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LAIRE/050: Schweden soll das Öffentlichkeitsprinzip aufgeben (SB)


EU-Kommission verlangt von Schwedens Regierung Preisgabe des bewährten Öffentlichkeitsprinzips


Einmal mehr werden die Befürchtungen der EU-Skeptiker wahr, die seit der Gründung der Europäischen Union behaupten, daß die Vereinheitlichung des europaweiten Rechts- und Politikverständnisses in der Mehrheit der Fälle zulasten der erkämpften Rechte des Einzelnen gegenüber der Obrigkeit gehen und somit fast immer der schärferen nationalen Gesetzgebung zur Durchsetzung verhelfen. Liberale "Außenseiterrechte" würden unter dem Konsens der Mehrheitsmasse der EU-Mitgliedsländer zermahlen werden, wenden die Kritiker der Rechtsangleichung ein.

Das betrifft aktuell das in Schweden geltende Öffentlichkeitsprinzip, das von der EU-Kommission kritisiert wurde. Anlaß war die Freigabe von Unterlagen des US-Agrokonzerns Monsanto über eine gentechnisch veränderte Maissorte an die Umwelt- und Verbraucherschutzorganisation Greenpeace. Die hatte zunächst in den Niederlanden mit ihrer Forderung eine Schlappe einstecken müssen. In Schweden dagegen gibt es das seit 1766 verfassungsrechtlich verankerte Öffentlichkeitsprinzip (Offentlighetsprincipen), das es allen Bürgern erlaubt, sämtliche Akten und Dokumente der Behörden und Ämter einzusehen. Das Recht gilt auch bei Computerdaten und Bandaufnahmen.

Schwedische Behörden haben zwar das Recht, die Herausgabe von Informationen oder Dokumenten zu verweigern, doch müßte ein solcher Schritt gut begründet werden. Dazu sah der schwedische Landwirtschaftsausschuß, der Greenpeace die Unterlagen nach anfänglichem Zögern zugänglich machte, offensichtlich keinen Anlaß.

Nach dem abschlägigen Bescheid des niederländischen Gerichts, das dem Monsanto-Antrag auf Geheimhaltung stattgab, hatte sich Greenpeace im Jahr 2005 an Schweden gewandt. Dessen Regierung habe sich anfangs ebenfalls geweigert, berichtete Peter Mühlbauer in der Onlinezeitung "Telepolis" (15.10.2007), sei dann aber von einem Gericht des Landes unter Verweis auf das Öffentlichkeitsprinzip aufgefordert worden, der Greenpeace-Anfrage stattzugeben. Was auch geschah.

Im September 2007 sandte die EU-Kommission einen offiziellen Brief an die schwedische Regierung, in dem sie eine Erklärung für das Verhalten forderte und mehr oder weniger unverhohlen verlangte, daß sie das Öffentlichkeitsprinzip preisgeben müsse. In allen EU-Staaten hätten dieselben Transparenz-Regeln zu gelten, gab der Evangelische Pressedienst (11.10.2007) die Forderung aus dem offiziellen Schreiben wieder.

Die EU-Kommission bezog sich auf Artikel 25 der EU-Direktive, durch die der Umgang mit und die Verwendung von gentechnisch veränderten Organismen geregelt ist. In der Direktive heißt es laut dem Brüsseler Informationsdienst "EU-Observer" (10.10.2007), daß, wenn auch nur ein Mitgliedsstaat den Antrag auf Geheimhaltung eines zu vermarktenden Biotechprodukts stattgegeben hat, diese Vertraulichkeit auch für die Behörden anderer Mitglieder zu gelten habe.

"Solch ein System würde nicht funktionieren, wenn unterschiedlich kompetente Instanzen in der Lage wären, verschiedene Standpunkte hinsichtlich der Frage einzunehmen, ob eine Information vertraulich behandelt werden sollte oder nicht", zitiert "EU-Observer" aus der schwedischen Zeitung "MedieVärlden". Aus diesem Grund habe Brüssel Schweden aufgefordert zu erklären, wie es die Direktive in nationales Recht umgesetzt habe, inwiefern Schweden die Beschlüsse anderer Mitgliedsländer bezüglich der Direktive anerkenne und wie es seine eigene Entscheidung rechtfertige. Bis Ende November hat Schweden Zeit, eine Antwort zu geben. Sollte es das Öffentlichkeitsprinzip nicht preisgeben, müßte es mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) rechnen.

An diesem Beispiel stellt sich die Frage, was so schlimm daran sein soll, wenn das schwedische Öffentlichkeitsprinzip nicht abgeschafft, sondern statt dessen EU-weit Anwendung fände. Die schwedischen Behörden kommen mit der Transparenz sehr gut zurecht. Hier würde endlich einmal die ansonsten von Sicherheitsbehörden vorgebrachte Phrase, wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten, zutreffen.

Das Öffentlichkeitsprinzip war ein zentraler, sehr umstrittener Diskussionspunkt, bevor Schweden am 1.1.1995 Mitglied der Europäischen Union wurde. Die Regierung in Stockholm hatte dieses Recht stets verteidigt und erklärt, daß es davon nicht zurücktreten werde. Damals war der Antrag auf EU-Mitgliedschaft Schwedens stattgegeben worden, obgleich die anderen Regierungen und die EU-Verwaltung gewußt haben, daß das Öffentlichkeitsprinzip mit den Prinzipien des Rechtswesens in anderen EU-Ländern kollidieren könnte. Womöglich hat man sich damals gesagt, daß Schweden, wenn es erst längere Zeit Unionsmitglied ist, irgendwann bereit wäre, sich dem Mehrheitswillen zu beugen.

Bleibt zu wünschen, daß die Skandinavier nicht einknicken. Das ist allerdings nicht einfach, denn die Europäische Union ist sehr viel mehr auf Geheimhaltung bedacht als die meisten Nationalregierungen der EU. Den Bürgern soll keine uneingeschränkte Einsicht in den internen Schriftverkehr und damit in Entscheidungsfindungsprozesse erlaubt werden ... Inwiefern das mit der räumlichen Nähe von zehntausenden Lobbyisten in Brüssel und Straßburg zu tun hat, wäre eine Untersuchung wert.

Mehr Transparenz und Verschlankung des Administration fordern EU-Politiker seit langem - der offizielle Brief der EU-Kommission an Schweden zeigt, daß das hohle Worte sind, die unüberhörbar das Gegenteil meinen.

22. Oktober 2007