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LAIRE/067: EU Blue Card - nur die nützlichen Ausländer sind erwünscht (SB)


Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen

Europäische Union lockt hochqualifizierte Fachkräfte an und schiebt Armutsflüchtlinge ab


Während Italien ein rassistisches "Sicherheitspaket" verabschiedet, durch das die "illegale" Einreise auf bislang unerreichte Weise kriminalisiert wird, hat der Rat der Europäischen Union in dieser Woche die Blue Card durchgewunken. Mit diesem System wird die Einreise - auch nach Italien - für Ausländer erleichtert. Es gibt allerdings einen sozialen Unterschied zwischen beiden Gruppen von Ausländern. Bei den einen handelt es sich um Armutsflüchtlinge, die man außen vor halten will, bei den anderen um ausgebildete Fachkräfte, deren Abzug womöglich nicht zu schließende Lücken in den Herkunftsländern reißt.

Der Zuzug der hochqualifizierten Ausländer mittels der EU Blue Card wurde entbürokratisiert. Voraussetzung für die Arbeitserlaubnis ist die Vorlage eines Arbeitsvertrags für eine Stelle, die mit mindestens dem 1,5fachen des Durchschnittsgehalts im Aufnahmestaat entlohnt wird. Die Aufenthaltsdauer liegt zwischen ein und vier Jahren und kann verlängert werden. Wohnt ein EU Blue Card-Inhaber mindestens 18 Monate in seinem Zuzugsland, dürfen er und seine Familienmitglieder unter bestimmten Bedingungen in andere EU-Länder wechseln. Die EU-Staaten haben zwei Jahre Zeit, die Richtlinien in nationales Recht umzusetzen.

Hochqualifizierte Ausländer sind in der EU willkommen - unqualifizierte Ausländer dagegen werden kriminalisiert. Hier spielt Italien den Vorreiter für die gesamte EU. Illegale Einwanderung wird mit bis zu sechs Monaten Abschiebelager sowie Zahlung von bis zu 10.000 Euro bestraft. Wer sich trotz Abschiebeverordnung in Italien aufhält, kann für ein Jahr ins Gefängnis wandern. Wer Menschen hilft, die illegal eingereist sind, oder sie als billige Arbeitskräfte anstellt und ihnen eine Wohnung vermietet, macht sich strafbar und muß mit einer Gefängnisstrafe von drei Jahren rechnen.

Nachdem vor einiger Zeit bereits Roma mitsamt ihren Kindern erkennungsdienstlich behandelt wurden und man ihnen die Fingerabdrücke abgenommen hat, geraten nun die Obdachlosen ins Visier. Sie sollen in einer gesonderter Kartei aufgelistet werden - selbstverständlich unter dem Vorwand, dadurch gezielter Maßnahmen gegen diesen Zustand ergreifen zu können. Außerdem hat die italienische Regierung zur Bildung von Bürgerwehren aufgerufen. Die sollen durch die Straßen patrouillieren und "für Ordnung sorgen" (also Obdachlose vertreiben, "Illegale" anzeigen ...).

Die zunehmend rigidere Abwehr von Flüchtlingen (also von Menschen, die einer Not zu entfliehen versuchen) lindert nicht die Not, sondern erschwert die Flucht. Der Abzug der Fachkräfte hingegen ist eine Form von Raub, denn die Ausbildung, die jene Ausreisewilligen genossen haben, stellt eine Vorfinanzierung durch die Gesellschaft dar, aus der sie stammen. Dahinter steht die Erwartung, daß die Fachkräfte eines Tages zur wirtschaftlichen Entwicklung des eigenen Landes beitragen. Der Wert der Vorfinanzierung (beispielsweise in Form der Bereitstellung von Hochschulplätzen und der Anstellung von Dozenten) wird den Herkunftsländern weggenommen.

Der Rückfluß an Geldern von den ausländischen Beschäftigen an ihre Familien in der Heimat kann zwar im Einzelfall beträchtlich sein und lindert auch in der Summe den Abzug der Fachkräfte, aber einen Ausgleich zur permanenten Abwanderung wird dadurch nicht geschaffen. So kommt es vor, daß in einem afrikanischen Krankenhaus, das vielleicht über zehn Ärzte verfügt, binnen weniger Tage ein, zwei oder noch mehr ihre Koffer packen. Gleiches gilt für Krankenschwestern. Die Lücken können nicht so schnell gefüllt werden, das verbliebene Personal muß länger arbeiten bzw. es an der erforderlichen Pflege und Behandlung des einzelnen missen lassen. Was das für Länder mit einem relativ hohen Anteil an HIV/AIDS-Patienten bedeutet, bei denen gute Pflege lebensverlängernd wirkt, läßt sich vorstellen.

Aber nicht nur Mediziner werden abgeworben, sondern unter anderem auch Ingenieure, Juristen, Wissenschaftler, Manager - mit ähnlichen Folgen des Mangelzuwachses in den Herkunftsländern. Die Europäische Union erweist sich somit in doppelter Hinsicht als räuberisch: Die übrige Welt wird eingeteilt in nützliche, das heißt verwertbare Menschen und solche, die nicht gebraucht werden. Letzteren wird das Leben durch die EU Blue Card zusätzlich erschwert.

28. Mai 2009