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ITALIEN/148: Stadtverwaltung in Rom vertreibt Sinti und Roma aus ihrem Lager (Gerhard Feldbauer)


Stadtverwaltung der Protestpartei M5S in Rom vertreibt Sinti und Roma aus ihrem Lager

Scharfe Proteste darunter des European Roma Rights Centre

Von Gerhard Feldbauer, 1. November 2016


Die Stadtverwaltung der von Rom regierten Protestpartei Cinque Stelle (Fünf Sterne) hat zum 31. Oktober die Schließung der Lager von Sinti und Roma angeordnet. Damit wird die Mehrheit dieser Bevölkerungsgruppe aus ihren Unterkünften vertrieben. Bürger der Stadt, Mitarbeiter von Sozialzentren, das European Roma Rights Centre in Italien und die Associazzione 21. Juli zur Verteidigung der Rechte der Roma und Sinti haben scharf gegen diesen unmenschlichen Akt der links agierenden Stadtverwaltung von M5S protestiert, der diese Menschen schutzlos dem beginnenden Winter aussetze. Inzwischen sollen die Vertriebenen in Baracken untergebracht werden. In einer gemeinsamen Erklärung von ERRC und 21. Juli wird die Vertreibung "ein Verstoß gegen die Menschenrechte" genannt, mit der "die internationalen Verpflichtungen" missachtet werden.

Von den in der ganzen Welt lebenden acht bis zwölf Millionen Sinti und Roma entfallen rund 150.000 auf Italien, also nur rund 0,25 Prozent der etwa 58,6 Millionen Einwohner. Viele leben schon seit mehreren hundert Jahren in Italien, 70.000 von ihnen besitzen auch die Staatsbürgerschaft des Landes. Die Proteste, darunter der ERRC und 21. Juli erinnern daran, dass die Roma und Sinti, obwohl 95 Prozent von ihnen sesshaft sind, als Zigeuner beschimpft, als Kriminelle verdächtigt und immer wieder rassistischen Angriffen und Diskriminierungen ausgesetzt sind. Besonders waren sie unter der Regierungsallianz des faschistoiden Premier Berlusconi und der rassistischen Lega Nord, die nochmals von 2008 bis 2011 amtierte, schweren Verfolgungen ausgesetzt. Lega-Führer Umberto Bossi, der später wegen Korruption zurücktreten musste, forderte eine noch schärfere Abschottung gegen Migranten, vor allem gegen Roma und Sinti, von denen Fingerabdrücke genommen wurden, die Polizei mit schärferer Repression gegen sie vorgehen sollte. Bossis offener Rassismus faschistischer Prägung gipfelte in Äußerungen, dass es leider "leichter sei, Ratten zu vernichten als Zigeuner auszurotten".

Viele Roma und Sinti wurden in Ghettos, genannt "campi nomadi" (Nomadenlager), gesperrt. Laut Regierungsvorgaben mussten in allen Städten mit mehr als 10.000 Einwohnern entsprechende "Lager" eingerichtet werden. Zur Ausländerfeindlichen gegen Sinti und Roma gerichteten Politik unter Berlusconi hieß es in einem Bericht der Associazzione per i popoli minacciati (Gesellschaft für bedrohte Völker): "Diese Siedlungen werden zu Orten der urbanen, politischen und sozialen Ausgrenzung". Ein Sinti-Lager in Bozen (Südtirol) liege wischen Schnellstraße, Autobahn und Zufahrtsstraßen, weit ab von jeglicher Wohnsiedlung und äußerst schwer erreichbar. Hier werde eine "politisch gewollte Gettoisierung" verfolgt, um ihre Bewohner von der übrigen Bevölkerung zu trennen und auszugrenzen". An anderer Stelle hieß es, bei Vergehen der Kleinkriminalität, Verstößen gegen Gesetzte und Verordnungen, werde gegen "diese Menschen, die buchstäblich am Rand der Gesellschaft leben, äußerst streng" vorgegangen. Der Bericht schlussfolgerte, das zeige, "dass Rassismus und Menschenrechtsverletzungen auch nach über siebzig Jahren, seit dem scheinbaren Ende des Faschismus, immer noch traurige Gegenwart, auch mitten in Europa sind".

Darunter hat, wie die jüngsten Vorkommnisse zeigen, sich auch unter den seit 2013 amtierenden Regierungen des sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) und in Rom einer sich linksapostrophierenden Stadtverwaltung der Protestpartei Cinque Stelle (Fünf Sterne) kaum etwas geändert. Die Protesterkläung von ERRC und 21. Juli fordert die Regierung von Premier Renzi auf, sich der Angelegenheit anzunehmen und eine dauerhafte Lösung der Unterbringung der Roma, Sinti und der Lagerinsassen herbeizuführen und die bestehende "Rassentrennung aufzuheben". Der Bürgermeisterin von M5S halten sie vor, dass es so weiter geht wie bisher, dass die Roma-Familien weiter in "wirtschaftlicher und sozialer Zerbrechlichkeit" existieren müssen, obwohl ihnen währen der Wahlkampagne versprochen wurde, die Lager aufzulösen und die Trennung von der übrigen Bevölkerung zu überwinden, werde an "dieser Schande und Trennung festgehalten".

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Quelle:
© 2016 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. November 2016

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