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INTERVIEW/078: 21. Linke Literaturmesse - Aktionskunst kollektiv ...    Bernd Langer im Gespräch (SB)


Antifaschismus - eine Geschichte mit Zukunft

Interview am 6. November 2016 in Nürnberg


In Zeiten, in denen die radikale Rechte auf die Straßen und in die Parlamente drängt, in denen die etablierte Politik das gesamte politische Feld in eine nationalchauvinistische und staatsautoritäre Richtung manövriert, in denen die Abgehängten, Enttäuschten und Empörten rechtspopulistischen Volkstribunen in ganz Europa nachlaufen, wäre kampfstarker antifaschistischer Widerstand allemal geboten. Doch schon der Begriff des Antifaschismus bereitet heute Probleme, ist er doch längst nicht mehr mit Antikapitalismus und Kommunismus gleichzusetzen. Ohnehin stellt sich die Frage, was eine Linke Menschen anzubieten hat, die ihr Heil im starken Staat und neuen Führern suchen, wenn sie auf den Spuren einer Sozialdemokratie wandelt, die den nationalen Wettbewerbsstaat ebenso favorisiert wie das Ausüben administrativen Druckes auf die Empfänger von Sozialleistungen, die die neoliberale Marktlogik ebenso geschluckt hat wie die unsolidarischen Auswirkungen nationaler Standortkonkurrenz.

Hier lohnt der Blick auf die Geschichte der Autonomen Antifa in der BRD, handelte es sich doch um ein gut organisiertes Projekt militanter Aktivistinnen und Aktivisten, die Neonazis und rechtsradikale Gruppen schon vor 30 Jahren wirksam bekämpften. Zu ihren langjährigen Aktivisten zählt der Künstler Bernd Langer, der auf der Linken Literaturmesse sein im Sommer des Jahres veröffentlichtes Werk Kunst und Kampf vorstellte. Der Buchtitel knüpft an die kollektive Agitprop-Initiative KuK an, die die äußere Signatur und Symbolik der autonomen Antifa in den 80er- und 90er-Jahren maßgeblich prägte. Mit dieser von eigenen Erlebnissen geprägten Schilderung des antifaschistischen Kampfes in der BRD und ihrer ästhetisch-künstlerischen Erscheinungsformen wirft Langer einen detaillierten Blick zurück, jedoch nicht in historisierender, sondern weiterhin angreifender und nach vorne gewandter Absicht.

In seinem Vortrag ging er zudem auf die Ära des antifaschistischen Kampfes in der Weimarer Republik und im NS-Staat ein, um Kontinuitäten und Brüche aufzuzeigen, die die antifaschistische Bewegung bis heute bestimmen. Wirkt das dabei mit historischem und künstlerischem Bildmaterial illustrierte Szenario auf das Publikum mitunter wie ein Ausflug in eine andere Zeit, so ist daran zu ermessen, wie tiefgreifend sich die Folgen des epochalen Formationswechsels 1990, der globalen Ausbreitung der kapitalistischen Eigentumsordnung und der marktwirtschaftlichen Durchdringung aller Lebensverhältnisse auf das Interesse der Menschen, ihrem Dasein etwas anderes abzugewinnen als einer in Lohnarbeit und Konsum eingeschlossenen Existenz, auswirken.

Bernd Langer, der mit mehreren Veröffentlichungen zur Entstehung einer allgemein verfügbaren Chronologie linksradikalen Widerstandes in der BRD beigetragen hat, befindet sich zur Zeit auf Vortragsreise [1]. In Nürnberg beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen zu seiner politischen und künstlerischen Arbeit.


Im Gespräch - Foto: © 2016 by Schattenblick

Bernd Langer
Foto: © 2016 by Schattenblick

Schattenblick (SB): In deinem autobiografisch inspirierten Werk Kunst und Kampf berichtest du über 40 Jahre antifaschistische Aktionen in der Bundesrepublik und dokumentierst den künstlerischen Ausdruck, den dieser Widerstand angenommen hat. Kannst du den Zusammenhang beider Begriffe kurz erläutern?

Bernd Langer (BL): In den 80er Jahren wurde eine Initiative mit dem Namen Kunst und Kampf gestartet. Kampf ist hier als Politik zu verstehen, aus dem Verhältnis heraus, daß man mit den gesellschaftlichen Bedingungen nicht übereinstimmt. So gesehen steht Kunst und Kampf eigentlich für Kunst und Politik.

SB: Siehst du heute im europäischen Kontext noch Beispiele für bildende Kunst, die deiner Absicht entsprechen?

BL: Leider ist davon nur sehr wenig zu finden. In der Musik gibt es unendlich viele subkulturelle Variationen, aber ein Politikbegriff, der sich auf den Widerstand bezieht bzw. aus dem Widerstand kommt, ist selten. Ich würde nicht sagen, daß es das gar nicht gibt. Was meinen Orbit angeht, gibt es im Baskenland ein paar Leute, die dort eine Zeitung herausbringen, hier und da gibt es sicherlich noch viele andere, die ich jetzt nicht kenne, aber wenn ich die Bundesrepublik betrachte, würde ich sagen, ist es nicht weit verbreitet. Der Begriff Kunst und Kampf war jetzt eine spezielle Form, um deutlich zu machen, daß wir unsere Ästhetik aus dem Widerstand entwickeln und für unseren politischen Kampf eben auch einen Kulturbegriff haben, den wir damit ganz bewußt herausarbeiten und nach vorne stellen wollten.

SB: Früher hätte man vielleicht gesagt, daß das Ästhetische am Kampf eher Beiwerk oder nur äußere Gestalt ist. Hast du den Eindruck, daß das Ästhetische heute eine größere Bedeutung hat, weil vom politischen Kampf nicht mehr so viel übrig ist?

BL: Die politische Auseinandersetzung hat heute andere Formen angenommen. Die großen Massendemonstrationen der 80er Jahre, wenn ich an Brokdorf denke, hatten natürlich ganz andere Dimensionen. Das war eine ganz andere gesellschaftliche Situation als heute. Heute sind viele Dinge, die in den 80er Jahren noch Illusion waren, schon Realität. Der Ausstieg aus dem Atomprogramm zum Beispiel ist ein großes Thema, es gäbe auch noch andere zu nennen. Dieser Widerstand hat sich ziemlich aufgesplittert. Eine Fraktion ist in die Grünen gegangen und hat dort durchaus ihre Wurzeln. Heute gibt es die Linkspartei, autonome Zentren und dies und das und jenes.

Damit hat sich auch die Konfrontation mit dem System verändert. Militante Auseinandersetzungen sind in dieser Form gar nicht mehr möglich, weil der Überwachungsfaktor gigantisch ist und sich zur Zeit auch gar nicht mehr so viele Leute für so etwas organisieren lassen. Trotz alledem gibt es immer noch die Notwendigkeit der gesellschaftlichen Veränderung. Der zentrale Satz für mich lautet nach wie vor: Keine Macht für niemand. Das ist natürlich ein Ideal, das man so nicht umsetzen kann, aber ihm zu folgen lohnt sich immer. Es geht darum, die Entwicklung zumindest in die Richtung voranzutreiben, daß man die eigene Person und die Autoritäten hinterfragt. Und das ist, wie ich finde, auch noch in dem impliziert, was ich als Widerstand begreife und als philosophisches Argument plaziere. Dies drückt sich auch in Widerstandsaktionen aus.

Allerdings kann eine Widerstandsaktion keine Kunst sein. Diese Überbewertung von Kunst halte ich für falsch. Es geht immer darum, daß der Widerstand eine eigene Ästhetik entwickelt. Das geht mit dem Streben nach einer anderen Gesellschaft einher, die damit logischerweise im Moment des Widerstandes auch enthalten ist. Es kommt darauf an, das herauszuarbeiten, auch wenn der Widerstand heutzutage andere Formen angenommen hat. Der Straßenkampf ist jetzt keine explizite Form, es geht ja nicht darum, Gewalt zu propagieren. Das wäre ein Mißverständnis. Was ist eigentlich der Hintergrund, was geschieht dabei, was drückt er aus? Darum geht es. Und das ist auch heute in all den Formen enthalten, in denen sich die gesellschaftliche Entwicklung materialisiert. Ob viele oder wenige Leute dabei sind, ist im Grunde genommen nicht so wichtig.

SB: Zu einer widerständigen Kunst fällt mir der Begriff der Subversion ein, das hintergründige Ansprechen von Widersprüchen wie etwa bei der Verfremdung von Werbeplakaten. Geht dein Widerstandsbegriff darüber hinaus?

BL: In gewisser Weise schon. Das Subversive ist natürlich auch darin enthalten. Ich hatte ja im Vortrag den falschen 100-Mark-Schein gezeigt. Man druckt das Geld selber, versieht es mit irgendwelchen Sprüchen und wirft es unters Volk. Aber mein Verständnis geht schon insofern darüber hinaus, daß es nicht nur eine Infragestellung sein soll. Ein konkreter Angriff ist eigentlich am besten. So habe ich das Plakat Alle werden fallen als Beispiel genommen, weil darauf eine Tat abgebildet wird, die tatsächlich stattgefunden hat. Sie wird als ästhetisches Moment festgehalten, es geht also ineinander über. Mir geht es darum, eher in eine solche Richtung zu denken. Subversion würde ich jetzt gar nicht infragestellen oder runtermachen, aber ich finde, es muß auch darüber hinausgehen. Der konkrete Angriff ist mir schon wichtig.

SB: Bei deinem Vortrag hatte ich mitunter den Eindruck, als habe all das in einem anderen Universum stattgefunden, obwohl es noch nicht so lange her ist. Was bei einigen Erinnerungen wachruft, ist anderen ganz neu. Wie geht es dir dabei, wenn du aus deiner eigenen erlebten Geschichte in einer anderen Zeit erzählst?

BL: Das ist der Zahn der Zeit. Heutige Generationen verstehen das teilweise gar nicht mehr. Sie sind eben nicht mit einer Gesellschaft konfrontiert, in der Leute, die älter als 30 sind, noch unter Nazis gelebt oder eine Rolle im NS-Staat gespielt haben und dementsprechend gepolt sind. Oder die zumindest den Krieg erlebt haben, was viele nicht ohne weiteres emotional nachvollziehen können. Damals gab es den Bundeskanzlerkandidaten Franz Josef Strauß und einen Alfred Dregger in der CDU, das war ja ein allgemeines politisches Klima. Ich glaube, Dregger hat einmal gesagt, er wüßte nicht, was ein Willy Brandt am Ende des Krieges gemacht habe, aber er hätte mit der Waffe in der Hand eine schlesische Stadt verteidigt. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen.

SB: Der Antifaschismus hat zwar eine klare Tradition, wird aber heute nicht mehr selbstverständlich in einen antikapitalistischen Zusammenhang gebracht. Von daher sind dann auch breite Bündnisse bis zur SPD möglich. Gibt es deiner Ansicht nach vielleicht künstlerischen Bedarf, um mehr Bewußtsein dafür zu schaffen, worum es beim Antifaschismus überhaupt geht?

BL: Ja natürlich besteht dazu eine künstlerische Notwendigkeit. Ich würde sagen, diese ganze Politisierungswelle, auch wenn das vielleicht nicht jedem so bewußt war, ging in den 80er Jahre davon aus, daß immer noch diese alten überkommenen Geschichten in den Köpfen herumgeisterten. Die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit war das Kernthema der bundesrepublikanischen Gesellschaft. In der Zeit des Kalten Krieges wurden Kommunismus und Antifaschismus noch als Einheit begriffen. Erst mit den 60er Jahren ist das langsam aufgebrochen. Nach 1990 hieß es auf einmal, Deutschland wäre wie Frankreich, die Niederlande oder andere von den Nazis besetzte Länder befreit worden. Der Begriff wurde einfach mit der Befreiung anderer Länder fusioniert. Weil das nicht hinterfragt wurde, haben wir heute einen staatstragenden Antifaschismusbegriff. Der Kampf gegen Neonazis ist wichtig, aber man kann Faschismus nicht auf Neonazis reduzieren. Man muß alle anderen Entwicklungen - Abbau der Demokratie, Aufbau des Polizeistaates - mit berücksichtigen.

SB: Dann wäre der 8. Mai für dich nicht der Tag der Befreiung?

BL: Ich würde das neutraler und sachlicher ausdrücken und nicht ohne weiteres auf Deutschland anwenden. Für mich ist der 8. Mai praktisch der Tag der Zerschlagung des NS-Faschismus und des Deutschen Reiches. Da muß man etwas weiter ausholen, denn der nach 1990 offiziell verwendete Befreiungsbegriff vermischt etwas miteinander. Die Konzentrationslager, Frankreich und andere Länder, die von Deutschen besetzt gewesen sind, wurden zweifellos befreit. Die Rote Armee wiederum propagierte, wir befreien Deutschland nicht nur vom Faschismus, sondern überhaupt vom Kapitalismus, wir bringen praktisch die Freiheit. Das war der Begriff, der auch in der DDR verwendet wurde. Ich bin nicht der Auffassung, daß das, was die Sowjetarmee gebracht hat, unbedingt die Befreiung war. Es war auch nicht die Freiheit, die mit den US-Streitkräften kam. Auf alle Fälle aber war es eine Befreiung vom Faschismus, wenn man es so sehen will.

Nach dem Krieg hatten die US-Amerikaner den Kriegsteilnehmern eine Medaille verliehen, auf der die Brücke von Remagen abgebildet war. Darauf war Army of Occupation eingraviert. Die hatten diesen bombastischen Begriff gar nicht in ihrem Repertoire. Ich finde schon, daß man das hinterfragen sollte, denn den Befreiungsbegriff der DDR kann ich nicht zu meinem eigenen machen. Ich habe mich in der BRD nicht als jemand gefühlt, der in einer Form von Freiheit lebt, weil ich mich nie mit den gesellschaftlichen Bedingungen arrangieren konnte.

Auch daß der Antifaschismus den Kapitalismus generell kritisiert, steht dem entgegen. Von daher finde ich, daß dieser alles überhöhende Begriff nicht das faßt, was passiert ist. Rein faktisch handelte es sich eben um die Zerschlagung des Nationalsozialismus und des Deutschen Reiches, und dabei will ich es belassen, ich brauche diese Begrifflichkeit nicht. Ich habe dieses Buch nicht ohne Grund herausgebracht. Es ist ja keine Selbstbeweihräucherungsgeschichte, sondern soll die Sinne genau in diese Richtung schärfen und ein paar Beispiele geben, so daß in der noch vorhandenen Struktur der Antifa-Szene daran angeknüpft werden kann.

SB: Man könnte vielleicht sagen, es wäre im Grunde genommen eine bescheidene Befreiung, wenn das alles wäre, was dabei herausgekommen ist.

BL: Dann wäre ja jetzt Freiheit, dann wäre jetzt Keine Macht für niemand.

SB: Auf einem der Transparente, die auf den Illustrationen deines Vortrages zu sehen waren, stand der Begriff "Kollektivität", der ja heute weitgehend verschwunden ist. Du hast auch erwähnt, daß es in deiner politischen Arbeit bis 1999 so etwas wie kollektive Zusammenhänge gab, aber danach nicht mehr. Wie erklärst du es dir, daß der Wunsch des Zusammenkämpfens heute vielleicht nicht mehr so stark ist wie damals?

BL: Weil die Leute heute oft auf ökonomische Strukturen ausgerichtet sind und sich vor allen Dingen persönlich profilieren wollen. Ihnen geht es nicht um ein anonymes Kollektiv, vielmehr soll das Individuum in den Vordergrund geschoben werden. Das heißt, es gehört herauszustreichen, was man persönlich gemacht hat, damit man es sich auf die eigene Agenda schreiben und für die weitere Karrierelaufbahn nutzen kann. Das ist heutzutage auf alle Fälle üblich geworden. Ich selbst empfinde das als ein konservatives Moment. Noch in den 80ern und Anfang der 90er Jahre gab es diese Kollektivität und Selbstbestimmung. Die vielen Druckkollektive und kollektiven Lebenszusammenhänge waren schon vorher entstanden. Das war einfach eine andere Herangehensweise. Heute gilt eher, daß sich das Individuum irgendwie durchsetzen muß.

SB: Hattest du den Eindruck, daß diese individuellen Profilierungsinteressen in den Zusammenhängen, in denen du damals aktiv warst, nicht so dominant waren?

BL: Sie waren zwar vorhanden, haben sich aber anders dargestellt. Nach außen hin war es ein Kollektiv, aber im Kollektiv muß ja einer den Hut aufhaben, wie man so schön sagt. Was Machtspielchen betrifft, wäre ich ganz vorsichtig, es gab ja so Begriffe dafür wie "Zirkelpapst" und so weiter. Wenn man sich in VVs und auf Gremien getroffen hat, mußten sich immer irgendwelche Leute nach vorne stellen. Nach außen war es ein Kollektiv, aber innen war die Struktur eben auch anders. Doch der Anspruch war auf alle Fälle kollektiv, und es wurde darauf geachtet, daß das Kollektive im Auftreten rüberkam. Es war nicht der Führer und die Geführten oder so etwas.

SB: Du hast in deiner Kunst viele historische Themen verarbeitet, an die heute kaum jemand mehr denkt. So hat für dich zum Beispiel der Faschismus mit dem Tag von Potsdam und dem Reichstagsbrand begonnen. Meinst du, daß diese Art von Geschichtsaufklärung weiterhin notwendig ist?

BL: Ja, die ist absolut notwendig, weil so viele Themen einfach wegbrechen bzw. noch mit neuen oder sogar alten Mythen belegt sind. Wenn ich zum Beispiel über den Hamburger Aufstand spreche, liefere ich nicht einfach eine Propagandageschichte ab, sondern es geht schon um die Hinterfragung dessen, was war. Was sind die wesentlichen Punkte und auch die Widersprüche dieses Aufstandes gewesen? Die Vergangenheit zu hinterfragen und mit dem Heute in Zusammenhang zu setzen ist ein permanenter Prozeß.

SB: In der Kunst selbst gibt es auch Traditionen und Formwechsel, es gibt Brüche wie in der ästhetischen Moderne, die teilweise sehr abstrakt ist. Wie sind deine Neigungen gelagert, was inspiriert dich in der Kunst?

BL: Das kann ich gar nicht so in einen Stil fassen. Für mich spielt die Form, ob es jetzt abstrakt oder eine realistische Darstellung ist, eigentlich gar keine so große Rolle. Mir geht es mehr darum, was für eine Emotion, was für ein Ausdruck damit transportierbar ist. Der Stil ist im Grunde genommen zweitrangig. Natürlich kommen gewisse Stile in gewissen Zeiten auf, die damit auch eine Begründung in sich tragen, was mit Technologie, mit Ideologie und solchen Dingen zu tun hat. Aber für mich persönlich steht eher der Prozeß und das, was sich damit auslösen läßt, im Mittelpunkt. Der Stil ist dabei relativ - vielleicht nicht egal, aber jedenfalls nicht das bestimmende Moment, an dem ich mich orientiere.

SB: Versuchst du auch mit deinen Werken in den Kunstbetrieb hineinzukommen? Könntest du dir vorstellen, daß es etwa auf der Documenta so etwas wie Interesse an einer antifaschistischen Kunst gibt?

BL: Wenn ich Ausstellungen mache, dann in irgendwelchen autonomen Zentren wie dem Tacheles, einem Freiraum in Berlin, kurz bevor es zugemacht hat. Mit dem etablierten Kunstbetrieb habe ich eigentlich nichts zu tun. Ich glaube auch nicht, daß sich das groß ändert. Wenn ich irgendwo eine Ausstellungsmöglichkeit hätte und meine Inhalte präsentieren könnte, würde ich das nicht für völlig abseitig erklären, auch wenn ich mir das nicht vorstellen kann. Es gibt einfach keine Berührungspunkte.

SB: Würdest du der bürgerlichen Kunst, wenn man sie so nennen will, ein emanzipatorisches Anliegen absprechen?

BL: Nein, nicht unbedingt. Ich würde allerdings sagen, es gibt einen Kunstmarkt, aber Kunst ist nicht Markt. Es gibt viele gute Leute, die gute Ideen haben, und auch viele Künstler, die durchaus Dinge voranbringen, die aus ganz anderen Ansätzen kommen. Deshalb würde ich mich nicht aufschwingen und sagen: Ich weiß es und ich bin der einzige - nein, so ist das nicht.

SB: Du bist am Schluß des Vortrages darauf zu sprechen gekommen, daß das nächste Jahr, bei dem alle Welt vom Luther-Jahr spricht, eigentlich Thomas Münzer-Jahr heißen müßte.

BL: Von einer Glorifizierung Luthers kann man nicht unbedingt sprechen, es ist schon geschickter gemacht, aber ich würde sagen, dem muß man aus linker oder linksradikaler Sicht auf jeden Fall etwas entgegensetzen. Der große Reformator Luther war, wie öffentlich diskutiert wird, gegen Juden. Antisemitismus läßt sich bei Luther ganz deutlich finden. Die Nazis haben Luther als Ikone genommen. Es gab die Bewegung der Deutschen Christen in der evangelischen Kirche, die eine ganz starke Wirkung hatte. Auf den Koppelschlössern der deutschen Armee stand im Ersten und Zweiten Weltkrieg "Gott mit uns", also auch unter dem Faschismus, wobei noch einmal der Handschlag von Hitler und Hindenburg genannt werden muß. Faschismus ist mehr als das, was die Nazis verkörperten.

Münzer ist jetzt eine Figur, über die man auch einiges sagen kann. Er stand in Opposition zu Luther, weil er sich nicht von den Bauern distanziert hat, die natürlich auch gottgläubige Menschen waren. Ich will jetzt nicht in eine Theologiedebatte verfallen, aber auf alle Fälle verbindet sich mit Münzer und dem Bauernkrieg ein gesellschaftlicher Aufbruch, der trotz aller Widersprüche mit einer linken Geschichtsauffassung viel zu tun hat, was in der bürgerlichen Fassung überhaupt keine Rolle spielt oder weitgehend negiert wird. Und deswegen sollte man dem etwas entgegensetzen, etwa in Form von Veranstaltungen oder einem Besuch des Bauerkriegspanoramas in Frankenhausen. Es wurde von dem Autodidakten Werner Tübke gemalt und ist das größte freihängende Gemälde der Welt. So etwas werde ich auf alle Fälle organisieren, um das Thema zumindest für den Kreis der Interessierten lebendig zu gestalten.

SB: Was sagst du als Künstler zu einer Ästhetik der Herrschenden, wie sie sich etwa im Bereich der Bundeswehr mit Logo Wir.Dienen.Deutschland. abbildet?

BL: Was soll man dazu sagen, es ist Staatspropaganda der übelsten Form.

SB: Findest du es nicht erstaunlich, daß eine Aussage wie Wir. Dienen. Deutschland. - nur unterbrochen durch drei Punkte, mit denen man wohl eine gewisse Distanz zu Äquivalenten in der NS-Zeit herstellen will - heute zu einem Leitspruch einer angeblich demokratischen Parlamentsarmee werden kann?

BL: Das ist wie mit dem Begriff der Befreiung, wenn man den nicht hinterfragt. Als ich noch in dem Alter war, wo man zur Bundeswehr gemußt hätte, war ich einmal in der Rommel-Kaserne in Osterode zu Gast. Damals war es üblich, daß Einheiten der Bundeswehr eine Pateneinheit in der Wehrmacht hatten. In der Kantine wurden Wehrmachtssoldaten aus der Nazizeit an den Wänden präsentiert, das war ganz normale Traditionspflege. Heutzutage sagt die Bundeswehr, wir haben keine Tradition mehr, ab 56 fängt unsere Geschichte an. Davor gibt es keine Geschichte, und wir befreien uns dadurch, daß wir sagen, damit haben wir gar nichts zu tun. In dieser Geschichtsauffassung macht man einfach etwas Neues und baut darauf seine Propaganda auf. Und dann kann man natürlich auch jeden Spruch umbiegen, wie man ihn haben möchte. So einfach ist es natürlich nicht, aber es wird einfach gemacht. Wie ich vorhin beim Vortrag sagte, wird heute von einer europäischen Geschichte gesprochen. Ich würde sagen, bis vor wenigen Jahren war es noch die Geschichte verschiedener Staaten in Europa. Es wird einfach umgedreht, benutzt und dann eine neue Propaganda draufgesetzt.

SB: Bernd, vielen Dank für das Gespräch.


Buchtitel von Bernd Langer - Fotos: 2016 by Schattenblick Buchtitel von Bernd Langer - Fotos: 2016 by Schattenblick

Fotos: 2016 by Schattenblick


Fußnote:

[1] http://kunst-und-kampf.de/WordPress_02/veranstaltungen/


Berichte und Interviews zur 21. Linken Literaturmesse in Nürnberg im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → DIE BRILLE → REPORT:

BERICHT/059: 21. Linke Literaturmesse - und nicht vergessen ... (1) (SB)
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16. November 2016


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