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LAIRE/061: Italien registriert Roma-Kinder erkennungsdienstlich (SB)


Diskriminierung der Roma und Sinti in Italien

Umfangreiche Abschiebung geplant


Die italienischen Behörden haben begonnen, alle Roma- und Sinti-Kinder im Land erkennungsdienstlich zu registrieren und ihnen die Fingerabdrücke abzunehmen. Spätestens mit dieser Prozedur erfahren die Kinder, daß sie da, wo sie leben, nicht wohlgelitten sind. Die EU-Kommission hat heute einen Bericht herausgegeben, in dem von der Notwendigkeit eines gemeinsamen Vorgehens gegen die Ausgrenzung der Roma und Sinti gesprochen wird. Italien wird zwar nicht direkt genannt, aber die zeitliche Koinzidenz mit der von Oppositionellen, Menschrechtlern, Unicef und auch der katholischen Zeitung "Famiglia Christiana" kritisierten administrativen Maßnahme ist selbstverständlich kein Zufall.

Auch wenn die EU-Kommission einen scheinbar den Roma und Sinti zugewandten Standpunkt vertritt, schimmert bei der liberalen Position der Brüsseler Institution eine ähnlich diskriminierende Haltung durch wie in der italienischen Regierung, die eine Ausgrenzung anstrebt. Die EU will nicht ausgrenzen, sondern integrieren. Was aber geschieht, so könnte man fragen, wenn sich einige Roma und Sinti nicht integrieren lassen wollen? Wenn die Europäische Union tatsächlich jene beanspruchte transnationale Konstruktion wäre, in der die Grenzen ihre Gültigkeit verlieren und Freizügigkeit des Reisens vorherrscht, müßte es da nicht auch für Menschen, die eine vollständig oder teilweise nomadisierende Lebensweise bevorzugen, möglich sein, diese innerhalb des EU-Raums zu verwirklichen?

Demgegenüber dürfte eine Integration zum Identitätsverlust der Roma und Sinti als fahrendes Volk führen. Wenn der Begriff Parallelgesellschaft nicht schon negativ besetzt wäre und diffamatorisch benutzt würde, so könnte er als Vorbild dafür dienen, wie eine seßhafte und eine nomadisierende Kultur innerhalb des gleichen Raums zusammenleben, und zwar so sehr voneinander getrennt, wie es von einer der beiden Seiten erwünscht wird.

Sicherlich, wenn in Italien innerhalb eines Jahres 450.000 Menschen zuwandern, von denen 300.000 rumänische Staatsbürger und in der Regel Roma oder Sinti sind, die eine für die übrige Gesellschaft ungewöhnliche Lebens- und Siedlungsweise bevorzugen, dann kann das zu Problemen führen. Die können aber einvernehmlich gelöst werden und dürften nicht allein den Roma und Sinti aufgelastet werden. Niemand hat die Europäische Union gezwungen, sich expansionistisch zu verhalten und ein Land wie Rumänien aufzunehmen, das sehr viel ärmer ist als beispielsweise Italien. Im konzerngetriebenen Europa ist solch ein Wohlstands- und Einkommensgefälle sogar ausdrücklich erwünscht, können auf diesem Weg doch die Beschäftigten gegeneinander ausgespielt werden.

Wenn nun die Roma und Sinti aus Rumänien, wo sie wie in Italien Diskriminierungen ausgesetzt sind, abwandern und in Anspruch nehmen, womit die Strategen des Projekts namens Europäische Union von jeher geworben haben, nämlich daß die Grenzbäume fallen, dann kann man ihnen das nicht vorhalten. Auch daß sie von Italien als "illegal" eingestuft werden, ist ein typisches Produkt der Gesellschaft der Seßhaften, nicht eines der Nomadisierenden.

Es trifft offenbar zu, daß die Kleinkriminalität in Italien zugenommen hat und daß die Roma und Sinti einen nicht unerheblichen Anteil daran haben. Aber ist es nicht merkwürdig, daß Kleinkriminalität sehr viel mehr Empörung auslöst als Korruption und Wirtschaftskriminalität, bei dem es häufig um Millionenbeträge geht, die illegal den Besitzer wechseln? Damit soll keineswegs Diebstahl gutgeheißen werden, schließlich leben wir in einer eigentumsgestützten Gesellschaft, aber wenn es jenen, die gegen die Roma und Sinti gehetzt oder sie sogar tätlich angegriffen haben, wie es in diesem Jahr in Italien öfters geschah, tatsächlich um den bei Diebstählen entwendeten Wert gegangen wäre, dann müßten sie auch manchem Politiker und Wirtschaftsmagnaten auf den Leib rücken. Weil es dazu nicht kommt, taugt Kleinkriminalität nicht einmal als fadenscheiniger Begründungsversuch für Ausgrenzung.

2. Juli 2008