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INTERVIEW/036: Links, links, links - Stille Wasser ...    Martin Birkner im Gespräch (SB)


Es sei denn, der Mensch macht ihn ... den Kommunismus

20. Linke Literaturmesse in Nürnberg


Der Aktivist und politische Theoretiker Martin Birkner lebt in Wien und ist beim Mandelbaum Verlag tätig, wo er die Edition kritik & utopie koordiniert. Drei der rund 60 Veranstaltungen auf der Linken Literaturmesse rund um politische Publizistik in Buch- oder auch Zeitschriftenform wurden mit Werken aus dieser Edition bestritten - "Kommunismus nach 1989" faßt Texte des ungarischen Philosophen Gáspár Miklós Tamás zusammen, in denen der epochale Wandel Osteuropas 1989 aus marxistischer Sicht analysiert wird. Der Wiener Philosoph Robert Foltin bietet in "Autonome Theorien - Theorien der Autonomen?" Einblicke in die Debatten autonomer Gruppen vor dem Hintergrund revolutionärer Zielsetzungen und der Probleme auf dem Weg dorthin. Rudolf Stumberger untersucht in "Das kommunistische Amerika" utopische Kommunen in den USA des 19. Jahrhunderts, wozu er sich auf die Spuren eines Journalisten begab, der diese häufig religiös fundierten Gemeinschaften zu ihrer Blütezeit vor 140 Jahren besuchte. Am Stand des Mandelbaum Verlages beantwortete Martin Birkner dem Schattenblick einige Fragen zu den politischen Hintergründen seiner Verlagsarbeit.


Im Gespräch am Stand des Mandelbaum Verlags - Foto: © 2015 by Schattenblick

Martin Birkner mit ortsüblicher Weihnachtsspezialität
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Martin, könntest du etwas zur Geschichte des Mandelbaum-Verlags sagen und erklären, welche Funktion du darin ausübst?

Martin Birkner (MB): Der Mandelbaum-Verlag wurde 1996 von Michael Baiculescu in Wien gegründet. Vom Programm her ist der Verlag auf jüdische Zeitgeschichte, Sozialgeschichte und Entwicklungspolitik ausgerichtet. Aufgrund der Vorliebe von Michael Baiculescu gab es immer auch eine Kochbuchreihe, aber nicht nach dem normalen Verständnis geschrieben, sondern sozialgeschichtlich fundiert, ohne Farbfotos, dafür jedoch mehr Informationen. Die Edition kritik & utopie [1], die ich im Namen des Verlags betreibe, gibt es seit 2011 mit dem linken emanzipatorischen Anspruch, dezidiert das politische Programm zu schärfen. Wir haben grob zwei Richtungen, zum einen die theoretische Verarbeitung linker Theorien bzw. die Reflexion sozialer Bewegungen und zum anderen die Herausgabe politischer Sachbücher, die am Puls der Zeit sind und auch direkt in gesellschaftliche Debatten intervenieren.

SB: Du selbst hast das Buch "Lob des Kommunismus 2.0" verfaßt. Welche Bewandtnis hat es mit dem Kürzel 2.0 im Buchtitel und welchen persönlichen Standpunkt nimmst du darin zur marxistischen Utopie einer klassenlosen Gesellschaft ein?

MB: Die Klassen- und Ausbeutungsverhältnisse sind natürlich das zentrale Anliegen im Buch. Mit dem Titel intendiere ich jedoch keine Techno-Phantasie, sondern nenne im Buch durchaus Gründe, warum ich den Begriff verwendet habe, weil ich der Ansicht bin, daß man markieren muß, was man nicht meint. In dem Buch gibt es von daher kein wie auch immer geartetes positives Anknüpfen an die staatskapitalistischen Systeme des Ostens, sondern ich versuche vielmehr in guter marxistischer Tradition aufzuzeigen, daß in der gegenwärtigen Gesellschaft bereits die Keime einer nicht entfremdeten und auf Ausbeutung basierenden Gesellschaftsordnung angelegt sind. Diese sichtbar zu machen und miteinander zu verknüpfen, war, einmal verkürzt gesagt, meine Intention.

SB: Könntest du Beispiele dafür nennen, was du unter Keim verstehst?

MB: Ein Beispiel dafür sind die Debatten und vor allem Praxen rund um Commons und Solidarische Ökonomien, sei es in Lateinamerika, wo sie oft mehr aus Not geboren sind, oder bei uns, wo sie nicht selten in Gestalt eines Luxusproblems auftauchen. Dennoch denke ich, daß es wichtige Felder des Experimentierens mit Arbeits-, Lebens- und Produktionsverhältnissen sind, die nicht auf Ausbeutung beruhen. Ein weiteres Beispiel sind die Experimente in solidarischer Landwirtschaft, wo es darum geht, einerseits den Boden vernünftig zu bearbeiten und die Tiere würdevoll zu behandeln und andererseits allen Arbeitern ein genügendes Auskommen zu geben, statt den großen Konzernen, Agrarmultis und Lebensmittelketten neue Profitmöglichkeiten zu eröffnen.

SB: Du hast auch Silvia Federicis Klassiker "Caliban und die Hexe - Frauen, der Körper und die ursprüngliche Akkumulation" herausgegeben. Handelt es sich dabei um eine Neuübersetzung?

MB: Es ist 2012 herausgekommen und mittlerweile schon in der dritten Auflage erschienen, allerdings versehen mit einem neuen Vorwort. Wir sind sowohl ökonomisch, aber vor allem politisch sehr froh, daß es ein gutgehendes Buch ist, weil es einen sehr wichtigen, materialistisch-feministischen Blick auf die Geschichte wirft.

SB: Welchen Umfang hat bei euch eine Auflage?

MB: Das hängt von verschiedenen Faktoren ab. Bei einem vorwiegend wissenschaftlichen Werk oder einem österreichspezifischen Buch ist die Auflage natürlich geringer. Ohne daß ich jetzt dieses kleine Land allzu wichtig nehme, selbst bei Themen, von denen wir glauben, daß sie auch über Österreich hinaus interessant sein könnten, funktioniert der Verkauf leider jenseits unserer Grenzen nicht immer. Deshalb geht die Auflage nach unten und erreicht eine Stückzahl von 500 oder 600. Bei Büchern, die wir gut verkaufen, geht es schon auf einige tausend, auch wenn dies eher die Ausnahme ist. Im großen und ganzen, würde ich sagen, ist tausend eine gute Richtschnur.

SB: Ihr habt in eurem Sortiment auch einiges aus dem angloamerikanischen Kulturkreis. Lohnt es sich angesichts des breiten Angebots aus dem Englischen übersetzter Bücher und der Tatsache, daß viele junge Leute diese Sprache allein durch ihren Medienkonsum ziemlich gut beherrschen, überhaupt noch, Bücher aus dem englischsprachigen Raum ins Deutsche zu übersetzen?

MB: Das Buch von Silvia Federici ist 2004 auf Englisch erschienen, aber der Erfolg, den wir mit der Übersetzung hatten, zeigt uns, daß es funktioniert, und das, obwohl das Original relativ gut zugänglich ist und Kopien sogar im Netz herumschwirren. Wir produzieren ja nur Sach- bzw. Theoriebücher, aber wenn mir ein Buch wirklich wichtig ist, dann lese ich es auch auf Englisch. Dennoch ist es mir lieber, es in der eigenen Sprache zu lesen. Wir haben drei Bücher aus dem Englischen übersetzt, und sie verkaufen sich alles in allem ganz gut.

SB: Wir sind hier auf einer Linken Literaturmesse, die vom Anarchismus bis zum Marxismus fast alles abdeckt. Könntest du dir auch hinsichtlich der Verhältnisse in Österreich vorstellen, daß sich die radikale Linke noch einmal zum Kampf für eine klassenlose Gesellschaft zusammenschließt oder hältst du die Differenzen in diesem Spektrum für zu groß, als daß eine Einigung möglich wäre?

MB: Das ist eine schwierige Frage. Wenn ich jetzt einmal von der Messe oder der hier repräsentierten Breite ausgehe, die es von der ideologischen Ebene her auch in Österreich gibt, glaube ich nicht, daß sich Anarchisten und Anarchistinnen mit ML-Gruppen über taktische und kurzfristige Bündnisse hinaus zusammenschließen. Aber wenn wir jetzt gewisse Extrempositionen abkoppeln, dann glaube ich schon, daß es eine stärkere Diskursivität für ein aufeinander Zugehen und politisches Zusammenhandeln gibt, als dies in den Grabenkämpfen der 70er bis 90er Jahre der Fall war. Wenn wir im weitesten Sinn von der nicht zentral auf Parteien fokussierten Linken sprechen, dann existiert auf jeden Fall ein besserer Austausch. Aber letztlich entscheidet das weniger der gute Wille als vielmehr die Frage, wie sich die sozialen Bewegungen entwickeln und was für Problematiken sie auf die Tagesordnung stellen. Das kann man am Reißbrett nicht entscheiden, aber ich denke schon, daß das Verhältnis zwischen unterschiedlichen Gruppen der Linken schon einmal schlechter war.

SB: Obgleich die Degrowth- oder Postwachstumsbewegung, die nicht unbedingt und wenn überhaupt, dann nur teilweise aus der Linken kommt, noch ziemlich jung ist, erreicht sie relativ viele Leute. Hältst du es für sinnvoll, wenn linksradikale Politik den Versuch unternehmen würde, das sozialökologische oder auch rein ökologische Thema stärker in die eigene Politik zu integrieren, um darüber größere Kreise der Gesellschaft zu erreichen?

MB: Das sollte sie auf jeden Fall tun, aber als primären Antrieb dazu würde ich jetzt gar nicht das Erreichen größerer Kreise der Gesellschaft setzen, weil ich das in dieser Form nicht sehe. Meines Erachtens ist es auf der einen Seite wichtig, innerhalb der radikalen Linken oder bestimmter Fraktionen im traditionellen Marxismus, die durchaus lange einen bürgerlichen Wachstumsfetisch gepflegt haben, wachstumskritische Positionen, die immer auch ökologisch bestimmt sind, viel stärker nach innen in die Linke sichtbar zu machen. Auf der anderen Seite muß man sehen, daß in dieser wachstumskritischen Szene auch Kräfte bürgerlicher Herkunft argumentieren, die glauben, daß man Wachstumskritik betreiben kann, ohne die kapitalistische Vergesellschaftungsweise an sich in Frage zu stellen. Ich glaube, das liefe dann letztlich auf einen Eliten- bzw. Selbstbeschränkungsdiskurs hinaus, was eine falsche Stoßrichtung wäre. Insofern den Wachstumskritikern eine Prise genuin linker, kapitalismuskritischer Perspektive gut täte, sollte sich auch die radikale Linke einer grundsätzlichen Kritik am Wirtschaftswachstum und an der ökologischen Frage stellen. Tatsächlich habe ich mich selber lange dagegen gesträubt und bin mir noch immer nicht sicher, ob dies in meinen Zusammenhängen inzwischen den gebührenden Stellenwert hat. Allerdings bin ich über die Jahre zu der Position gelangt, daß die ökologische Frage mit der sozialen einerseits teilweise zusammenfällt und andererseits dieser auch nicht nachgeordnet werden sollte.

SB: Martin, vielen Dank für das Gespräch.


Bücher ausgelegt auf dem Stand - Foto: © 2015 by Schattenblick Bücher ausgelegt auf dem Stand - Foto: © 2015 by Schattenblick Bücher ausgelegt auf dem Stand - Foto: © 2015 by Schattenblick

Aus der Edition kritik & utopie des Mandelbaum Verlags
Fotos: © 2015 by Schattenblick


Fußnote:

[1] http://kritikundutopie.net/


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