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INTERVIEW/049: Leipzig, das Buch und die Messe - zielgeführt und aufgeklärt ...    Christian Linker im Gespräch (SB)


Eindruck, Ausdruck, Buchdruck - Impressionen
Leipziger Buchmesse, 17. bis 20. März 2016

Christian Linker über seine Recherchen zum Salafismus, den Anlaß, den Jugendroman "Dschihad Calling" zu schreiben, und darüber, warum es zu dessen Fertigstellung mehrerer Anläufe bedurfte


Was bringt einen jungen Menschen in Deutschland dazu, Salafist zu werden und sich dem Dschihad anzuschließen? Vor dem Hintergrund dieser Frage hat der studierte Theologe und Autor Christian Linker den Jugendroman "Dschihad Calling" (dtv junior) geschrieben. Er handelt von dem 18jährigen Jakob, der einer jungen, verschleierten Muslimin, die von Hooligans belästigt wird, zur Hilfe eilt und sich in sie verliebt. Er trifft Samira, so der Name des Mädchens, wieder, lernt ihren sehr selbstsicheren Bruder Adil kennen, orientiert sich an diesem und gerät mehr und mehr unter dessen Einfluß. Jakob wird wie Adil ein Salafist, doch den letzten Schritt, sich dem Dschihad anzuschließen, vollzieht er nicht mit.


Beim Vortrag auf der Bühne - Foto: © 2016 by Schattenblick

Christian Linker liest aus seinem Jugendroman "Dschihad Calling"
Foto: © 2016 by Schattenblick

Die Entstehungsgeschichte dieses Romans reicht einige Jahre zurück, wie Linker bei einer Buchvorstellung und Lesung am 19. März 2016 auf der Leipziger Buchmesse berichtete. Nach seinen umfangreichen Recherchen habe er ein "300-Seiten-Machwerk" geschrieben, "das überhaupt nichts konnte". Der Spannungsbogen, der dabei herausgekommen war, sei "total verbeult" gewesen. Er habe das Projekt mehrmals überarbeitet und dann eingestampft. Doch vor eineinhalb Jahren habe die Programmchefin seines Verlages dtv junior gemeint, er solle es noch einmal versuchen, und so sei schließlich "Dschihad Calling" entstanden.

Der Autor hat damit ein Thema verarbeitet, das aktueller nicht sein könnte. Die Anschläge im November 2015 in Paris und im März 2016 in Brüssel lassen hierzulande immer wieder die Frage aufkommen, was einen jungen Menschen, auch aus dem hiesigen Kulturkreis, dazu bewegt, in den Dschihad zu ziehen und dafür sein Leben zu opfern. Dafür mag es viele Erklärungsversuche geben, wenngleich ein einziger genügen könnte.

Die Bombenanschläge in den westlichen Metropolen sind Bestandteil eines Kriegs, der keineswegs einseitig von den Dschihadisten gegen "uns" erklärt wurde. Schon die Frage, warum sie uns angreifen, gründet sich nicht zuletzt in der Ignoranz des Saturierten gegenüber den Voraussetzungen seines Wohlstands, der durch eine historisch gewachsene und bis heute immer wieder aktualisierte Übergriffigkeit der westlichen Staaten sichergestellt wird, auch und gerade gegenüber muslimisch geprägten Ländern.

Unterscheiden sich die Trauer, der Zorn und die Verzweiflung derjenigen, die bei den Anschlägen in Paris und Brüssel verletzt wurden oder ihre Angehörigen verloren haben, von der Trauer, dem Zorn und der Verzweiflung jener, deren Angehörige in Irak, Syrien oder Somalia von einer Sekunde auf die andere, aus sprichwörtlich heiterem Himmel, durch eine US-Drohne mit einer Hellfire-Rakete vom Leben in den Tod gerissen wurden?

Im Anschluß an seine Lesung aus dem Roman "Dschihad Calling" stellte sich Christian Linker dem Schattenblick für einige Fragen zu seinem Roman zur Verfügung.


Linker beim Signieren seines Buchs - Foto: © 2016 by Schattenblick

Beim Signieren
Foto: © 2016 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Herr Linker, hatten Sie bei Ihren Recherchen zu dem Roman "Dschihad Calling" auch die Gelegenheit, direkt mit Dschihadisten oder mit Aussteigern aus der Dschihadisten-Szene zu sprechen?

Christian Linker (CL): Ich habe mit Menschen aus der salafistischen Szene ausführlicher gesprochen, unter anderem mit einem Prediger. Direkten Kontakt zu Leuten im Kampfgebiet oder Rückkehrern hatte ich nur ganz kurz. Überraschenderweise handelte es sich um eine Frau aus München, mit der ich dann auf Facebook gechattet habe. Sie war aus Deutschland ausgereist, hielt sich in Rakka auf, das eine Art Hauptstadt des IS ist, und war anscheinend die Braut eines Märtyrers. Der Kontakt bestand nur kurz und versiegte zwischenzeitlich immer wieder, vermutlich weil die sozialen Netzwerke solche Profile inzwischen löschen. Dann kam der Kontakt wieder ein paarmal zustande, bis er schließlich endgültig abbrach. Aber was ich da erfahren habe, hat mir schon zu einem Einblick verholfen.

Mir war es sehr wichtig, die ganze Propaganda des IS, also auch die Gegenperspektive, zu rezipieren. Das war auch gar nicht schwer, da gibt es beispielsweise ein paar Blogger aus Syrien, die ihre Alltagsgeschichten oder ihr Leben unter der Diktatur des IS schildern und Textbeiträge wirklich unter Gefahr für Leib und Leben nach draußen schmuggeln. Die betreiben dann einen Blog, der ist auf Arabisch und Englisch, was für mich ebenfalls eine wertvolle Quelle darstellte.

SB: Gab es für Sie einen bestimmten Anlaß, zu diesem Thema zu schreiben?

CL: Es ist schon sehr lange her, ich glaube, es war im Jahr 2007, da ging die spektakuläre Verhaftung der Sauerlandgruppe durch die Medien. Das war eine Gang von Jungs, die eigentlich, das muß man sagen, ziemlich stümperhaft versucht hat, eine Bombe zu bauen. Um diese Sauerlandgruppe ranken sich verschiedene Verschwörungstheorien, denen zufolge eigentlich die CIA erst den Zünder besorgt hat, damit wiederum das BKA etwas in der Hand hatte, um einzugreifen.

Ich hatte mir damals vor allen Dingen die Frage gestellt, was ein junger Mensch, der entweder hierzulande als Muslim aufwächst oder als Nicht-Muslim mit dieser Religion in Berührung kommt, eigentlich in seinem Leben vermißt, daß er plötzlich so einen Weg einschlägt. Warum glaubt jemand auf einmal, er habe die Antwort auf alle Fragen gefunden? Es geht dabei um Sinnfragen: Wo gehöre ich hin? Wer will ich sein? Wie will ich leben? Das bewegt uns ja alle, aber insbesondere natürlich Jugendliche. Was finden sie darin, daß sie da so andocken können und sich dem mit Haut und Haaren verschreiben? Im wörtlichen Sinne mit Haut und Haaren, weil es auch darum geht, bereit zu sein, in den Tod zu gehen. Mich hat einfach die Frage gereizt, ob man sich diesem Wahnsinn mit literarischen Mitteln stellen kann.

SB: Trägt der Protagonist Jakob in Ihrem Roman biographische Züge?

CL: Ich finde nicht. Wobei Freunde und Bekannte von mir immer meinen, mich in allen meinen Hauptfiguren wiederzuerkennen. Das bleibt vielleicht nicht aus beim Schreiben, aber ich finde, daß diese Figuren schon alle sehr fiktiv sind. Wenn man einem Ich-Erzähler seine Erzählstimme leiht, bringt man wahrscheinlich immer eigene Anteile mit rein, und es war mir ja auch wichtig, mich da wirklich reinzuversetzen und zu überlegen, wie mich das ansprechen würde.

Ich würde mich selber als einen spirituellen Menschen bezeichnen und habe beim Schreiben Phasen gehabt, in denen ich auch vor mir selber erschrocken war. Ich dachte, das ist jetzt so nachvollziehbar - objektiv natürlich nicht -, aber wenn man sich da als Autor reinversetzt, kann man diesen Sog, diese Faszination des Mystischen irgendwie körperlich spüren. Das halte ich für wichtig, wenn man einen Roman schreibt.

SB: Stand vor Beginn Ihrer Recherchen zu diesem Buch zumindest ein Ergebnis fest, nämlich die Abkehr des Hauptprotagonisten vom Salafismus, nicht aber vom Islam an sich?

CL: Ja. Das freut mich sehr, daß Sie das ansprechen, darauf habe ich sehr viel Wert gelegt. Weil das auch ein Diskussionspunkt war. Ich wollte deutlich machen, daß ich den Dschihadismus und den Islam für zwei verschiedene Dinge halte. Und je mehr ich mich mit dem IS beschäftigt habe, desto mehr komme ich zu der Ansicht, daß diese Leute eigentlich an gar nichts glauben und letztlich Nihilisten, allerdings insbesondere an Macht interessiert sind und immer bestimmen wollen. Das hat auch viel mit sexualisierter Gewalt zu tun. Wenn man sich insbesondere die deutschstämmigen Jugendlichen vor Augen führt, kann man den Eindruck gewinnen, daß es eigentlich purer Zufall ist, ob die jetzt Dschihadist oder Neonazi werden.

SB: Haben Sie schon Rückmeldungen oder Reaktionen auf Ihr Buch von seiten der Salafisten erhalten?

CL: Nein, noch gar nicht. Das habe ich auch nicht aktiv gesucht und ich glaube, das tangiert diese Leute nicht. Ich stelle sie nicht anders dar, als sie sich selber auch sehen würden. Da sind die schon transparent in ihrem Sosein.

Was mich aber besonders gefreut hat: Ich habe schon Lesungen an verschiedenen Schulen gehalten, wo viele muslimische Jugendliche waren, die sehr positiv auf das Buch reagiert haben. Oder überhaupt darauf, einen Gesprächsanlaß zu haben. Es ist deutlich zu merken, wie die mit Zuschreibungen kämpfen. Mit so einer Lesung eröffnet sich für diese Jugendlichen ein Setting, wo sie ihre eigenen Gedanken und Gefühle in diesem Kontext artikulieren können. Das ist natürlich sehr schön, wenn man durch so ein Buch ein Stück dazu beitragen kann, daß Debatte stattfindet.

SB: Was macht für Sie den Reiz aus, Jugendbücher zu schreiben?

CL: Ich bin mehr durch Zufall dazu gekommen, weil ich noch selber sehr jung war, als ich meinen ersten Roman über Leute meines Alters geschrieben habe, ohne zu überlegen, ist das jetzt ein Jugendbuch oder nicht. Ich bin zunächst einmal aus einem ganz banalen Grund dabei geblieben, weil ich, wenn man so will, rein geschäftlich einen Fuß in der Tür der Branche hatte.

Hinzu kommt, was ich eben schon angedeutet habe, daß mich an dem Jugendalter in Bezug auf Romane und Charaktere fasziniert, daß es um Entwicklung geht, um Loslösung, Erwachsenwerden, Abnabelung, auch um ein Stück Rebellion und Konflikte. Womit ich nicht sagen will, daß man sich nicht auch als Erwachsener nochmal abnabeln und weiterentwickeln kann, aber im Jugendalter hat das eine andere Dringlichkeit. Im Grund ist jeder Jugendroman, den ich schreibe, immer auch ein Selbstgespräch mit mir über meine eigenen Potentiale: Unter welchen Umständen hätte ich auch so einen Weg einschlagen können? Das Schreiben hat also auch ein bißchen was von Selbsterforschung.

SB: Sie sind sicherlich schon häufiger interviewt worden. Gibt es etwas, das Sie bisher noch nicht gefragt wurden, das Sie aber gerne noch zu Ihrem Buch sagen möchten?

CL: (lacht) Also, diese Frage zum Beispiel, die Sie mir gerade stellen, die hat mir noch keiner gestellt. Ich kann das jetzt nicht auf eine einzelne Frage reduzieren, aber was mir schon auffällt, daß ich eigentlich sehr wenig zu dem Buch selber gefragt werde - außer jetzt von Ihnen. Als das Buch veröffentlicht wurde - es war ja reiner Zufall, daß das zeitlich relativ eng mit den Anschlägen in Paris zusammengefallen war -, wurde ich auch im Radio interviewt und hatte dann das Gefühl, klarstellen zu müssen, daß ich weder Islamismusexperte noch Journalist noch Soziologe bin, sondern daß ich einen Roman geschrieben habe.

Natürlich hat dieser Roman ein krasses Thema, aber es ist eben auch eine Geschichte. "Dschihad Calling" ist ein Coming-of-Age-Roman, eine Teenager-Story, eine Liebesgeschichte. Natürlich finde ich es gut, daß das Buch diese große Aufmerksamkeit erlangt und manche Leute das möglicherweise als einen Weg sehen, sich mit so einem Thema auseinanderzusetzen. Auf der anderen Seite freue ich mich selbstverständlich auch dann, wenn die Leute es einfach lesen, weil sie ein spannendes Buch lesen möchten.

SB: Abschließend die Frage: Können Sie uns schon verraten, was Ihr nächstes Projekt ist?

CL: (lacht) Nein!

SB: Herr Linker, herzlichen Dank für das Gespräch.


Die drei Genannten nebeneinander auf der Bühne - Foto: © 2016 by Schattenblick

DLF-Moderatorin Tanya Lieske mit Monika Oberghaus und Christian Linker in der Live-Sendung "Büchermarkt" am 19.3.2016 um 16.10 Uhr
Foto: © 2016 by Schattenblick


Die Berichterstattung des Schattenblick zur Leipziger Buchmesse finden Sie unter INFOPOOL → DIE BRILLE → REPORT:

INTERVIEW/048: Leipzig, das Buch und die Messe - der rote Faden Lesespaß ...    Kerstin Libuschewski und Julia Lücke im Gespräch (SB)

23. März 2016


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