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DILJA/009: China greift Griechenland unter die Arme - zum Mißfallen der EU (SB)


Politisch begründeter Friedensnobelpreis für chinesischen Straftäter

Chinesische Investitionszusagen an Griechenland scheinen die gegen Beijing gerichtete westliche Kampagne beflügelt zu haben


Griechenland ist so felsenfest in die westliche Staatengemeinschaft integriert, wie ein europäischer Staat es nur sein kann - Griechenland ist Mitglied der NATO sowie der Europäischen Union und ebenfalls der Euro-Zone, hat also die einheimische nationale Währung gegen die "Gemeinschaftswährung" Euro eingetauscht. All dies wäre der Erwähnung kaum wert und soll an dieser Stelle bestenfalls das auffällige Mißverhältnis unterstreichen, daß zwischen dem internationalen Status Griechenlands und seiner tatsächlichen wirtschaftlichen und damit auch politischen Situation besteht. Gegenüber der übrigen Welt gerieren sich die westlichen Bündnisse als Horte oder auch Oasen des (relativen) Wohlstands und einer auf der militärischen Überlegenheit der USA, aber auch der diesbezüglich nachrückenden EU-Staaten beruhenden bzw. durch sie garantierten Sicherheit.

Dies hatte unter anderem zur Folge, daß im osteuropäischen und asiatischen Raum zahlreiche der nach dem Zusammenbruch des Sowjetsystems "führungslos" gewordenen Staaten ihr Heil in einem EU-Beitritt oder zumindest einer politischen Anbindung an die westlichen Staaten suchten, wohl meinend oder hoffend, daß der aus ihrer Perspektive in der westlichen Welt zu verortende goldene Schein wirtschaftlicher Entwicklung und sozialer Sicherheit dann auf irgendwelchen Wegen auch seinen Übertrag in ihre Staaten finden würde. Es liegt auf der Hand, daß seitens der EU kein großes Interesse daran besteht, erste Bilanzierungen, die seitens der jüngeren osteuropäischen Staaten inzwischen gezogen werden könnten, einer öffentlichen Debatte und (selbst-)kritischen Kontroverse zu unterziehen, da dies dem weltweiten Ansehen der EU abträglich sein könnte.

Wenn sich jedoch ein alteingesessener EU-Staat wie Griechenland in einer Lage befindet, die "Krise" zu nennen noch einer Verharmlosung gleichkommt, ist dies noch weit mehr geeignet, auch im Innenbereich der Europäischen Union, also in den EU-Staaten selbst, ein kritisches Potential zu befeuern. Da nicht nur Griechenland, sondern noch weitere süd- und südosteuropäische Staaten nicht nur hoch verschuldet sind, sondern mit dem Gespenst eines drohenden Staatsbankrotts zu kämpfen haben, während die Kern-EU-Staaten wie die Bundesrepublik Deutschland sich mehr und mehr zum Zuchtmeister der Peripherie-Staaten aufschwingen, denen sie aufgrund ihrer Dominanzstellung innerhalb der EU buchstäblich die Bedingungen zu diktieren in der Lage sind, wird es kaum ausbleiben können, daß mehr und mehr Menschen innerhalb der EU-Staaten die Union kritisch hinterfragen und zu der Auffassung gelangen könnten, daß die EU-Mitgliedschaft ihrer Staaten nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems ist.

Aus Sicht Griechenlands hat sich dies bereits bewahrheitet. Zunächst einmal darf nicht unerwähnt bleiben, daß die massive Finanzkrise Griechenlands dadurch verschärft wurde, daß der griechische Staat auf das klassische Abwehrmittel gegen Exportoffensiven anderer Staaten, nämlich die Abwertung der eigenen Währung, wodurch die Exporte unattraktiver gemacht werden könnten, als Mitglied der Euro-Zone nicht mehr zurückgreifen kann. Dies gilt selbstverständlich nicht nur für Griechenland, sondern für alle Euro-Staaten, die beispielsweise gegenüber Deutschland ein Handelsdefizit aufweisen. Der darauf beruhende Vorteil Deutschlands liegt auf der Hand, und so bekommen die in Berlin erhobenen Forderungen nach noch strengeren Bestrafungen der "Defizit-Sünder" einen noch schaleren Beigeschmack, als sie ohnehin schon haben.

Die Bundesrepublik Deutschland, von China von der Position des Exportweltmeisters verdrängt, betreibt bereits seit Jahrzehnten nicht nur im Rahmen der EU, sondern selbstverständlich auch im sogenannten Welthandel eine Politik, die auf einen aggressiven Ausbau ihres Exportüberschusses abzielt und damit eigentlich allen Verlautbarungen, die eine wirtschaftliche Solidarität oder eine gemeinsame Verantwortung für Währungsstabilität suggerieren, Hohn spricht. Griechenland, der in und von der EU erklärte oberste Defizitsünder, bekam die harte Hand dieses Verschuldungsregimes bereits zu spüren, da die in Aussicht gestellten Kredite und Finanzhilfen an Bedingungen geknüpft wurden, die faktisch einer massiven Einschränkung, um nicht zu sagen Aufhebung der Souveränität des Landes gleichkamen.

Ohne das aufgezwungene Spardiktat, das in einer Wirtschaftskrise wie der Griechenlands selbst nach konventionellen wirtschaftstheoretischen Vorstellungen nur kontraproduktiv wirken kann, weil es die Binnennachfrage schwächt, hätte Athen die staatsrettenden Finanzhilfen seitens der EU nicht erhalten. In Brüssel wird jedoch nicht nur mit Argusaugen darüber gewacht, ob die griechische Regierung diese harten Maßnahmen, die den Sozialabbau und die Armut im Lande weiter vorantreiben, schnell und weit genug umsetzt. Innerhalb der führenden EU-Staaten ist man zudem darauf bedacht zu verhindern, daß Griechenland auf anderen Wegen, sprich durch intensivierte Handelsbeziehungen zu Staaten außerhalb des EU-, IWF- oder Weltbank-Managements, nach Lösungen aus seiner Misere sucht. Zu Beginn dieses Jahres, als das sogenannte Rettungspaket der EU noch nicht spruchreif war, kolportierte die Financial Times, daß das griechische Finanzministerium beim chinesischen Staatsfonds SAFE, der die rund 2.400 Milliarden Dollar starken Devisenreserven des Reichs der Mitte verwaltet, angefragt hätte.

Presseberichten zufolge soll Griechenland sein Interesse an einer Sonderanleihe in Höhe von 25 Milliarden Euro angemeldet haben, was von der Athener Regierung jedoch umgehend abgestritten wurde. Da Griechenland schon im November vergangenen Jahres in China um finanzielle Hilfen vorstellig geworden sein soll, könnte dieses Dementi auf Druck aus Brüssel zustandegekommen sein und sich damit erklären lassen, daß die Kern-EU-Staaten nicht dulden wollen, daß die von ihnen verfolgte Kreditknebelung Griechenlands (und weiterer Peripheriestaaten der EU) durch einen solchen Außenkontakt konterkariert werden könnte. Aus griechischer Sicht wäre China tatsächlich so etwas wie ein rettender Engel, zumal internationale Organisationen wie der IWF, die hochverschuldeten Staaten Hilfen in Aussicht stellen, tatsächlich jedoch deren Schuldknechtschaft vertiefen und verewigen, sich längst als das zu erkennen gegeben haben, was sie sind: Agenturen der die Weltwirtschaft dominierenden westlichen Eliten. Ohne die Übernahme einer neoliberalen Wirtschaftspolitik sind Kredite des IWF, auf den die US-amerikanische Regierung den größten Einfluß hat, nicht zu erhalten.

Die EU machte ihren Einfluß geltend, um größere Finanzgeschäfte zwischen Griechenland und der Volksrepublik China zu verhindern - sonst sähe es ja so aus, so wurde in der Presse kolportiert, als könne Europa seine Probleme nicht selber lösen. Doch es gibt dieses "Europa" nicht, es gibt bestenfalls mit der Europäischen Union einen Staatenbund, der es seinen stärkeren Mitgliedern erlaubt, zu Lasten und auf Kosten der schwächeren Peripheriestaaten ihre Vormachtstellung zu behaupten und auszubauen. Inzwischen jedoch hat sich die griechische Regierung insoweit von der Brüsseler Bevormundung gelöst, als sie umfangreiche Verträge mit China abgeschlossen hat ungeachtet der Tatsache, daß dies in der EU-Administration sicherlich nicht gern gesehen wird.

Der chinesische Ministerpräsident Wen Jiabao weilte am 2. Oktober in Athen und unterzeichnete, gemeinsam mit seinem griechischen Amtskollegen Giorgos Papandreou, ein Rahmenabkommen über die Erweiterung chinesischer Investitionen. China sicherte Griechenland zudem den Ankauf griechischer Staatsanleihen zu, was für Athen von unschätzbarem Wert sein dürfte, da diese Papiere durch die westlichen Ratingagenturen massiv herabgestuft wurden, was die Finanzstrangulation des griechischen Staates noch extrem verschärfte. Der chinesische Ministerpräsident kündigte einen durch sein Land errichteten Hilfsfonds von über 3,6 Milliarden Euro an, der es griechischen Reedereien ermöglichen soll, in China Schiffe zu kaufen. Dieser Schritt mag aus chinesischer Sicht nicht uneigennützig sein, trägt jedoch gleichwohl dazu bei, daß die Zwangs-"Hilfe", die Griechenland bislang von dem Zusammenschluß aus EU und IWF gewährt wurde, in ihrer Negativwirkung abgeschwächt wird.

"Wenn Griechenland in Schwierigkeiten ist, wird China helfen", hatte Wen in Athen erklärt. Ein solcher Satz klingt für sich genommen eigentlich nicht spektakulär. Die ihm immanente politische Brisanz entfaltet sich erst im Kontrast zur Politik der EU, deren Repräsentanten nicht imstande sind, eine solche Hilfszusage zu formulieren, ohne im selben Atemzug ihre Bedingungen zu diktieren und gebetsmühlenartig weitere Sparmaßnahmen einzufordern. Die chinesische Regierung ist generell bestrebt, ihre Auslandsinvestitionen auszuweiten, betrachtet sie diese doch als ein "Schlüsselelement für seine Entwicklung", wie Ministerpräsident Wen erklärte, als er wenig später in Rom mit Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi eine Intensivierung der italienisch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen vereinbarte in Gestalt von gleich zehn Handelsabkommen im Wert von 2,25 Milliarden Euro.

Vor diesem Hintergrund bekommen die jüngsten Anwürfe gegen China einen ganz anderen Stellenwert. Auf dem EU-Asien-Gipfel in Brüssel wurde in der vergangenen Woche gegenüber China, dem wichtigsten Warenlieferanten und Abnehmer verschiedener Staatsanleihen und somit einem keineswegs unwichtigen Handelspartner, recht unverhohlen die Forderung nach einer Aufwertung seiner Währung erhoben. So monierte der luxemburgische Ministerpräsident und Chef der Eurostaatengruppe, Jean-Claude Juncker, bei einem Treffen in Brüssel am 5. Oktober, daß der Yuan, die Währungseinheit des chinesischen Volksgeldes (Renminbi), unterbewertet sei und deshalb zu globalen Ungleichgewichten beitrage. Nach Maßgabe der EU scheinen Gleichgewichte jedoch immer nur dann und dort zu bestehen, wo die Finanz- und Währungsverhältnisse ihren Interessen zuträglich sind. Unterdessen hat der US-Kongreß bereits Strafmaßnahmen beschlossen gegen Staaten, die sich - aus US-amerikanischer Sicht - der fortgesetzten "Währungsmanipulation" schuldig gemacht haben. Sobald der US-Senat dem zustimmt, muß mit derartigen Sanktionen gegen China gerechnet werden, wird doch die Inanspruchnahme des Rechts, den (Außen-) Wert der eigenen Währung selbst zu bestimmen, wie dies in China durch die Notenbank als einem Teil der Regierung geschieht, von den Verfechtern einer reinen Lehre vom "freien Markt" als unzulässige Manipulation angesehen.

Im Juni dieses Jahres hatte China sich kompromißbereit gezeigt und eine Anpassung seiner Währung zugesagt. Doch dies erbrachte offenbar nicht die von den Europäern verlangte Wirkung, bemängelte der Chef der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet, doch, daß die Entwicklung der Wechselkurse nicht exakt das erbracht hätten, was sich die Europäer davon erhofft hatten. Es hat ganz den Anschein, als rühre der Groll gegen China seitens der EU-Oberen von den wirtschaftlichen Kontakten, die die asiatische Großmacht ausgerechnet zu den schwächeren und schwächsten EU-Staaten offensichtlich aufzubauen im Begriff steht und womit sie, grob gesagt, den EU-internen Abhängigkeits- und Zwangsverhältnissen zu Laster derer, die aus ihnen ihre Vorteile zu ziehen vermögen, ins Handwerk pfuscht.

Die Verleihung des Friedensnobelpreises an einen chinesischen Dissidenten oder auch Straftäter könnte sich in diesem Zusammenhang und vor allen Dingen zu diesem Zeitpunkt als ein Mosaiksteinchen in einer wohlorchestrierten Kampagne der westlichen Staaten erweisen, um die Wirtschaftsmacht China, die ihnen den Alleinvertretungsanspruch in wirtschaftlichen und damit auch politischen Fragen streitig macht, zu diskreditieren. Der Preisträger, der vom norwegischen Preis-Komitee am vergangenen Freitag benannt wurde, der Schriftsteller Liu Xiaobo, ist beileibe nicht der Menschenrechtsaktivist, als der er in den westlichen Staaten gefeiert und instrumentalisiert wird. Er ist ein Polit-Aktivist reinsten Wassers, der in der von ihm mitverfaßten "Charta 08" nicht, wie andere chinesische Dissidenten, Reformen anmahnt oder beispielsweise die Meinungsfreiheit einfordert.

Nein, Xiaobo geht aufs Ganze und fordert die Außerkraftsetzung der chinesischen Verfassung, die Umkehrung der Bodenreform von 1949, durch die Großbauern enteignet und Land zugunsten der Kleinbauern verstaatlicht worden war, sowie eine umfassende Privatisierung und Zerschlagung staatlicher Betriebe. All dies trägt, kaum verkennbar, eine westliche Handschrift und zielt darauf ab, in der eigentlich schon rekapitalisierten Volksrepublik alle Restbestände sozialistischen Wirtschaftens auszumerzen, bis die Republik - und laut Charta 08 sollte sie sich am besten gleich nach dem Vorbild Deutschlands als Bundesrepubik China neukonstituieren - vollends angekommen ist in der Welt des Westens und keinerlei Störmanöver mehr zu initiieren imstande ist wie derzeit in Hinsicht auf Griechenland, das nach EU-Vorstellungen bestenfalls einer Protektoratszukunft entgegensieht.

12. Oktober 2010