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GENFRUCHT/021: Gentechnikindustrie macht Druck (ubs)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 400 - Juni 2016
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Gentechnikindustrie macht Druck
Neue Gentechniken sollen nicht als Gentechnik eingestuft werden

Von Annemarie Volling, Netzwerk gentechnikfreie Landwirtschaft


Hat die EU-Kommission im Zuge der TTIP-Verhandlungen ihre rechtliche Einstufung zu den so genannten "neuen Züchtungstechniken" verschoben und verändert? Dies legen interne Papiere nahe, die jetzt öffentlich geworden sind. Unterdessen werden in den USA erste Pflanzen der neuen Gentechnikverfahren als "gleichwertig" zur konventionellen Züchtung eingestuft. Auch jetzt wird weiter Druck seitens der Gentechnikindustrie ausgeübt, schließlich stehen viel Geld und ein "Image" auf dem Spiel.

Eigentlich wollte die EU-Kommission schon Ende 2015 ihre rechtliche Einschätzung darüber, wie sie die so genannten "neuen Züchtungstechniken" einstuft, bekannt geben. Die Kernfrage ist, ob verschiedene neue Techniken, beispielsweise die neuen "Genome Editing"-Verfahren wie CRISPR/Cas (siehe letzte Bauernstimme), aber auch Techniken, die Gentechnik direkt nutzen, in deren Endprodukt aber keine gentechnisch veränderte DNA mehr vorkommen soll, als Gentechnik eingestuft werden und unter die EU-Gentechnikregulierung fallen - oder nicht. Wenn ja, dann müssten sie einer (zu verbessernden) Risikobeurteilung, einem Zulassungsprozess, der Kennzeichnung und Nachweisbarkeit sowie Monitoring unterzogen werden. Ein Handelshemmnis aus Sicht der Gentechnikindustrie, da dies kostenintensiv ist und ein langwieriger Prozess mit ungewissem Ausgang.

Versteckte Kampagnen

Rund um die Veröffentlichungen der eigentlich geheimen TTIP-Verhandlungspapiere wurden auch interne Kommissionspapiere bekannt, die deutlich machen, dass es massiven Lobbyeinfluss gab, um die angekündigte rechtliche Einstufung der EU-Kommission zu den neuen Techniken zu beeinflussen und zu verschieben. Ans Licht der Öffentlichkeit brachten dies Corporate Europe Observatory (CEO), GeneWatch und Greenpeace. "Die Biotech-Industrie hat eine versteckte Kampagne geführt mit dem Ziel, dass neue Gentechnikprodukte nicht unter die Gentechnikverordnung fallen sollen", kommentierte Nina Holland von CEO. "Die TTIP-Verhandlungen werden von der Industrie auf beiden Seiten des Atlantiks und der US-Regierung als die perfekte Gelegenheit angesehen, EU-Prozesse zu blockieren. Die Regulierung der neuen Gentechniken ist ein typischer Fall." Laut den internen Dokumenten ging die ESA (Europäischer Interessenverband der Saatgutindustrie), ebenso wie US-Handelsvertreter, davon aus, dass die Kommission zumindest die ODM-Technik (eine der neuen Züchtungstechniken) in ihrer rechtlichen Interpretation als Gentechnik einstufen wolle. In ihrem Positionspapier machte sie deutlich, dass "unnötige Zulassungsanforderungen und Überwachung solcher Produkte (...) zu ungebührlichen und kostspieligen Regulierungsbelastungen führen und Innovationen behindern würden". Auch US-Regierungsvertreter warnten die EU-Kommission Anfang November 2015 vor der Implementierung unbegründeter Regulierungshürden bei den neuen Techniken. In dem Brief heißt es: "Wir wissen, dass unterschiedliche Regulierungsansätze zwischen Regierungen bei der NBT-Klassifizierung zu erheblichen Störungen des Handels führen." Zunächst wurde der für November anvisierte Veröffentlichungstermin der EU-Kommission auf Anfang 2016 und später dann auf "im Laufe des Jahres 2016" verschoben.

Schnell und individuell zulassen

Im Mai folgte Copa & Cogeca, der Dachverband der landwirtschaftlichen Organisationen und Genossenschaften, die in einem Brief an Kommissar Andriukaitis die EU-Kommission auffordern, den Rechtsstatus neuer Züchtungstechniken zügig zu klären. Pekka Pesonen, der Generalsekretär erklärte: "Neue Zuchttechniken sind äußerst wichtige Instrumente (...). Für Investitionen und die Weiterentwicklung neuer Zuchttechniken müssen die Züchter jedoch über rechtliche Sicherheit und einen gut funktionierenden EU-Binnenmarkt verfügen. Wir sind der Ansicht, dass neue Zuchttechniken auf Einzelfallbasis anhand wissenschaftlicher Kriterien von Experten analysiert und diskutiert werden sollten."

Anstatt aber abzuwarten, wie die EU sich entscheidet, werden in den USA schon erste Pflanzen, die mit den neuen Gentechniken erzeugt worden sind, zugelassen. Beispielsweise stufte die APHIS (Animal and Plant Health Inspection Service) im April einen mit der Gentechnikmethode CRISPR/Cas entwickelten Speisepilz als "nicht zu regulieren" ein. Auch ein mit der gleichen Methode hergestellter Wachsmais (Wx1) vom Konzern Dupont Pioneer ließ die APHIS zu.

Auch der CIBUS-Raps, der mit der ODM-Technik hergestellt wurde, wuchs 2015 unreguliert auf 4.000 Hektar in Amerika. Im Frühjahr 2015 sollte der Anbau in Europa vorbereitet werden. In sechs Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, wurden die zuständigen Behörden befragt, ob sie den CIBUS-Raps als Gentechnik einstufen oder nicht. In Deutschland ist das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) zuständig. Erwartungsgemäß stufte das BVL den CIBUS-Raps nicht als Gentechnik ein. Ein Widerspruch von NGOs wurde abgewiesen. Erst durch eine Klage ist der Anbau des Rapses vorerst untersagt worden. Die Kommission hatte die Mitgliedstaaten aufgefordert, die Freisetzung von Pflanzen, die mithilfe neuer Verfahren hergestellt wurden, bis auf weiteres möglichst zu unterlassen. Sie verwies auch darauf, dass es illegal sei, gentechnisch veränderte Pflanzen ohne Genehmigung freizusetzen.

Ein einheitliches Vorgehen scheint also nicht gewollt. Es wird deutlich, wie verschieden der Umgang mit neuen Techniken und erwarteten Risiken ist. Eine "Angleichung" ist schwierig. In den USA werden die alten und neuen Gentechnikpflanzen als "gleichwertig" zu konventionellen Sorten angesehen, die sich nur in der veränderten Eigenschaft unterscheiden. Nur diese wird dann auch bewertet, das nennt sich produktbasierter Ansatz. Dies steht im Gegensatz zum "prozessorientierten" Ansatz der EU: Die Gentechnikorganismen werden einer Risikoprüfung unterzogen, in der insbesondere auch das Verfahren betrachtet wird, mit dem der Organismus hergestellt wurde, denn auch von diesem können Risiken ausgehen. Beiderseits des Atlantiks wird versucht, dieses europäische Vorsorgeprinzip und die Prozessorientierung, die auch wissenschaftliche Unsicherheiten in den Bewertungsprozess einbeziehen, als "unwissenschaftlich" zu disqualifizieren.

Nach wie vor betont die EU-Kommission, aber auch Bundeskanzlerin Merkel, dass die EU-Lebensmittelstandards im Zuge von TTIP nicht abgesenkt werden sollen. Eine Einstufung der neuen Gentechniken als nicht gentechnische Züchtungsverfahren, wie es Konzerne und einige Wissenschaftler beidseitig des Atlantiks fordern, wäre eine eklatante Absenkung der bisherigen Standards und eine klare Abkehr vom Vorsorgeprinzip. Auch die Debatte, ob die neuen Gentechnikpflanzen einer Gentechnikregulierung "light" unterzogen werden sollen, und eine verkürzte Diskussion rein um Kennzeichnung und Wahlfreiheit sind Ablenkungsmanöver. Die landwirtschaftlichen Verbände in Deutschland und in der EU sind gut beraten, Pflanzen und Tiere, die mittels der neuen Gentechnikverfahren gezüchtet werden, auch als das einzustufen und zu behandeln, was sie sind: Gentechnik.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

2000: Es begann Mitte der 90er Jahre mit Dolly, dem Klonschaft und der Zulassung der ersten gentechnisch veränderten Pflanze für den kommerziellen Anbau in den USA, der Anti-Matsch-Tomate. Neben den nicht absehbaren gesundheitlichen und umweltrelevanten Risiken, die die Gentechnik birgt, haben AbL und Bauernstimme immer auch die mit ihr verbundene Abhängigkeit der Bauern und Bäuerinnen von Konzernen kritisiert. Herbizidresistenzen, die gleichzeitig bestimmte Pestzidprodukte promoten, Patente, die jährliche Lizenzzahlungen sichern - der Nutzen der grünen Gentechnik hat sich bis heute vielen Bauern und Bäuerinnen nicht erschlossen. Auch darum spielt sie nach wie vor in Europa kaum eine Rolle. Die Bewegung ist, wie hier auf dem Bild vor dem Europäischen Patentamt in München, immer dran geblieben.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 400 - Juni 2016, S. 7
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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Abonnementpreis: 41,40 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 30,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juni 2016

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