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INTERVIEW/118: Messe links - kranke Gesellschaft ...    Katja Anton Cronauer im Gespräch (SB)


Interview am 3. November 2018 in Nürnberg


Die am 13. Dezember 2018 im Bundestag beschlossenen Reform des Personenstandsgesetzes zur Einführung einer dritten Option beim Geschlechtseintrag kann als Fortschritt begriffen werden, reflektiert aber auch die Misere einer Gesellschaft, die mit großer Beharrungskraft an geschlechtsbedingten Gewaltverhältnissen festhält. Dies betrifft nicht nur die ungebrochene Dominanz patriarchaler Herrschaft, sondern auch die darin enthaltene Verteidigung der binären Geschlechterordnung. Allein die Fraktion Die Linke hat für eine diskriminierungsfreie Änderung des Geschlechtseintrags und, bei Wunsch, des Vornamens ohne Gutachten oder Atteste votiert, fand damit aber keine Mehrheit.

Indem nach wie vor ein ärztliches Attest vorgelegt oder ersatzweise eine Versicherung an Eides statt abgelegt werden muß, verbleiben alle nicht als weiblich oder männlich definierten Identitäten im Bereich medizinischer Sonderfälle. Weit entfernt davon, den Menschen schlicht die Bestimmung ihrer Geschlechtlichkeit zu überlassen, wird damit die biologische Ordnung festgeschrieben und ihre Überwindung in sozialer Selbstbestimmung negiert.

Dem Insistieren auf ein naturalistisches Verständnis von Geschlecht und seine Anwendung auf die Subjekte des bürgerlichen Rechtstaates liegt ein Interesse an sozialer Kontrolle zugrunde, das diejenigen am meisten in Schwierigkeiten bringt, die in der binären Ordnung gar nicht vorkommen oder als Frau weiterhin patriarchaler Verfügungsgewalt ausgesetzt sind.

Verwaltungstechnischer Ausdruck dessen ist der medizinaladministrative Hebel des Gesetzes. Mit ihm wird eine nun zwar besser versteckte, aber aufrechterhaltene Pathologisierung von Menschen betrieben, die sich in der binären Geschlechterordnung nicht einfinden können oder wollen. Wie in der Tradition linker Medizinkritik seit jeher bekannt, kann der Begriff der Krankheit zum Ausdruck eines Herrschaftsinteresses geraten, das mit bezichtigender Wirkung individualisiert, was als Problem und Widerspruch einer in diesem Sinne kranken Gesellschaft nicht beim Namen genannt werden soll.


Im Gespräch - Foto: © 2018 by Schattenblick

Katja Anton Cronauer
Foto: © 2018 by Schattenblick

Katja Anton Cronauer versucht, mit dem Online-Shop trans*fabel - Jenseits des 2-Geschlechtersystems eine Gegenposition zum dominanten gesellschaftlichen Geschlechterverständnis sichtbar zu machen. Sie ist für Menschen gedacht und will über Menschen aufklären, die sich nicht in ein zweigeteiltes Geschlechtersystem einordnen können oder wollen. Anton versteht sich selbst als Trans* und nicht-binär, spricht aber auch für alle anderen Menschen, die außerhalb der binären Geschlechterordnung stehen. Letztlich sei das Ziel, all diese Kategorien unnötig zu machen. Doch bevor alle Menschen gleichberechtigte sind und "nicht nach vermeintlichem biologischen Geschlecht oder Geschlechtsidentität einsortiert und diskriminiert werden" [2], will er unter anderem mit dem Verkauf von Literatur zum Thema dafür sorgen, daß insbesondere Kinder und Jugendliche, die wie er große Probleme beim Heranwachsen hatten, besser mit ihrer geschlechtlichen Identität und den auf sie einwirkenden gesellschaftlichen Zwängen umgehen können.

Auf der 23. Linken Literaturmesse in Nürnberg war Katja Anton Cronauer mit einem Stand vertreten, wo er Bücher und Kunst zum Jenseits des 2-Geschlechtersystems anbot. Dort beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen zu seiner Arbeit und seinem Aktivismus.


Bücherauslage - Fotos: © 2018 by Schattenblick Bücherauslage - Fotos: © 2018 by Schattenblick

Lesens- und Sehenswertes am Stand von trans*fabel
Fotos: © 2018 by Schattenblick

SB: Anton, was hat dich dazu motiviert, trans*fabel ins Leben zu rufen?

KAC: Ich identifiziere mich als Trans* und als nicht-binär. Vor einem Jahr habe ich angefangen, dazu ein Kinderbuch zu machen, weil es zu diesem Thema relativ wenig Kinderbücher gibt. Aus diesem Anlaß begann ich zu recherchieren, was es an anderen Büchern zum Thema gibt. Darüber habe ich die Überlegung gehabt, man könnte ja mehr daraus machen. An dem Kinderbuch arbeite ich immer noch und baue nebenbei trans*fabel auf, um die Bücher auch anderen Leuten zugänglich zu machen.

SB: Wenn du bei verschiedenen Verlagen danach forscht, was zu dem Thema erschienen ist, bewertest du die Bücher auch inhaltlich, ob sie deiner Linie entsprechen?

KAC: Ja, ich suche Kinderbücher, Jugendbücher, Romane und Sachbücher, halte mich aber von akademischen Publikationen erst einmal fern, weil ich in erster Linie allgemeinverständliche Sachen nehmen möchte. Natürlich schaue ich, ob mir die Bücher zusagen. So gibt es ein paar Ratgeber, die ich nicht anbieten möchte, weil darin Trans*- oder Intermenschen pathologisiert werden. Insofern lese ich mir die Sachen schon durch, verfasse auch ganz allgemein meine eigenen Beschreibungen zu den Büchern, anstatt die des Verlages zu übernehmen, damit deutlich wird, wie ich sie beurteile und warum ich sie ins Angebot aufnehme.

SB: Wie siehst du das Verhältnis zwischen einer immer weitergehenden Ausdifferenzierung von geschlechtlichen Identitäten und der Frage, ob es nicht das utopische Ziel einer völligen Befreiung von Geschlechterkategorien geben könnte?

KAC: Das ist ein bißchen schwierig, denn zum einen ist die Ausdifferenzierung eine Art Sichtbarmachung, die irgendwo auch erst einmal notwendig ist, um zu sagen, es gibt viele von uns. Zum anderen wäre es natürlich schön, wenn Menschen irgendwann nicht mehr nach Geschlechtern unterschieden werden, sondern einfach nur Menschen sind.

SB: Das Bundesverfassungsgericht hat vor einiger Zeit entschieden, daß der Eintrag der Geschlechtsidentität ins Personenstandsregister nicht mehr erforderlich sein soll. Durchgesetzt hat sich bislang eine Vorlage, laut der dies nur für Menschen gilt, die nachweislich inter sind. Wie stehst du dazu?

KAC: Es gab ja vom Bundesverfassungsgericht zwei Vorschläge. Der eine war, daß es eine dritte Option geben soll, und der andere, daß der Eintrag ganz aus dem Personenstandsregister wegfallen soll. Das Letztere fände ich toll. Im Moment läuft es laut Seehofers Vorschlag darauf hinaus, daß Intermenschen, die als solche medizinisch diagnostiziert sind, eine dritte Option erhalten sollen. Das schließt ganz viele Intermenschen aus, die das nicht machen können oder wollen, und das läßt Trans*-Menschen außen vor, die ihre Geschlechtsidentität damit auf dem Papier nicht bestimmen können. Diesen Vorschlag, der jetzt durchgehen soll, finde ich ganz problematisch.

SB: Gibt es aus deinem Umfeld und deinen Erfahrungen heraus eine nennenswerte Zahl von Menschen, die grundsätzlich in keiner Weise geschlechtlich zugeordnet werden wollen oder bestenfalls auf eine andere Weise als konventionell üblich?

KAC: Ja, schon viele. Verständlicherweise ist diese Haltung bei Trans*- und Intermenschen eher verbreitet. Ich habe aber auch viele Cis-Freunde, also Menschen, die das Geschlecht leben, das sie bei der Geburt zugewiesen bekommen haben, die sagen, sie fänden es auch toll, wenn das Geschlecht nicht mehr in den Dokumenten ersichtlich ist, weil aufgrund dessen weder kategorisiert noch diskriminiert werden sollte.

SB: In der Linken ist das Thema zwar vorhanden, aber nach wie vor relativ marginal. Erwartest du von einer linken Bewegung, daß sie das Thema stärker reflektiert?

KAC: Ja, auf jeden Fall. Man findet auf vielen linken Veranstaltungen zum Beispiel genderneutrale Toiletten, aber das ist nicht immer der Fall. Das Thema könnte mehr betont werden. Ich bin hier der einzige Stand, der Sachen dazu anbietet. Natürlich gibt es bei einzelnen Verlagen gelegentlich auch Bücher dazu, aber wenn man so unbedarft hier durchläuft, würde man das erst einmal nicht so wahrnehmen.

SB: Manche tendenziell orthodoxe Linke sind der Ansicht, daß die sogenannten Identitätspolitiken im Grunde vom Hauptwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit ablenken bzw. der Sache eigentlich mehr oder minder schaden würden. Bist du mit so einer Ansicht schon einmal konfrontiert worden?

KAC: Nein, bin ich persönlich nicht. Ich selbst komme aus der anarchistischen Bewegung und habe früher eher im Umweltschutz angefangen und mich in der Antiglobalisierungsbewegung engagiert. Jetzt arbeite ich mit dem anarchistischen Verlag Edition AV zusammen. Daß man von einem Thema ablenkt, kann man ja über alles sagen. Ich finde das ganz schwierig. Statt dessen sollten wir lieber gemeinsam solidarisch an den Themen arbeiten.

SB: In westlichen Ländern werden solche Themen noch relativ offen behandelt. In anderen Regionen der Welt können Menschen, die sich als queer oder trans* identifizieren, erhebliche Probleme bekommen. Gibt es für dich in dieser Sache auch so etwas wie einen internationalistischen Anspruch?

KAC: Auf jeden Fall. Natürlich ist es in manchen Ländern gefährlicher, für Trans*- und Interrechte zu arbeiten. Dennoch machen es Menschen vor Ort, weil es ihnen wichtig und auch essentiell ist für ihr eigenes Leben. Da sollte unbedingt internationale Zusammenarbeit stattfinden. Es gibt sie, aber sie könnte verstärkt werden.

SB: Auch hierzulande gibt es Konflikte zwischen verschiedenen Formen emanzipatorischer geschlechterorientierter Politik, wo die einen den anderen ihre Definitionshoheit streitig machen. Sind dir solche Konflikte schon einmal begegnet?

KAC: Ich bin damit bislang noch nicht konfrontiert worden. Man kriegt natürlich immer wieder in der Szene mit, daß es Differenzen und Ausgrenzungen gibt. Aber auch hier gilt, daß man eher zusammenarbeiten und nicht jedes Grüppchen gucken sollte, was es für sich sozusagen absahnen kann, indem es die anderen vielleicht ausgrenzt. Ich glaube, wir könnten mehr erreichen, wenn wir uns solidarisch zeigten.

SB: In den USA gibt es Fernsehserien über Drag-Queens, die sehr populär sind. Darin spiegelt sich eine gewisse Kulturalisierung der Frage wider, die in den Massenmedien einen Spektakelcharakter entfaltet. Was hältst du von dieser Art der kommerziellen Verwertung des Themas?

KAC: Ich versuche es immer ein bißchen zu vermeiden, weil es eine Art des Exotisierens ist und die Message rüberbringt, es ist okay, wenn man das einmal auf der Bühne macht, aber hinterher soll man wieder "normal" sein und das Geschlecht - männlich oder weiblich - tatsächlich leben.

SB: Anton, vielen Dank für das Gespräch.


Buttons und Accessoires auf dem Stand - Fotos: © 2018 by Schattenblick Buttons und Accessoires auf dem Stand - Fotos: © 2018 by Schattenblick

Katzenhund, Rattenbiber, Giraffenpelikan, Büffelgazelle ... trans*fabelhaft
Fotos: © 2018 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/sele1024.html

[2] https://transfabel.de/index.php?main_page=page&id=17&chapter=0


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19. Dezember 2018


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