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REZEPTION/018: Gellert-Gesamtausgabe nach über 30-jähriger Arbeit abgeschlossen (idw)


Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf - 01.04.2009

Gellert-Gesamtausgabe nach über 30-jähriger Arbeit abgeschlossen


Nach über dreißigjähriger Arbeit erschien nun der letzte Band der kritischen, kommentierten Gesamtausgabe der Werke Christian Fürchtegott Gellerts. Prof. Dr. Bernd Witte hat die Ausgabe betreut, Kerstin Reimann und Sibylle Schönborn den nun erschienenen siebten Band herausgegeben.

Wie begann Wittes Interesse für Gellert? Ganz einfach: "Ich hatte es gelesen und fand es interessant." So wurden Gellerts Schriften 1976 zum Thema von Wittes Habilitationsvortrag. "Ich stellte fest, dass es keine vernünftige Ausgabe gab. Seine Texte waren lediglich in zeitgenössischen Ausgaben zu finden, in denen die frühen Texte häufig durch Gellerts spätere Zensureingriffe verfälscht waren." Mit dem de Gruyter-Verlag fand sich ein guter Partner, der sogar bereit war, die Gesamtausgabe ohne Druckkostenzuschuss herauszubringen. Die DFG förderte die Edition der meisten Bände, und die Betz-Stiftung sorgte für die Fertigstellung des VII. Bandes.

Sein Werk, das nun in sieben Bänden vorliegt, hat Gellert in den Jahren 1746 bis 1757 geschrieben, Friedensjahre in Sachsen. Mit Beginn des Siebenjährigen Krieges beendete Gellert seine literarische Arbeit, in seinen Briefen finden sich aber ausführliche Darstellungen der Besatzungszeit in Leipzig. Gellert selbst traf einmal mit dem preußischen König Friedrich II. zusammen, der englische Gesandte hatte die Begegnung vermittelt. Aus dem Treffen entstand der einzige politische Text Gellerts, erklärt Schönborn. Es ist ein "Memorial" für Friedrich II., in dem Gellert zu begründen versuchte, warum es vernünftig sei, den Krieg zu beenden und Frieden zu schließen. Die geplante zweite Begegnung, als deren Vorbereitung die Schrift verfasst worden war, fand nicht statt. Dieser Entwurf einer Bittschrift für Friedrich II. und eine Schülernachschrift von Gellerts Vorlesung über die Schönen Wissenschaften sowie viele autobiografische Zeugnisse aus dem religiösen Leben Gellerts sind in akribischer Kleinarbeit von den Herausgeberinnen transkribiert und aufwendig kommentiert worden. Zu seiner Zeit war Gellert eine Berühmtheit und eine Attraktion der Leipziger Universität, seine Vorlesungen über Moral und Ästhetik stets sehr gut besucht. Goethe gehörte zu seinen Hörern. Gellerts einziger Roman "Das Leben der schwedischen Gräfin von G.", "der erste deutsche Roman, der sich mit den Fragen der Liebe in der Ehe auseinandersetzt", so Witte, erschien 1747/48. Die titelgebende Gräfin, ihr (verstorben geglaubter und plötzlich wieder auftauchender) Mann, dessen Geliebte und der zweite Gatte der Gräfin einigen sich nach einigem Hin und Her auf eine Ehe zu viert, werden so sowohl den sittlichen Anforderungen als denen der Leidenschaft gerecht. Hörer Goethe hat den Text wohl zumindest gekannt, erinnert die Problemstellung von Goethes "Wahlverwandtschaften" doch an Gellerts Roman.

Der Umstand, dass lediglich Männer Zugang zu seinen Vorlesungen hatten, gefiel dem selbsternannten Volkserzieher ganz und gar nicht. Er entdeckte im Briefwechsel die Möglichkeit, die Frauen zu belehren. "Gellert war ein weitsichtiger Medientheoretiker", so Witte, "er korrespondierte mit vielen Frauen, gab ihnen Leseanleitungen und Lektürehinweise. Viele seiner Briefe hat er gesammelt und herausgegeben, um deutlich zu machen, wie man Briefe in einem 'natürlichen Ton' verfassen kann." Die Briefpartnerinnen waren Adelige, aber auch gehobene Bürgerstöchter aus dem Leipziger Umland. Caroline Lucius war die bekannteste von ihnen, Gellert schrieb ihr die letzten zehn Jahre seines Lebens bis zu zwanzigseitige Briefe.

"Gellert hat die hochdeutsche Sprache salonfähig gemacht", so Wittes Einschätzung des heute eher unbekannten Dichters. Einige seiner Lieder finden sich auch heute noch im protestantischen Gesangbuch ("Dies ist der Tag, den Gott gemacht"), doch dass etwa Beethoven sechs von Gellerts Lieder vertont hat, ist kaum mehr bekannt. Rund vierzig Vertonungen seiner "Geistlichen Oden und Lieder" haben die Herausgeber der Gesamtausgabe nachgewiesen.

Gellerts Fabeln und sein Roman gehörten im achtzehnten Jahrhundert zu den meistgelesenen Werken der Literatur, viele kannten seine Fabeln auswendig. Seine Lustspiele wurden von allen großen Theatergruppen gespielt, heute gelten sie eher als rührselig und sind vom Programm der Bühnen verschwunden. Doch Schönborn ist überzeugt, dass Gellerts Werke eine Schnittstelle zwischen den Künsten und Wissenschaften der mittleren Aufklärung bilden und auch heute noch einen wichtigen Platz in der Literaturgeschichte haben.

Die eigentlich auf sechs Bände geplante Gesamtausgabe wurde nun um einen letzten siebten Band erweitert. Durch die Wiedervereinigung bekamen die Düsseldorfer Wissenschaftler Zugang zu den Beständen in Leipzig und Dresden, der ihnen vorher nur partiell zugänglich waren. So konnte nun Band VII mit nachgelassenen Schriften erscheinen, der außerdem ein Gesamtregister enthält.

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf,
Dr. Victoria Meinschäfer, 01.04.2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. April 2009