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INTERVIEW/131: 24. Linke Literaturmesse - die rechte Sicht auf Frauenpower ...    Paul B. Kleiser im Gespräch (SB)


Interview am 2. November 2019 in Nürnberg


Paul B. Kleiser hat Politische Wissenschaften, Germanistik, Geschichte und Volkswirtschaft in Konstanz und München studiert. Er ist Dozent der Erwachsenenbildung, Autor, Lektor und Übersetzer, politisch aktiv bei attac und im Sozialforum München.

Bei der 24. Linken Literaturmesse in Nürnberg stellte er das von ihm übersetzte Buch Enzo Traversos "Die neuen Gesichter des Faschismus - Postfaschismus, Indentitätspolitik, Antisemitismus und Islamophobie. Gespräche mit Régis Meyran" [1] vor, das 2019 im Neuen ISP Verlag erschienen ist. [2] In einer weiteren Veranstaltung der Literaturmesse präsentierte er das von ihm verfaßte und ebenfalls in diesem Jahr erschienene Buch "Der Heimathorst oder Bayern ohne Lederhosen" [2], in dem er den "Bayernmythos" dekonstruiert und ihm eine Geschichte der sozialen Kämpfe und Auseinandersetzungen bis heute entgegenstellt. Dem Schattenblick beantwortete Paul B. Kleiser einige Fragen zur Identitätspolitik der Neuen Rechten, zur AfD und zum Umgang mit dem rechten Aufmarsch.


Vor einem Bücherstand - Foto: © 2019 by Schattenblick

Paul B. Kleiser
Foto: © 2019 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Die AfD-Aussteigerin Franziska Schreiber charakterisiert in ihrem Buch diese Partei als Männerbund, dessen Identitätspolitik sich insbesondere gegen Frauen richte, die sich diesem patriarchalen Anspruch nicht fügen. Die Thematik dominiere die innerparteilichen Abläufe und Äußerungen in so hohem Maße, daß sie alle anderen Feindbilder in den Schatten stelle.

Paul Kleiser (PK): Ja, es ist klar, daß rechte bis rechtsradikale Parteien immer Männerparteien sind, sogar die CSU ist im Grunde eine Männerpartei mit ungefähr 25 Prozent weiblichen Mitgliedern. Söder hat ja versucht, eine Frauenquote von 40 Prozent einzuführen, und ist damit prompt auf die Nase gefallen. Diese Dominanz der Männer findet man um so ausgeprägter bei rechten bis rechtsradikalen und protofaschistischen Bewegungen. Ich spreche in diesem Zusammenhang immer von Machismo, wobei mich ein Kollege kürzlich auf den schönen deutschen Begriff "Manneszucht" im rechten Denken und Diskurs hingewiesen hat. Diese Manneszucht spielt in diesen Organisationen einfach deswegen eine ungeheure Rolle, weil sie bei Männern gleich an den Krieger denken. Die Frauen sind aus dieser Sicht natürlich keine Kriegerinnen, sondern haben zu Hause zu bleiben und für die Reproduktion wie etwa die Nahrungszubereitung zu sorgen. Das heißt, die Rechten haben A ein kriegerisches und B ein ganz klar nach Geschlechtern getrenntes Weltbild im Kopf, das ist der Hintergrund.

SB: Bei der Buchvorstellung wurde aus dem Publikum die ostdeutsche Entwicklung in der Nachwendezeit angesprochen, die von einer Abwanderung vieler jüngerer Frauen in den Westen geprägt war. Das Gefühl der Männer, in einer abgehängten Region zurückgelassen worden zu sein, habe den Aufschwung rechter Bewegungen begünstigt.

PK: Das spielt sicherlich eine große Rolle. Es sind natürlich gerade die qualifiziertesten Frauen nach Westen gegangen. Insgesamt ist die Situation höchst ambivalent, weil beispielsweise die Renten im Gebiet der ehemaligen DDR heute höher sind als im Westen. Und warum sind sie höher? Nicht, weil die Männer im Durchschnitt höhere Renten bekommen würden, wohl aber die Frauen. Denn die Frauen haben im Regelfall gearbeitet, und es wurde die Erwerbsbiographie des Ostens im Grunde auf den Westen übertragen. Und das hat erstaunlicherweise die Frauen bevorzugt. Aber diese Besonderheit wird natürlich in Bälde verschwinden, weil in Folge der Umbrüche und Fabrikstillegungen Massenarbeitslosigkeit eingesetzt hat, so daß es zu massiven Brüchen in der Erwerbsbiographie gekommen ist. Vor allem wenn man dann noch ein Fernsehbild des Westens im Kopf hat, und das hatten ja viele, ist das einer der Gründe für die Radikalisierung nach rechts - so nach dem Motto, wir müssen uns an der Nation, am deutschen Staat, deutsch mit oi geschrieben, festhalten.

SB: In der AfD variieren Vertreter des rechten Flügels ihre Strategien beim inner- und außerparteilichen Vormarsch. Leute wie Björn Höcke in Thüringen tragen ihre Gesinnung offen zur Schau, Andreas Kalbitz hält sich in Brandenburg eher bedeckt. Er streitet seine ultrarechte Biographie nicht ab, behauptet aber, das sei Schnee von gestern. Wie schätzt du den Einfluß des "Flügels" in der Gesamtpartei ein?

PK: Der Vorsitzende hat ja die AfD als "gärigen Haufen" bezeichnet, und da ist auch was dran, das ist gar kein schlechtes Bild. Das heißt, wir leben in einer Übergangssituation. Wir erleben, daß die neoliberalen Rezepte, die in den letzten Jahrzehnten Anwendung gefunden haben, in gewisser Weise auslaufen, sprich diese Logik der schwarzen Null beispielsweise ist das einzige, was von der Politik übriggeblieben ist, und die schwarze Null bei null Zinsen führt zu nichts. Insofern haben wir eine tiefe Krise, nicht nur der Sozialdemokratie, da ist sie offensichtlich, sondern wir haben auch eine tiefe Krise der Union und insbesondere des Konservatismus. Vor dem Hintergrund dieser Krise des Konservatismus versucht sich die AfD zu definieren. Aber es ist klar, daß sie einerseits die Vergangenheit beschwört, D-Mark, Aufbauperiode der 50er Jahre und ähnliches, manche beschwören mit der Manneszucht sogar ein bißchen die 30er Jahre, in denen es angeblich den einheitlichen Willen der Nation gegeben hat. Aber es ist noch völlig unklar, wer sich in der AfD wirklich durchsetzen wird, weil sie im Grunde ein gärender Misthaufen ist.

SB: Manche Strömungen der Neuen Rechten wie die Identitären vertreten einige klassisch rechte Positionen, geben sich aber beispielsweise überhaupt nicht antisemitisch. Sie würdigen ganz im Gegenteil Israel als starken Staat und stimmen darin mit gewissen Fraktionen überein, die von links her in dieser Frage dieselbe Linie vertreten. Ist das deines Erachtens ein Bruch mit der rechten Tradition oder eher nur ein Modernisierungsmanöver?

PK: Es ist nicht unbedingt ein Bruch, weil wir ja in Israel ebenfalls eine sehr rechte Politik beobachten. Man könnte israelische Regierungspolitik als eine Koalition aus CSU, AfD und Pius-Bruderschaft charakterisieren, wenn man es auf deutsche Verhältnisse umbrechen würde. Es gibt in Israel eine stark ausgeprägte rechte Identitätspolitik, die sich gegen die Palästinenser richtet, die man ausschließen will. Eine vernünftige Lösung wäre demgegenüber ein Staat aller Menschen, die dort leben, aber das kann natürlich kein jüdischer Staat sein. Abgesehen davon ist das Konstrukt "jüdischer und demokratischer Staat" angesichts der realen Verhältnisse ein Widerspruch in sich. Aus Sicht der deutschen Rechten sind die Juden in Israel weit weg. Man braucht die Juden nicht zu hassen, wenn sie A in Israel sind und B eine rechte Politik machen. Man haßt die Juden, die hier sind, das ist der entscheidende Punkt. Es ist ja eine kleine Minderheit, die entweder hiergeblieben oder wieder hierher gekommen oder aus der Sowjetunion zugewandert ist. Und da gibt es, wie wir alle wissen, rechte Anschläge, die zumindest aus dem Umfeld der AfD kommen.

SB: In einigen Bundesländern wie Sachsen und jetzt vor allem in Thüringen legen die Wahlergebnisse für die CDU eventuell die Idee im Hinterkopf nahe, vielleicht doch mit der AfD zu koalieren, um an die Regierung zu kommen. Ist das schon heute eine realistische Option?

PK: Im Moment nicht, aber mittelfristig ist so etwas durchaus möglich. Gegenwärtig ist das zwar denkbar, aber aus mehreren Gründen nicht realisierbar. Erstens würde es zu einer gewaltigen Erschütterung in der CDU führen. Im Kern war und ist die CDU eine katholische Partei mit gewissen christlichen Werten, die nicht ohne weiteres über Bord geworfen werden können. Zumindest haben prominente Parteivertreter wie Blüm oder Geißler, der ja immerhin Generalsekretär war, das der CDU immer wieder ins Stammbuch geschrieben. Und das geht mit der AfD natürlich nicht zusammen. Zweitens würde eine solche Koalition den ohnehin schon vorhandenen antipolnischen Rassismus befördern, den es in Sachsen jedenfalls seit den 80er Jahren durchweg gegeben hat. Ich kenne mich dort aus, und mein Sohn hat da studiert. Dies könnte jedoch, je nachdem, wer sich durchsetzt, zu einer Stärkung der AfD und nicht etwa der CDU führen. Für die CDU wäre so eine Koalition nur relevant, wenn es ihr gelingt, die AfD an die Wand zu drücken, so wie es Merkel mit der FDP praktiziert hat. Aber unter den gegebenen Bedingungen würde das mit der AfD nicht funktionieren. Deswegen halte ich das für nicht sehr wahrscheinlich, wenn nicht sogar momentan für ausgeschlossen.

SB: Wie du bei der Buchvorstellung erwähnt hast, scheust du eine verbale Konfrontation mit Rechten nicht. Nun gibt es zum einen die Auffassung, daß man mit den Rechten nicht reden sollte, weil das zu nichts führt und nur noch den falschen Eindruck nährt, sie seien ein Gesprächspartner im demokratischen Dialog. Dem widersprechen andere mit dem Argument, das sei die falsche Strategie, weil es sich mehrheitlich um Leute handle, die sich irren und verführt worden sind. Spreche man nicht mehr mit ihnen, gebe man sie auf und verliere sie endgültig an die Rechten. Wie könnte man mit diesem Widerspruch umgehen?

PK: Es ist klar, daß man mit rechten Führungskadern nicht wirklich diskutieren kann, weil sie schon entsprechend sozialisiert sind. Aber sie schleppen sehr viele Anhänger hinter sich her, die meistens ein unausgegorenes Weltbild haben. Die Debatte muß dann natürlich auf ganz bestimmte Widersprüche in ihrer Argumentation und in ihrem Weltbild abzielen. Wenn man die zum Tanzen bringt, dann rentiert sich tatsächlich eine Diskussion mit solchen Leuten. Das sollte man jedoch nicht in der Gruppe versuchen. Es macht keinen Sinn, in eine rechte Versammlung zu gehen, in der die Obermacker das Sagen haben. Dort auf Widersprüche hinzuweisen, bringt nichts. Aber mit einzelnen Leuten zu diskutieren, einzelne Leute auseinanderzunehmen im Hinblick auf ihr krudes Weltbild, führt durchaus zu Erfolgen. Man muß nur sehr genau unterscheiden, mit wem man es zu tun hat.

SB: Wenn Politiker der AfD oder andere Rechte nicht zu einer Talkshow eingeladen oder wieder ausgeladen werden, erklären sie, das belege einmal mehr die Vorherrschaft des Establishments, während sie selbst eine verfolgte Minderheit seien. Macht es überhaupt Sinn, den Rechten ein Forum wie eine Talkshow zu geben, bei dem sie ihre Politik verbreiten können?

PK: Die Talkshows, die üblicherweise im Fernsehen ablaufen, sehe ich ziemlich kritisch. Erstens haben sie ganz bestimmte Moderatoren, und die deutsche Übersetzung von Moderator heißt ja Mäßiger. Das bedeutet, die wirkliche Auseinandersetzung findet dort nicht statt, weil die Kanten abgeschliffen werden, weil vorgefertigte Fragen gestellt werden, weil dort bestimmte Tabus herrschen und weil es natürlich auch ein Problem ist, im Fernsehen eine Angriffsstrategie zu fahren, die fast immer schlecht rüberkommt. Es gibt natürlich Situationen oder Ereignisse wie etwa den Anschlag in Halle, bei denen man bestimmte Auffassungen deutlich machen muß. Das ist vergleichsweise einfach, aber wenn es wirklich um grundlegende Streitfragen geht, dann sind diese Talkshows - es heißt ja nicht umsonst Show - nicht das geeignete Medium. Sie befördern selten kritisches Denken und kritische Reflexionen.

SB: An der Hamburger Universität wurden Veranstaltungen mit Bernd Lucke von Studierenden verhindert. Hältst du das für eine sinnvolle Maßnahme oder gibt ihm das im Gegenteil lediglich Munition zu verkünden, hier werde die freie Meinungsäußerung gewaltsam unterdrückt?

PK: Ich kenne die Situation in Hamburg nicht, man muß so etwas natürlich konkret auf die jeweiligen Umstände abstimmen. Aber ich glaube, daß Lucke heute mehr oder weniger ein armes Schwein ist. Er ist gewissermaßen durch jedes Raster gefallen, und man sollte vielleicht Leichen nicht treten. Ich denke, daß seine Bedeutung überschätzt wird, ja daß er durch solche Aktionen noch einmal eine Bedeutung bekommt, die er längst nicht mehr hat. Wer eine kritische Auseinandersetzung mit diesem knallharten Neoliberalen sucht, wäre wohl besser beraten, seine Veranstaltung zu besuchen, seine Thesen zu notieren und sie anschließend per Flugblatt oder in anderen Medien auseinanderzunehmen. Ich glaube, das führt zu Lernfortschritten, während so eine Konfrontationsstrategie am im Grunde falschen Objekt eigentlich nur ihm nützt.

SB: Vielen Dank für dieses Gespräch.


Fußnoten:


[1] Enzo Traverso: Die neuen Gesichter des Faschismus. Postfaschismus, Indentitätspolitik, Antisemitismus und Islamophobie. Gespräche mit Régis Meyran, Neuer ISP Verlag Köln 2019, 136 Seiten, 14,80 EUR, ISBN 978-3-89900-153-2

[2] Bericht zur Buchvorstellung:
www.schattenblick.de/infopool/d-brille/report/dbbr0105.html

[3] Paul B. Kleiser: Der Heimathorst oder Bayern ohne Lederhosen, Neuer ISP Verlag Köln 2019, 184 Seiten, 19,80 EUR, ISBN 978-3-89900- 155-6


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15. November 2019


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