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SCHULDEN/050: Interview - Euro, Banken, Schuldenstaaten. Europa in der Finanzkrise (TU Dresden)


Dresdner UniversitätsJournal Nr. 11 vom 18. Juni 2013

Euro, Banken, Schuldenstaaten: Europa in der Finanzkrise
TU-Experten befragt

Das Gespräch führte Claudia Kallmeier



UJ sprach mit Prof. Alexander Karmann und Dr. Stefan Eichler zum Thema Finanzkrise. Prof. Karmann hat die TUD-Professur für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Geld, Kredit und Währung, inne, Dr. Eichler ist sein Mitarbeiter


UJ: Finanzkrise, Eurokrise, Bankenkrise, Wirtschaftskrise ... viele Begriffe geistern derzeit durch die Medien. Unter welcher Krise leiden wir eigentlich genau?

Prof. Karmann: Ausgangspunkt der derzeitigen Finanzkrise waren die drastischen Vermögensverluste am US-amerikanischen Immobilienmarkt in den Jahren 2007 bis 2009. Viele europäische Banken haben in verbrieften Hypothekenkrediten investiert und erlitten drastische Verluste. Im Zuge hoher Abschreibungen oder Refinanzierungsschwierigkeiten kamen ja auch in Deutschland einige Banken in eine Schieflage: Die SachsenLB wurde an die LBBW notverkauft, die Commerzbank wurde durch staatliche Einlagen gerettet, und die HypoRealEstate musste sogar verstaatlicht werden. Die Krise im Bankensektor hat daraufhin in den meisten Staaten eine Rezession ausgelöst, da die Banken ihre Kreditvergabe einschränkten und daraufhin die Investitions- und Konsumausgaben sanken. Durch diese Rezessionen brachen die Steuereinnahmen weg, die staatlichen Bankenrettungen ließen die implizite Staatsverschuldung ansteigen, was einige Staaten wie beispielsweise Griechenland, Irland und Portugal in eine Schuldenkrise stürzte.

In Deutschland ist uns solch eine staatliche Schuldenkrise zum Glück erspart geblieben, insbesondere weil sich das deutsche Bankensystem als weniger instabil erwiesen hat als das anderer Staaten, wie zum Beispiel Irland, weil sich die deutsche Volkswirtschaft relativ schnell von der Rezession 2009 erholt hat und weil die deutschen Staatsfinanzen vergleichsweise solide sind. Die Bundesrepublik profitiert zudem davon, dass viele Investoren deutsche Staatsanleihen als sicheren Hafen sehen - die Bundesrepublik kann sich dadurch zu historisch niedrigsten Zinsen refinanzieren.


UJ: Wie konnte es in Griechenland soweit kommen, dass das Land mehrfach kurz vor der Pleite stand? Die Schulden waren ja nicht über Nacht da!

Prof. Karmann: Eigentlich ist das gar nicht so verwunderlich. Ein Staat, der seine Neuschuldung nicht mehr am Kapitalmarkt refinanzieren kann - der also nicht genug Käufer für neue Staatsanleihen findet - ist technisch gesehen pleite. Dieser Staat kann dann seinen Kapitaldienst abrupt einstellen oder - wie in der Eurozone bereits im Falle von Griechenland, Irland und Portugal geschehen - sich um Rettungskredite der anderen Eurozone-Länder bemühen. Dass die Investoren im Mai 2010 Griechenland kein neues Geld mehr leihen wollten, ist angesichts der hohen Staatsverschuldung, der niedrigen Qualität griechischer Fiskaldaten, der ineffizienten Verwaltung und der unsicheren politischen Rahmenbedingungen sicherlich verständlich.


UJ: Was können EZB und Bundesbank tun, um der Krise Herr zu werden? Ist überhaupt ein Ende in Sicht?

Prof. Karmann: Generell gibt es drei wirtschaftspolitische Optionen, um die Staatsschuldenkrise zu lösen: Die derzeitig verfolgte und von der Bundesregierung favorisierte Strategie ist die Vergabe von Rettungskrediten gegen Auflage einer strikten staatlichen Sparpolitik. Krisenstaaten wie Griechenland, Portugal und Irland können damit zwar ihren Schuldendienst erfüllen, befinden sich allerdings wegen dauernder Steuererhöhungen, Reduzierung von Staatsausgaben und der damit verbundenen Investitionsunsicherheit der Unternehmen in einer Dauerrezession. Die zweite, von den Krisenstaaten favorisierte Option ist eine mehr oder weniger vollständige Vergemeinschaftung der Staatsschulden durch Eurobonds. Die Staaten der Eurozone würden dabei gemeinsame Staatsanleihen ausgeben und je nach Ausgestaltung teilweise oder vollständig gemeinschaftlich haften. Jedoch gibt es bisher - insbesondere wegen Deutschlands Veto - keinen Konsens über die Einführung von Eurobonds. Zudem wird die gegenwärtige Praxis der Sparpolitik politisch immer unbeliebter, weil sie die Rezessionen in den betroffenen Ländern verfestigt. Die dritte und wahrscheinlichste Option für eine langfristige Lösung des Staatsschuldenproblems erscheint daher das Weginflationieren der Staatsschulden durch die Notenpresse. Seit Beginn der Finanzkrise hat die Europäische Zentralbank die von ihr bereitgestellte Geldmenge in der Eurozone stark ausgeweitet. Aller Voraussicht nach wird dieses höhere Geldangebot langfristig zu höheren Inflationsraten führen. Bereits moderat höhere Inflationsraten würden dazu führen, dass der reale Wert der Staatsverschuldung stark abnehmen würde, denn Staatsanleihen lauten auf einen nominalen Betrag, also beispielsweise 100 Euro. Eine attraktive Option für die Finanzminister, denn die reale Schuldenlast wird verringert, wohingegen die Steuereinnahmen wenigstens mit dem Preisniveau zunehmen. Die Kosten für diese Politik zahlen jedoch die Sparer, denn der reale Wert der versprochenen Renditen vieler Anlageprodukte wie Lebensversicherungen, Sparanlagen oder Anleihen verringert sich.


UJ: Wäre es ohne den Euro einfacher, die Krise zu bewältigen?

Dr. Eichler: Ich denke, dass es für manche Krisenländer sinnvoll wäre, aus der Eurozone auszusteigen und wieder eine eigene Geldpolitik durchzuführen. Diese Staaten könnten durch höhere Inflationsraten der eigenen Währung weit schneller zu tragfähigen staatlichen Schuldenquoten zurückgelangen, als dies in der Eurozone möglich ist. Die Geldmengenausweitung durch die EZB könnte für die Länder mit den höchsten Schuldenquoten wie Griechenland oder Portugal einfach nicht ausreichen, ihr Schuldenproblem zu lösen. Ein weiterer Vorteil der eigenen Geldpolitik ist, dass die Zentralbank durch eine Abwertung der heimischen Währung die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Industrie verbessern kann, was innerhalb der Eurozone nur durch einen schmerzvollen und politisch unpopulären Lohnverzicht der Arbeitnehmer möglich wäre. Das Verbleiben Griechenlands oder Portugals in der Eurozone seit Beginn der Finanzkrise kann angesichts von Massenarbeitslosigkeit, Dauerrezession, instabiler Banken und steigender Staatsverschuldung sicherlich nicht als großer Erfolg für diese Länder bezeichnet werden. Die Erfahrungen vergangener Finanzkrisen, etwa in Südostasien 1997/98 oder Argentinien 2001/02, haben jedenfalls gezeigt, dass sich die Wirtschaften der betreffenden Länder bereits wenige Jahre nach einer Abwertung der heimischen Währung sehr stark erholt haben.

Prof. Karmann: Auch wenn ich die Argumente von Dr. Eichler für sehr gut nachvollziehbar halte, komme ich zu einer anderen Bewertung. Erstens zeigten die Wechselkursverwerfungen in Europa von 1992/93 im Zuge der Nordischen Krise und Soros-Attacke, wie wichtig eine supranationale Ankerwährung, die die DM als nationale Währung der führenden europäischen Wirtschaftsmacht ersetzte, sowie der Bestand einer Währungsunion in Europa sind. Zweitens helfen Währungsabwertungen nur denjenigen Krisenländern, die auch exportstark sind, wie es in den oben genannten Beispielen ja auch eingetroffen war. Griechenland, in gewisser Weise auch Portugal, fehlt hingegen eine entsprechende Wirtschaftsstruktur, um von einer Abwertung einer neuen, eigenen Währung profitieren zu können. Drittens bedarf es einer Lösung des Schuldenproblems mancher Südländer, die meines Erachtens einfacher durch raschen Schuldenschnitt als durch Wertverfall wiedereingesetzter nationaler Währungen oder gar durch Weginflationieren aller Nominalschulden in der gesamten Eurozone hätte durchgeführt werden können. Letztlich ist auch noch zu unterscheiden zwischen der Behandlung von Ländern, die zu groß sind, um fallengelassen zu werden - Spanien, Italien, gar Frankreich - ohne die Probleme der Vor-1992-Zeit auf höherem Risikoniveau zurückzubekommen, und Ländern, deren ökonomische Bedeutung marginal ist und deren Geschäftsmodell zu Lasten der europäischen Steuergemeinschaft geht. Hier hätte ich mir auch eine härtere Lösung - auch zur Abschreckung - vorstellen können.


UJ: In Deutschland gibt es eine neue Partei, die "Alternative für Deutschland", die die sofortige Auflösung des Euro-Währungsgebietes fordert. Sie erhält regen Zuspruch. Ist die Abschaffung des Euro überhaupt ein denkbares Szenario? Was würde passieren?

Prof. Karmann: Die Auflösung der Eurozone ist sicherlich unwahrscheinlich, für viele Länder überwiegen die Vorteile der gemeinsamen Währung die Nachteile. Allerdings sind Austritte einzelner Länder ein durchaus realistisches Szenario, das in den Fällen Griechenland und Zypern auch diskutiert wurde. Um eine Kapitalflucht zu verhindern, würde der Staat vermutlich Bankfeiertage einführen - die Sparer könnten also solange nicht auf ihre Ersparnisse zugreifen, bis diese in die neue Währung umgetauscht sind. Euro-Bargeld würde markiert werden, bis es in die neu gedruckten Geldscheine der neuen Währung umgetauscht werden könnte. Diese Maßnahmen hätten wahrscheinlich Vermögensverluste der Sparer zufolge, denn eine neue Währung Griechenlands oder Zyperns würde aller Voraussicht nach gegenüber dem Euro abwerten. Die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit dieser Länder könnte allerdings mittelfristig zu einem Wirtschaftsaufschwung führen, wie dies nach Finanzkrisen in der Vergangenheit bereits häufig zu beobachten war.


UJ: Ihre Professur hat im Januar zum dritten Mal gemeinsam mit der Bundesbank eine Veranstaltung zum Thema Finanzstabilität organisiert. Welche Rolle spielt die Wissenschaft bei finanzpolitischen Entscheidungen?

Prof. Karmann: In unseren Gesprächen mit Repräsentanten der Deutschen Bundesbank ist immer wieder deren Anliegen zum Ausdruck gekommen, jenseits des Alltagsgeschäfts institutionelle Entscheidungsoptionen mit Erkenntnissen der Wissenschaft abzugleichen. Insoweit besitzt die Außensicht der Wissenschaft auf die monetären Abläufe durchaus das Potenzial von Korrektur oder Flankierung für Selbstverständnis wie für aktuelle Stellungnahmen geldpolitischer Institutionen. Aber auch umgekehrt ist für die Wirtschaftswissenschaft der Konflikt mit den monetären Institutionen ein Impulsgeber für neue Forschungsfragen. Daher freuen wir uns, wenn auch zukünftig solche TU Dresden-Bundesbank-Tagungen mit Unterstützung unserer Universitätsleitung hier in Dresden abgehalten werden.


Die Professur für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Geld, Kredit und Währung im Netz:
http://tu-dresden.de/die_tu_dresden/fakultaeten/fakultaet_wirtschaftswissenschaften/wwgkw/

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Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 24. Jg., Nr. 11 vom 18.06.2013, S. 4
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
Nöthnitzer Str. 43, 01187 Dresden
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juni 2013