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ITALIEN/102: Direktwahl oder Ernennung durch Parlamente der Regionen (Gerhard Feldbauer)


Italiens Sozialdemokraten streiten über Wahl des reformierten Senats

Direktwahl oder Ernennung durch Parlamente der Regionen

Von Gerhard Feldbauer, 2.9.2015


Eine der wenigen Reformen, die Premier Matteo Renzi bei seinem Amtsantritt im Februar 2014 ankündigte, kann tatsächlich in Anspruch nehmen, der Modernisierung des bürgerlichen Parlamentarismus zu dienen: Die Auflösung des Senats als zweiter Kammer, einem Relikt der monarchistischen Geschichte, das 1861 bei der Gründung des einheitlichen Nationalstaates gebildet und 1946 bei der Proklamation der Republik in modifizierter Form übernommen wurde. Allerdings soll das Hohe Haus im Palazzo Madama zahlenmäßig und in seiner Funktion beschränkt weiter bestehen. Abgeschafft wird das Recht, über die Regierung mit zu entscheiden (Mißtrauensvotum), woraus resultiert, dass der Staatspräsident ihn bei der Ausschreibung von Neuwahlen auch nicht mehr auflösen kann.

Nun ist im Verfassungsausschuss ein erbitterter Streit unter den Senatoren der regierenden sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) über die Art der Wahl der künftigen Mitglieder ausgebrochen. Konsens besteht, dass deren Zahl von 315 auf 100 beschränkt werden soll, sie keine Diäten mehr erhalten, in Zukunft aber weiter das Recht haben, vom Parlament verabschiedeten verfassungsrechtlichen Gesetzen zuzustimmen bzw. sie abzulehnen und sich zu legislativen Fragen zu äußern, was sich auch auf von Renzi beabsichtigte Reformen erstrecken wird. Der reformierte Senat wird aus den ehemaligen Präsidenten der Republik und Senatoren auf Lebenszeit sowie aus Vertretern der Regionen gebildet, die von deren Parlamenten ernannt werden. Diesen Standpunkt hat Renzi bereits in der Abgeordnetenkammer, wo die PD über eine Mehrheit von 340 der insgesamt 630 Mandate verfügt, durchgesetzt. Allerdings erreichte er die erforderliche Zweidrittel Mehrheit nur mit den Stimmen der rechtsextremen Opposition, darunter der Forza Italia (FI) von Ex-Premier Berlusconi.

Der jetzige Senat muss als letzte Amtshandlung seiner Umgestaltung zustimmen. Die PD-Minderheit, die die zumeist linke Basis vertritt (das ist mit 28 Senatoren immerhin fast ein Drittel), aber auch die Linkspartei SEL lehnen diesen Modus ab und fordern, die Senatoren aus den Regionen direkt zu wählen. Derzeit verfügt die PD über eine Mehrheit in den Parlamenten der Regionen und Renzi kann mit einer seinen Reformvorhaben wohlgesinnten Mehrheit rechnen. Das könnte sich aber schon bei den nächsten Regionalwahlen, die 2016 anstehen, ändern und der extremen Rechten mit der FI Berlusconis und den Faschisten der Fratelli Italiens, an deren Spitze der Chef der rassistischen Lega Nord Matteo Salvini strebt, die Oberhand verschaffen. Renzi müsste weiter mit ihnen paktieren. Die regierungsnahe Repubblica hat am Wochenende warnend auf diesen Hintergrund verwiesen. Noch "bleibe die PD erste Partei", aber der Stimmenzuwachs "der Lega steige", die dabei die FI hinter sich lasse. Nach Meinungsumfragen sind die regierenden Sozialdemokraten von gut 40 Prozent bei den EU-Wahlen 2014 auf 27 abgesunken.

Die Forderung der PD-Minderheit, die Senatoren direkt zu wählen gehen davon aus, dass die Sozialdemokraten in diesem Wahlmodus bessere Chancen haben, ihre Kandidaten durchzusetzen. Darauf setzen sie auch für den Fall, dass die rechtsextreme Opposition diesem Verfahren nicht zustimmen sollte. Dann soll über die Reform des Senats und seine künftige Direktwahl in einem Referendum entschieden werden.

Die Auseinandersetzung verdeutlicht ein weiteres Mal, dass der rechts stehende PD- und Regierungschef Renzi lieber weiter mit der rechtsextremen Opposition kollaboriert, als den Forderungen der Minderheit in seiner Partei nachzugeben, was die Linke Basis stärken würde. Eigentlich sollte die Abstimmung im Senat in der kommenden Woche stattfinden. Angesichts der anhaltenden Auseinandersetzung und von noch zahlreich vorliegenden Abänderungsvorschlägen hat der Verfassungsausschuss beschlossen, die Entscheidung auf Mitte Oktober zu vertagen.

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Quelle:
© 2015 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. September 2015

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