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BERICHT/003: Dr. Wolfgang Bader zur Literaturrezeption in Brasilien (Klaus Hart)


Klaus Hart Brasilientexte - 14. August 2008

Dr. Wolfgang Bader, Leiter des Goethe-Instituts in Sao Paulo, zur Literaturrezeption in Brasilien.

Julia Franck, Antje Ravic Strubel, Bas Böttcher, Dalibor Markovic, Ilija Trojanow, Perikles Monioudos, Robert Menasse und Ulrich Peltzer auf der Buchbiennale.


"Brasilien ist ein Land, das intellektuell durchaus offen ist für Europa, für Deutschland", sagt Dr. Wolfgang Bader im Exklusivinterview für diese Website anläßlich der 20. Buchbiennale in der Kultur- und Wirtschaftshauptstadt Lateinamerikas. "Das betrifft vor allem den Bereich des Denkens, der Soziologie, Philosophie - und natürlich die Highlights der deutschen Literatur.

Bekannt sind hier Thomas Mann, Hermann Hesse, Brecht und Franz Kafka. Fast alles ist übersetzt - und auch in aller Munde. Von der Generation, die das literarische Nachkriegsdeutschland prägte, sind Günther Grass, Heinrich Böll, weniger Martin Walser bekannt - zudem einige auf Denken, Essays gerichtete Autoren wie Hans-Magnus Enzensberger. Eine Funktion des Goethe-Instituts besteht darin, das aktuelle Deutschland zu vermitteln - ich unterscheide da zwischen der Bonner Republik des Nachkriegsdeutschlands, des Wirtschaftswunders, mit dem Fokus noch auf Nationalsozialismus und Krieg - da ist die Literatur hier relativ gut bekannt - und dann der Berliner Republik, noch relativ wenig bekannt. Von den ihr zugerechneten jungen Autoren hat noch keiner eine Welt-Ausstrahlung. Wir haben uns überlegt, genau diese junge Generation hier vorzustellen, haben unsere Literaturwoche deshalb auch genannt: 'Berliner Republik, die Generation Berlin und andere Universen'. Wir wollen dafür sorgen, daß die interessierten brasilianischen Leser mit diesen Autoren und ihren Werken in Berührung kommen. Wir haben ein Programm zur Übersetzungsförderung - ein Teil der Autoren ist inbegriffen. 'Die Mittagsfrau' von Julia Franck wird zur Buchbiennale lanciert, 'Der Weltensammler' von Ilija Trojanow wird gerade übersetzt. Im Vorfeld der Biennale bin ich mit brasilianischen Verlegern und Journalisten durch Deutschland gereist, haben wir in München, Leipzig und Berlin Verlage und Kritiker besucht. Denn in den brasilianischen Verlagen gibt es kaum jemanden, der deutsch spricht, geschweige denn, einen Überblick über die deutschsprachige Literaturszene hat. Die Reise zeigte Perspektiven des neuen literarischen Panoramas in Deutschland: Viele junge Autoren, sehr viele Frauen darunter, viele Autoren mit einem nicht-deutschen Hintergrund. Die Themen haben zwar noch mit der unmittelbaren deutschen Geschichte zu tun, wachsen indessen heraus, in Richtung Globalisierung. Julia Franck - in diesem Panorama natürlich eine interessante Person, mit einem urdeutschen Thema, nämlich Familiengeschichte - auch eine Charakteristik der deutschen Gegenwartsliteratur. Julia Franck, ihre 'Mittagsfrau' - für einen Verlag wie "Nova Fronteira" hier in Brasilien sehr interessant. Und dann Ilija Trojanows 'Weltensammler', der mit Deutschland unmittelbar nichts zu tun hat, aber charakteristisch ist für diese deutschen Autoren: In die Welt zu gehen, Welt - haltig zu sein. Man warf der deutschen Literatur sehr oft vor: kopflastig, in das Innere schauend, wenig interessant, schwierig, kaum zu vermitteln. Und viele hier stellen sich deutsche Literatur so vor. Doch dann das Aha-Erlebnis bei den Verlegern, Journalisten der Deutschlandreise: Hoppla - da sind ja interessante Geschichten, interessant erzählt. Und hochinteressant, wie diese Werke in den deutschen Institutionen vermittelt werden. Daß Literatur auf Lesebühnen, in Literaturhäusern regelrecht zum Event wird! Das gibt es in Brasilien kaum! Ich denke, alle Themen, die mit kritischer Reflektion von Gesellschaft, Identität im Zeichen der Globalisierung, einer durchlittenen, durchlebten Geschichte zu tun haben, treffen hier in Brasilien auf ein sehr großes Interesse. Gerade auch für die deutschen Einwanderer hier sind diese neuen Autoren interessant, weil man just unter diesen Einwanderern eher den Hang zu den großen Namen der Vergangenheit verspürt. In jedem Land existieren bestimmte Erwartungen, bestimmte Bilder, bestimmte Stereotypen auch über Deutschland. Gibt es denn noch Nationalcharaktere? Ich meine - ja und nein. In den Köpfen existiert noch, daß die Deutschen diszipliniert, autoritär, ordnungsliebend, pünktlich sind - halt die berühmten Sekundärtugenden. So werden wir Deutschen auch immer noch gesehen. Doch jene Brasilianer mit unmittelbarem Kontakt zu Deutschland haben ein viel differenzierteres Bild. Schüler sind angetan von dem bewußt lockeren, lediglich manchmal autoritären Ton an deutschen Schulen - das hatten sie nicht erwartet. Entscheidende Erfahrungen haben Brasilianer während der Fußball-WM in Deutschland gemacht, haben ein weltoffenes, feierfreudiges Land entdeckt. Unsere Aufgabe ist hier, persönliche Begegnungen, Individualisierungen von Prozessen zu ermöglichen - dabei entstehen neue Bilder, wird die komplexe kulturelle Aktualität von Deutschland vermittelt. Die Verlage gerade außereuropäischer Länder haben mehrere Probleme: Weil Sprachkenntnisse, Literaturkenntnisse über andere Länder sehr wenig ausgebildet sind, muß man sich an irgendetwas orientieren - es sind die Bestsellerlisten der Welt - es ist das, was in den USA oder Frankreich speziell an deutscher Literatur publiziert wird. Wenn das dort funktioniert, denken die Verlage in Brasilien, müßte es auch hier funktionieren. Aus Sicht der Verlage indessen ein unbefriedigender Zustand. Denn dies führt im übrigen dazu, daß die Bestsellerlisten auf der ganzen Welt fast gleich sind. Daß Brasilien beispielsweise auf seiner Bestsellerliste ebenfalls die Afghanistan-Romane hat, besitzt keinerlei natürlichen Kontext. In Brasilien gibt es indessen jetzt einige Verlage, die erfolgreich dabei sind, eigenes Profil zu bilden - und diese Verlage sind für uns dann als Partner interessant. Ein Verlag, COSACNAIFY in Sao Paulo, bekannt für die Schönheit seiner Bücher, hat jetzt Ingo Schulze herausgebracht, dafür gesorgt, daß dieser sich auf der Literaturveranstaltung FLIP in Paraty präsentierte."

Von Klaus Hart, 14. August 2008

Weitere Informationen:
http://www.goethe.de/INS/br/sap/deindex.htm
http://www.bienaldolivrosp.com.br
http://www.cosacnaify.com.br


Zum Autor:
Klaus Hart ist seit 1986 Brasilienkorrespondent
für Medien in Deutschland, Österreich und der Schweiz.


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Quelle:
Klaus Hart, Brasilientexte - August 2008
Aktuelle Berichte aus Brasilien - Politik, Kultur und Naturschutz
Mit freundlicher Genehmigung des Autors
Internet: www.hart-brasilientexte.de/


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. August 2008