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FRAGEN/028: Versorgungsketten nach einem Brexit - Teurere Produkte und Lieferverzögerung drohen (idw)


Universität zu Köln - 13.03.2019

Versorgungsketten nach einem Brexit: Teurere Produkte und Lieferverzögerung drohen

Ein No-Deal Brexit, also ein Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union, rückt näher. Wie sich das auf die Lieferkette von Produkten auswirken kann, erklärt Junior-Professor Andreas Fügener, Supply Chain Management-Experte an der Universität zu Köln im Gespräch.


Das britische Unterhaus hat am Dienstagabend das mit Brüssel ausgehandelte Brexit-Abkommen erneut abgelehnt. Ein No-Deal Brexit Großbritanniens, also ein Austritt aus der Europäischen Union ohne Austrittsabkommen, rückt Ende März näher. Das hätte vielfältige Konsequenzen, beispielsweise auf das sogenannte Supply Chain Management, die Organisation der Versorgungskette. Diese bezeichnet die Lieferkette eines Produkts vom Rohstofflieferanten eines Unternehmens, dessen Zulieferer, die Zulieferer der Zulieferer bis zu den Endkunden. Welche Auswirkungen ein Brexit auf die Lieferkette haben kann, erklärt Junior-Professor Andreas Fügener, Supply Chain Management-Experte an der Universität zu Köln.


Herr Professor Fügener, oft ist dem Verbraucher nicht bewusst, welche Auswirkungen der Austritt aus dem EU-Binnenmarkt auf ein Produkt hat, das man im Alltag nutzt oder konsumiert. Können Sie uns Beispiele nennen?

Der wahrscheinlich relevanteste Punkt ist, dass die Produkte verteuert werden, da Grenzübertritte durch wahrscheinliche Zölle teurer werden, und dass es zu Lieferverzögerungen kommt, da an den Grenzen intensivierte Kontrollen durchgeführt werden.

Wenn man also Lieferketten hat, die über verschiedene Grenzen gehen und man darauf angewiesen ist, dass die Teilprodukte rechtzeitig ankommen, entsteht große Unsicherheit.

Ein solches Beispiel sind medizinische Produkte, wie große Magnetresonanz-Tomographen (MRT), die regelmäßig gewartet werden müssen. Nehmen wir an, dass ein MRT eines britischen Krankenhauses von einem deutschen Unternehmen produziert wurde und auch von diesem gewartet wird. Das Unternehmen müsste nun kurzfristig große Lagerbestände an Ersatzteilen in Großbritannien aufbauen, um die Wartung auch in der Zukunft sicher leisten zu können. Mittelfristig kann das dazu führen, dass die Krankenhäuser höhere Servicegebühren leisten müssen. Dies wiederum hat eine Verteuerung der Gesundheitsversorgung zur Folge, die sich auch auf die Patienten und Steuerzahler auswirken kann.

Ein weiterer Aspekt ist, dass man langfristig Lieferketten neu aufbauen wird, da Grenzübertritte zwischen der EU und Großbritannien unsicherer, teurer und damit unattraktiver werden.

Werden diese Lieferketten lokal aufgebaut? Wäre das nicht positiv für die Umwelt?

Das kann in zwei Richtungen gehen. Ein britisches Unternehmen bestellt zum Beispiel momentan günstige Teile aus Deutschland, da es keine Zölle gibt und die Lieferwege gut planbar sind. Dies wird nach dem Brexit unattraktiver. Man kann die Versorgungswege nun lokal aufbauen, was vielleicht etwas teurer ist, aber vielleicht auch Vorteile bietet, zum Beispiel im Bereich des Umweltschutzes, da weniger Transporte anfallen. Es könnte aber auch sein, dass durch den Brexit eine Lieferung aus einem Drittland, beispielsweise aus Südostasien, attraktiver als die Lieferung aus Deutschland wird, sodass das Unternehmen sogar weitere Transportwege in Kauf nimmt. Dies wäre aus Umweltgesichtspunkten ein Nachteil.

Es wird von einzelnen EU-Gegnern oft behauptet, auch in der derzeitigen Brexit-Diskussion, dass ohne EU-Abkommen viel präzisere und damit für ein einzelnes Land günstigere Handelsabkommen ausgehandelt werden können. Wie beurteilen Sie das?

Natürlich hat eine EU in Abkommen eine deutlich größere Verhandlungsmacht als ein einzelnes Land. Davon abgesehen kann dieses im Einzelfall auch profitieren. Es wird ja auch über die EU-Standardisierung gesprochen. Wenn sie wegfällt, kann man für ein Land präziser produzieren, da es seine eigenen Spezifika hat. Auf der anderen Seite steigt natürlich auch die Komplexität für Länder, die in mehrere Länder exportieren wollen.

Momentan kann ein EU-Mitglied in jedes EU-Land problemlos exportieren, wenn die Standards des Binnenmarkts eingehalten werden. Teilprodukte, die mit Schnittstellen geregelt sind, kann ich aufgrund der EU-Norm in jedem EU-Land kaufen und verwenden. Das wird viel schwieriger, wenn jedes Land wieder seine eigenen Spezifikationen hat. Denn ich muss im Vorfeld bei jedem Produkt wissen, wohin ich das verkaufen möchte.

Es gibt sogenannte Pooling-Effekte: Ich habe zum Beispiel 1000 Stück eines Produktes produziert und geplant, 500 nach Großbritannien und 500 nach Frankreich zu liefern. Wenn am Ende aber nur 200 Briten, dafür aber 800 Franzosen das Produkt wollen, gibt es im EU-Binnenmarkt kein Problem. Anders ist das, wenn beide Länder eigene Regeln haben.

Komplexität und Unsicherheit in der Produktion und im Produktionsdesign sind dann sehr hoch und teuer, da sich ein Unternehmen dagegen absichern muss. Also entstehen höhere Bestände verschiedener Produkttypen als wahrscheinlich benötigt. All diese Kosten werden mittel- oder langfristig auf den Verbraucher umgelegt.

Wenn ein Produkt in vielen Ländern hergestellt wird, nimmt diese Komplexität auch noch zu. Wird das unterschätzt?

Nehmen Sie zum Beispiel in der Autobranche den Mini, der nicht ausschließlich in Großbritannien produziert wird. Viele Teile stammen aus Deutschland und anderen EU-Ländern, wobei ein Teilprodukt während der Weiterverarbeitung mehrmals die Grenze überschreiten kann. Das Auto wird dann in Großbritannien finalisiert und anschließend beispielsweise nach Deutschland verkauft. Auch hier wird die Produktion teurer, langsamer und unsicherer.

Für Großbritannien könnte das natürlich den positiven Effekt haben, dass man Arbeitsschritte wieder dorthin verlagert, was sich günstig auf britische Arbeitsplätze auswirken kann. Es könnte aber auch sein, dass die Muttergesellschaft, in diesem Fall BMW, sich entscheidet, die Produktion vollständig nach Kontinentaleuropa zu verlagern, da dort der größere Absatzmarkt ist.

Das größte Risiko ist die Unabwägbarkeit - sowohl kurz- als auch langfristig. Kurzfristig weiß niemand, was kommt. Möglicherweise kommt der Brexit nicht zustande, oder es entsteht nach dem Brexit doch ein Binnenmarkt ohne Zölle. Andererseits könnte es gerade im Falle eines ungeordneten Brexits zu großen Einschränkungen kommen, die unmittelbar zu großen Kosten führen.

Was ist für Sie in diesem Brexit-Prozess besonders interessant?

Angenommen man ist gegen Globalisierung und befürwortet lokale Produktion nahe an den Absatzmärkten, dann ist der Gedanke erstmal reizvoll, dass man Grenzübertritte unattraktiver macht, was dazu führt, dass die Leute vermehrt lokale Produkte konsumieren.

In England könnte beispielsweise der Cheddar im Vergleich zu einem französischen Käse günstiger werden. Das geht zwar zulasten der Vielfalt, aber stellenweise zugunsten der Umwelt. Andererseits wird es dann wieder relativ gesehen attraktiver, günstigere Produkte aus weit entfernten Gegenden zu importieren.

Auch wenn man also anstrebt, lokale Märkte zu stärken, kann es dennoch passieren, dass gerade aus fernen Ländern vermehrt Produkte ins Land kommen, wohingegen es ungünstiger wird, aus dem nahen Ausland zu importieren.



Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität zu Köln, 13.03.2019
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. März 2019

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