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ITALIEN/157: Früherer Linksradikaler Paolo Gentiloni neuer Regierungschef in Rom (Gerhard Feldbauer)


Früherer Linksradikaler Paolo Gentiloni neuer Regierungschef in Rom

Im Juni möglicherweise vorgezogene Parlamentswahlen

von Gerhard Feldbauer, 13. Dezember 2016


Im opportunistischen Italien scheint nichts unmöglich. Für den nach seiner Niederlage im Referendum zur Abschaffung des Senats als zweiter Parlamentskammer zurückgetretenen Premier Renzi hat Staatspräsident Sergio Mattarella den bisherigen Außenminister Paolo Gentiloni mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt. Der 62jährige Politiker war in den 1970er Jahren in der linksradikalen "Democrazia Proletaria" aktiv, dann Mitglied der "Partei der proletarischen Einheit für den Kommunismus" (PdUP), schloss sich später den Grünen an, stieß von da zur katholischen Zentrumspartei Margherita, mit der er 2007 die Vereinigung mit einer Mehrheit der aus der IKP hervorgegangenen Linksdemokraten zum heutigen buntscheckigen sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) mitmachte. Der anpassungsfähige Karrierist, der sich seine ersten Sporen 2006 bis 2008 als Kommunikationsminister im Kabinett Romano Prodis, das noch die Kommunisten einschloss, verdiente, soll offensichtlich die zerstrittenen Flügel der PD versöhnen und auch für oppositionelle Linke wählbar sein. Seine Herkunft aus der angesehenen Adelsfamilie der Gentiloni Silveri könnte ihn aber auch zum Ansprechpartner für rechte Kreise machen.

Die Senatsreform hatten sowohl das rechtsextreme Lager - so die Forza Italia (FI) von Expremier Berlusconi, die rassistische Lega Nord und die faschistischen Brüder Italiens (Fratelli d'Italia - FdI) - als auch die kleinbürgerliche rechtslastige Protestbewegung Fünf Sterne (M5S) abgelehnt. Aber auch viele Linke hatten aus Protest gegen die arbeiterfeindliche Politik des früheren rechten Christdemokraten Renzi, der zum PD- und Regierungschef aufstieg, mit "No" (Nein) gestimmt. Politiker des Mitte-Links-Lagers wie der mehrmalige Ministerpräsident Romano Prodi und der parteilose Linke Giuliano Pisapia, von 2011 bis 2016 Bürgermeister von Mailand, hatten trotz der berechtigten Opposition gegen Renzi vor einem "No" gewarnt, da dieses der extremen Rechten "den Weg freimachen" werde. Denn FI, FdI und Lega wie auch M5S fordern jetzt sofort vorgezogene Parlamentswahlen, um der PD eine Niederlage zu bereiten. Es steht zu befürchten, dass sich die beiden Lager, wenn ihre eigenen Kandidaten keine Erfolgsaussichten haben, gegenseitig unterstützen. So wie im Juni 2016, als in Rom Virginia Raggi von M5S mit 20 Prozent der FdI-Stimmen zur Bürgermeisterin gewählt wurde. Vorgezogene Parlamentswahlen könnten frühestens im Juni 2017 stattfinden. Denn vorher muss das Wahlgesetz Italicum, das der stärksten Partei einen Bonus von 340 der 630 Sitze im Abgeordnetenhaus zugesteht, abgeändert und auch für den Senat zugeschnitten werden. Wie die regierungsnahe La Repubblica am Sonntag schrieb, sollen in der jetzigen Fassung untersagte Wahlbündnisse wieder zugelassen werden, was den Linken Chancen einräumte, ins Parlament zu kommen. Mattarella hat sich zur Frage vorgezogener Wahlen nicht geäußert und auch den Begriff "Übergangsregierung" vermieden, sondern als Hauptaufgabe hervorgehoben, rasch "eine voll funktionsfähige Regierung" zu bilden, da es um die Einhaltung wichtiger "innerer, europäischer und internationaler Verpflichtungen und Fristen" gehe. Der designierte Premier erklärte, sich unverzüglich und entschlossen diesen "internationalen wie den wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen zu stellen". Er werde, wie La Repubblica am Dienstag schreibt, bereits am kommenden Donnerstag am EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Brüssel sein Debüt geben. Dazu muss er sich vor der Vereidigung in der Abgeordnetenkammer und im nun wieder zuständigen Senat der Vertrauensfrage stellen, zu der die nötige Mehrheit erwartet wird, wobei M5S wie auch die Lega ankündigten, an den Abstimmungen nicht teilzunehmen. Lega-Chef Matteo Salvini bezeichnete Gentiloni als eine "Kopie" von Renzi. Der Vizepräsident des Parlaments von M5S, Luigi Di Maio, der bei Parlamentswahlen als Spitzenkandidat seiner Partei gilt, nannte ihn "einen Strohmann Renzis".

Renzi selbst hatte es abgelehnt, an der Spitze einer neuen Regierung zu bleiben, aber laut Repubblica die Fäden bei der Wahl seines Nachfolgers in der Hand gehalten und "die Partie für sich entschieden". Durch den Verzicht werde er als PD-Chef, vorausgesetzt, der für Februar angesetzte Parteitag bestätigt ihn im Amt, auch auf Wahlen einen entscheidenden Einfluss nehmen können, zu denen auch seine eigene Kandidatur nicht ausgeschlossen wird. Für eine Nominierung war auch der parteilose Finanzminister Pier Carlo Padoan im Gespräch. Auf Gentiloni dürfte die Wahl wegen seiner adligen Herkunft, seines besonnenen Vorgehens, mit dem er sich vom hemdsärmeligen Hauruck-Stil seines Vorgängers unterscheidet und der erwähnten Beziehungen zur Linken gefallen sein. Ebenso dürfte mit den Ausschlag gegeben haben, dass er ein zuverlässiger Gefolgsmann Renzis und nicht zuletzt wie dieser ein "Pro-Europäer" ist. In der am Dienstag in La Repubblica vorgestellten neuen Regierung behält der neue Premier Padoan in seinem Kabinett. Als erstes kommen auf ihn im Finanzbereich staatliche Bankenrettungen zu. Allein die Aktien des Monte dei Paschi di Siena (MPS) des ältesten Geldhauses der Welt, hatten nach Ausbruch der Regierungskrise vergangene Woche eine rasante Talfahrt erlebt. Der bisherige Innenminister, der Chef der aus der FI hervorgegangenen neuen Rechtspartei Neues Rechtes Zentrum (NCD) und frühere Vize Berlusconis, Angelino Afano, wechselt ins frei gewordene Außenressort, was die Stellung der NCD stärkt. Die Forderung der Alleanza Liberalpopulare (ALA) von einem ebenfalls früheren Gefolgsmann Berlusconis, Dennis Verdini, der Renzi bisher mit einer Gruppe von Parlamentariern und Senatoren aus der FI unterstützte, nach einem Kabinettsposten hat Gentilonoi abgelehnt. Daraufhin hat Verdini die bisherige Unterstützung der PD aufgekündigt.

In Anbetracht bevorstehender Neuwahlen wollen sich die derzeitige Partei Linke und Umwelt (SEL), Linke aus der PD und anderen Gruppen wie auch aus der Rifondazione Comunista (PRC) zu einer neuen Partei "Italienische Linke" (Sinistra Italiana - SI) zusammenschließen. Der Gründungskongress ist, wie SEL-Vorsitzender Nichi Vendola mitteilte, bereits für den 4. Februar 2017 einberufen. Sie sind bereit, mit der PD zu den Wahlen eine neue Mitte Links- Koalition "Campo progessista" (Lager des Fortschritts) zu bilden. Dazu müsse die PD jedoch die Zusammenarbeit mit aus der FI hervorgegangenen Parteien wie dem "Neuen Rechten Zentrum (NCD) des früheren Vize-Chefs Berlusconis, Angelino Alfano, beenden.

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Quelle:
© 2016 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Dezember 2016

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