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INTERVIEW/024: Streifzüge Literaturfest Berlin - Gärtner der Reime ...    Mirko Bonné im Gespräch (SB)


15. internationales literaturfestival berlin

Ein Gespräch mit dem Schriftsteller Mirko Bonné zum Abschluß der literarischen Reise der "Global Weather Stations" am 11. September 2015 im Berliner Festspielhaus


Wer sich noch nie mit Literatur befaßt hat, ist auf dem internationalen literaturfestival berlin (ilb) ebenso gut aufgehoben wie jener, der bereits sein ganzes Leben der schreibenden Kunst gewidmet hat. Im 15. Jahr seit seiner Gründung durch den Ingenieur und Kulturmanager Ulrich Schreiber wird auf dem ilb für jeden etwas geboten: Einfach nur zuhören, wenn ein Gedicht oder Prosastück vorgetragen wird, sich einbringen, wenn beispielsweise unter der Rubrik "Specials" eine Podiumsdiskussion zu einem gesellschaftlich relevanten Thema stattfindet, oder auch außerhalb der programmatischen Vorgaben ein Gespräch mit einer Autorin oder einem Autor führen.

Mit Mirko Bonné zum Beispiel. 1965 in Tegernsee geboren, zog er im Alter von zehn Jahren mit seiner Familie nach Hamburg, wo er heute noch lebt. Seine ersten Gedichtbände erschienen in den neunziger Jahren. Sein fünfter und vorläufig letzter Gedichtband "Traklpark" (2012), benannt nach einem kleinen Park in Innsbruck, ist eine Hommage an den von ihm hochgeschätzten österreichischen Lyriker Georg Trakl (1887-1914).

1999 trat Bonné erstmals mit einem Roman ("Der junge Fordt") an die Öffentlichkeit. Weitere Romane folgten, beispielsweise "Wie wir verschwinden" (2009) und "Nie mehr Nacht" (2013). In diesem Jahr veröffentlichte der mehrfach ausgezeichnete Schriftsteller den Erzählband "Feuerland". Darüber hinaus ist er als Übersetzer tätig, unter anderem hat er Lyrik von William Butler Yeats, Emily Dickinson und Emma Lew ins Deutsche übertragen.

Am Rande des 15. internationalen literaturfestivals berlin (9. - 19. September 2015) sprach der Schattenblick mit Mirko Bonné über seine Tätigkeit als eine von fünf internationalen "Weather Stations", die sich schreibend mit dem Klimawandel befaßt haben, über die Bewahrung des Reims als eine mögliche Form des Gedichtes, die Wirkmächtigkeit von Sprache und vieles mehr.


Beim Interview - Foto: © 2015 by Schattenblick

Mirko Bonné
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Sie sind Mitglied der "Global Weather Stations". [1] In diesem Projekt haben sich vier Autoren und eine Autorin 18 Monate lang mit dem Thema Klimawandel auseinandergesetzt. Von wem war diese Initiative ausgegangen?

Mirko Bonné (MBo): Es gibt fünf Kulturorganisationen, die auch politisch engagiert sind, aus fünf Ländern. In Deutschland das Internationale Literaturfestival Berlin, in Polen Krytyka Polityczna, in Australien das Wheeler Centre, dann Tallaght Community Arts aus Irland und als Dachorganisation Free World aus London. Unterstützt wird das ganze von der EU.

SB: Haben Sie sich dafür beworben oder ist man mit der Bitte an Sie herangetreten?

MBo: Man ist an mich herangetreten, weil ich in den letzten Jahren mit meinen Büchern viel unterwegs war, und auch aufgrund meiner Romane, die fast stets im Ausland spielen und sich auch immer zumindest im Hintergrund mit Wetter- und Klimathematiken beschäftigen.

SB: In einem Interview vom 23. Juni dieses Jahres, das Sie mit sich selbst geführt haben, schrieben Sie: "Der Klimawandel ist insofern für mich ein sprachliches Problem, denn es geht mir um das Überprüfen von Möglichkeiten seiner literarischen Darstell- und Vermittelbarkeit." [2] Wohin hat Sie diese Überprüfung geführt?

MBo: Ich arbeite momentan an einem neuen Roman und merke durchaus, daß ich mit der bisherigen Arbeitsweise, bei der das Wetter allein eine Art Bildhintergrund bildet, inzwischen unzufrieden geworden bin. Ich suche nach Möglichkeiten, mit dem Wetter und den klimatischen Veränderungen innerhalb der letzten 30, 40 Jahre eines Lebens anders umzugehen und sie anders darzustellen. Allerdings würde ich nicht sagen, daß meine literarischen Figuren jetzt plötzlich anfangen, ein größeres Bewußtsein von Nachhaltigkeit zu entwickeln. Nicht auf tagespolitischem Niveau.

SB: Auf welchem Niveau dann?

MBo: Für mich ist das Ganze zunächst ein sprachliches Problem. Meine Herangehensweise die letzten 18 Monate war die, daß ich mir die Frage gestellt habe, wie man Poesie und so ein aktuelles politisches Thema zusammendenken kann. Wie kann sich die Poesie sprachlich einsetzen? Daran knüpft natürlich sofort die Frage an: Darf und kann Poesie sich überhaupt einsetzen oder sollte sie nicht immer frei sein, auch und gerade in so ernsten Zeiten, in denen wir momentan leben? Das ist eine Gratwanderung.

SB: Inwiefern unterscheidet sich die Arbeit an einem Gedicht oder Prosastück für die Weather Stations von der Arbeit an anderen Gedichten oder anderer Prosa, die Sie vor dieser Zeit geschrieben haben?

MBo: Schwierig zu sagen, weil man sich ja nicht in der Absicht an ein Gedicht setzt, daß man sich morgens sagt: Heute schreibe ich ein Gedicht über Angela Merkel. Man versucht vielmehr, sich möglichst offen zu halten, und dann sieht man mal, was passiert. Vielleicht liest man etwas und fühlt sich plötzlich von einem Gedicht überrumpelt, das unbedingt geschrieben werden will.

SB: Legen Sie dann sofort los?

MBo: Es kann sein, daß ich sofort loslege. Ich versuche es, weil ansonsten nämlich dieser erste und sehr starke Impuls rasch wieder vorbei ist. Auf der anderen Seite habe ich in dieser Zeit auch für mich verblüffend angefangen, Gedichte über Themen zu schreiben, die hätte ich vorher niemals aufgegriffen. So habe ich das achtseitige Erzählgedicht "Plastikmeer" über die Plastikverseuchung der Weltmeere geschrieben. [3] Ausgegangen bin ich allerdings von einem Fluß vor meiner eigenen Haustür, der Alster. Ohne dieses Projekt hätte ich so ein Erzählgedicht, auch sprachlich gesehen, mit dem Vokabular, das aufgenommen und durchgeschreddert wird, nicht geschrieben. Das gilt auch für andere Gedichte, die im Rahmen dieses Projekts entstanden sind.

SB: Nachdem ich angefangen hatte, "Plastikmeer" zu lesen, wurde ich ungeduldig und fragte mich, wann kommt er endlich zum Ende. Dann habe ich weitergelesen und festgestellt: Ja, es ist lang, das ist absolut angemessen, denn das Problem des Plastikmülls ist riesig und nicht so schnell abzuhaken. War es Ihre Absicht, das mittels dieser langen Form auszudrücken?

MBo: Selbstverständlich. Wobei es auch um das Nachvollziehen dieser mäandernden Form des Gedichts geht. Für mich ist "Plastikmeer" ein Monstergedicht. Aber genau das soll es ja auch darstellen: eine monströse Aufgabe. Was da auf jeden von uns zukommt, ist in seiner Tragweite noch gar nicht abzuschätzen. Ich wollte etwas schreiben, das bewegt und ergreift, zugleich aber dem Leser einiges abverlangt und auch schmerzt.

SB: War für Sie das Erzählgedicht eine neue Form des Ausdrucks?

MBo: Ich habe nur sehr wenige Erzählgedichte geschrieben, und noch nie ein so langes.

SB: Wollen Sie mit dem, was Sie schreiben, etwas bewirken oder erreichen?

MBo: Ich möchte im Grunde nur eines erreichen, nämlich meinem Leben einen Sinn geben, um nicht der Sinnleere anheimgefallen zu sein. Politisch gesehen glaube ich nicht, mit meinem Schreiben etwas bewirken zu können. Aber ich habe aufgrund meiner Lesereisen und meinen vielen Lesungen immer wieder die Erfahrung gemacht, dass man mit seinem eigenen Dichten und Erzählen durchaus Menschen erreichen und mit ihnen ins Gespräch kommen kann, und zwar auf eine ganz eigentümliche und bereichernde Weise. Und das ist etwas, was ich in meinem Leben nicht mehr missen möchte.

SB: Das gilt dann vermutlich auch für die Schulklassen, mit denen Sie bei den Weather Stations zusammengearbeitet haben? [4]

MBo: Ja, aber man kann das durchaus auch mit älteren Lesern erleben. Der große Vorteil des Schreibens liegt ja darin, daß man dabei allein ist und daß auch der Leser mit einem Roman oder Gedicht allein sein muß. Das heißt, es ergibt sich zwangsläufig ein Gespräch. Ob das dann wirklich fruchtbar verläuft, ist eine ganz andere Frage. Zunächst aber treffen zwei Gemüter aufeinander und ist dieses Gespräch möglich. Das ist in meinen Augen eine vornehme Aufgabe jeder Literatur: die Ermöglichung des Austauschs.

SB: Auch beim Vortrag eines Gedichts für eine andere Person läge eine Situation vor, bei der es zu einem sehr engen Dialog zwischen zwei Menschen kommen kann.

MBo: Natürlich. Zumal der Dichter oder Erzähler ja auch nur der erste Leser seines eigenen Textes ist. Er hat ja nicht die Lufthoheit über seinen eigenen Text, kann nicht sagen: So und so ist es, so ist es gemeint.

SB: Sie haben unter anderem Gedichte von William Butler Yeats übersetzt, der in Reimform geschrieben hat. Soweit ich Ihre Gedichte gelesen habe, verwenden Sie nicht die Reimform. Was hat Sie dazu bewogen?

MBo: Ich schreibe sehr oft Gedichte in Reimform. Im Gegensatz zu den meisten Lyrikern meiner Generation habe ich den Reim nie als obsolet empfunden, weil ich ihn immer auch als mögliche Form sehe. Allerdings ist er für mich nicht die einzige Form, sondern ich setze mich auch mit anderen poetischen Strukturen auseinander, mit dem freien Vers, dem Refrain, mit versteckten Reimen und vielem mehr. Übrigens hat Yeats nicht nur gereimte Gedichte geschrieben, wenngleich er ein Meister des Reims war.

SB: Als Übersetzer müssen Sie sich intensiv nicht nur mit der anderen Sprache, sondern auch der eigenen Sprache auseinandersetzen. Sind Sie schon mal an eine Grenze gestoßen, an der Sie sagten, das kann man nicht aus der anderen Sprache in die eigene übertragen?

MBo: Es gibt einen sehr schönen Vers von einem rumänisch-französischen Dichter, der steht für mich immer beispielhaft für die Unübersetzbarkeit eines ganz, ganz kurzen Gedichtes, und ich glaube, im Grunde lauert dieses Problem überall. Man muß immer wieder Strategien für sich selbst entwickeln, wie man an einen Text herantritt, der einem ja aus gutem Grund Hindernisse in den Weg stellt!

SB: Würden Sie der These zustimmen, daß diese Nichtübersetzbarkeit ein Gewinn für die eigene Sprache sein kann, weil hier Grenzen der eigenen Sprache, vielleicht sogar der eigenen Kultur berührt werden, von denen man bisher gar nicht gewußt hat, daß sie existieren?

MBo: Ich würde nicht von Unübersetzbarkeit ausgehen - das ist die Ausnahme -, sondern von Übersetzbarkeit. Weil Übersetzung für mich per se bedeutet, im Zweifel zu bleiben. Sie bedeutet für mich nicht: Ich habe es jetzt geschafft, das Original in meine Sprache zu heben. Sondern es ist vollkommen klar, daß das Original unantastbar bleibt, und mein Versuch ist nur ein Versuch. Und eine Annäherung. In dem Sinne kann meine Übertragung kein Äquivalent sein. Und natürlich ist es so, daß eine Kultur, die in Austausch treten will mit einer anderen, von der Übersetzbarkeit und nicht der Unübersetzbarkeit ausgehen muß. Allerdings ist dabei die behutsame Annäherung von großer Bedeutung.

SB: Welches wirklichkeitsverändernde Potential würden Sie der Sprache zutrauen?

MBo: Sprache ist ja das, was Wirklichkeit überhaupt erst hervorbringt. Wirklichkeit ist in meinen Augen ein konstruierter Zusammenhang, den es in Wirklichkeit nicht gibt. Es gibt die Unwirklichkeit, und unser Empfinden der sogenannten Realität gegenüber ist ein beständiges Verdrängen absurder Eindrücke. Sprache und Poesie führen im besten Fall dazu, daß wir Wirklichkeit erschaffen, mit der und damit wir leben können. Natürlich ist das eine hochgradig philosophische Frage, bei der man sehr schnell ausrutscht. Darüber zu reden, ist ein gutes Beispiel für die Absurdität, von der wir umgeben sind.

SB: Sie nennen Georg Trakl als Leitstern. Was spricht Sie bei diesem Dichter an?

MBo: Seine radikale Güte und auch die Unbedingtheit sich selbst gegenüber, bis in die Selbstzerstörung hinein. Eine unbändige Ernsthaftigkeit, die wir heutzutage fast verloren haben. Mich spricht auch die Schönheit seiner Gedichte an und das letzte Aufglimmen von Gottesglaube in der modernen, durch und durch technisierten Welt.

SB: Wenn man an die ausdrucksstarken Gedichte von Yeats und Trakl denkt, könnte man den Eindruck haben, daß sich die Wirkmächtigkeit von Sprache im Laufe der Zeit gewandelt hat.

MBo: Die Wirkmächtigkeit ganz bestimmt. Aber das liegt nicht am Gedicht, sondern an der Rezeption des Gedichtes. Es gibt einfach viel zu viele andere Dinge, die dem Gedicht den Rang abgelaufen haben. Vielleicht sogar zu Recht. Wenn Sie an das Lied denken und daran, welche Stellung es vor 150 Jahren hatte und welche Stellung es heute bei Hörern und Internetnutzern einnimmt, dann sieht man, daß das Gedicht in jeder Form zwar noch immer existiert, aber nicht mehr als Gedicht, sondern einzig als Song oder Liedtext rezipiert wird. Für mich heißt das noch lange nicht, daß ein Gedicht, das einen Gedichtleser erreicht, an Wirkmächtigkeit eingebüßt hat. Der Einzelne, der ein Gedicht liest, findet natürlich die Schönheit, Tiefe und die Unverwechselbarkeit des Gedichtes wieder - so wie das Gedicht seinen Leser findet.

SB: Was halten Sie von Poetry Slams?

MBo: Ehrlich gesagt halte ich nicht sehr viel davon. Aber ich will versuchen, dem Ganzen gegenüber offen zu bleiben, allein schon weil mein Sohn viel davon hält. Ich habe ein großes Problem mit, sagen wir mal, dem Unterhaltsamkeitszwang von Poesie und Literatur. Ich will mich dabei vorsichtig äußern, ich will es nicht ablehnen, aber ich weiß, je weiter man das Tor öffnet, desto mehr Wasser strömt herein und schwemmt alles an die Wände, was mir wichtig ist. Auf der anderen Seite sollte sich jeder ernsthafter Dichter auch einem Poetry Slam stellen, und wenn er dann ausgebuht wird, sich sagen: So ist es, warum nicht.

SB: Der Aktionskünstler und Bildhauer Joseph Beuys hat den Standpunkt vertreten, daß jeder Mensch ein Künstler ist. Er nannte das "soziale Plastik". Würden Sie sagen, daß das auch für die Poesie gilt? Ist jeder Mensch ein Poet?

MBo: Nein. Ich halte das für einen großen Irrtum von Joseph Beuys. Das würde ja bedeuten, daß jeder auch ein Fernfahrer und jeder auch ein Bäcker ist. Ich weiß, daß meine Mutter keine Dichterin ist und meine Brüder keine Dichter sind, sondern Elektroniker. Ich könnte jetzt von mir behaupten, ich sei Elektroniker, allerdings auf sprachlichem Gebiet. Aber was bedeutet das dann noch? Beuys hat meiner Meinung nach versucht, etwas zu öffnen, was damals unbedingt geöffnet werden mußte. Er wollte das Establishment der Kunst und der Ästhetik durchlässig machen. Aber ich kann Beuys in dem Punkt nicht folgen, finde es allerdings schön, ins Museum zu gehen und die Reaktionen meiner Töchter zu erleben, wenn sie eine Fettecke von Beuys in einem Schaukasten sehen und sich dann fragen: Und das soll Kunst sein? Dann erreicht er ja immer noch genau das, was er damals erreichen wollte, nämlich daß sich etwas öffnet und man sich ärgert und fragt: Was kann ich dagegen tun?

SB: Kann man das nicht mit Gedichten auch - etwas öffnen, so daß sich die Leute ärgern?

MBo: Ja, sicher, aber das Problem ist, daß das alles schon gemacht wurde. Die ganzen Readymades, die Waschmaschinenbetriebsanleitung, die Fußballaufstellung, die Peter Handke 1969 zum Gedicht erklärt hat [5], - alles schon dagewesen. Wunderbar, ich finde es toll, bin aber froh, daß ich das nicht machen muß, daß andere es schon getan haben. Allerdings könnte es auch an der Zeit sein, mal wieder ein echtes Gedicht zu schreiben, und nicht nur Anti-Gedichte oder Genichte. Weil es ansonsten vielleicht irgendwann kein Gedicht mehr gibt. Dann gibt es nur noch Imitationen, Irritationen und Pseudogedichte.

SB: In einem Ihrer Aufsätze schrieben Sie über die "Faszination", in Australien die Aborigines kennengelernt zu haben ...

MBo: Wenn es mal so wäre ...

SB: Haben Sie nicht?

MBo: Nein, wir haben natürlich Eindrücke sammeln können. Wir waren in Aborigines-Gebieten, wir waren in Museen und wir haben ganz vereinzelt mit Stammesmitgliedern gesprochen, aber "kennengelernt" klingt für mich übertrieben.

SB: Was war es denn dabei, das einen "nur in Erstaunen versetzen" kann?

MBo: Der unheimliche Reichtum an künstlerischen Artikulationsmöglichkeiten. Auch das unfaßbare Alter dieser Kunst. Wie die Kunst ineinandergreift mit dem, was mir wichtig ist, nämlich mit Musik, Natur, Landschaft, den Tieren und Pflanzen - und der Liebe zum Land. Das sind alles Dinge, die schon seit Tausenden von Jahren in diesen Stämmen Thema sind und mit Respekt behandelt werden und die wir jetzt glauben, neu zu entdecken und ein irgendwie großes Bohei daraus machen zu können. Wo doch diese Leute einfach nur in Ruhe darüber reden wollen oder am besten gar nicht darüber reden, sondern am besten das einfach nur singend oder schweigend machen.

SB: Was ist Ihr Eindruck, haben die Aborigines in Australien ein anderes Verhältnis zu ihrer Sprache als wir zu unserer - wobei ich gar nicht bewerten möchte, ob besser oder schlechter, sondern lediglich ein anderes?

MBo: Ich habe mich zu wenig mit den unterschiedlichen Stämmen und der Stammesgeschichte beschäftigt, um das wirklich einschätzen zu können. Aber ich hatte das Gefühl, als wir in Australien waren, daß es auf Sprache, wie wir sie verstehen, gar nicht ankommt. Sondern daß es eher um eine Form von Überlieferung geht. Nun gut, Sprache kann man natürlich auch als einen musikalischen Zugang ansehen. Eine Frau, die ein Aborigines-Bild malt und dabei immer die gleiche Melodie singt, von der wir erfahren haben, daß diese Melodie seit Tausenden von Jahren beim Malen gesungen wird, das ist schon etwas, das wir hier gar nicht kennen, was vollkommen verlorengegangen ist.

SB: Könnte man sagen, daß das weniger mit Sprache als mit Sprechen zu tun hat?

MBo: Auf jeden Fall. Aber natürlich nicht nur mit dem Sprechen untereinander, also dem menschlichen Miteinander, sondern auch mit Sprechen im Sinne von einen Kontakt herstellen oder in Austausch treten mit den Alten aus dem "Dreaming", oder mit dem Land, den Flüssen, den Tieren, den Mythen, so daß alles fortbesteht.

SB: Gibt es typische Denkweisen in der einen Sprache, auf die man in der anderen nicht kommen würde? Sind Sie beispielsweise in Australien auf Denkweisen gestoßen, wie es sie im Deutschen eigentlich gar nicht gibt?

MBo: Genau darüber haben wir gerade gesprochen. In meiner Kultur ist das undenkbar. Weil sich das auch gar nicht umsetzen ließe in dieser Kultur der Nutzbarmachung und des Profits, des Sich-Auszahlen-Müssens, des Sich-Lohnen-Müssens, des Immer-weiteren-Wachstums bis in Bereiche, bei denen man denkt, wofür ist das eigentlich noch alles da? Innerhalb des Denkens der Ureinwohner wird die Sinnhaftigkeit ja nie aufgegeben.

SB: Sie haben mit australischen Wissenschaftlern gesprochen und sich über die Klimaveränderungen in Australien, die dort wesentlich ausgeprägter sind als hierzulande, informiert. Der australische Ethikprofessor Clive Hamilton warnt davor, daß ein Medienmogul wie Rupert Murdoch "Climate Engineering", also eine gezielte, schnell wirksame Manipulation des Klimas betreiben könnte, sobald das ein profitables Finanzierungsgeschäft wird. [6] Sind Sie bei Ihren Gesprächen mit den Klimaexperten auf diesen Begriff gestoßen?

MBo: Nein, aber das zeichnet sich selbstverständlich ab.

SB: Daß man sich aufgrund der mehrjährigen Dürre und der Buschfeuer sagt, es muß etwas geschehen, das wirksamer ist, als CO2 einzusparen?

MBo: Ja, aber auch in Hinsicht dessen, daß man die Verheerung der Ozeane in irgendeiner Weise rückgängig machen muß. Wie will man das machen, ohne massiv einzugreifen? Mit dem Herausfischen des ganzen Drecks wird das nicht getan sein. Wie ich die Leute einschätze, werden sie sich das nicht ausreden lassen, und wenn jemand wie Rupert Murdoch da sogar Profit machen kann ... Wer will ihn davon abhalten? Nein, "Climate Engineering" war kein Thema in Australien.

SB: Wünschen Sie sich, daß mit den "Weather Stations" den Menschen nicht nur das Thema Klimawandel nähergebracht, sondern daß auch das Interesse geweckt wird für die etwas stiller auftretende Literatur?

MBo: Wenn es mal so wäre, daß sie stiller auftritt. Das glaube ich ehrlich gesagt nicht. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen kommen ziemlich lärmend daher - oder larmoyant. Mir ging es die ganze Zeit nicht um die Frage, wie man ein Bewußtsein für den Klimawandel schaffen oder wie man es schärfen kann, sondern es ging mir eher um die Frage, wie ich ein Bewußtsein dafür schaffen kann, in welche Richtung sich die Sprachen, die wir sprechen, entwickeln und inwiefern sie sich nicht "einsetzen" lassen, sondern dagegen verwahren. Inwiefern läßt sich überhaupt über den Klimawandel sprechen? Als Dichter oder Erzähler muß man sich erst einmal darüber klar werden, daß die Instrumentalisierung an jeder Ecke lauert. Auf der anderen Seite wird immer deutlicher, daß die Wissenschaft und der Journalismus es nicht allein schaffen werden, die Menschen zu erreichen. Da beginnt das Problem eigentlich erst. Wie spricht man am besten darüber, daß diese "climate silence" aufhört?

SB: Wobei man schon den Eindruck haben kann, daß vor allem in der Zivilgesellschaft sehr viel über den Klimawandel gesprochen wird. Man müßte sich allerdings über die Kriterien des Sprechens verständigen. Sprechen kann ja auch wieder ein Abwehrmechanismus sein.

MBo: Während dieser 18 Monate hatte ich das Gefühl, daß, je engagierter man darüber spricht, desto weniger interessiert es die Leute. Auch die Informationsgesellschaft ist den Gesetzen der Dekadenz unterworfen.

SB: Wie erreicht man trotzdem die Leute?

MBo: Wie erreicht man trotzdem die Leute - ganz genau das ist die Frage. Man muß andere Strategien entwickeln, auch vielleicht sogar sehr überraschende, um die Leute zu gewinnen.

SB: Herr Bonné, vielen Dank für das Gespräch.


Vorderfront des Gebäudes der Berliner Festspiele und Plakat zum 15. internationalen literaturfestival berlin - Foto: © 2015 by Schattenblick

Seit zehn Jahren zentraler Veranstaltungsort des ilb
Foto: © 2015 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] http://globalweatherstations.com/?lang=de

[2] http://globalweatherstations.com/?p=3855

[3] http://gruener-journalismus.de/plastikmeer-bonne/

[4] http://globalweatherstations.com/?tag=substations-de&cat=9

[5] http://homepage.univie.ac.at/Gertraude.Zand/Dokumente/Handke.pdf

[6] http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0153.html

15. September 2015


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