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INTERVIEW/141: 24. Linke Literaturmesse - Zeuge alter Kämpfe ...    Walter Bauer im Gespräch (SB)



Am 16. März 2007 wurde nach 85 Jahren das Nürnberger AEG-Stammwerk geschlossen. Kurz nach Bekanntwerden der Absicht des Eigentümers Electrolux, das Werk abzuwickeln, kam es bereits im Dezember 2005 zu einem spontanen Streik. Mitte Januar 2006 wurde nach einer Urabstimmung erneut unter großer Beteiligung der ArbeiterInnen für sechs Wochen gestreikt. Am 7. März 2006 wurde ein von der IG Metall und Electrolux ausgehandelter Sozialtarifvertrag in einer Urabstimmung von der Mehrheit der Belegschaft gutgeheißen. Der damals bundesweit für viel Aufmerksamkeit sorgende und von breiter solidarischer Unterstützung getragene Streik ging damit so gütlich zu Ende, wie es im Rahmen der sozialpartnerschaftlich organisierten Arbeitsgesellschaft der Bundesrepublik häufig der Fall ist.

Seit November 2016 befindet sich auf dem Werksgelände die Kulturwerkstatt Auf AEG, ein im Rahmen der Stadtplanung für den Nürnberger Westen mit öffentlichen Mitteln gefördertes Kulturzentrum. Wie bereits im Vorjahr fand dort auch 2019 die Linke Literaturmesse statt. Zu deren Begründern gehört mit Walter Bauer ein Aktivist des mit starker Beteiligung der radikalen Linken durchgeführten AEG-Streikes. Zudem hat der auf der Messe mit einem Stand präsente Verlag Die Buchmacherei den 2007 herausgegebenen Band "Wir bleiben hier. Dafür kämpfen wir!" über den Arbeitskampf bei AEG in Nürnberg im Programm. Grund genug, um Walter Bauer einige Fragen zur Historie des Ortes und seiner Verbindung zur Literaturmesse zu stellen.


Am Stand auf der Linken Literaturmesse - Foto: © 2019 by Schattenblick

Walter Bauer
Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Walter, worum ging es bei dem Streik vor dreizehn Jahren?

Walter Bauer (WB): Es war ein Streik gegen die Schließung dieses AEG-Werkes. Begonnen hatte es eigentlich mit der Schließung verschiedener kleinerer AEG-Betriebe, so in Tübingen und an anderen Orten. Die Lawine kam immer näher. Zwei Jahre dauerten die Verhandlungen über die Zukunft des Werkes. Der Hintergrund bestand darin, daß entweder AEG oder Siemens sterben sollte. Die Deutsche und die Dresdner Bank waren beide involviert und der Ansicht, daß ein Unternehmen reicht. Dieses Werk sollte in Richtung Tschechien verlagert werden.

Die Gewerkschaft hat zur Demonstration gegen die Schließung aufgerufen. Der Streik wurde zur Unterstützung der Verhandlungen geführt. Das war ein totaler Streik, das heißt mit Blockaden, mit Ein- und Ausgangssperren und allen möglichen weiteren Aktionen. Er war breit angelegt und für die linke Szene in Nürnberg interessant, weil damit eine direkte Zusammenarbeit mit der Arbeiterbewegung möglich wurde. Es war schon ein wichtiges Ereignis, so wurde zum Beispiel zuvor ein Sozialforum gebildet. Es gab ein Streikzelt, es wurden Podiumsdiskussionen geführt und verschiedene Flugblätter herausgegeben.

Schließlich kam es, wie das bei der Gewerkschaft oft der Fall ist, zum Kompromiß. Viele, vor allem die ausländischen Arbeiter, wollten weiterstreiken, doch der Streik wurde dann abgebrochen.

SB: Warst du im Streikkomitee aktiv?

WB: Ich war presserechtlich verantwortlich für diese linke außergewerkschaftliche Bewegung, obwohl ich ja seit meiner Lehrzeit Mitglied bei der Gewerkschaft bin. Wir wollten zusätzlichen Druck entwickeln, damit nicht nur um Abfindungen gekämpft wird, sondern tatsächlich um dieses Werk, egal, was darin produziert wird, weil man die Produktion ja auch ändern kann. Das war das große Ziel in dieser Richtung.

SB: Gibt es auch einen Zusammenhang zur Linken Literaturmesse?

WB: Es gibt einen etwas weiter reichenden Zusammenhang. Die Leute, die bei der Linken Literaturmesse und der Literaturarbeit in Nürnberg aktiv waren, gehörten natürlich auch diesen Bewegungen an. Ich hatte die Libresso-Buchhandlung hier übernommen, und Robert hatte das Metroproletan-Archiv mit aufgebaut. Beides war im KOMM angesiedelt. Das hat sich dann von Infoständen bis hin zur Buchmesse entwickelt. Robert, Ute und ich waren praktisch süchtig nach Literatur.

SB: Heute sind wir also wieder bei AEG angekommen?

WB: Ja, heute sind wir wieder bei AEG (lacht). Ich bin ja seit 1965/66 Kommunist, und Robert ist bei den Autonomen. Diese Kombination war eigentlich produktiv.

SB: Walter, danke für das Gespräch.


Infoblatt zur AEG-Geschichte, Buchdeckel, Programmübersicht Kulturwerkstatt - Fotos: © 2019 by Schattenblick Infoblatt zur AEG-Geschichte, Buchdeckel, Programmübersicht Kulturwerkstatt - Fotos: © 2019 by Schattenblick Infoblatt zur AEG-Geschichte, Buchdeckel, Programmübersicht Kulturwerkstatt - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Spurensuche im postindustriellen Zeitalter
Fotos: © 2019 by Schattenblick


Kunstinstallation, Bäume, Gebäude - Foto: © 2019 by Schattenblick

Vorplatz am Eingang zur Kulturwerkstatt auf AEG
Foto: © 2019 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] https://diebuchmacherei.de/produkt/wir-bleiben-hier-dafuer-kaempfen-wir/

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/d-brille/report/dbri0019.html


Berichte und Interviews zur 24. Linken Literaturmesse in Nürnberg im Schattenblick unter:
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11. Dezember 2019


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