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LITERATURBETRIEB/038: Profil 5 (SB)


Peter Handke, ein eigenbrötlerischer Einzelkämpfer


Immer mal wieder werden die Aktivitäten Peter Handkes Gegenstand öffentlicher Spekulationen wie unlängst seine Anwesenheit beim Prozeß gegen Slobodan Milosevic in Den Haag, die den Medienstreit um "Handke und Serbien" wieder angefacht hat.

Angefangen bei seiner ganz individuellen Deutung des Verhältnisses von Dichtung und Politik in den 60er Jahren stellt sich in den Medien seit damals die Frage, ob Peter Handke ein politischer Schriftsteller ist. Aktuelles politisches Geschehen kommentiert er aus der Distanz, noch dazu mit poetisierender, verschleiernder Sprache. Das reicht allerdings schon aus, um von den Medien niedergemacht und geschnitten zu werden. 1999 reiste Handke nach Srebrenica, wo er einen orthodoxen Gottesdienst besuchte und großes Elend feststellte. Dies sind im wesentlichen Handkes wenig aussagereichen Serbien-Wahrnehmungen, die von Anschauungen leben, nicht von Aufklärung über die Kriegswirklichkeit. Sein ersehntes Märchenland ist das alte, ungeteilte Jugoslawien, die Heimat seiner slowenischen Mutter, in der sich Handke "als Fremder wie nirgends auf der Welt zu Hause gefühlt" hat. Aus dieser kindlichen Erfahrung leitet er die Vorstellung von der "selbstverständlichen großen Einheit" Jugoslawiens ab, "Inbild der stillen und friedlichen Mitte des europäischen Kontinents".

Nach seiner Reise in die "Landschaften des Unglücks" erschien bei Suhrkamp der Bericht "Unter Tränen fragend" (ein Stück Landschaftspoesie, 1999), in dem Handke durch Demonstration seiner Betroffenheit Partei für das vom Westen geächtete Serbien nahm. Sowohl dieser Text als auch die schon 1996 verfaßte "winterliche Reise" enthielten Kritik an Zeitungen und Fernsehen und ihrer Version des jugoslawischen Konflikts, wohingegen der Dichter die serbische Berichterstattung im Fernsehen lobt, die "etwas Naturgewachsenes sein könne". Westliche Reporter, die aus dem bombardierten Belgrad berichten, werden als "Westkriegsblitzmädel", "Schlammfeder" oder "Giftschlammschmeißer" tituliert.

Ende Februar 2002 nun beobachtet Handke, entsandt vom "Magazin" der Süddeutschen Zeitung, den Prozeß gegen den ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic vor dem Internationalen Straftribunal für das ehemalige Jugoslawien (ICTY). Er mied bisher das Gespräch mit Journalisten. Die kompromißlos politische Argumentation von Milosevic selbst ist allerdings auch weitaus überzeugender als es eine Stellungnahme Handkes in seiner gewohnt diffusen literarischen Exklusivität sein könnte. Der Schauprozeß, mit dem Milosevic als für alle Grausamkeiten des Balkan Verantwortlicher vorgeführt werden sollte, hat sich langsam in ein so wirksames Forum seiner Rehabilitation als verantwortungsbewußter Politiker verwandelt, daß der serbische Staatssender Radio-Television Serbia (RTS) die Verhandlungen in Den Haag nicht mehr live überträgt; es liegt nahe, daß sich darin der Ärger der serbischen Regierung unter Ministerpräsident Zoran Djindjic über die wieder steigende Popularität Milosevics ausdrückt.

Für Handke ist die Stellungnahme zum Jugoslawienkonflikt hingegen eine reine Frage literarischer Präsentation. Er hat wohl kein Interesse an einer Analyse der Hintergründe der gegen Jugoslawien gerichteten Aggression. Statt dessen zeigt er in seinen bisherigen schriftlichen Äußerungen eine empfindsame Versponnenheit, die in der Öffentlichkeit keinen Schaden anrichten und keine Wirkung erzeugen kann. So bewirkt auch der stellvertretende Lärm der Medien nichts, die sich in Spekulationen über Handkes Schweigen in der Öffentlichkeit ergehen, wie an der erst vor kurzem erschienen Korrektur der Süddeutschen Zeitung (vom 22.2.2002 "Peter Handke im Unglück: Ein Interview, das keines war" von Gustav Seibt) anläßlich einer nicht autorisierten Wiedergabe eines Gespräches zwischen Cathrin Schütz und Peter Handke in der Jungen Welt abzulesen ist (21.2.2002, Prozeß gegen Milosevic in Den Haag: Keine Nationalisten weit und breit? Interview: Cathrin Schütz), das beide am Rande des Prozesses gegen Slobodan Milosevic in Den Haag geführt haben sollen.


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Daß Handke die dichterische Sprache der informativen oder sachlichen vorordnet, die ästhetische Wahrnehmung für die wahrhaftigste hält, macht sein Profil in der Öffentlichkeit aus, an dem er seit den 60er Jahren arbeitet. In einer Zeit, deren Geist davon geprägt war, Literatur zum Sprachrohr der Revolution zu machen, bestand seine "Provokation" darin, die "überlegene Weltgeltung" des literarischen Erzählens zurückzufordern. Er kritisierte die Politisierung der Literatur und beharrte auf ihrer Autonomie. In seinem 1967 erschienen Essay "Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms" schrieb er, "daß es in der Literatur nicht darum gehen kann, politisch bedeutungsgeladene Dinge beim Namen zu nennen, sondern vielmehr von ihnen zu abstrahieren". Und: "Ein engagierter Autor kann ich nicht sein, weil ich keine politische Alternative weiß zu dem, was ist, hier und woanders (höchstens eine anarchistische). Ich weiß nicht, was sein soll. Ich kenne nur konkrete Einzelheiten, die ich anders wünsche, ich kann nichts ganz anderes, Abstraktes, nennen. Im übrigen interessiert es mich als Autor auch nicht so sehr." Der Politisierung hielt er die "zukunftsmächtige Kraft poetischen Denkens" entgegen und fragte: "Wie wird man ein poetischer Mensch?" Daraus entwickelte er eine etwas verwirrende Theorie: "Die Worte zeigen nicht auf die Welt als etwas außerhalb Liegendes, sondern auf die Welt in den Worten selber." (1966, Nachwort zur Publikumsbeschimpfung).

Diesem dichtungstheoretischen Konzept ist Peter Handke bis heute treu geblieben. In seinen Publikationen über Serbien, die in den 90er Jahren erschienen sind, erstellt er eine eigenbrötlerische Gegenwelt, die es dem Leser erschwert, eine Verbindung zur sozialen Realität herzustellen. Serbien wird zum Schauplatz eines poetischen Geschehens, zu einem Ort, an dem die Weltgeschichte Pause hat, an deren Stelle eine metaphernreiche Erzählung tritt. Vor dem Hintergrund der Geschehnisse wirkt seine Prosa in ihrer Gespreiztheit besonders unangemessen, es wird deutlich, wie ungeeignet und weltfremd seine Sprache ist, wenn es darum geht, sich mit Krieg auseinanderzusetzen. Man kann es da schon Ironie der Logik nennen, wenn Handke der deutschen Gegenwartsliteratur "Beschreibungsimpotenz" vorwirft.

Daß Handkes Aktivitäten und literarischen Produkte immer wieder Gegenstand heftigster Auseinandersetzungen in den Medien sind, hält ihn nicht davon ab, trotz aller Schmähungen nach wie vor die Anerkennung durch den Kulturbetrieb zu reklamieren. Das macht es ihm dann allerdings auch unmöglich, auf Rechtfertigungen zu verzichten, womit er sich wieder dem Diktat der Medien beugen muß. Zudem versperren solche Prestigekämpfe den Blick für die Funktion einer Propaganda, die gegen Menschen geführt wird, die sich jeder Unterwerfung verweigern. Seine Schlußfolgerungen reichen so kaum über den Rand des Medientheaters hinaus.


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Der österreichische Schriftsteller Peter Handke Peter wurde am 6.12.1942 in Griffen (Kärnten) geboren. Er erlebte seine Kindheit in beengten Verhältnissen unweit der jugoslawisch-slowenischen Grenze, besuchte die Dorfschule in Griffen, später ein katholisches Internat in Tanzenberg und bis zum Abitur (1961) ein Gymnasium in Klagenfurt. 1965 brach er sein Studium der Rechtswissenschaften in Graz kurz vor dem Abschluß ab, nachdem sein Romanmanuskript "Die Hornissen" angenommen worden war. Handkes Wohnsitz wechselt häufig, er lebte in Graz, Düsseldorf, Berlin, Paris, Köln, Frankfurt, Kronberg/Taunus, Paris, USA und Salzburg.

1966 bei der Tagung der Gruppe 47 in Princeton (USA) machte er die Öffentlichkeit durch einen spektakulären Auftritt auf sich aufmerksam, als er der Fixierung der Literatur auf politisches Engagement und dem neu geforderten Sprachrealismus eine Absage erteilte und sich damit von den etablierten Strömungen der deutschsprachigen Literatur in den 60er Jahren absetzte.

Seine schnell wachsende Publizität wurde von heftigen Attacken namhafter Kritiker begleitet, die ihn mit dem Schlagwort "Neue Innerlichkeit" disqualifizieren wollten. Seine Antwort war der 1967 erschienene Essay-Band "Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms". Mit der "Publikumsbeschimpfung" 1966 begann Handkes anhaltender literarischer Erfolg. Weitere "Sprachstücke" folgten: "Kaspar" (1968), "Der Ritt über den Bodensee" (1971). Handkes Prosa provozierte, weil sie den Erwartungen an einen zeitgemäßen Stil widersprach. Er schrieb auch Hörspielsammlungen und Filmbücher und machte eigene Regieversuche in Zusammenarbeit mit Wim Wenders (1987).

Peter Handke erhielt zahlreiche Auszeichnungen wie den Gerhart- Hauptmann Preis 1967, den Georg Büchner Preis 1973, den Österreichischen Staatspreis 1988 und den Grillparzer Preis 1991.


Erstveröffentlichung am 13. März 2002

5. Januar 2007