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GROSSBRITANNIEN/011: Die institutionelle Wende - Labours neue politische Ökonomie (spw)


spw - Ausgabe 5/2018 - Heft 228
Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft

Analyse & Strategie
Die institutionelle Wende: Labours neue politische Ökonomie

von Joe Guinan und Martin O'Neill (1)


Die Führung von Labour stellt die Elemente einer neuen, sozialistischen politischen Ökonomie des 21. Jahrhunderts vor. Labours Schattenfinanzminister McDonnell betonte dabei: "Eine andere Welt ist nicht nur möglich, sie ist in Reichweite". Weitgehend unbemerkt von den Gegnern in- und außerhalb der Partei hat Corbyn ein kohärentes Programm für einen transformativen Wandel entwickelt, das die Grundlage für eine grundlegend andere Ausrichtung der Wirtschaft bilden könnte. Aufbauend auf den bewährten Elementen des Manifesto von 2017 "For the Many Not the Few", und der Erkenntnisse aus dem Bericht "Alternative Models of Ownership", stellte die Parteiführung die Instrumente und Strategien zusammen, die eine zukünftige Labour-Regierung in die Lage versetzen soll, eine ehrgeizige Transformation der britischen Wirtschaft um die Fragen nach Eigentum, Kontrolle, Demokratie und Beteiligung durchzusetzen. Flächendeckend angewandt, könnte dies die traditionelle Macht der Unternehmen und des Finanzsektors in Großbritannien brechen, die soziale und ökonomische Basis der neoliberalen Ordnung, so wie Thatcher einst die Kraft ihrer Gegner durch die Abwicklung weiter Teile des öffentlichen Sektors, der Schließung ganzer Industriezweige, die Zerschlagung der Gewerkschaften und die Vernachlässigung der Interessen der Beschäftigten brach.

Die "institutionelle Wende" im Denken ist die direkte Antwort auf die Herausforderungen, vor denen das Land steht. Die sich verschärfenden Probleme - Lohnstillstand, fehlende Investitionen, geringe Produktivität, zunehmende Einkommens- und Vermögensunterschiede, ganz zu schweigen von den sich abzeichnenden Auswirkungen des Klimawandels - sind nicht zufällig entstanden, sondern die vorhersehbaren Ergebnisse der grundlegend falschen Organisation der Wirtschaft. Die institutionellen Arrangements im Zentrum des heutigen britischen Kapitalismus - hochkonzentriertes Privateigentum, Dominanz der Arbeitgeber und die überhebliche Macht des Finanzkapitals in der Londoner City - bilden einen mächtigen Motor für die Abschöpfung von Werten und deren Umverteilung nach oben. Es ist dieses institutionelle Design, das das Geschehen bestimmt: die zerfallende öffentliche Infrastruktur, die zunehmende soziale Spaltung, die Umweltzerstörung und ein weit verbreitetes Gefühl der Machtlosigkeit in der Bevölkerung. Das gegenwärtige System ist nicht darauf ausgerichtet, die Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen, sondern dient dazu, den Großteil der wirtschaftlichen Gewinne in den Händen einer kleinen Elite zu konzentrieren. Mehr als die Hälfte des gesamten Reichtums im Vereinigten Königreich gehört den obersten zehn Prozent, rund zwanzig Prozent allein dem obersten Prozent, und die Ungleichheit nimmt weiter zu. Wenn wir es ernst meinen mit der Lösung der realen wirtschaftlichen Herausforderungen, dann brauchen wir eine ganze Reihe anderer Institutionen und Regeln, die nachhaltige, dauerhafte und demokratische Ergebnisse erzielen, eine Wirtschaft "for the Many not the Few".

Diesen grundlegenden Wandel verspricht Labour jetzt. Corbyn hat Raum für einen umfassenden Dialog über die Zukunft der Wirtschaft eröffnet, der jahrzehntelang unmöglich war. "Genossenschaften, gemeinsames Eigentum und Wirtschaftsdemokratie", erklärte McDonnell, "müssen eine zentrale Rolle spielen". Corbyn hat seinerseits entschiedene Maßnahmen versprochen, um den Finanzsektor vom "Herren aller zum Diener der produktiven Wirtschaft zu machen". Er fordert, dass die Kommunen mehr Spielraum erhalten, um in der öffentlichen Daseinsvorsorge "den Strom der Zwangsprivatisierung zurückzudrängen" und es ihnen ermöglicht wird, ihre wirtschaftliche Zukunft selbst zu gestalten. Erstmals seit den siebziger Jahren - als sich die Partei dazu verpflichtete, eine "grundlegende Veränderung der Macht- und Vermögensverhältnisse zugunsten der arbeitenden Menschen und ihrer Familien herbeizuführen" - hat Labour einen ehrgeizigen Plan für die Umgestaltung Großbritanniens vorgelegt. Anstelle der ausbeuterischen Kräfte des Konzernkapitalismus soll die neue politische Ökonomie eine dezentralisierte und ortsbezogene Kreislaufwirtschaft sein, die vernachlässigte Regionen wieder aufbaut und lokale Gemeinschaften stabilisiert, die echte Demokratie und Teilhabe ermöglicht und die langfristige institutionelle und politische Unterstützung sichert und einen echten sozialen Wandel erlaubt.

Von der Vermeidung der Ungleichheit zum demokratischen Wohlstand

Es ist leicht zu übersehen, wie radikal das alles wirklich ist, im ursprünglichen Sinn, die Angelegenheit an der Wurzel zu packen. Wenn es um die Grundsätze geht, gibt es ein jahrzehntelanges Defizit an neuen Ideen im linken Lager. Wo sie nicht vollständig vor dem Neoliberalismus kapituliert haben, tummeln sich die meisten Sozialdemokraten weitab von den eigentlichen Bedarfen und suchen verzweifelt einen Weg um durch Steuer- und Ausgabenpolitik und bescheidene Umverteilung etwas Linderung zu erwirken. Dies gilt auch für einige der aktuell kreativsten Beiträge. Piketty zum Beispiel hat in seinem Bestseller "Das Kapital im 21. Jahrhundert" - einem Meisterwerk der statistischen Analyse der Kapitalakkumulation, das die "fundamentale Macht des Auseinanderdriftens" des Kapitalismus demonstrierte - weitgehend vermieden, sich mit den strukturellen Grundlagen des Kapitalbesitzes auseinanderzusetzen und sich stattdessen auf die "Regulierung des Kapitals" durch eine globale Vermögenssteuer konzentriert. Doch angesichts der Tatsache, dass die Kapitalerträge auf Kosten der Lohnquote steigen und die Automatisierung diesen Trend zu beschleunigen droht, ist es nur folgerichtig, dass wir uns mit der Ausweitung und Demokratisierung von Eigentum befassen. Nobelpreisträger Solow kommentierte Pikettys Buch 2014 in Washington wie folgt: Unter den "Dingen, die wir tun können, ist die Demokratisierung des Eigentums am Vermögen vielleicht das Offensichtlichste". Schlussendlich muss eine wirklich wirkungsvolle, alternative linke Strategie das Kapital selbst in den Fokus nehmen.

Labour hatte sich bereits unter der Führung von Miliband, der zumindest die Anfänge einer Neuerfindung der Sozialdemokratie anbot, begonnen, sich den Grenzen der "lediglich umverteilenden" Wirtschaftsstrategien zu stellen. Milibands Bemühungen das Denken von Labour zu verändern, wurde durch den Widerstand der zaghaften Elemente in der Partei behindert und scheiterte dann am Mangel linker "intellektueller Infrastruktur" außerhalb der Parteiführung. In diesem Sinne war Miliband seiner Zeit voraus - und es ist ermutigend zu sehen, dass nun weit ehrgeizigere Überlegungen entstehen, wie vom Institute for Public Policy Research die Idee zur Transformation der Unternehmensführung oder die Schaffung eines Bürgerfonds, der von der Kommission für wirtschaftliche Gerechtigkeit vorgeschlagen wird.

Heutzutage wird der Bedarf nach tiefgreifenden Lösungen für die drängenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten endlich auf breiter Basis erkannt. Aus der linken Mitte und dem Lager Corbyns beginnen radikalere Ansätze des ökonomischen Denkens aufzusteigen, wie die Flugschrift "The Everyday Economy" andeutet. Sie unterscheidet sich in ihrer Konzeptualisierung der Bedeutung von Arbeit und in ihrer auf die Communities zielende Ausrichtung vom linken Flügel, aber es gibt auffallende Ähnlichkeiten mit dem Ansatz von Corbyn in ihrer radikalen Kritik am Kapitalismus und der Beharrlichkeit darauf, dass Wachstum nicht die oberste Priorität sein darf, und in ihrer Unterstützung von "alternativen Eigentumsmodellen". Diese sich abzeichnenden Elemente eines Konsenses herauszuarbeiten und darauf aufzubauen - und gleichzeitig offen und deutlich Unterschiede zu diskutieren - wird für die Linke überlebenswichtig sein.

Wer besitzt und kontrolliert das Kapital? Dies ist eine der grundlegendsten Fragen der politischen Ökonomie, die für das Verständnis der Funktionsweise jedes Wirtschaftssystems von zentraler Bedeutung ist. Für Sozialisten sind die Antworten auf das kapitalistische Privateigentum der Wirtschaftsgüter traditionell zweigeteilt. Der Staatssozialismus hat in stark vereinfachter Form das Eigentum und die Kontrolle über das Kapital dem Staat übertragen, während die Sozialdemokratie es weitgehend in privater Hand beließ und versuchte, die Erträge durch Steuern und Transfers umzuverteilen. Eine vernachlässigte dritte Tradition, die lange weitgehend in den Hintergrund gedrängt wurde, findet sich im langjährigen sozialistischen Engagement für die Wirtschaftsdemokratie. Die zentrale Idee der Wirtschaftsdemokratie ist, dass die Prinzipien der Souveränität der Bevölkerung aus dem Bereich der Politik auf die Wirtschaftssphäre ausgedehnt werden. In "A Preface to Economic Democracy" definierte Dahl Wirtschaftsdemokratie als "Beitrag zur Stärkung der politischen Gleichheit und Demokratie durch den Abbau von Ungleichheiten, die aus dem Eigentum und der Kontrolle von Unternehmen herrühren". Die Frage von der anderen Seite ging Cole, sozialistischer Theoretiker und Verfechter der Wirtschaftsdemokratie, an. Er argumentierte, dass die Prinzipien der Demokratie "nicht nur für den speziellen Bereich des sozialen Handelns gelten sollten, der als 'Politik' bekannt ist, sondern für jedwede Form sozialen Handelns, und insbesondere für wirtschaftliche Aktivitäten in gleichen Maße wie für politische Ämter".

Eine lebendige Tradition

Labour sind diese Gedanken nicht fremd, da viele von ihnen ihren Ursprung in der europäischen Arbeiterbewegung des 19. und 20. Jahrhunderts haben. Insbesondere in Großbritannien hat die Wirtschaftsdemokratie eine lange Tradition, die bis zu den Anfängen der industriellen Revolution zurückreicht. Die Entstehung der modernen Genossenschaftsbewegung - die heute weltweit eine Milliarde Mitglieder zählt - kann auf die Rochdale Pioneers zurückgeführt werden. Es gibt zahlreiche Beispiele weltweit, die jeweils wichtige Lehren für die Zukunft liefern. So in Italien und Spanien, beide an der Front der Kämpfe gegen die Austerität, Legacoop in der Emilia Romagna und Mondragón im Baskenland, die die Macht der Wirtschaftsdemokratie zeigen, wenn sie an die spezifischen Bedingungen vor Ort angepasst wird.

Hier geht es nicht darum, eine Utopie zu verkaufen. Beispiele aus der Praxis für demokratische, beteiligungsorientierte Alternativen gibt es viele. Selbstverwaltete, genossenschaftliche und kommunale Unternehmen, Treuhandgesellschaften, Stiftungen, öffentlich kontrollierte Banken und eine Vielzahl weiterer institutioneller Formen stellen Möglichkeiten dar, wie das Kapital von kleinen Gemeinschaften als auch der großen Öffentlichkeit kollektiv gehalten werden kann. Sie alle zeigen Wege und innovative Lösungen für tieferliegende Probleme. Sie verkörpern alternative Gestaltungsansätze, die sich nicht auf regulatorische Rahmenbedingungen oder "nachträgliche" Umverteilung stützen, sondern auf grundlegende Veränderungen in der Wirtschaftsstruktur und in der Art des Eigentums sowie der Kontrolle über den produktiven Wohlstand, die also direkt auf den Kern unserer gegenwärtigen Schwierigkeiten zielen - und zu deutlich verbesserten sozialen und verteilungspolitischen Ergebnissen führen können.

Weitgehend allein unter den Parteien, die aus der Zweiten Internationalen stammen, durchbricht Labour unter Corbyn nun den neoliberalen Denkrahmen und belebt die Politik mit einer neuen Vision der Demokratisierung der Wirtschaft. Oft schlicht als sozialdemokratisches Wahlprogramm beschrieben, enthält "For the Many not the Few" die Keimzelle einer radikalen Transformation. Forderungen wie die Wiederverstaatlichung der großen Versorgungsbetriebe, der Eisenbahnen und der Post, die Einrichtung eines nationalen Investitionsfonds zur Unterstützung des "Wiederaufbaus der durch die Globalisierung zerstörten Kommunen", die Verknüpfung des öffentlichen Beschaffungswesens mit einer regional ausgewogenen, strategischen Industriepolitik, die Schaffung einer nationalen Investitionsbank und eines Netzes regionaler und öffentlicher Banken zur Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen sowie die Demokratisierung des Eigentums durch die Unterstützung von Genossenschaften und Unternehmen im Besitz der Beschäftigten stellen einen klaren Bruch mit den neoliberalen Dogmen dar. In Verbindung mit der Dezentralisierung von Macht und Übertragung von Entscheidungsspielräumen auf die lokale Ebene, sowie der Aufruf "die Ausweitung der Demokratie auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene unter Berücksichtigung der Option eines stärker föderalistischen Landes" prüfen zu wollen, beginnen sich die Konturen eines völlig neuen Entwurfs einer politischen Ökonomie abzuzeichnen.

Über das Manifesto hinaus

Für Corbyn und seine Unterstützer ist das Manifesto ein Sprungbrett und nicht das letzte Wort zum wirtschaftlichen Wandel. Wenige Tage vor den Wahlen 2017 veröffentlichte Labour den Bericht "Alternative Models of Ownership". Dieser Bericht stellt die Grundrisse des seit Jahrzehnten vielversprechendsten Wirtschaftsprogramms dar. Es beschreibt die Art und Weise, wie die britische Linke im weiteren Sinne nun an die Arbeit gehen sollte, wobei es um eine detaillierte institutionelle Ausgestaltung und Politikformulierung geht. Insbesondere fordern die Verfasser des Berichts, "Fragen der wirtschaftlichen Eigentumsverhältnisse und der Unternehmenskontrolle an erster Stelle der politischen Agenda zu setzen" und "die Arbeit an einer Strategie zur Stärkung der gesellschaftlichen Unterstützung" aufzunehmen.

Es sind enorme Vorteile von einer massiven Ausweitung der demokratischen Besitzverhältnisse in Großbritannien zu erwarten. Die Gelegenheit, die sich durch die massenhaft in den Ruhestand tretenden Babyboomer ergibt und die damit verbundene Nachfolgefrage für eine große Anzahl von Unternehmen, die ansonsten durch Private Equity zerschlagen und verschlungen werden könnten, bedeutet, dass die Zeit für eine solche Ausweitung gekommen ist. Nach Schätzungen könnten 400.000 Unternehmen in den nächsten fünf Jahren geschlossen werden, wenn die ausscheidenden Eigentümer keinen Käufer finden, dies würde zwei bis vier Millionen Arbeitsplätze gefährden. Das Manifesto fordert ein "Recht auf Eigentum", welches den Beschäftigten das Vorkaufsrecht einräumt, wenn ihr Unternehmen zum Verkauf steht. "Alternative Models of Ownership" geht weiter und fordert unter anderem, dass die örtlichen Behörden die Gründung und den Aufbau von Genossenschaften und anderen Sozialwirtschaftsunternehmen aktiv unterstützen und zum Bestandteil der lokalen Wirtschaftsförderung machen sollen. Der Bericht schlägt auch vor, die Vorteile und Nachteile von Mitarbeiterkapitalbeteiligungen genauer zu betrachten, die die Eigentumsverhältnisse zugunsten der Beschäftigten bei geringen Risiken oder Kosten drastisch erhöhen könnten.

Ein großer in Mitarbeitereigentum befindlicher oder genossenschaftlich organisierter Sektor könnte eine wichtige institutionelle Grundlage für eine vor Ort verankerte Wirtschaft in Großbritannien bilden, die in der Lage ist, vereinfachte Auffassungen von "pro- oder anti-business" Politiken zu überwinden. Eine neue Ausrichtung um demokratisch kontrollierte und lokal eingebettete Wirtschaftskreisläufe im Gegensatz zu den losgelösten, nur den Gewinn abschöpfenden multinationalen Konzernen würde entstehen. In einer durch den Brexit gespaltenen Gesellschaft könnte eine dezentrale öffentliche Kontrolle der Wirtschaft die Grundlage für demokratische Teilhabe neu begründen, indem sie den Menschen vor Ort echte Entscheidungsmacht über die Kräfte gibt, die ihr Leben prägen - eine Chance, tatsächlich "die Kontrolle zurückzuerlangen". In der Zwischenzeit unterstreichen die Debatten um die Konzerne Capita und Carillion und der lange Schatten, den die Brandkatastrophe des Grenfell-Towers wirft, wie wichtig es ist, das todbringende neoliberale Modell zu ersetzen. Die Bewegung um Corbyn versucht, diese finanzialisierten Wirtschaftsformen durch demokratische Alternativen zu ersetzen, die der Bevölkerung einen wahren Nutzen bringen. Damit kann sofort begonnen werden, wo immer die Partei auf lokaler Ebene an der Macht ist, ohne auf einen Regierungswechsel auf nationaler Ebene warten zu müssen - eine "Community Wealth Building Unit" wurde in der Parteizentrale für genau diesen Zweck eingerichtet.

Der neue Ansatz von Labour könnte beträchtliche neue Quellen der politischen Unterstützung mobilisieren. Das Kapital ist weit davon entfernt ein einheitlicher Block zu sein, und es sollte möglich sein, Strategien zu entwickeln, die geeignet sind, viele der wirklich produktiven Teile der Geschäftswelt - die "Macher" und nicht die "Ausbeuter" - anzusprechen. Pragmatische Politiken, die darauf abzielen, kleine Unternehmen zu unterstützen und ihnen kostengünstiges Wachstumskapital zur Verfügung zu stellen, könnten klassenübergreifende Allianzen gegen die Dominanz der großen multinationalen Konzerne und der Monopole ermöglichen.

Gleichzeitig verspricht Labour durch die überfällige Abschaffung der von Thatcher eingeführten Beschränkungen gewerkschaftlicher Aktivitäten zur Wiederherstellung der sozialen Machtbasis der Bevölkerung beizutragen. Die Partei unterzeichnete das "Manifesto for Labour Law" des Institute of Employment Rights, eine Reihe von Maßnahmen, die den Rahmen, in dem die britischen Gewerkschaften agieren, grundlegend verändern würden. Erarbeitet von einem Kollektiv führender britischen Arbeitsrechtler, fordert dieses Manifest die Einführung eines Arbeitsministeriums, das die Interessen der Beschäftigten in der Regierung vertritt und ein System der Tarifverhandlungen auf Branchenebene unter der Federführung neuer sektoraler Beschäftigungskommissionen, wodurch die institutionelle Grundlage der Lohnfindung in vielen Bereichen der britischen Wirtschaft verbessert würde. Zudem soll ein System von Arbeitsgerichten mit sachkundigen Richtern geschaffen werden, ebenso wie - was für die breitere wirtschaftliche und politische Macht der Gewerkschaften von Bedeutung ist - ein neuer Rechtsanspruch auf Arbeitskampfmaßnahmen zur Unterstützung Beschäftigter in anderen Unternehmen eingeführt werden (Solidaritätsstreiks). Diese Agenda steht im Einklang mit den Vorschlägen von Atkinson in seinem letzten Buch "Inequality: what can be done?" in dem er für Änderungen der gesetzlichen Regelung plädiert, die es den Gewerkschaften ermöglichen würden, wieder eine Gegenmacht auszuüben, die in den letzten vierzig Jahren untergraben wurde.

Raum für Entfaltung

Insgesamt besteht die institutionelle Wende von Labour darin, durch eine Neuordnung der wesentlichen Institutionen ein ausgewogeneres Kräftegleichgewicht in der Wirtschaft herbeizuführen. Die bereits in der Entwicklung befindlichen Elemente dieser neuen politischen Ökonomie werden hierzu einen großen Beitrag leisten. Es bleibt jedoch noch viel zu tun. Die Idee eines National Education Service (NES) passt zu diesem Ansatz und fordert einen Zugang zur Bildung, der es dem Einzelnen ermöglicht sich unabhängig von seinen wirtschaftlichen Möglichkeiten sein gesamtes Leben zu entwickeln und zu bilden. Das NES könnte eine transformative Institution sein, die für den demokratischen Sozialismus des 21. Jahrhunderts in Großbritannien so wichtig ist, wie es der National Health Service (NHS) in den letzten siebzig Jahren war. Diese Idee muss noch weiter ausgearbeitet werden, um eine institutionelle Struktur zu entwerfen, die ein so ehrgeiziges Versprechen einlösen könnte.

Der NES weist jedoch auf eine umfassendere Agenda hin, die danach fragt, welche Arten von sozialen Bedürfnissen außerhalb des Marktprinzips erbracht und befriedigt und als Bestandteile einer neuen Bürgerschaft definiert werden sollten. Die jüngsten Arbeiten zu universellen Basisdienstleistungen (Universal Basic Services) legen nahe, dass es Spielraum für die Bereitstellung einer Reihe von sozialen Diensten auf universeller Basis gibt - vom öffentlichen Nahverkehr bis zum Informationszugang über das Internet -, wodurch die Dimension der sozialen Sphäre und die Leistungen hinsichtlich der Bürger- in Abgrenzung zur Kundenrolle vergrößert werden und der Einzelne durch die Verringerung seiner Abhängigkeit von der Marktlage gestärkt wird. Ein solcher Schritt könnte viele der beabsichtigten Vorteile eines bedingungslosen Grundeinkommens mit sich bringen, aber in einer Weise, die besser zu den Zielen eines sozialistischen Programms des Aufbaus kollektiver Institutionen und nicht nur der Stärkung individueller Kaufkraft dient.

Schließlich sind in einer Reihe bedeutender Politikbereiche, von der Geldpolitik über Big Data bis hin zur Reglementierung des Wohnungsmarktes und bei der Altersversorgung, weitere Überlegungen erforderlich. So gibt es ungelöste Fragen zur Handelspolitik und zur Wirtschaftsplanung - beide dürften im Kontext von Brexit und Klimawandel an Bedeutung gewinnen. Im Falle der Wirtschaftsplanung könnte der Ansatz der "Ankerinstitution", die auf der massiven Kaufkraft großer öffentlicher und gemeinnütziger, lokaler Institutionen wie Krankenhäusern und Universitäten zur Unterstützung der lokalen Wirtschaftsentwicklung beruht, auf nationaler Ebene, auch über den NHS, umgesetzt werden. Aufgrund seiner enormen wirtschaftlichen Ausstrahlung hat der NHS das Potenzial, die "Mutter aller Ankerinstitutionen" zu werden und das Rückgrat einer politischen Strategie rund um die Produktion von Waren und Dienstleistungen für Gesundheit und Gemeinwohl zu bilden. Dies würde das Gegenteil der neoliberalen Ausbeutung darstellen, öffentliche Mittel in Umlauf halten, Arbeitsplätze vor Ort sichern und Gemeinschaftsvermögen aufbauen, sowie den langfristigen wirtschaftlichen Rückgang in strukturschwachen Regionen umkehren.

Ein historischer Paradigmenwechsel

"Wir wollen die Attlee-Regierung bei der Radikalität der Reform übertreffen", sagte McDonnell. "Die Situation erfordert nicht weniger als das". Der historische Vergleich ist zutreffend. Zweimal im Laufe des letzten Jahrhunderts führten radikale Reformen britischer Regierungen, zuerst der Linken und dann der Rechten, zu grundlegenden Veränderungen in der politischen Ökonomie Großbritanniens auf der Grundlage bedeutender Veränderungen der Eigentumsverhältnisse. Die institutionelle Wende der Labour Party birgt nun das Versprechen eines dritten Epochenwechsels in der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes.

Im ersten Schritt brachte die Verstaatlichung der Bank of England, von Kohle, Stahl, Zivilluftfahrt, Eisenbahnen und aller wichtigen Versorgungsunternehmen (Strom, Wasser und Gas) unter der Labour 1945-51 diese in den Besitz der öffentlichen Hand. Bis 1951 hatte Labour weite Teile der britischen Industrie umstrukturiert und vier Millionen Menschen waren im öffentlichen Sektor angestellt, 18 Prozent aller Beschäftigten. Ein Fünftel der Wirtschaft befand sich in öffentlichem Besitz, ein Drittel der Investitionen entfielen auf die öffentliche Hand. Trotz anderslautender Märchen waren die verstaatlichten Industrien recht effizient und übertrafen sowohl die vergleichbaren US-amerikanischen Privatunternehmen als auch die britische Industrie insgesamt in Bezug auf die Gesamtproduktivität. Trotz aller Mängel bleibt dies bis heute das radikalste und tiefgreifendste Wirtschaftsreformprogramm, das je in Großbritannien durchgeführt wurde.

Danach kam es zu einer Konterrevolution. Die konservativen Regierungen von Thatcher und Major haben die Umwandlungen der Besitzverhältnisse weitgehend rückgängig gemacht. Die führenden Bereiche der Wirtschaft wurden zur Versteigerung freigegeben. Zwischen 1980 und 1996 entfielen auf Großbritannien vierzig Prozent aller in der OECD privatisierten Vermögenswerte, eine gigantische Übertragung von Vermögen an private Eigentümer. Die meisten kleinen Privatanleger verkauften ihre Aktien innerhalb kurzer Zeit wieder und profitierten dabei von Gewinnen aus der Unterbewertung, straften die Versprechen einer Aktionärsdemokratie damit aber Lügen. Die Privatisierungen ermöglichten nicht nur Angriffe auf Gewerkschaften und die Wiederherstellung der "Vorrechte" des Kapitals, sondern waren - zusammen mit der Finanzmarktderegulierung - entscheidend für den Aufbau des Londoner Kapitalmarktes. Der Verkauf der British Telecom mit Aktien im Wert von 3,9 Milliarden Pfund 1984 war sechsmal größer als jeder vorherige Börsengang. Die Privatisierungen unter Thatcher ermöglichten den Aufstieg des Finanzkapitals und den Machtzuwachs der Londoner City.

Am folgenreichsten war die "Right to Buy"-Politik, durch die die Kommunalverwaltungen gezwungen wurden, Sozialwohnungen an ihre Mieter zu verkaufen, wenn diese dazu in der Lage waren - mit einem Preisnachlass von bis zu fünfzig Prozent. Dies war bei weitem die größte Privatisierung, im Umfang von 40 Milliarden Pfund über 25 Jahre. Diese Maßnahme richtete sich ausdrücklich an Wechselwähler, um unter ihnen neue Unterstützung für die neoliberale Politik zu gewinnen. Wie Thatcher treffend sagte "ist Wirtschaft die Methode, das Ziel aber Herz und Seele zu verändern". Sie verstand sehr gut, wie die wirtschaftlichen Verhältnisse die Sichtweisen und Interessenlagen prägen, die wiederum die Grenzen der politischen Möglichkeiten vorgeben. Diese Lektion sollte an erster Stelle des linken Denkprozesses um die Bemühungen stehen, eine systematische institutionelle Abschaffung des Neoliberalismus herbeizuführen.

Wie die Regierung Attlee, die mit den hartnäckigsten und reaktionärsten Teilen des britischen Kapitals konfrontiert war, steht auch Corbyn gegen die herrschenden sozialen Triebkräfte, die es abzuwickeln gilt, wenn das erklärte Ziel, eine gerechtere und demokratischere Wirtschaft zu schaffen, erreicht werden soll. In den letzten Jahrzehnten hat sich der Einfluss der Londoner City auf die Realwirtschaft stetig erhöht, mit erheblichen Folgen für den Rest der Bevölkerung. Linke Ökonomen haben gezeigt, dass diese Finanzialisierung der Wirtschaft hinter vielen bedrohlichen Entwicklungen steckt, wie der zunehmenden Einkommensungleichheit und der Lohnstagnation, die durch die fortschreitende Übertragung von Einkommensanteilen auf den Finanzsektor verursacht wird. Die Hochfinanz ist auch eine wesentliche Quelle enormer Instabilität und die eigentlich Verantwortliche für ein Jahrzehnt der Krise und Sparpolitik.

Dank des neu gefundenen Wagemuts von Labour ist eine erneute Revolution der Eigentumsverhältnisse in Sichtweite. Aber die Ablösung des neoliberalen Kapitalismus bedeutet keinesfalls eine Rückkehr in die Vergangenheit. Klar ist, dass eine Regierung unter Corbyn nicht einfach das Nachkriegsmodell wiederaufleben lassen kann - das der großen, von oben geführten, zentral verwalteten Unternehmen. McDonnell hat die Begrenztheit solcher bürokratischen Lösungen betont, "weil hier zu viel Macht in zu wenigen Händen zentralisiert wurde". Das damalige Vorgehen hat viel mit dem heutigen Modell der multinationalen Unternehmen gemeinsam, bei dem die Macht in wenigen Händen im Silicon Valley oder in der City of London liegt. Die Alternative, so argumentiert er, sind plurale Formen des demokratisierten und dezentralen gemeinsamen Eigentums in verschiedenen Ausprägungen: "Dezentralisierung und soziales Unternehmertum sind Bestandteil der Linken ... Demokratie und Dezentralisierung sind die Schlagworte unseres Sozialismus". Dieser doppelte Schwerpunkt auf demokratisiertem Eigentum und politischer Dezentralisierung ist insofern bemerkenswert, als er von der nationalen Ebene kommt.

Corbyn und McDonnell haben eine vielversprechende Perspektive für die britische Linke geschaffen. Die institutionelle Wende der Labour Party ist die Zusammenführung der Elemente, die auf einen transformativen Wandel hinauslaufen würden: die Ausweitung des Eigentums, dessen demokratische Kontrolle und die Verheißung einer gerechteren Wirtschaft. Wie die vorangegangenen Reformprogramme von Attlee und Thatcher beinhaltet der Vorschlag von Corbyn auch Überlegungen für die Voraussetzungen des eigenen politischen Erfolgs und seine Konsolidierung. Er bietet allen Linken die Möglichkeit, die Entwicklung eines Programms grundlegender Veränderungen zu unterstützen, das Großbritannien so dringend braucht - und damit ein leistungsfähiges Modell für die Nachahmung weit über seine Grenzen hinaus zu erschaffen.

Überall auf der Welt treiben die Parteien der Linken und linken Mitte verunsichert durch die Krise, ihnen fehlt die intellektuelle Orientierung. In vielen Fällen hat sich die Linke in rivalisierende Lager gespalten, die in destruktiver gegenseitiger Abneigung gefangen sind. Großbritannien ist eine vielversprechende Ausnahme von diesem Missstand. Labour stellt als radikal demokratische und sozialistische Regierung im Wartestand eine historische Chance für die Schaffung eines neuen Wirtschaftsmodells dar, das die Unterstützung all jener finden sollte, die eine gerechtere und demokratischere Gesellschaft wollen. Das Projekt von Corbyn verdient die Unterstützung der gesamten Linken, von Menschen mit den unterschiedlichsten ideologischen Hintergründen, ganz einfach weil es die beste Gelegenheit darstellt, tragfähige Lösungen zu entwickeln, die dem Ausmaß unserer Probleme gerecht werden. Es geht nun darum, die Grundlagen dieser transformativen Agenda angesichts der strukturellen Herausforderungen einer sich rasch verändernden politischen und wirtschaftlichen Landschaft zu konkretisieren und so eine Wirtschaft zu schaffen, die "For the Many not the Few" funktioniert.


Joe Guinan leitet das Next System Project bei The Democracy Collaborative.
Martin O'Neill ist Lehrbeauftragter an der University of York.

Dieser Text wurde erstmals in "Renewal: A Journal of Social Democracy", Ausgabe 2/2018 veröffentlicht. Die Übersetzung fertigte Martin Ahrens an.
Auf die Übertragung der Fußnoten wurde verzichtet.

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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 5/2018, Heft 228, Seite 62-68
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. November 2018

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