Schattenblick → INFOPOOL → DIE BRILLE → REPORT


BERICHT/046: Sprachkultur trifft Fragen - Zugewinn und Selbstbehauptung ... (SB)


Wozu "gutes Deutsch"?
Alles schon mal dagewesen

Vortrag und Podiumsgespräch auf dem Akademientag 2016 zu "Sprache und Sprachen, kulturell, politisch, technisch" mit Prof. Dr. Heinrich Detering und Prof. Dr. Hans Ulrich Schmid am 18. Mai 2016 in Hamburg


Ihr bösen Teutschen, man sollt' euch peutschen,
daß ihr die Muttersprach' so wenig acht'.
Ihr lieben Herren, das heißt nicht mehren:
die Sprach' verkehren und zerstören.
aus: Hans Michael Moscherosch,
Wider alle Sprachverderber (1638)

"Wozu "gutes Deutsch"? Diese Frage, mit der sich schon Generationen von Schülern herumgeschlagen haben und es vermutlich auch zukünftig noch tun werden, wurde auf dem Akademientag 2016 in Hamburg zum Thema Sprache und Sprachen von zwei intimen Kennern der Materie einmal mehr aufgeworfen. Dabei steht vor der Beantwortung dieser Frage eigentlich eine andere: Was ist gutes Deutsch, wie wird es definiert und was versteht man in diesem Zusammenhang unter "gut"?

Die beiden Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Hans Ulrich Schmid und Prof. Dr. Heinrich Detering trugen informationsreich und mit spürbarem Engagement für ihr Sujet dazu bei, der Klärung all dieser Wirrungen eine Richtung zu geben, indem sie einen pointierten Einblick in die Vergangenheit, den gegenwärtigen Zustand und die zukünftige Entwicklung der deutschen Sprache gewährten.

Heraus kam dabei zunächst, daß die Fragestellung nicht ganz neu ist und, wie die Sprache selbst, Wandlungen und Interessen unterliegt. Die kulturkritischen Diskussionen, die in der Öffentlichkeit immer wieder über ein "gutes Deutsch" und seinen angeblichen Verfall geführt werden, so Heinrich Detering, seien so alt wie die Sprachkritik selbst. "Dabei kehren beharrlich Klischeevorstellungen von einer angeblich gefährdeten Reinheit oder Ursprünglichkeit wieder, die eine Schimäre ist und deren Behauptung von wichtigeren Problemen ablenkt."


Auf dem Podium des Universitätshörsaals - © Akademienunion/Foto: Jann Wilken

(von links:) Prof. Dr. Hans Ulrich Schmid, als Moderator Prof. Dr. Thomas Holstein (Präsident der Heidelberger Akademie der Wissenschaften) und Prof. Dr. Heinrich Detering im Gespräch über die "gute" deutsche Sprache
© Akademienunion/Foto: Jann Wilken

Prof. Dr. Hans Ulrich Schmid, der sich intensiv mit den Wurzeln der deutschen Sprache beschäftigt hat und als Projektleiter und Mitherausgeber des Althochdeutschen Wörterbuchs wie kaum ein anderer über Wortherkunft und -veränderungen berichten kann, mangelte es nicht an beredten Beispielen, die durch die Jahrhunderte hindurch die Debatte um den vermeintlichen Verfall der deutschen Sprache zu illustrieren vermochten:

Schon der erste bekannte deutschsprachige Dichter, Otfrid von Weißenburg (ca. 790-875), machte sich kritische Gedanken darüber, was eigentlich "gutes" und "schlechtes" Deutsch sei. Luther echauffierte sich über den hölzernen Sprachgebrauch seiner katholischen Widersacher und der Dichter und Sprachgelehrte Justus Georg Schottelius warnt 1648 gar: "Auf Enderung der Sprache folget eine Enderung der Sitten. Verenderte Sitten pflegen gemeiniglich das gemeine Leben also zu enderen, daß Unglükk und Untergang auf dem fusse daher folget." [1]

Sprachreiniger, so Schmid, kämpften in der Zeit des Barock gegen den Einfluß des Französischen. Im 17. Jahrhundert karikiert ein Hans Michael Moscherosch zugeschriebenes Gedicht einen Bauerntölpel, der meinte, sein Image mit fremdsprachigen Brocken aufpolieren zu müssen.

... Der Knecht Matthies spricht: 'Bonä dies'
wann er gut Morgen sagt und grüßt die Magd ...

Dabei war der Gebrauch der französischen Sprache eigentlich den Gebildeten vorbehalten.

Johann Christoph Gottsched (1700-1766) versuchte unter sprachrationalistischen Vorzeichen den Dialekten - zumindest in der "hohen" Literatur - den Garaus zu machen.

Auch die Aufklärung hatte ein Anliegen an die Sprache gegenüber dem Französisch der politischen Eliten: bestimmte Fremdbegriffe sollten transparent werden, damit das Volk mitreden könne. Bei dem Schriftsteller, Sprachforscher, Pädagogen und Verleger Joachim Heinrich Campe wurde so aus dem 'Takt' das 'Feingefühl' aus 'Appetit' 'Eßlust' und 'progressiv' sollte fürderhin 'fortschrittlich' heißen; der 'Katholik' wurde zum 'Zwangsgläubigen' und der 'Soldat' ein 'Menschenschlachter'.

Diese Bestrebungen, Fremdwörter ins Deutsche zu übersetzen, allerdings mit nationalistischem Hintergrund, hatte, so Schmid, auch der deutsche Sprachverein, der es sich zum Ziel setzte, möglichst alle Fremdwörter aus dem Deutschen zu eliminieren. Dabei wurde er jedoch ausgerechnet von den Nationalsozialisten ausgebremst. Von Hitler sei überliefert: "Der Führer wünscht nicht derartige gewaltsame Eindeutschungen und billigt nicht die künstliche Ersetzung längst ins Deutsche eingebürgerter Fremdworte."

Für Prof. Dr. Heinrich Detering, Präsident der Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung, Literaturwissenschaftler und Lyriker, ergeben sich aus dem Sprachgebrauch zwar Entwicklungen, "ohne daß sie jemand bewußt geplant hätte", zu kürzeren und knapperen Formen, diese Reduktion wirke sich aber nicht auf den Zustand der deutschen Sprache aus, wie aus dem "Ersten Bericht zur Lage der deutschen Sprache" der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung hervorgehe. [2]

Der Magen der deutschen Sprache, so Detering, habe in den letzten hundert Jahren erstaunlich viel verdaut. "Viel besser, als diejenigen argwöhnen, die bei jeder neuen Speise gleich vor Brechreiz und Kollaps warnen." Nie sei der Wortschatz so umfangreich und differenziert gewesen wie heute, Fremdwörter werden selbstbewußt einverleibt.

Trotzdem sei das Bestreben der heutigen Sprachkritik, sich von sprachlichen Fremdeinflüssen zu lösen, Standesunterschiede innerhalb der deutschen Sprachgemeinschaft aufrechtzuerhalten und den Rückgang des Sprachreichtums zu beklagen, vom Mittelalter bis heute mit ähnlichen Argumenten, Feindbildern und Sündenregistern fast unverändert geblieben. So setzt sich der "Kampf" um das richtige, gute, korrekte Deutsch fort.

Detering erläuterte die Absichten, die von der Sprachkritik verfolgt werden. Da war zum einen im Barock der Wunsch nach Volksherrschaft durch Volkssprache, nach einer Möglichkeit zur verstehenden und mitredenden Teilhabe. "Der Kampf der Aufklärer für eine deutsche Öffentlichkeit, galt nicht der Herabsetzung des anderen, sondern der Ermöglichung des Eigenen." Diese Dynamik sei einem sozialen Impuls geschuldet, der sich aus dem Beharren auf der einheimischen Volkssprache gegenüber dem Latein der Gelehrten oder dem Französisch der politischen Eliten ergab.

Nicht, weil er leider bloß kein Franzose ist, sondern ein Deutscher, wird der alberne Maliniere in Lessings Minna von Barnhelm verspottet, sondern weil sein Französisch die Sprache eines exklusiven, eines ausschließenden Herrschaftsdiskurses ist. Nicht weil sich der starke deutsche Mann vom französischen Weichling durch sein beherztes Fluchen unterscheidet, läßt der junge Goethe seinen Götz vom 'im Arsch lecken' reden, sondern weil dieser Götz als ein auf seiner Freiheit bestehendes Individuum gegen eine Bildungskultur protestiert, die hier auf Unterwerfung zielt.

Im Laufe des 19. und zum Anfang des 20. Jahrhunderts änderte sich die Sichtweise: An die Stelle einer soziologischen Perspektive auf die Volkssprache Deutsch tritt die biologisch begründete nationalistische und schließlich völkische Perspektive eines Deutschtums.

Das Deutsche erscheint nun entgegen allen Einsichten der Sprachgeschichte als ein in sich abgeschlossener Sprachleib, dessen Reinheit und Unberührtheit so verteidigt werden muß wie der physische Leib gegen physische Enteignung oder Vergewaltigung. Die Verteidigung der Reinheit und die Polemik gegen Vermischung sind hier wie dort, in der Sprachkritik wie in den biologischen und sexuellen Normen und Metaphern, dieselben. Und nebenbei ist es eigentümlich zu sehen, wie dabei untergründig sexuelle Machtphantasien und Entmächtigungsängste mitwirken.

Auch das drückt sich in Sprache aus. Politisch und wirtschaftlich Unterlegene und Schwächere - Juden, Polen, Slawen - wurden als rassisch und sprachlich anders ausgegrenzt. Es sind "die Übergangszonen zwischen Dialekten und Soziolekten, in denen die Spuren des in den eigenen kollektiven Sprachkörper bedrohlich eindringenden Fremden gesucht und bekämpft werden." Dieses Denken habe bis heute Bestand, sagt Detering,

ob im Einflußbereich der dänischen Volkspartei, in Viktor Orbáns Ungarn, in Kaczynskis Polen oder in den Niederlanden des Geert Wilders, in Donald Trumps republikanischer Partei, im Österreich der FPÖ und hierzulande in der AFD, in der Alexander Gauland tatsächlich wieder vom Volkskörper spricht. Wer diese Debatten über Volkskörper und Sprachleib verfolgt, der sieht nicht nur Ähnlichkeiten, sondern Kontinuitäten. [...] Ihr jeweiliges Sprachreinheitsverlangen ist getrieben von der Angst vor einer gewaltsamen Durchdringung des Eigenen. Die Frage, wie oft eigentlich in politischen Kommentaren das Insistieren auf dem Deutschen und die Warnung vor der sexuellen Aggression von nordafrikanisch aussehender junger Männer in Kombination auftaucht, diese Frage wäre schon eine neue empirische Untersuchung wert.

Eine tatsächliche Gefährdung unserer Sprache entsteht für Detering allerdings nur durch "dummdusseligen Gebrauch, also durch schablonenhaftes Gerede, durch Worthülsen und Raster", was dem Bereich der Stilistik oder der Rhetorik zuzuschreiben ist, aber nicht zu Grammatik und Wortschatz gehört.


Blick über den vollbesetzten Hörsaal - © Akademienunion/Foto: Jann Wilken

Reges Interesse am "guten" Deutsch
© Akademienunion/Foto: Jann Wilken

Die Eingangsfrage, was ein "gutes" Deutsch denn nun letztendlich ausmache, erhielt am Ende der Veranstaltung eine erstaunlich offene Antwort. "Die Sprachgemeinschaft", faßt Heinrich Detering zusammen,

gibt sich letztlich, ob wir wollen oder nicht, doch ihre eigenen Regeln, und ich würde hinzufügen: Das ist auch gut so. Wir als Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung haben sogar in unserer Satzung stehen, daß wir in irgendeiner Weise stilistisch normativ wirken sollen. Wir tun das ausdrücklich und mit allem uns verfügbaren Nachdruck nicht, indem wir bestimmte Vorschriften erlassen, sondern indem wir auszeichnen, was uns in bestimmten Kontexten als eine vorbildliche Sprachverwendung erscheint. [...] Stärkere als die hier angegebenen Normen würde ich unter keinen Umständen vorschreiben wollen. Es wird entweder lächerlich oder es geht ins Leere.[...] Was wir mit gutem Deutsch meinen: eine anschauliche, flexible, klare Verwendung der jeweiligen Sprache.

Und Hans Schmid fügt aus seiner Sicht hinzu: "Gutes Deutsch ist eigentlich angemessenes, situationsadäquates, partnerbezogenes Deutsch."

Noch Fragen?


Anmerkungen:

[1] Zitiert nach Markus Hundt: Spracharbeit im 17. Jahrhundert. Studien zu Georg Philipp Harsdörfer, Justus Georg Schottelius und Christian Gueintz. Berlin, New York 2000

[2] Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung und Union der deutschen Akademien der Wissenschaften (Hrsg.): Reichtum und Armut der deutschen Sprache. Erster Bericht zur Lage der deutschen Sprache. Berlin 2013


Die Berichterstattung des Schattenblick zum Akademientag 2016, "Sprache und Sprachen, kulturell, politisch, technisch", finden Sie unter INFOPOOL → DIE BRILLE → REPORT:

BERICHT/043: Sprachkultur trifft Fragen - Eigenschaft, Errungenschaft und Grenzen ... (SB)
http://schattenblick.de/infopool/d-brille/report/dbrb0043.html

INTERVIEW/067: Sprachkultur trifft Fragen - Kenntnis, Mühe, Sinnerhalt ...    Heinrich Detering im Gespräch (SB)
http://schattenblick.de/infopool/d-brille/report/dbri0067.html

20. Juni 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang