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STANDPUNKT/086: Germany First - Teil 3 (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 8. April 2020
german-foreign-policy.com

Germany First (III)

Druck auf Berlin in Sachen "Coronabonds" ist gestiegen - auch aus dem deutschen Establishment: Ihre Einführung könnte deutsche EU-Profite sichern.


BERLIN/BRÜSSEL - Trotz massivsten Drucks anderer EU-Staaten und zuletzt auch aus dem Inland hat die Bundesregierung auf der gestern begonnenen Videokonferenz der Euro-Finanzminister die Einführung von "Coronabonds" zu verhindern versucht. Hatten zunächst vor allem Italien, Spanien und Frankreich auf die Maßnahme gedrungen, so sind inzwischen auch Stimmen im deutschen Establishment laut geworden, die Bundesregierung dürfe sich der Maßnahme nicht mehr verweigern. Ursache ist, wie etwa führende Politiker von Bündnis 90/Die Grünen erklären, dass ein ökonomischer Kollaps Italiens und Spaniens bedeutende Absatzmärkte der deutschen Exportindustrie schwer beschädigen würde - und dass sich beide Länder, falls deutsche Hilfe ausbleibe, China zuwenden könnten; das müsse verhindert werden. Hinzu kommt, dass die "Coronabonds" Berlin zwar Kosten verursachen würden; für etwaige "Eurobonds" schätzten Fachleute diese vor Jahren auf kleinere zweistellige Milliardensummen. Doch profitiert Deutschland von der EU zugleich in dreistelliger Milliardenhöhe - pro Jahr.

"Wir brauchen die vierte Stufe"

Vor der gestrigen Videokonferenz der Eurogruppe hatten einerseits Politiker aus Frankreich und Italien den Druck auf Berlin erhöht, der Einführung von "Coronabonds" zuzustimmen - notfalls in zeitlich limitierter Form. Man könne sich auf einen Fonds einigen, der "nur fünf bis zehn Jahre" laufe, "mit den Altschulden der Mitgliedsländer nichts zu tun" habe, "nur Investitionen" finanziere und dessen Schulden "noch während der Laufzeit des Fonds getilgt" würden, teilte Frankreichs Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire am gestrigen Dienstag mit.[1] Finanziert werden solle der Fonds durch gemeinsame Schulden aller Eurostaaten; das gilt als nötig, um die Zinsen für die südlichen Länder des Währungsgebiets auf einem finanzierbaren Niveau zu halten. Le Maire stellte klar, er lehne die Berliner Pläne für den Rückgriff zum ersten auf ESM-Mittel, zum zweiten auf Kredite der Europäischen Investitionsbank und zum dritten auf EU-Geld für Arbeitslose und Kurzarbeiter nicht ab: "Doch wir brauchen auch die vierte Stufe, sonst zündet die Rakete nicht. ... Einen Plan mit nur drei Stufen akzeptieren wir nicht". Bereits am Montag hatten sich die EU-Kommissare für den Binnenmarkt, Thierry Breton, und für Wirtschaft, Paolo Gentiloni, für "eine vierte Säule europäischer Mittel" ausgesprochen. Die Bundesrepublik werde bis zu 356 Milliarden neue Schulden aufnehmen, rund zehn Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts, stellten Breton und Gentiloni in einem Namensbeitrag für eine führende deutsche Tageszeitung fest. Wollten das auch andere EU-Staaten tun, um ihrer Wirtschaft Chancengleichheit zu sichern, dann entstehe neuer "Finanzierungsbedarf ... in einer Größenordnung von 1500 bis 1600 Milliarden Euro". Dies lasse sich ohne die erwähnte "vierte Säule" nicht bewältigen.[2]

Absatzmärkte retten

Der Druck, "Coronabonds" oder einen vergleichbaren Fonds zu bewilligen, war andererseits auch im Inland gestiegen - aus unterschiedlichen Gründen. Zum einen setzt sich die Erkenntnis durch, dass die Coronakrise für die Wirtschaft der Länder Südeuropas existenzgefährdende Folgen hervorbringen kann. Es liege "nicht in unserem eigenen Interesse", dass die Ökonomien Italiens oder auch Spaniens "in die Knie gehen", urteilt exemplarisch der Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Robert Habeck: "Deutschland ist Exportland. Italien ist sechstwichtigster Handelspartner." Allein nach Italien seien zuletzt Waren im Wert von 68 Milliarden Euro verkauft worden, nach Spanien habe man Waren im Wert von 44 Milliarden Euro exportiert: "Wenn diese Volkswirtschaften straucheln, zieht es uns mit."[3] Mit Blick auf die Rettung der Eurozone, die deutschen Unternehmen maximale Profite ermöglicht (german-foreign-policy.com berichtete [4]), raten auch einflussreiche Think-Tanks aus der deutschen Wirtschaft zu einer Zustimmung zu "Coronabonds" oder einem entsprechenden Fonds. "Die deutsche Wirtschaft" sei "integraler Teil einer europäischen Wirtschaft, die nur so stark sein kann wie ihr schwächstes Glied", wird der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) aus Berlin, Marcel Fratzscher, zitiert.[5] Auch der Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, Michael Hüther, warnt: "Ohne eine gemeinschaftliche Krisen-Anleihe sehe ich schwarz für die Europäische Union."[6]

Eurobonds für die Weltmacht

Hinzu kommen geostrategische Erwägungen, die auf die weitere Stärkung der EU in der globalen Mächterivalität zielen. Zum einen gelte es zu verhindern, dass China mit seinen Hilfslieferungen Länder wie Italien enger an sich binde, erklärt Franziska Brantner, europapolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen: Die "Coronakrise droht zu einem neuen Einfallstor zu werden für Chinas Strategie der Neuen Seidenstraße"."Wenn Europa nicht zum Wurmfortsatz dieser Seidenstraße werden will, sollten wir selber helfen."[7] Dies erfordere nicht zuletzt "einmalige und zweckbestimmte europäische Anleihen ('Corona-Anleihen')". Die Absicht, nicht aus humanitären, sondern aus geostrategischen Gründen "Coronabonds" einzuführen, hegt auch Grünen-Chef Habeck. Ihm zufolge ist "das Fehlen einer ... sicheren Anleihe im Euroraum" auch ein Grund, "warum der Euro eine relativ geringe Rolle als Währungsreserve einnimmt". "Damit verspielt Europa die Chance, an geopolitischem Einfluss zu gewinnen", schreibt Habeck: "Euros machen nur etwa 20 Prozent der globalen Währungsreserven aus, der Dollar liegt bei 60 Prozent."[8] Um dies zu ändern, sei die Einführung von Eurobonds langfristig unumgänglich. Der Gedanke wird auch von den früheren Außenministern Joseph Fischer (Grüne) und Sigmar Gabriel (SPD) geteilt. Wie Fischer und Gabriel in einem am Sonntag veröffentlichten Appell schreiben, werde die EU "die gemeinsame Währung auch gemeinschaftlich verbürgen müssen": "Nur dann wird der Euro eine echte internationale Reservewährung und eine Alternative zum Dollar. Tun wir das nicht, wird Europa seine wirtschaftliche Souveränität nicht erreichen, sondern im Zweifel immer von der Politik des Dollar-Raums abhängen".[9] An Eurobonds führe auf lange Sicht kein Weg vorbei.

Die Kosten der Eurobonds

Zu den konkreten Mehrausgaben, mit denen Deutschland bei einer Einführung von Eurobonds zu rechnen hätte, liegen unterschiedliche Schätzungen vor. Im Jahr 2011, als die Debatte erstmals entbrannt war, kursierten in der Bundesregierung Zahlen von 17 Milliarden Euro pro Jahr.[10] Das Institut für Weltwirtschaft (IfW) aus Kiel hielt einen Renditeaufschlag von bis zu 0,5 Prozentpunkten für denkbar und berechnete die Mehrkosten für Berlin darauf aufbauend auf rund zehn Milliarden Euro pro Jahr. Das Münchener ifo-Institut kam in seinen Prognosen auf jährlich zwischen 33 und 47 Milliarden Euro; allerdings wurden seine Schätzungen damals von vielen als überzogen eingestuft.[11] Umgekehrt profitiert die Bundesrepublik massiv von der EU, ihrem Binnenmarkt und der Einheitswährung: Laut Berechnungen der Bertelsmann-Stiftung verdankte Deutschland dem Binnenmarkt im Jahr 2017 Einkommenszuwächse von rund 86 Milliarden Euro, während laut einer Untersuchung des Freiburger Centrums für Europäische Politik (cep) die gemeinsame Währung das deutsche Bruttoinlandsprodukt des Jahres 2017 um gut 280 Milliarden Euro steigerte.[12] Die Einführung von Eurobonds würde demnach den Nettoprofit, den die Bundesrepublik aus der EU zieht, zwar etwas reduzieren; er wäre aber dennoch weiterhin immens.

Aufs Ganze gegangen

Dennoch blockierte die Bundesregierung auf der gestern begonnenen Videokonferenz der Euro-Finanzminister hartnäckig die Einführung zeitlich limitierter "Coronabonds", nicht bereit, auch nur auf den geringsten Teil der deutschen Profite aus der europäischen Integration zu verzichten, selbst wenn dies letztlich sogar die Existenz der EU bedroht: Berlin geht aufs Ganze. Die Konferenz hielt in der Nacht vom gestrigen Dienstag auf den heutigen Mittwoch an; eine Pressekonferenz wurde zuletzt für heute um 10 Uhr in Aussicht gestellt.


Anmerkungen:

[1] Christian Schubert: Der Wirtschaftslenker. Frankfurter Allgemeine Zeitung 07.04.2020.

[2] Thierry Breton, Paolo Gentiloni: Wir brauchen eine vierte europäische Säule. Frankfurter Allgemeine Zeitung 06.04.2020.

[3] Robert Habeck: Die Ablehnung von Corona-Bonds schadet Deutschlands Interessen. spiegel.de 06.04.2020.

[4] S. dazu Germany First (II)
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8238/

[5] OECD-Chef Gurria plädiert für Corona-Bonds. n-tv.de 07.04.2020.

[6] Alfons Frese: Deutscher Ökonom Hüther: "Ohne Gemeinschaftsanleihe sehe ich schwarz für die EU". tagesspiegel.de 31.03.2020.

[7] Franziska Brantner: Europa wird zum Wurmfortsatz der Neuen Seidenstraße. cicero.de 01.04.2020.

[8] Robert Habeck: Die Ablehnung von Corona-Bonds schadet Deutschlands Interessen. spiegel.de 06.04.2020.

[9] Joschka Fischer, Sigmar Gabriel: In der Corona-Krise geht es um Leben und Tod - auch für Europa! tagesspiegel.de 05.04.2020.

[10], [11] Hanno Beck, Dirk Wentzel: Eurobonds - Wunderwaffe oder Sprengsatz für die Europäische Union? Wirtschaftsdienst. Zeitschrift für Wirtschaftspolitik. Oktober 2011. S. 717-723. Hier: S. 721.

[12] S. dazu Germany First (II)
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8238/

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
E-Mail: info@german-foreign-policy.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. April 2020

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