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ITALIEN/194: Erfolg bei Referenden in Lombardei und Venetien (Gerhard Feldbauer)


Erfolg bei Referenden in Lombardei und Venetien

Keine Unabhängigkeit, aber mehr Autonomie

von Gerhard Feldbauer, 24. Oktober 2017


Die Einwohner der beiden norditalienischen Regionen Lombardei und Venetien haben sich am Sonntag in Referenden für größere Autonomierechte gemäß der Verfassung ausgesprochen. Zu den Abstimmungen in den von der Lega Nord regierten Regionen waren über zehn Millionen Wähler aufgerufen. In Venetien stimmten, wie die Südtirol News berichteten, laut endgültigen Ergebnissen der Regional-Regierung 59,2 der Wahlbeteiligten ab, von denen sich 98 Prozent für mehr Autonomie ausgesprochen hätten. In der Lombardei (wo es keine Mindestbeteiligung gibt) hätten sich laut vorläufigen Angaben 40 Prozent der Bürger beteiligt, von denen laut inoffiziellen Angaben 95 Prozent für mehr Autonomie gestimmt hätten.

Im Gegensatz zum spanischen Katalonien ging es in den Referenden nicht um eine Unabhängigkeit, sondern um zusätzliche regionale Kompetenzen im Rahmen der italienischen Verfassung. Die Autonomie-Statuten der beiden Regionen sollen auf 23 zusätzliche Kompetenzen gemäß Artikel 116 der Verfassung ausgedehnt werden. Das betrifft unter anderem die Bereiche Steuern, Umwelt, Gesundheit, Bildung, Ziviljustiz, Kulturgüter sowie, dass die Regionen unabhängig von Rom Beziehungen zu anderen Staaten aufnehmen können. Die Lega fordert, noch bis zum Ende der Legislaturperiode im Frühjahr 2018 ein entsprechendes Gesetz zu beschließen.

Obwohl die Ergebnisse der Abstimmungen nicht verbindlich sind, hat der Staatssekretär für regionale Angelegenheiten, Gian Claudio Bressa, laut der staatlichen Nachrichtenagentur ANSA vom Montag, die Bereitschaft "der Regierung zu Verhandlungen" über "Bedingungen und Formen größerer Autonomie" erklärt. Das Datum ließ er offen.

Beide Regionen zählen zu den reichsten Italiens. Die Lombardei verfügt nach eigenen Angaben mit 36.000 Euro pro Einwohner über das höchste Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Landes und liegt in der EU noch vor Deutschland auf Platz fünf. Ihr exportierter Warenwert beträgt jährlich 111,23 Milliarden Euro und macht 27,2 Prozent der italienischen Gesamtausfuhr aus. Venetien erzielt mit Exporten im Wert von 57,52 Milliarden Euro das drittgrößte BIP Italiens.

Eine Kernfrage dürften deshalb die Verhandlungen über die an die Regierung in Rom abzuführenden Steuern bilden. Die Lombardei überweist derzeit Steuergelder in Höhe von 57,6 Milliarden Euro pro Jahr nach Rom. Aus Venetien sind es 19,3 Milliarden Euro. Künftig wollen die Regierungen der Lombardei und Venetiens mindestens die Hälfte der regionalen Steuereinnahmen nicht mehr an die Staatskasse in Rom abführen. Dafür wollen die Regionen, wie es Südtirol zugestanden ist, mehr staatliche Aufgaben übernehmen. Landwirtschaftsminister Maurizio Martini stellte am Montag in La Repubblica gegenüber den Regierungschefs der Lega in der Lombardei und Venetien, Roberto Marioni und Luca Zaia, klar, dass Steuerfragen wie auch andere, so die Sicherheit, "kein Gegenstand von Verhandlungen sind und sein können". Das dürfte sich, wie Beobachter in Rom meinen, auch auf Beziehungen zu anderen Staaten beziehen, die das Monopol der Außenpolitik der Regierung einschränken würden.

Beiden Seiten dürften schwierige Verhandlungen ins Haus stehen, mit deren Abschluss kaum vor den Wahlen im Frühjahr zu rechnen ist. Ein Teil der aus den reichen Nordregionen kommenden Steuern geht in den armen Süden des Landes. Dort finden im November auf Sizilien Regionalwahlen statt, zu denen die Lega Nord erstmals als national aufgestellte Partei im Bündnis mit der rechtsextremen Forza Italia (FI) Berlusconis und den faschistischen Fratelli/Brüdern Italiens antritt und den Spitzenkandidaten stellt. Lega-Chef Matteo Salvini, der die Referendumsergebnisse als Signal für Sizilien feierte, dürfte hier um Abstriche kaum herumkommen. Zumal auch Ex-Premier Berlusconi, der bei Wahlen seine FI in die Regierung zurückführen möchte, sich hier zurückhielt.

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Quelle:
© 2017 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Oktober 2017

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