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STELLUNGNAHME/018: Balanceakt der EU zwischen Supermächten (idw)


FernUniversität in Hagen - 06.07.2018

Balanceakt der EU zwischen Supermächten


Angesichts der drohenden Handelskriege der USA mit China und der EU spricht sich der Makroökonom Prof. Dr. Helmut Wagner von der FernUniversität in Hagen für eine zunächst moderate Reaktion auf die US-Zölle aus, also für ein vorsichtiges Lavieren zwischen den beiden Supermächten. Erst nach der ersten bzw. einer eventuellen zweiten Amtsperiode Trumps könne man sehen, wie sich insbesondere die US-Wirtschaftspolitik entwickle. Für ihn ist diese trotz zahlreicher Unwägbarkeiten über einen längeren Zeitraum hinweg ein kleineres Übel als die chinesische. Wagner ist als Präsident des Hagener Center for East Asia Macroeconomic Studies (CEAMeS) an der ein weltweit renommierter Ostasien-Experte.

Abwarten und Tee trinken. Aber weder einen chinesischen noch einen amerikanischen: Der auf zwei Staaten gemünzte Spruch passt sehr gut zu dem Verhalten, das Prof. Dr. Helmut Wagner der Europäischen Union und Deutschland hinsichtlich der sich dramatisch ändernden Wirtschaftsbeziehungen zwischen den USA, der Volksrepublik China und der EU empfiehlt: Angesichts der sich anbahnenden Handelskriege der USA mit China und Europa spricht sich der Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre, insb. Makroökonomie an der FernUniversität in Hagen für ein vorsichtiges Lavieren zwischen den beiden Supermächten und gegen eine "Politik mit der Brechstange" aus. Erst nach der ersten bzw. einer eventuellen zweiten Amtsperiode könne man sehen, wie sich insbesondere die US-Politik entwickle. Trumps Präsidentenzeit endet im Januar 2021, vielleicht aber auch erst vier Jahre später.

Europa sieht Wagner bis dahin in einer Zwickmühle, bei der man sich am besten in keine der beiden Richtungen bewegt. Eine Verärgerung einer der beiden Supermächte könnte jedenfalls langfristig negative Folgen durch neue US-Handelsbarrieren oder Behinderungen beim Zutritt auf die chinesischen Märkte zur Folge haben. Zudem habe US-Präsident Donald Trump in erster Linie China und nicht die EU im Visier.

Nicht zu scharf auf US-Zölle reagieren

Obwohl viele Ökonominnen und Ökonomen und die EU-Kommission gegen Trumps Einfuhrbeschränkungen halten wollen, um keine Schwäche zu zeigen und erpressbar zu werden, sollte nach Wagners Meinung die EU zunächst nicht zu scharf auf die amerikanischen Einfuhrzölle reagieren und einen Handelskrieg auf die Spitze treiben. "Wir sollten uns aber auch nicht einer der beiden Seiten anbiedern." Sondern nach der Wahl am 3. November 2020 erst einmal sehen, wer dann die USA regiert. "Wenn Trump wiedergewählt wird, werden wir um das Gegenhalten nicht herumkommen, falls er sich nicht doch noch besinnt." Trump könnte nach der einzigen möglichen Wiederwahl eine andere Politik machen, neue Ziele verfolgen und seine Radikalität abbauen, so Wagner. Diese Zeit sollte Europa nutzen, um Verhandlungen über den gegenseitigen Abbau von Handelsschranken anzustreben: "Das wollen wir ja selbst auch. Vielleicht sollte die EU dabei einige Zugeständnisse mehr anbieten. Darin könnte ich die Variante mit den geringsten Kosten für uns sehen."

Aktuelle EU-Situation "völlig verfahren"

Die Frage ist allerdings, ob neben Deutschland auch die anderen EU-Mitglieder mitziehen. Wenn nicht, müsste die Bundesrepublik nach Wagners Ansicht dies zusammen mit einigen Partnerländern angehen. Deutschland wäre ja nicht nur von einem Handelskrieg am meisten von allen EU-Staaten betroffen, sondern auch von den Egoismen innerhalb der Gemeinschaft. Wie werden sich die anderen EU-Staaten verhalten, wenn Deutschland auf eine gemeinsame Strategie drängt, von der es am meisten profitiert? Die aktuelle Situation sieht Wagner als "völlig verfahren" an: Einige Länder würden eine deutsche Strategie wohl nur unterstützen, wenn sie etwas dafür bekommen.

Wenn die europäische Politik des "Dagegenhaltens mit der Brechstange" jedoch durchgehalten werden sollte, "müssen wir das auch gegen China und seine Politik des Technologie-'Imports' anwenden", fordert Wagner, "doch überall 'dagegenzuhalten' ist nicht einfach, die Kosten werden extrem sein".

US-Politik kleineres Übel als chinesische

Für ihn ist Trumps Wirtschaftspolitik trotz zahlreicher Unwägbarkeiten über einen längeren Zeitraum hinweg ein kleineres Übel als die chinesische. Denn China verfolgt unter dem Staats- und Parteichef Xi Jinping einen auf Jahrzehnte ausgelegten Plan, mit dem es zur Nummer 1 in der Welt aufsteigen will, so Wagner, der als Präsident des Center for East Asia Macroeconomic Studies (CEAMeS) an der FernUniversität ein weltweit renommierter Ostasien-Experte ist: "Dafür will es vom Westen Hochtechnologie abschöpfen und sich Rohstoffe und neue Absatzmärkte verschaffen."

Von zentraler Bedeutung ist dabei seine Innovationsstrategie "Made in China 2025". Unter anderem durch Käufe von High-Tech-Unternehmen dringt es immer stärker genau in die Technologiebereiche ein, in denen Deutschland stark ist: "Gleichzeitig müssen ausländische Unternehmen dort Joint-Ventures eingehen, bei denen die Chinesen Knowhow abgreifen können."

China will EU spalten

Für die Erschließung von Rohstoffen und Absatzmärkten hat China 2013 die Initiative "Neue Seidenstraße" ("One Belt, One Road - ein Band, eine Straße") begonnen, In ihr bündelt es den Auf- und Ausbau von Handelsnetzen und Infrastrukturen mit 64 Staaten in Asien, Europa und Afrika. Wagner hierzu: "In den USA sieht man weder den Technologietransfer gerne noch eine zu große Offenheit Europas, Chinas Wunsch nach einem besseren Zugang zu seiner Wirtschaft nachzukommen." Mit seiner 16.1-Initiative wolle es daher süd- und osteuropäische Länder durch besonders günstige Kredite und Ähnliches für das Projekt gewinnen und dadurch die EU auseinanderdividieren: "Es sollte uns große Sorgen machen, wenn Xi seine Politik länger als vielleicht vier, fünf Jahre verfolgen kann." Xi wolle möglichst lange an den Schalthebeln bleiben. Und könne es angesichts seiner Machtfülle wohl auch.

Trump hat dagegen selbst nur noch bis Januar 2021, höchsten bis 2025 Zeit für seine Politik. Dafür, dass er eine zweite Amtszeit anstrebt, sieht Prof. Wagner einige Anzeichen. Viele seiner Wählerinnen und Wähler fühlen sich als Verlierer der Globalisierung und der De-Industrialisierung. Trump wolle daher die De-Industrialisierung rückgängig machen oder zumindest aufhalten, indem er mit seiner Handelspolitik die industriellen Wettbewerber auf dem Weltmarkt zurückdrängt: "Die Ursache für die De-Industrialisierung liegt jedoch auch im Strukturwandel und nicht nur in der US-Handelsbilanz. Die Globalisierung kann Trump ein bisschen bremsen, den Strukturwandel aber nicht wirklich."

Trumps Feind Nummer 1 ist China

Ein weiteres zentrales Ziel Trumps sei es, den Transfer von High-Tech-Knowhow nach China zu verhindern. Wegen des Diebstahls von geistigem Eigentum verhängte er Strafzölle von zunächst 50 Milliarden US-Dollar, während die EU China nur vor der Welthandelsorganisation (WTO) verklagte. "Trumps Beraterinnen und Berater im Wahlkampf waren geradezu besessen von der Furcht, dass China die USA als führende Wirtschaftsmacht ablösen könnte, indem es z.B. Technologieführer wird - mit allen Tricks und Mitteln, auch unfairen. Trumps Feind Nummer 1 ist China!"

Trumps Attacken gegen die EU und Deutschland könnten daher ein Versuch sein, Europa an seine Seite zu zwingen: "Er will auch andere dazu zu bringen, China nicht zu unterstützen." Seine möglichen Mittel können Drohungen, aber auch Versprechen sein, für Wohlverhalten auf Zölle zu verzichten. "Die USA wollen die internationalen Handelsabkommen durch bilaterale Vereinbarungen ablösen und hoffen, dann durch Druck und günstige Kredite einzelne Staaten auf ihre Seite ziehen zu können. Genau wie China."

"Wenn es zu einem Handelskrieg zwischen den USA und China und zu einer Rezession kommt, gerät auch Europa unter die Räder, egal, wie wir uns positionieren", warnt der Makroökonom.

Nach Trumps Regierungszeit muss sich allerdings nicht unbedingt etwas Entscheidendes ändern, auch die folgende US-Regierung würde China wohl als Bedrohung sehen: "Schwach kann sich keine zeigen." Ungewöhnlich bei Trump sei vor allem die Krassheit seiner Reaktionen.

EU weiß nicht, was sie will

Die EU wird aber nicht nur von außen, sondern auch von innen destabilisiert: "Ihre 28 Nationen haben sehr unterschiedliche Interessen, aber keine gemeinsame Vision. Wir haben nicht den 'Kit' wie die USA und China. Die EU ist durch politischen Druck oder wirtschaftliche Anreize leicht auseinander zu dividieren" erläutert Wagner. Eine Gegenstrategie zu finden sei für Europa daher auch gar nicht einfach: "Es wird von Trump und Xi als schwach und als nicht ebenbürtiger Partner angesehen, der nicht weiß, was er will - und das stimmt ja zurzeit auch. Man kann leicht Strategien entwickeln, die die EU noch weiter so schwächen, so dass sie keine Rolle mehr spielt, wenn man sich dem 'eigentlichen Gegner' zuwendet."



Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
FernUniversität in Hagen, 06.07.2018
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juli 2018

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