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ITALIEN/058: Italiens Arbeiter sagen "basta" (Gerhard Feldbauer)


Italiens Arbeiter sagen "basta"

Nach Generalstreik protestierten in Rom über eine Million gegen neue Krisenlasten

von Gerhard Feldbauer, 27. Oktober 2014



Lange haben Italiens Arbeiter abgewartet, ob der sozialdemokratische Regierungschef Matteo Renzi seine Versprechungen, ihre soziale Lage zu verbessern, einhält. Da es leere Worte bleiben, besinnen sie sich wieder auf ihre Kraft und gehen entschieden gegen das vor, was Renzi tatsächlich treibt. Die weiter wachsenden Krisenlasten, wie es schon immer geschah, auf sie und die Ärmsten abzuwälzen. Nachdem am Freitag ein Generalstreik in Transport, Verkehr und Schulen das öffentliche Leben weitgehend lahm gelegt hatte, demonstrierten am Sonnabend in Rom weit über eine Million Beschäftigte aus Wirtschaft und Verwaltung sowie Schüler und Studenten, Rentner und viele Arbeitslose ein unüberhörbares "basta" (Schluss, genug) zu dem "Jobs act" des Premiers, einer "Arbeitsmarktreform", die neue Lohnsenkungen, Entlassungen, die Beseitigung des Kündigungsschutzes und elementarer Arbeiterrechte vorsieht. Sozialdemokraten, Kommunisten und Linksdemokraten demonstrierten Seite an Seite die sonst fehlende Einheit der Linken. Der Nationalsekretär der Partei der Kommunisten Italiens (PdCI), Cesare Procaccini, der die Manifestation "eine Antwort auf die Versuche, die Arbeiterrechte zur Makulatur zu machen" nannte, betonte gleichzeitig die "Herstellung der Einheit der Linken" als wichtiges Erfordernis des Kampfes.


Provokation des Premiers

Der Regierungschef hatte die Proteste mit einer provokativen Erklärung: Ich werde mich nicht von der CGIL aufhalten lassen", die "Zeiten, da eine Manifestation die Regierung stoppen konnte", seien vorbei, zusätzlich angeheizt. Zu der Demonstration hatte die Confederazione Generale Italiena del Lavoro (CGIL) aufgerufen, die unter den drei großen Gewerkschaftsdachverbänden - die anderen beiden sind die CISL und UIL - mit 5,7 Millionen Mitgliedern die Stärkste ist. Obwohl die Leitungen der CISL und UIL eine Teilnahme abgelehnt hatten, nahmen viele ihrer Mitglieder teil. Die Demonstranten trafen sich auf der Piazza Santa Maria Maggiore in einem Meer von Fahnen in den roten Farben der CGIL, aber auch der kommunistischen Parteien PdCI und PRC mit Hammer und Sichel. Stark vertreten war auch die Linkspartei SEL mit ihrem Vorsitzenden Nichi Vendola, Präsident der Regionalregierung von Apulien. Zwischen Plakaten mit "via Jobs act" und "Lavoro" karikierten viele den Premier als "Supermatteo". Bevor die Kundgebung eröffnet wurde erklangen auf vielen Plätzen revolutionäre Kampflieder wie "Avanti Popolo" oder das legendäre Partisanenlied "Bella Ciao". Etwa 150.000 Teilnehmer kamen in 2500 Pullman sowie zehn Sonderzügen aus allen Landesteilen und mit einem Schiff und zwei Charterflügen von Sardinien.


Kämpferische Rede Sussana Camussos

CGIL-Generalsekretärin Susanna Camusso sagte in ihrer wiederholt von stürmischem Beifall begleiteten Rede: "Wir fordern im Namen der Massen soziale Gerechtigkeit" und verlangte die Aufhebung des arbeiterfeindlichen "Stabilitätspaktes" der Regierung. Offensiv führte sie aus, es gehe "nicht nur um die Verteidigung der Arbeiterechte, sondern um ihre Erweiterung." Auf eine Forderung des Industriellenverbandes Confindustria eingehend, die CGIL solle statt zu demonstrieren, verhandeln, sagte Camusso: "Wir sind nicht hier, um weiße Fahnen zu zeigen, sondern die roten Banner der Arbeiter". Als sie ausrief: "Wir werden alle notwendigen Kampfformen nutzen, um unsere Forderungen durchzusetzen, eingeschlossen den Generalstreik", war die Antwort Hundertausendfach "Generalstreik", "Generalstreik".


Steht die PD vor der Spaltung?

An der Manifestation nahm eine beträchtliche Zahl Parlamentarier der mehrheitlich die Regierung anführenden Sozialdemokraten (PD) teil, die damit auf Distanz zu dem Kabinett unter ihrem Partei-Chef Renzi gingen. Darunter die führenden Vertreter des linken Minderheitsflügel wie Pippo Civati, Stefano Fassina und Gianni Cuperlo, ein Ex-Kommunist aus der IKP. Es kam zu scharfen Auseinandersetzungen mit dem autoritären Partei- und Regierungskurs des früheren rechten Christdemokraten Renzi. Civati erklärte, Renzi versuche mit der Beseitigung des Artikel 18 des Arbeitsgesetzes (Kündigungsschutz) jetzt das durchzusetzen, was Berlusconi jahrelang nicht geschafft habe.


Renzi bleibt hart

Die der PD nahestehende "Repubblica", die ausführlich über die Manifestation berichtete, befürchtete, wenn der Premier nicht einlenke, könne es zur Spaltung der Partei kommen. Dazu scheint der Premier jedoch nicht im Geringsten bereit. Wie die Zeitung am Montag meldete, hat Renzi seine harte Position bekräftigt, dass die Manifestation der CGIL ihn zu keinen Abstrichen am Kurs der Regierung bewegen werde. Es sei "Schluss mit dem Italien der kleinen Walze". Der in den 70er Jahren eingeführte Artikel 18 des Arbeitsgesetzes passe nicht in die jetzige Zeit. Zu einer drohenden Spaltung der Partei erklärte Renzi, er habe "keine Angst vor neuen linken Projekten" und erinnerte an das Scheitern "der Regenbogenlinken".

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Quelle:
© 2014 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Oktober 2014