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BERICHT/062: 21. Linke Literaturmesse - Triumph der Verkennung (SB)


Mensch und Tier auf welcher Seite der Gitterstäbe?

Von der Inakzeptabilität der Institution Zoo


Zoos sind dauerhafte Einrichtungen, in denen lebende Tiere wild lebender Arten zwecks Zurschaustellung während eines Zeitraumes von mindestens sieben Tagen im Jahr gehalten werden

Die prosaische Definition des Zoologischen Gartens oder Zoos im Bundesnaturschutzgesetz verweist auf ein Zwangssystem, das die Objekte der Zurschaustellung mit nichts anderem honoriert als ihrem Überleben unter dauerhaft versorgten und eingeengten Bedingungen. Zootiere sind zwar nicht in gleicher Weise domestiziert wie sogenannte Haustiere, sie werden aber beim Füttern, zur Verrichtung von Kunststücken oder zur Beteiligung an wissenschaftlichen Untersuchungen durchaus einer Dressur unterworfen, die ihnen nur aufgenötigt werden kann, weil ihnen die Autonomie eigenen Handelns genommen wurde.

Die Natur, die dort vermeintlich geschützt wird, ist auf einer Begrifflichkeit errichtet, die ausschließlich von ihrer Gegenüberstellung zum Menschen lebt. Das Nichtmenschliche dieser Natur ist denn auch, zirzensischen Aufführungen nicht unähnlich, vollständig von den Erwartungen und Vorstellungen, den Kategorien und Werten des Menschen bestimmt. Was immer das Publikum im Zoo erlebt, kann die Grenzen eigener Bedingtheit nicht überwinden. Beim Blick auf das Tier trifft der Mensch stets auf sich selbst, woran etwa das als besonders ergötzlich empfundene Aufspüren typisch menschlicher Verhaltensweisen bei Primaten erinnert. Hinter der reprojektiven Unterhaltung, den Affenfelsen als Chiffre eigenen Sozialverhaltens zu entdecken, droht denn auch die wenig erfreuliche Erkenntnis, daß der Zoo die Fesseln nicht nur der Tiere enger zieht.

Was geschieht mit demjenigen, der das andere Lebewesen zum Objekt eigener Betrachtung, zum Quell des Amüsements, zur Bestätigung eigener Überlegenheit, zur Herabwürdigung des Animalischen macht? Er nimmt Distanz, um sich zum Zwecke der Unterscheidung vergleichen zu können, und baut damit jeder Kontaktaufnahme auf Augenhöhe vor. So besiegelt er nicht nur die Zweckbindung des anderen, welchem Interesse auch immer ausgelieferten Wesens, sondern trennt den Menschen in seiner vermeintlichen Überlegenheit auch von zahlreichen Möglichkeiten einer weniger zerstörerischen Entwicklung. Die Empathie, die für das Tier auf der anderen Seite der Käfigstäbe empfunden werden mag, bleibt selbstgenügsam, denn sie emanzipiert den oder die Gefangene nicht zu der Freiheit, die ihm oder ihr genommen wurde. Wird das unangenehme Gefühl in der Magengrube, das hier irgend etwas ganz grundsätzlich schiefläuft, schließlich im Zoorestaurant mit Speisen beseitigt, die mitunter aus den Körpern von Tieren bestehen, deren Artverwandte man eben noch im Freigehege betrachten konnte, dann findet alles zur vertrauten Verkennung herrschender Ordnung zurück.


Referent mit Bildprojektion 'Adolf Hitler vor Löwenkäfig' - Foto: © 2016 by Schattenblick

Colin Goldner auf der Linken Literaturmesse
Foto: © 2016 by Schattenblick

"Lebenslänglich hinter Gittern"

Der Tierrechtler Colin Goldner sprach denn auch in seinem Vortrag auf der Linken Literaturmesse von der "moralischen Unrechtsinstitution Zoo". Anläßlich der Vorstellung seines Buches "Lebenslänglich hinter Gittern", das insbesondere die Haltungsbedingungen großer Menschaffen in deutschen Zoos, aber auch eine grundsätzliche Kritik an dieser Tiere einsperrenden Einrichtung zum Gegenstand hat, widmete er sich in der Hauptsache der Geschichte der Zoos unter dem NS-Regime.

Wie relevant die Auseinandersetzung mit Zoos ist, besagt allein die Zahl von 865 Zoos und zooähnlichen Einrichtungen, die die Bundesrepublik laut Goldner zum Staatsgebiet mit der größten Zoodichte weltweit macht. Ende des 19. Jahrhunderts war die Hochzeit sogenannter Tierparks in Europa insbesondere bei den Kolonialmächten, die in besonderer Weise Zugriff auf Wildtiere hatten. Doch nicht nur Tiere, auch Menschen wurden im Rahmen sogenannter Völkerschauen in europäischen Zoos präsentiert. Was aus der hohen Warte europäischer Geistes- und Kulturgeschichte als rückständig und unzivilisiert diagnostiziert wurde, geriet als exotische Attraktion auch zum Beweis für die Gültigkeit jener Aussichten auf Abenteuer und Glück, mit denen die Eroberungen des europäischen Kolonialismus populär gemacht wurden.

Sich die Erde untertan zu machen, wie der christliche Ethos europäischer Kolonialherren gebot, schloß eben auch Menschen ein, die zwar nicht mehr direkt versklavt, aber von den findigen Agenten moderner Menschenhändler unter kostengünstigen Bedingungen zur Übersiedelung in einen deutschen Zoo überredet werden konnten. Viele der zur Schau gestellten Menschen starben an ihnen unvertrauten Erkrankungen oder litten unter den Strapazen der Reisen, die diese spektakulären Kolonialschauen durch ganz Europa unternahmen.

Carl Hagenbeck, der 1875 erstmals Lappländer als lebende Exponate einer fremden Kultur ausstellte, war vor allem Tierhändler. Daß er Expeditionen in "aller Herren Länder" schickte, um die dabei erbeuteten Exoten weiterzuverkaufen, bevor er in Hamburg einen eigenen Tierpark gründete, stellt den Mythos vom Zoo als einer Erziehung und Wissenschaft gewidmeten Einrichtung in den angemessenen Kontext einer Herrschaftspraxis, deren maßgebliches Interesse im totalen Zugriff auf den Körper anderer Lebewesen besteht. So beteiligte sich Hagenbeck auch an Züchtungsexperimenten, bei denen es um die Kreuzung von Ponys und Zebras zwecks Schaffung besonders leistungsfähiger Reittiere für die deutschen Kolonialtruppen ging. Ohnehin war in dieser Zeit die Zähmung afrikanischer Wildtiere zur Nutzung für Arbeit und Transport ein großes Thema [2], was bei der wissenschaftlichen Forschung in Zoos nicht vergessen werden sollte.

Wie Goldner berichtet, gelangte das bis dahin prosperierende Zoowesen zu Beginn des Ersten Weltkrieges in eine Krise, aus der es erst mit Beginn der NS-Diktatur wieder herauskommen sollte. Das Publikum blieb weg, die Ernährung der Tiere war nicht mehr zu bezahlen, und nicht wenige wurden selbst an andere Tiere verfüttert oder an Fleischhändler verkauft. Nach dem Krieg versuchten die Betreiber, sich mit Rummelplatzattraktionen über Wasser zu halten, bei denen die Tiere die Ergebnisse ihrer Dressur vorführen mußten. Mit Trachtenanzügen bekleidete Schimpansen feierten als Karikatur ihrer Betrachter Triumphe, aber das Zoowesen konnte erst ab 1933 wieder kommerzielle Erfolge feiern.

Der Grund lag in der umfassenden finanziellen Unterstützung und propagandistischen Instrumentalisierung der Zoos durch das NS-Regime. Wie Goldner anhand detaillierter Beispiele schildert, stellten sich die Nazis durch den Ausbau vorhandener und die Gründung zahlreicher neuer Zoos als Tierfreunde dar, an deren Spitze neben Adolf Hitler, der sich gerne beim Tätscheln von Rehkitzen fotografieren ließ, insbesondere Reichsjägermeister Hermann Göring stand.

Daß sich ausgerechnet ein Mann, der sich gerne und häufig mit kapitaler Jagdbeute schmückte, als führender Tier- und Naturschützer des Reiches inszenieren konnte, ist allerdings kein Widerspruch. Auch heute behaupten Jäger, Heger und Pfleger des Waldes und Wildes zu sein, und die auch in der Bundesrepublik als vorbildlich gerühmte Tier- und Naturschutzgesetzgebung der NS-Zeit war ein Produkt moderner Gesetzgebung, das die Ausbeutung der Tiere unter der Prämisse, ihnen kein "unnötiges" Leid zuzufügen, weiter institutionalisierte und legalisierte. Mit dem darin enthaltenen Verbot des Schächtens wurde ein weiterer Vorwand zur Judenverfolgung geschaffen, und natürlich taten die an jüdischen Menschen vollzogenen Grausamkeiten und Morde der Tierfreundschaft keinen Abbruch, ist doch die Tieren zugestandene Unschuld zugleich ultimative Rechtfertigung der Herrschaft der Menschen über sie. Was demgegenüber nie geschehen darf und auch den Nazis fern lag, ist Tieren eine Autonomie eigenen Handelns zuzugestehen, die ihre wie auch immer geartete Unterwerfung und Ausbeutung quasi von selbst verbietet.

Wird linken Aktivistinnen und Aktivisten der Tierbefreiungs- und Tierrechtebewegung mitunter vorgehalten, mit ihrem Anliegen fest in braunem Gedankengut verankert zu sein, dann liegt schlichtweg eine Verwechslung von legalistischer Flankierung der Tierausbeutung und prinzipieller Ablehnung jeder Form von Tierverbrauch vor. Auch im NS-Staat wurden insbesondere für Rüstungszwecke Tierversuche vollzogen, und nicht nur das - für militärische wie industrielle Zwecke wurden Menschenexperimente in KZs durchgeführt, deren Grausamkeit jeder Beschreibung spottet. Wie schon die Parallelität von Menschen- und Tierschauen im 19. Jahrhundert zeigt, wird die vermeintlich so eherne Grenze zwischen Mensch und Tier, wenn es dem eigenen Raubinteresse dient, so leicht überwunden, wie es die bis heute selbstverständliche Anwendung abwertend gemeinter Tiervergleiche auf Menschen zumindest ahnen lassen könnte. "Wir beuten Tiere nicht aus, weil wir sie für niedriger halten, sondern wir halten Tiere für niedriger, weil wir sie ausbeuten", stellt der Philosoph Mario Maurizi [3] die vermeintlich gottgegebene Hierarchie zwischen Mensch und Tier auf die Füße ihres zweckbedingten Interesses.

Goldner hat dieser Epoche aus der Geschichte deutscher Zoos sein wissenschaftliches und journalistisches Interesse nicht nur gewidmet, weil es sich um ein hartnäckig verschwiegenes und leichtfertig übersehenes Kapitel der NS-Herrschaft handelt. Ergiebig ist das Thema auch für den biologistischen Charakter der NS-Ideologie, konnten anhand dieser auch als "Stätten darstellender Biologie" bezeichneten Einrichtungen doch zentrale erbbiologische und "rassenkundliche" Elemente der Lehre von der arischen Suprematie am Tierbeispiel analogisiert und exemplifiziert werden. Doch auch für den neuerlichen Griff nach Territorien in Übersee waren die Zoos eine wohlfeile Projektionsfläche der gegenüber Großbritannien und Frankreich zu spät gekommenen Kolonialnation. Daß die dazu von der NSDAP-geförderte Deutsche Afrikaschau, die ab 1935 nach dem Vorbilde der Hagenbeckschen Völkerschauen gezeigt wurde, ab 1938 wieder eingestellt werden mußte, weil Menschen dunkler Hautfarbe nicht mehr öffentlich auftreten durften, sei als NS-spezifische Anekdote nicht verschwiegen.

Als das Tausendjährige Reich nach zwölf Jahren in Trümmern endete, lagen auch zahlreiche Zootiere unter ihnen begraben. Göring hatte Anweisung gegeben, den Zoobetrieb so lange wie möglich aufrechtzuerhalten, was dazu führte, daß Tausende von Tieren nicht nur in Berlin im Bombenhagel umkamen. Wer übrigblieb, wurde entweder auf behördliche Anordnung hin erschossen oder fiel in die Hände von Plünderern, die ihr Fleisch aßen oder verkauften. Eine für den Zoounterricht verwendete Materialsammlung des Verbandes deutschsprachiger Zoopädagogen, so Goldner, kündet bis heute davon, daß die Nazis sich nicht für Zoos interessierten. Mit zahlreichen Beispielen belegt der Autor und Tierrechtler, daß die NS-Geschichte deutscher Zoos bis heute weitgehend unaufgearbeitet ist, was auch die in diesem Zusammenhang erfolgte "Arisierung" jüdischer Vermögen betrifft. Der Zoo - Kein Platz für Tiere - das aktuelle Buch Goldners ist der grundsätzlichen Auseinandersetzung mit einer Einrichtung gewidmet, die unter anderem in dem Ruf steht, ein wertvolles Mittel der Kinder- und Jugendpädagogik zu sein, was allerdings einer radikalen Überprüfung bedarf.


Bucheinband 'Colin Goldner - Lebenslänglich hinter Gittern' - Foto: 2016 by Schattenblick

Foto: 2016 by Schattenblick

Der Blick von unten

Auch wenn die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit deutscher Zoos gelänge, änderte das nichts an der Inakzeptabilität dieser Institution, an der es zumindest aus Sicht von Tierrechtlern und Tierbefreiern nichts zu rütteln gibt. Die Parzellierung der Wildnis in Käfige und Gehege, in denen die Tiere, ordentlich nach Arten voneinander getrennt, ein tristes Dasein als Ausstellungsstücke fristen, ist Ausdruck der Herrschaft des Menschen über eine Natur, die zu kontrollieren und zu verbrauchen Sinn und Zweck dieser kategorialen Dualität ist. Mit der begrifflichen Abstraktion die eigene Tierhaftigkeit vergessen zu machen oder anhand einer Moral zu leugnen, die die Ordnung des Oben und Unten wirksam gegen ihre Aufhebung versiegelt, bringt denn auch die bekannten Ergebnisse anwachsender Entfremdung und Zerstörung hervor.

Bei dem Versuch, die Wildnis zu zivilisieren, indem sogenannte Raubtiere von potentiellen Beutetieren ferngehalten werden, um anstelle dessen vom Menschen mit Nahrung versorgt zu werden, ersetzt ein Gewaltverhältnis das andere. Das nicht nur, weil die Nahrung dieser Karnivoren ebenfalls aus zuvor getöteten Tieren besteht, sondern weil der Übergriff des Menschen auf Verhältnisse zwischen anderen Lebewesen immer paternalistisch ist. So geht der Mensch - der seine Zerstörungsgewalt auf höchst unterschiedliche Art und Weise einsetzt, so daß dieser Gattungsbegriff nicht minder vernebelnd ist wie der des Tieres - trotz seiner Orientierung auf Moral und Vernunft weit räuberischer vor als sogenannten Raubtiere [4]. Es bleibt mithin (rhetorisch) zu fragen, wie die zivilisatorische Überwindung animalischer Gewalt als evolutionäre Spitzenleistung propagiert werden kann, während im gleichen Atemzug um so brutaler zugelangt wird.

Wem es um die fortschrittliche Weiterentwicklung des gesellschaftlichen Mensch-Tier-Verhältnisses geht, kommt nicht umhin, den Blick auf das Tier seiner bewertenden und beurteilenden Distanz zu entledigen, um nicht mehr "über" es zu sprechen, sondern sich auf die Seite seiner versklavten und ausgebeuteten Existenz zu stellen. Ihre Geschichte und Zukunft von unten (5) zu hinterfragen bedarf keiner theoretischen Sicherheitshaken und Halteseile, sondern führt in der Konfrontation mit dem Schmerz, von dem menschliche Kulturleistungen wie Zoos und Käfige durchdrungen sind, wie von selbst zu weiterführenden Fragen und Schritten.


Fußnoten:

[1] https://www.gesetze-im-internet.de/bnatschg_2009/__42.html

[2] Bernhard Gissibl: Das kolonisierte Tier. Zur Ökologie der Kontaktzonen des deutschen Kolonialismus

[3] http://www.tierrechtsgruppe-zh.ch/wp-content/files/Marxismus_und_Tierbefreiung_Antidot.pdf

[4] REZENSION/662: Das Handeln der Tiere - Tierliche Agency im Fokus der Human-Animal Studies (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar662.html

[5] Jacon C. Hribal: Animals, Agency, and Class. Writing the History of Animals from Below
http://www.humanecologyreview.org/pastissues/her141/hribal.pdf

30. November 2016


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