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ITALIEN/225: Staatspräsident Mattarella lehnt EU-kritische Regierung ab und setzt Technikerkabinett ein (Gerhard Feldbauer)


Staatspräsident Mattarella hat EU-kritische Regierung abgelehnt und Technikerkabinett eingesetzt

Sterne-Führer Di Maio verlangt Impeachment gegen Staatschef

von Gerhard Feldbauer, 29. Mai 2018


In Rom haben sich in den vergangenen Tagen die Ereignisse überschlagen. Am Sonntag hat Staatspräsident Mattarella von seinem verfassungsmäßigen Recht Gebrauch gemacht und die von dem designierten Premier Giuseppe Conte für eine Regierung der rassistischen Lega und der rechten Fünf Sterne-Bewegung (M5S) vorgeschlagene Ernennung des EU-kritischen Wirtschaftsministers Paolo Savona abgelehnt. Die Finanzmärkte und Ratingagenturen hatten ungewöhnlich heftig reagiert. Der Spread war auf 190 Punkte zurückgegangen, der Euro auf 1,1719 Dollar gestiegen. Conte legte danach sein Mandat nieder.

Am Montag unternahm Mattarella einen letzten Versuch, die seit den Wahlen am 4. März anhaltende Regierungskrise durch die Einsetzung eines Techniker-Kabinetts, eine sogenannte Regierung des Präsidenten, zu überbrücken. Den Auftrag dazu erteilte er dem parteilosen Wirtschaftswissenschaftler Carlo Cottarelli, einem jahrelangen Direktor und Vorstand des Internationalen Währungsfonds (IWF). Dieser nahm das Mandat an und erklärte, seine Regierung werde "neutral bleiben", aber auch "entschieden europäisch" sein. Als Gründungsmitglied der Europäischen Union bleibe die Rolle Italiens "unentbehrlich, genauso wie die Fortsetzung unserer Mitgliedschaft in der Eurozone".

Die aus der Demokratischen Partei (PD) Italiens stammende EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini zeigte sich anschließend "zuversichtlich", dass es Rom gelingen werde, "die Interessen des italienischen Volkes zu garantieren", die mit denen der EU übereinstimmten. Auch die Bundesregierung hoffte auf eine "stabile Regierung" in Italien. Bundeskanzlerin Angela Merkel zog einen Vergleich zum griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras. Mit diesem habe man sich nach dessen Amtsantritt 2015 "zusammengerauft" und etwas erreicht.

In einem regelrechten Diktaturstreben hatten Lega-Chef Salvini und M5S-Führer Di Maio vorher eine bisher kaum gekannte Mißachtung der Verfassungsrundsätze an den Tag gelegt und dem Staatschef das Recht, die Minister zu bestätigen oder abzulehnen, abgesprochen. Sie beschuldigten ihn, sich dem Druck aus Brüssel und Berlin zu beugen. Di Maio forderte, unter Bezug auf Artikel 90 der Verfassung ein Impeachment gegen den Staatschef einzuleiten. Der Artikel 90 betrifft ein Verfahren wegen "Hochverrat oder Anschlag auf die Verfassung". Ein Impeachment gab es bisher in Italien noch nicht.

Ob eine "Technikerregierung" zustande kommt und wie lange sie amtieren kann, ist noch unklar. Cottarellis Kabinett muss sich in Senat und Abgeordnetenhaus einer Vertrauensabstimmung stellen. Er will noch am Dienstag dem Staatschef eine Ministerliste vorschlagen. "Ich werde mich dem Parlament mit einem Programm vorstellen, das die Abstimmung über den Haushalt 2019 einschließen wird", sagte der 64jährige, nachdem er den Auftrag angenommen hatte. Wenn er die Vertrauensabstimmung gewinnt, will er bis Ende 2018 amtieren und 2019 sollen Neuwahlen stattfinden. Sollte Cottarelli keine Mehrheit finden, kann Mattarella den amtierenden Ministerpräsidenten, den PD-Politiker Paolo Gentiloni, darum bitten, vorerst im Amt zu bleiben, damit Italien mit einer funktionsfähigen Regierung auf dem G-7-Gipfel am 8. und 9. Juni im kanadischen La Malbaie vertreten ist. Anschließend müsste der Präsident das Parlament auflösen und Neuwahlen ansetzen. Diese könnten frühestens nach 45 Tagen stattfinden. Da Wahlen im Ferienmonat August für die Italiener allerdings unvorstellbar sind, gilt ein Termin im September als wahrscheinlich.

Pressestimmen hoben hervor, dass für Mattarella die EU-kritische Haltung der Koalition Lega-M5S auch Anlass war, eine Regierung mit der Rassistenpartei Salvinis zu verhindern, die sich bekanntlich bei ihrer Migrantenhetze neofaschistischer Sturmtrupps wie der Casa Pound und der Forza Nuova bedient. Er habe, so die römische La Repubblica, an den 44. Jahrestag des neofaschistischen Attentats in Brescia mit acht Toten und über 100 Verletzten erinnert und erklärt, es gehe darum, "jene zu besiegen, die Intoleranz und Angst säen wollen". Den wachsenden Befürchtungen vor einem faschistisch-rassistischen Regime schloss sich Maurizio Martina, amtierender Chef der Demokratischen Partei (PD), an. Im Mailänder Corriere della Sera warnte er, Lega und M5S "wollen aus Italien ein zweites Ungarn oder Polen machen".

Links wie in der Mitte wird in Rom befürchtet, dass die Einsetzung des früheren "Spar-Kommissars" Cottarelli, der in vergangenen Regierungen die rigorosen Brüsseler Budget-Regeln durchsetzte, M5S wie Lega willkommene Wahlkampfmunition liefert.

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Quelle:
© 2018 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Mai 2018

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