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ITALIEN/057: Die Ausrangierten - das unbeschreibliche Elend der Rentner (Gerhard Feldbauer)


Die Ausrangierten

Das unbeschreibliche Elend der Rentner in Italien

von Gerhard Feldbauer, 20. Oktober 2014



Am härtesten werden die alten Menschen von der sich verschärfenden Krise der kapitalistischen Gesellschaft betroffen. Die Ausrangierten, deren Arbeitskraft für das Kapital keinen Wert mehr hat. Nach einer dieser Tage vom Institut für Sozialfürsorge INPS veröffentlichten Statistik erhalten die Hälfte der Rentner, das sind 6,8 Millionen, weniger als 1.000 Euro im Monat. 52 Prozent von ihnen sind Frauen. Diese Menschen leben bereits an der Armutsgrenze, die mit 999,67 Euro angegeben wird. Viel schlimmer geht es den über 2,1 Millionen, das sind 13,4 Prozent, die mit einer Rente unter 500 Euro dahin vegetieren. Vor allem sie gehören, wie ein Sprecher der Pensionärs-Gewerkschaft (SPI) erklärte, zu denen die "mit einer Hungerpension auskommen müssen". 23,5 Prozent der Rentner sind über 80 Jahre. Der durchschnittliche Rentenbetrag wird mit 1.105 Euro angegeben. Einbezogen sind dabei auch die verhältnismäßig noch gut bedachten Pensionäre, die Altersbezüge über 1500 Euro und mehr beziehen.


Im Monat 272 Euro

Der Leiter der Caritas Italia in Neapel, Trani Giancamillo, schildert die kaum zu beschreibende Altersarmut. Es sind Tausende allein in dieser Stadt des Elends, die eine Rente von monatlich 272 Euro erhalten. "Sie haben oft das ganze Leben schwer gearbeitet, meist schwarz. Das war allgemein bekannt und wurde geduldet, sparten die Unternehmer doch die Sozialabgaben. Wenn sie arbeitslos waren, konnten sie früher mit 50 in eine wenn auch sehr geringe Rente gehen." Unter der Regierung des früheren EU-Kommissars Mario Monti wurde das abgeschafft und die Rente auch für sie ab 65 festgelegt. "Diese Ärmsten der Armen sind verschuldet, können die Miete nicht bezahlen, werden obdachlos, führen ein Hungerdasein. Die Familien können ihnen kaum helfen, da sie selber oft auch arbeitslos sind. Die Verzweiflung treibt immer mehr alte Menschen zum Selbstmord. Die Caritas kann Obdachlosen gerademal 250 Betten stellen und eine Mahlzeit pro Tag. Auch die Kirche tut wenig. Ein Eingreifen des Staates ist nicht auszumachen."


Wurst oder Käse sind ein Luxus

Cavaliere Santo aus Sizilien äußert sich verbittert, wie die alten Menschen ihrem Schicksal überlassen werden. Er ist 82. Vom 15. Lebensjahr an hat er bis 65 gearbeitet, also 50 Jahre. Die Rente, die er dafür erhält, beträgt 700 Euro. 400 gehen für die Miete ab, hinzu kommen Strom und diverse Nebenkosten, Ausgaben für Medikamente. Der Rest langt kaum zum Leben, wenn man das überhaupt so nennen kann. Er traut sich kaum, die Heizung anzustellen, denn wenn er die ständig steigenden Kosten nicht bezahlen kann, stellt der Vermieter ab und wirft ihn auch einfach raus. Mal ein Stück Fleisch, eine Scheibe Wurst oder Käse sind ein Luxus. Eine Flasche Wein kann er sich schon lange nicht mehr leisten. Er hat kein Fernsehen und kann sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal im Kino war. "Mein ganzes Leben habe ich schwer gearbeitet, oft auf Baustellen. Davon bin ich auch sehr krank geworden. Meine Frau ist vor 10 Jahren gestorben, ich bin ganz allein. Es ist bitter, wie man von dieser Gesellschaft seinem Schicksal überlassen wird."

Die SPI erwähnt, dass diese Altersarmut sich längst nicht mehr auf den Süden des Landes beschränkt, sondern auch den industrialisierten Norden erfasst, von Rom ganz zu schweigen. Heute muss ein Rentner wenigstens 42 Jahre Einzahlungen vorweisen, um eine Rente zu erhalten. Derzeit beträgt das Mindesteintrittsalter bei Männern 66 Jahre, bei Frauen 62. Neue Steigerungen sind geplant, für Frauen auch auf 66. Dabei werden die derzeit offiziell 13,7 Prozent Arbeitslosen niemals 42 Arbeitsjahre erreichen, am allerwenigstens die darunter fallenden 40 Prozent, die bis zu ihrem 25. Lebensjahr und oft noch viel länger keine Arbeit finden. In dem von Ministerpräsident Matteo Renzi von den Sozialdemokraten (PD) gerade vorgelegten "Stabilitätsgesetz" mit einem Volumen von 36 Mrd. Euro, darunter Steuererleichterungen und Versprechen, die soziale Lage zu verbessern, werden die Rentner mit keinem Wort erwähnt.

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Quelle:
© 2014 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Oktober 2014