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INTERVIEW/122: 24. Linke Literaturmesse - ein 68er erinnert sich ...    Thorwald Proll im Gespräch (SB)


Interview am 2. November 2019 in Nürnberg


Der Lyriker, Schriftsteller, Buchhändler und Lektor Thorwald Proll war '68 in der damaligen APO aktiv. Gemeinsam mit Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Horst Söhnlein stand er im Oktober 1968 in Frankfurt im Kaufhausbrandprozeß vor Gericht. Die in Kaufhäusern gezündeten Brandsätze - Menschen kamen nicht zu schaden - waren als Fanal gegen den Vietnamkrieg gedacht. Alle vier wurden zu je drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Thorwald Proll blieb nach seiner Haftentlassung politisch aktiv und betrieb in Hamburg bis 2013 die Buchhandlung Nautilus.

Auf der Linken Literaturmesse in Nürnberg stellte er sein im vergangenen Jahr neuaufgelegtes Buch "(M)Ein 68" [1] vor. Im Anschluß an die Lesung beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen.


Foto: © 2019 by Schattenblick

Thorwald Proll zeigt das Buch "Wir kamen vom andern Stern"
Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Was hat dich dazu veranlaßt, 50 Jahre nach 1968 den Erinnerungband "(M)Ein 68" herauszubringen? War dies der erste Schritt oder gab es zuvor schon andere Bücher, mit denen du mit deiner Geschichte an die Öffentlichkeit gegangen bist?

Thorwald Proll (TP): Ja. Und zwar 2003 das Buch "Wir kamen vom anderen Stern - Über 1968, Andreas Baader und ein Kaufhaus". Mit dem Schriftsteller Daniel Dubbe hatte ich meine Erinnerungen als Interviewband für den Verlag Edition Nautilus produziert. [2] Die jetzige Veröffentlichung erschien bereits in den 70er Jahren als Schreibmaschinentext in einer Zeitschrift, den Schwarzen Protokollen, wo vieles veröffentlicht wurde, was die undogmatische Linke damals so gemacht hat.

SB: In einer Zeit also, in der das alles noch frisch war.

TP: Ja, relativ. Das war so 77, 78, vor oder nach Stammheim. Der Text, aus dem ich heute vorgelesen habe, das Tagebuch und die Briefe, die hatte ich immer aufgehoben und schon einmal in einem kleinen Privatdruck veröffentlicht, so als Liebhaberei. Da waren aber die meisten Briefe schlecht zu lesen. Sie waren schwarz-weiß, das wirkte sehr blaß. Das war in den Anfängen der Selfpublishing-Zeit, das sah nach Kopien aus. Der Umschlag war allerdings sehr schön, den hatte meine Tochter gemacht, sie hat ein Foto von mir mehrfach koloriert. [3]

Ich war lange Zeit, bis 2013, mit Renate Fink zusammen in Ottensen als Buchhändler tätig. Danach hatte ich Zeit und Muße und überlegte, was ich noch so literarisch machen und womit ich mich in der Ruhezeit beschäftigen könne. Da kam ich dann auf dieses Buch und habe das mit einem befreundeten Graphiker-Ehepaar noch einmal schöner gemacht, wir haben das ganz neu gestaltet.

SB: Hast du mit deinen Buchprojekten oder auch bei anderen Gelegenheiten die Idee gehabt, deine Erfahrungen, die Geschichte von damals, jüngeren Menschen zu vermitteln, und wenn ja, welche Erfahrungen hast du dabei gemacht?

TP: Zweimal wurde ich in Schulen eingeladen. Einmal in eine Schule hier bei uns im Stadtteil, das war ganz schön. Die kannten wir auch als Buchlieferanten, wir lieferten da Schulbücher hin. Aus einer Schulklasse, die kurz vor dem Abitur stand, hatten mich einige angesprochen und gefragt, ob ich über 68 berichten würde. Sie wollten das in ihrer Klasse als Kursus zum Thema machen. Eine andermal wurde ich nach Ahrensburg in eine Schule eingeladen, die wollten dort auch ein Projekt machen. Aber das war nicht so schön. Die Schüler waren ziemlich reaktionär und haben mich beschimpft. Der Lehrer mußte mich da retten. Das war das letzte Mal, daß ich so etwas im öffentlichen Raum Schule gemacht habe. Ich habe mir auch überlegt, daß ich kein "Zeitzeuge" sein wollte in dem Sinne, wie heute vielfach über vergangene Zeiten berichtet wird. Nichts gegen diese Art, aber ich wollte das nicht.

SB: Du erwähntest vorhin, daß du auch schon einmal hier in Nürnberg auf der Literaturmesse gewesen bist.

TP: Ja, da habe ich das andere, 2003 erschienene Buch "Wir kamen vom anderen Stern" vorgestellt.

SB: Wie war da die Resonanz?

TP: Die war ziemlich gut. Ich habe das Buch mit einer jungen Frau präsentiert. Das ist ja so eine Art Interview. Sie hat dann immer die Fragen gestellt und ich mußte die beantworten. Das wirkte dann recht frisch. Das war eine sehr schöne Veranstaltung, sie war auch gut besucht. Mit diesem Buch bin ich 2003 und 2004 auch auf Lesereise gegangen, manchmal mit dem Schriftsteller, aber für Nürnberg hatte er keine Zeit.

SB: Was würdest du denn sagen, welche Relevanz deine Geschichte von '68 für die heutige Linke haben könnte?

TP: Ich wollte historisch dafür geradestehen. Und ich wollte, daß man sich daran erinnert. Ich bin in dieser Sache so weit gegangen, wie ich konnte. Natürlich ist diese Zeit nicht immer lebendig, so wie andere bewegte Zeiten nicht immer lebendig sein können. Aber man kann sich daran erinnern, und dafür könnte mein Buch ein Zeugnis sein.

SB: Gegenüber der Gründergeneration der RAF gab es sehr schnell ein mediales und öffentliches Zerrbild. Wie würdest du dazu Stellung beziehen?

TP: Ich habe Andreas Baader und Gudrun Ensslin persönlich gekannt. Deshalb fühle ich mich ihnen immer noch sehr nahe, obwohl ich mit der RAF-Zeit gar nichts zu tun hatte, weil ich da nicht mitgemacht habe. Ich muß mich auch nicht rechtfertigen. Aber die persönliche Bekanntschaft verbindet eben.

SB: Es gab ja Initiativen, so beispielsweise von Gottfried Ensslin und Helge Lehmann, die 2012 einen Antrag auf Neuaufnahme des Todesermittlungsverfahrens einreichten, die Todesnacht von Stammheim juristisch aufklären zu lassen. Was hältst du von solchen Bemühungen?

TP: Grundsätzlich sind solche Bemühungen immer interessant, wenn man glaubt, es ist etwas Verborgenes geschehen, was man nicht wissen soll. Ich habe nichts dagegen, wenn weiterversucht wird, das zu klären.

SB: Hast du noch ein Schlußwort, vielleicht auch zur Linken Literaturmesse hier in Nürnberg, die ja nun schon fast seit einem Vierteljahrhundert die Fahnen hochhält?

TP: Ich hoffe, daß sie noch lange fortbesteht. Und ich möchte auch gerne noch einmal wiederkommen.

SB: Vielen Dank für das Gespräch.


Fußnoten:

[1] (M)Ein 68. Aufzeichnungen, Tagebuch, Schlusswort im Kaufhausbrandprozess, Fotos, Dokumente im Sinne des Unerforschten, von Thorwald Proll, Book on Demand Norderstedt, 2018, ISBN 978-3-748149-90-3

[2] Wir kamen vom andern Stern. Über 1968, Andreas Baader und ein Kaufhaus, von Thorwald Proll und Daniel Dubbe, Edition Nautilus Verlag, Hamburg, 2003, ISBN 3-89401-420-2

[3] Mein 68. Aufzeichnungen, Briefe, Interviews, von Thorwald Proll, Verlag auf Hoher See, Hamburg, 1999, ISBN 3-930272-03-2


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BERICHT/098: 24. Linke Literaturmesse - kritisch schreiben kritisch lesen ... (SB)


6. November 2019


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