in Darmstadt als drittes von vier Kindern des evangelischen Pfarrers Paul Daniel Guyot und seiner Frau Luise. Eine überaus glückliche Kindheit hat sie in dem Pfarrhaus, das sie mehrfach liebevoll porträtiert hat, bei toleranten und großzügigen Eltern verlebt und in einem Bildungsbürgertum, für das Goethe, die Klassiker und Philosophen, aber auch neuere Literatur zur selbstverständlichen Ausstattung gehörten.


Brüchiger Friede

Wer den Alltag, die kleinen Miseren, die kleinen Verschrobenheiten, Heucheleien, Eifersüchteleien im Zusammenleben von Paaren, Familien und in der Gesellschaft so genau, mit solch psychologischem Spürblick, in einer so ironischen Brillanz zu schildern vermag wie Gabriele Wohmann, die ja geradezu eine Spezialistin im Beschreiben des eigentlich immer etwas brüchigen Alltagsfriedens ist, muss in Wirklichkeit eine große Sympathie für die Menschen ganz allgemein, insbesondere für deren Schwächen haben. Um solche Art Geschichten schreiben zu können, muss intellektuelle Distanz, aber auch ein hohes Maß an mitfühlender Anteilnahme da sein. Den ironischen Ton, der die meisten ihrer Geschichten kennzeichnet, wendet sie nicht nur auf ihre Personen an, denen sie mit Akribie in die feinsten Verästelungen ihrer Gemütsverfassungen folgt, sondern genauso kritisch auf sich selbst und auf die vielen Alter Ego in ihren Romanen. Die Ich-Erzählerin in dem frühen Roman "Ernste Absicht" (1970) bilanziert angesichts einer lebensbedrohlichen Operation in einem groß angelegten Monolog nüchtern ihr bisheriges Leben: "Der Mensch - ein Unternehmen, das Zeit, Notwendigkeit, Glück und was nicht alles gegen sich hat; ich habe es vergessen, ich erfahre es ja aber sowieso."

Der Wunsch neugierig zu bleiben, von Satz zu Satz, von Geschichte zu Geschichte, hat Gabriele Wohmann zum Schreiben angetrieben. Mit jedem neuen Buch, so hat sie einmal formuliert, schaffe sie sich ein neues Dach über dem Kopf. Wanderin. Liebhaberin von Schuberts Winterreise. Immer unterwegs, niemals am Ziel. Aber sie kennt es, das Ziel, und sie benennt es, ohne Pathos, ganz selbstverständlich: Jenseits, Himmel, Ewigkeit. In den Worten der Bibel: das Reich Gottes, die bleibende Stadt.


Das grösste Unglück

"Über den Tod zu sprechen ist eine der vernünftigsten Arten, über den Sinn des Lebens zu sprechen", hat André Malraux gesagt. Auf die Frage im FAZ-Fragebogen "Was ist für Sie das größte Unglück?" hat Gabriele Wohmann 1980 geantwortet: "Der Tod. Und dass er das für mich ist." "Ja, genau das ist es ja", sagt sie nun sehr lebhaft, "dass ich wirklich jeden Tag - ohne Übertreibung - daran arbeite, dass er das nicht für mich ist! Es ist ja so: Der Tod macht Angst, vor allem das Sterben, die Ungewissheit, welche Krankheiten es sein werden. Aber ich glaube, das findet Gott auch ganz in Ordnung, dass wir davor Angst haben. Aber wir dürfen keine Angst haben vor dem, was nach dem Tod kommt. Im Gegenteil. Wir müssten uns freuen. Ich finde es eigentlich blamabel, wenn man das sagt, der eigene Tod wäre das größte Unglück. Das würde ja heißen, das Leben hier müsse alle Wünsche und Hoffnungen einlösen. Und das tut es doch wirklich nicht, das wissen wir doch." Und dieses Wissen ist wohl auch der Stachel für die Schriftstellerin Gabriele Wohmann, in immer neuen Formulierungsräuschen, detailversessen, in neuartigen und überraschenden Konstellationen und in der Schilderung von Alltagsnöten, in manchmal beklemmenden Diagnosen von Tragödien und Missverständnissen, Leere und Einsamkeit, Ängsten und Sehnsüchten hinter Fassaden angeblicher Harmonie, Ratlosigkeit und Langeweile, Verdruss und Wohlstandsneurosen inmitten geordneten Wohllebens den Spiegel vorzuhalten. In meisterhaften erzählerischen Kabinettstücken siedelt Gabriele Wohmann pointensicher, scharfsichtig und scharfzüngig ihre Gesellschaftsanalyse zwischen Idylle und Schrecken an. Und das ist das Raffinierte bei ihr: All diese Gedanken, worüber wir jetzt sprechen, diese ganzen unerlaubten Vokabeln wie "Gott, Erlösung, Himmel, Paradies, Glauben, Ewigkeit" findet man, wenn man aufmerksam liest, wenn man sie nicht überliest, in allen ihren Büchern, und zwar schon von Anfang an. "Würde doch der Tod richtig verstanden als der Übergang zum wahren - wenn auch zugegebenermaßen leider unbekannten - Sein, dann nur könnte vernünftig gelebt und gestorben werden. Mit dem Sterben gelebt werden", so steht es in dem Roman "Schönes Gehege" zu lesen.


Tableau des Älterwerdens

In ihrem Roman "Bitte nicht sterben" (1993) behandelt Gabriele Wohmann ein oftmals tabuisiertes Thema, das Alter. Drei Schwestern, erfrischend in ihrer Unkonventionalität, meistern ihren Alltag auf eine geradezu heitere Weise. Ohne jede Larmoyanz nähert sich die Autorin diesem schwierigen Sujet und erschafft dabei ein trostreiches, streckenweise sogar komisches Tableau vom Älterwerden. Liebenswert und anrührend ist diese Geschichte von den drei alten Frauen. "Abschied von der Schwester", 2001 im Pendo Verlag erschienen, ist nach "Ausflug mit der Mutter" ihr persönlichstes Werk. Vom eigentlich Unerzählbaren, dem Schmerz eines schweren Verlustes der über alles geliebten Schwester durch einen Hirntumor, sprechen dreizehn durch Tagebucheintragungen verbundene fiktionale Texte, die sich dem Tod verschwiegen und doch konkret, leise und sehr diskret nähern.

Die große Kunst der Schriftstellerin Gabriele Wohmann besteht darin, ihre Leser mit immer neuen, überraschenden und ungewöhnlichen Wortschöpfungen zu faszinieren. Der ihr eigene Ton einer manchmal herben Sachlichkeit steht in schönem Kontrast zu einer spröden Zärtlichkeit, in der sie ihre Personen zeichnet. Nichts liegt der Autorin ferner, als endgültige Antworten geben zu wollen. Weil sie als Beobachterin wahrheitsversessen ist, bietet sie ihren Lesern Identifikationsmöglichkeiten. Indem sie über Ungetröstete schreibt, ohne einen Trost anzubieten, erkennen wir uns als Trostbedürftige wieder. Das sogenannte Private innerer psychischer Vorgänge ist immer zugleich das Allgemeine. Deshalb fesselt Gabriele Wohmann mit ihren Büchern ungebrochen so viele Leser.

"Versessen bin ich darauf, dass unser menschliches Existieren als Schwebezustand zwischen Himmel und Erde betrachtet wird, oder, besser so: zwischen Erde als dem Platz, an dem wir jetzt sind, und dem Himmel, der als Sehnsucht überhaupt erst das Dichten, Malen, Komponieren erweckt", so hat sie einmal gesagt. In unserem Gespräch haben wir uns - nachdenkend, fragend, nach Antworten suchend - in ebendiesem Schwebezustand befunden; denn es ging um Grundlegendes und letztlich um die Frage nach dem Sinn des Lebens, um Liebe, Leiden, Sterben, Tod, Gott und Glauben, Trost, Glück und Vergänglichkeit; Themen, die Gabriele Wohmann seit ihren Anfängen schreibend zum Gegenstand ihrer Erzählungen, Gedichte und Romane gemacht hat.


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Zur Person: Gabriele Wohmann

Gabriele Wohmann, 1932 in Darmstadt geboren, studierte Germanistik, Romanistik, Philosophie und Musikwissenschaft. Sie schuf ein äußerst umfangreiches Werk von Erzählungen, Romanen, Gedichten, Hör- und Fernsehspielen. Seit 1953 ist sie mit dem Germanisten Reiner Wohmann verheiratet und lebt seit 1956 als freie Schriftstellerin in Darmstadt.

Wichtige Werke: Ernste Absicht (1970), Paulinchen war allein zu Haus (1974), Schönes Gehege (1975), Frühherbst in Badenweiler (1978), Der Flötenton (1987), Bitte nicht sterben (1993), Schön und gut (2002).

Ihr Werk wurde vielfach ausgezeichnet, so mit dem Bremer Literaturpreis, dem Konrad-Adenauer-Preis, dem Großen Bundesverdienstkreuz, und in fünfzehn Sprachen übersetzt. Sie war Stipendiatin der Villa Massimo, gehörte zur Gruppe 47, ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und der Akademie der Künste Berlin. Poetik-Dozenturen hatte sie an den Universitäten Augsburg und Mainz.


Zur Autorin:
Ilka Scheidgen ist Schriftstellerin und Publizistin, zuletzt veröffentlichte sie "Hilde Domin. Dichterin des Dennoch".
www.ilka-scheidgen.de


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Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift,
Ausgabe 5/2007, Seite 36-38
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin
Herausgeberin: Katholische Frauenbewegung Österreichs
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Januar 2008