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ITALIEN/073: Staatspräsident Napolitano gibt Rücktritt aber kein Datum bekannt (Gerhard Feldbauer)


Staatspräsident Napolitano gibt Rücktritt aber kein Datum bekannt

Für die Wahl seines Nachfolgers will er das Heft in der Hand behalten

von Gerhard Feldbauer, 2. Januar 2015



In seiner mit großer Spannung erwarteten Neujahrsansprache hat Staatspräsident Giorgio Napolitano bestätigt, dass er demnächst zurücktreten wird, aber ein genaues Datum offen gelassen. In seiner 22minütigen Rede am Sylvesterabend räumte er ein, dass ihm sein Alter (er wird im Juni 90) die Erfüllung seiner Amtspflichten schwer mache. Es wird angenommen, dass er Ende Januar zurücktreten wird. Als sicher gilt das jedoch nicht. Mit dem Offenhalten des Datums will Napolitano Druck ausüben, dass der Senat vorher seine Auflösung als zweite Kammer und ein neues Wahlgesetz beschließt. Ohne den Senat als Kammer hat seine regierende Demokratische Partei (PD) mit Premier Matteo Renzi in der Abgeordnetenkammer eine solide Mehrheit und wäre nicht mehr auf die Unterstützung der rechtsextremen Forza Italia (FI) von Ex-Premier Berlusconi angewiesen. Noch ist offen, welchen Weg das Duo Napolitano/Renzi gehen wird.

Während Napolitano bisher den arbeiter- und gewerkschaftsfeindlichen Kurs Renzis unterstützte, mahnte er nun ein "differenziertes" Vorgehen bei neuen Steuern und sozialen Belastungen an. Er verwies auf die schwere Last der Arbeitslosigkeit, die vor allem die Jugendlichen einer Perspektive beraubt, und forderte, größere Anstrengungen im Kampf gegen sie zu unternehmen. Damit will er offensichtlich die rebellierende linke Basis seiner PD beruhigen und sie auf eine geschlossene Haltung bei der Wahl seines Nachfolgers einstimmen. Vor allem aber nimmt er, wie die regierungsnahe "Repubblica" ihn zitiert, in Anspruch, dass seit seinem Amtsantritt 2006 "wir Fortschritte gemacht haben".


Vorwurf der Verwandlung in eine Präsidialrepublik

Napolitano gehörte als Politbüromitglied der PCI zu der sozialdemokratischen Strömung, die 1991 die Partei liquidierte und an ihrer Stelle eine Partei der Demokratischen Linken (PDS, später DS, seit 2007 mit dem katholischen Zentrum zur PD fusioniert) bildete. Als die Linksdemokraten 2006 die Parlamentswahlen gewannen, setzten sie Napolitanos Wahl zum Staatspräsidenten durch. Dem stehen im Gegensatz zu den eher repräsentativen Rechten des Bundespräsidenten in Deutschland größere Befugnisse zu (darunter die Berufung des Ministerpräsidenten, die Auflösung der Kammern und Ausschreibung von Neuwahlen). In seiner zweiten Amtszeit seit April 2013 hat Napolitano jedoch mehr als ihm zusteht in die Regierungsgeschäfte eingegriffen und damit seinen Zögling, den von ihm ins Amt des Regierungschefs gehievten Renzi, der gleichzeitig PD-Chef ist, vor dem Sturz bewahrt. 22 Vertrauensabstimmungen in knapp einem Jahr überstand dieser nur dank Napolitanos Rückendeckung. Der linksliberale "Fatto quotidiano" wirft dem Staatschef die Verwandlung "Italiens in eine Präsidialrepublik" vor. Der Chef der Protestbewegung M5S, Beppe Grillo, klagt ihn an, "einen Anschlag auf die Demokratie" verübt zu haben.


Eine neue politisch herrschende Klasse formiert

Aus linken Kreisen wird eingeschätzt, dass Napolitano mit Renzi zusammen die PD zum Sachwalter einer neuen Konstellation der sogenannten politisch herrschenden Klasse gemacht hat, die den führenden Kreisen des Kapitals am geeignetsten für die Durchsetzung ihrer Forderungen nach Niederhaltung des Arbeiterwiderstandes erscheint. Diese neue Machtkonstellation schließt die Kollaboration mit der extremen Rechten ein, die ähnlich wie einst bei der Democrazia Cristiana (DC) als Drohkulisse auch gegenüber den Linken dient, sich diesem sozialliberalen Kurs unterzuordnen. Was dem faschistoiden Berlusconi in mehr als einem Jahrzehnt Regierungszeit nicht gelang, den Kündigungsschutz zu beseitigen und den Unternehmern freie Hand für jedwede willkürliche Entlassungen zu verschaffen, hat Renzi mit Brachialgewalt durchgepeitscht.


Er markiert "die Strasse, die zu gehen ist"

Napolitano tritt vor allem zurück, weil er, wie seine Neujahrsrede verdeutlicht, noch auf die Wahl seines Nachfolgers Einfluss nehmen will. "Er werde allen nahe bleiben, um sie zu unterstützen", versicherte er. Es sei "kein Adio", kommentierte die Nachrichtenagentur ANSA am Freitag in einer Nachlese. Er gehe, aber er markiere "die Strasse, die zu gehen ist", und er bleibe auf diesem Weg "eine moralische Instanz".

Die PD hat gute Karten, in dem bereits um seine Nachfolge tobenden Kampf, einen Kandidaten ihrer Wahl durchzusetzen, da sie in der rund 1.000 Mitglieder zählenden Versammlung aus Abgeordneten, Senatoren und Vertretern der Regionen, die den Präsidenten wählt, zumindest ab dem viertem Wahlgang eine einfache Mehrheit erreichen kann (bis dahin sind zwei Drittel erforderlich). Als aussichtsreicher Kandidat steht der mehrmalige Ministerpräsident von Mitte Links-Regierungen und frühere EU-Ratspräsident Romano Prodi (PD) zur Diskussion, für den sogar M5S stimmen würde und der damit bereits im ersten Wahlgang durchkommen könnte.


Wird es für Berlusconi einen Gnadenerlass geben?

Es wird jedoch befürchtet, das gemäß der erwähnten Neukonstellation der politisch herrschenden Kräfte Renzi einer politischen Auseinandersetzung erneut ausweichen und dazu einen Kompromiss mit Berlusconi suchen wird. Für den 6. Januar ist bereits ein Treffen des Premiers mit dem FI-Chef vereinbart. Der wittert Morgenluft und forderte für seine FI ein Mitspracherecht bei der Wahl eines Kompromisskandidaten. Für die Zustimmung zu einem PD-Bewerber erwartet Berlusconi noch immer einen Gnadenerlass, der seine Reststrafe wegen millionenschwerer Steuerhinterziehung, die er derzeit im einjährigen Sozialdienst bis Mai 2015 verbüßt, vor allem aber das auf zwei Jahre festgelegt Ämterverbot aufhebt. Die Frage, ob es einen letzten derartigen Staatsakt des scheidenden Staatschefs geben wird, ist eine der derzeit meist diskutierten Fragen in Rom.

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Quelle:
© 2015 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Januar 2015


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